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LINIVERSITY OF TORONTO LIBRARY
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MEDIEVAL STU DIES
Zeben Heinrichs VII.
(Gefchichtfihreiber. Wierzehntes Zahrhundert, Erſter Band.)
Die Geſchichtſchreiber
der
deutlichen Vorzeit
in deutfher Bearbeitung
unter dem Schuße
Hr. Mai. des Königs Friedrich Wilhelm IV. von Preußen
herausgegeben von
6. H. Perb, 3. Grimm, 8. Lachmann,
2, Ranke, K. Ritter.
Tortgefegt
bon
au, Wattenbad;.
Vierzehntes Jahrhundert. Band I.
geben Heinrichs VII.
— —— — — —
Leipzig,
Verlag von Franz Duncker.
1882.
Das Scben
Kuiſer Heinrich des Siebenten,
Berichte der Zeitgenofjen über ihn
kbertegt
bon
Dr. W. Sriedensburg.
— — — —
Erſte Hälfte.
I
Leipzig,
Berlag von Franz Duncker.
1882.
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Nov 15 1967
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Snbaft.
Seite
Einleitung - - V
I. Dez Albertinus Muffatus Raise * Seite
Kaifer Heinrichs VI... . . A ; 87
I. Aus des Gulielmus — en von den —
niljen in Padua und der Lombardei . .
IH. Aus der Gejhichte des Terreto von Vicenza . . . . . 85
IV. Die Chronik des Johannes de Germenate von Mailand . 445
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Kinleitung.
Nehdem die Kaiſerkrone, welche der Anſchauung des Mittel:
alters zufolge ihrem Inhaber als dem Nachfolger der römiſchen
Imperatoren den Borrang vor allen weltlichen Fürften und Obrig⸗
keiten der abendländiſchen Chriſtenheit verlieh, durch Otto den
Großen für das kräftigſte der aus der Karolingiſchen Erbſchaft
hervorgegangenen Reiche, das oſtfränkiſche oder deutſche, in An—
ſpruch genommen und erlangt worden war, blieb es das Beſtreben
der Nachfolger Ottos auf dem deutſchen Throne den köſtlichen
Beſitz ſich und ihrem Volke zu erhalten. Immer wieder zogen
deutſche Ritterheere über die Alpen und immer mehr befeſtigte
ſich die Vorſtellung, daß der deutſche Herrſcher, welcher ſich bereits
geradezu römiſcher König nannte, der einzig rechtmäßige Erbe des
Kaiſerthums ſei. Doch blieben auch Elemente des Widerſtandes
nicht aus. Es war einmal das Papftthum, welches, von Kaiſer
Heinrih II. aus tiefer Ohnmacht und weitgehender Corruption
zu Macht und Anfehen emporgehoben, alsbald in natürlicher Riva-
lität der weltlichen Obergewalt entgegentrat und derſelben im
Bunde mit den centrifugalen Elementen in Deutfchland jelbft die
ſchwerſten Kämpfe bereitete. Unter dem Schu und an der Hand
des Papſtthums erhoben fid) dann in Stalien nationale Strö-
Geſchichtſchreiber. Lfg. 67 Leben Heinrichs VIT. 1
2 Einleitung.
mungen, welche dem jenfeitö der Berge gebürtigen Herren, deſſen Rom-
züge für das Land mit anſehnlichen, namentlichen pecuniären Opfern
verfnüpft zu jein pflegten, widerftrebten. Dieſe beiden Momente,
Curie und Bürgerthum (denn in den Städten concentrierte ſich das
nationale Element in Italien), machten dem Kaiſerthum nicht wenig
zu Ihaffen, und es mochte daher als ein großer Triumph des
letzteren ericheinen, als der ftaufifhe Heinrih VI. das blühende
unteritaliihe Normannenreich an fih brachte und fo feften Fuß in
der ſchönen Halbinfel faßte. Aber gerade diefe Erwerbung ftürzte
fein Gefchleht ind Verderben. Die Gegenmächte des Kaiferthums,
welche fih nunmehr von Süden wie von Norden mit gewaltigen
Armen umfaßt ſahen und zwiſchen denfelben erdrückt zu werden be—
fürdten mußten, erhoben ſich mit Aufbietung aller Kräfte gegen
die Staufer zu einem furchtbaren Ringen, in welchem ſchließlich
der Kirche und ihrer Partei der Sieg zufiel. Ein unzeitiger Tod
brach den Rieſengeiſt Kaiſer Friedrichs IL; bald folgte ihm fein
waderer Sohn Konrad IV. ind Grab nad und ein halbes
Menjchenalter fpäter waren auh Manfred und der jugendliche
Konradin, die legten Sprofien des ftaufiihen Stammes, der Curie
erlegen und aus der Reihe der Yebendigen getilgt.
Das alte Impertum im Sinne ve8 früheren Mittelalters
ihien damit für immer zu Grabe getragen. Deutihland war von
der italiſchen Politik feiner Herrſcher nicht umbeeinflußt geblieben ;
durch weitgehende Zugeſtändniſſe, Die der nur auf Italien gerichtete
Sinn Friedrih8 II. den deutichen Fürften machte, vernichtete er
die Reſte der Königsgewalt in Deutfchland und damit die ficherfte
Grundlage für ein kräftiges Kaiſerthum und machte Deutichland
zum Qummelplag der Territorial- und HausmachtSbeftrebungen
feiner Fürften, die nach dem Fall der Staufer e8 nicht mehr er-
trugen eın Fräftiged Oberhaupt über ſich zu fehen und ſtatt deſſen
ein Baar Schattenkönige aufftellten,, die ihrem Treiben weder ent-
gegentreten konnten noch auch wollten. Indeß begreift ſich Daß
die italiſche Politik, ſo verderblich ſie auch den Staufern geworden,
nicht für alle Zeiten abgethan, die Erinnerung an das Kaiſerthum,
Einleitung. B}
mit der fih doch auch die Erinnerung an die Größe und den
Glanz des deutſchen Namens untrennbar verknüpfte, nicht mit
Einem Schlage aus den Herzen der Deutfchen gettlgt war. Im
Gegentheil. Sobald wieder leidliche Verhältniffe Plat - griffen
und ein allgemein amerfannter König die Zügel ver Herr⸗
ſchaft in Deutſchland handhabte, trat Italien aufs neue in den
Geſichtskreis der deutſchen Politik. Schon König Rudolf, deſſen
Thronbeſteigung die entſetzlichen Zeiten des ſ. g. Zwiſchenreichs
abſchloß, dachte an einen Romzug, an dem ihn im weſentlichen
nur ſein hohes Alter und dann ſein Tod verhinderten. Auch lag es
mehr an ungünſtigen Verhältniſſen als an dem Wunſch und Willen
ſeiner beiden Nachfolger, wenn dieſelben den italiſchen Boden nicht
betraten. Adolf fiel nach kurzer unruhiger Regierung auf blutigem
Schlachtfeld und Albrechts Lebensfaden ward durch den Dolch des
irregeleiteten Neffen jäh abgeſchnitten. Ihm folgte auf dem Throne
ein Graf aus den weſtlichen Gegenden des Reichs, mehr Franzoſe
als Deutſcher, Heinrich von Lützelburg. Als dieſer ſich plötzlich
aus einem beſchränkten Wirkungskreis auf den erſten Thron der
chriſtlichen Welt verſetzt fand, da erwachte in ſeinem ritterlichen
phantaſievollen Gemüth alsbald der Gedanke, die alte Tradition
zu erneuern. Der Zauberreiz des Südens, der Glanz, der immer
noch das Kaiſerthum umſtrahlte, nahm ſeine hochſtrebende Seele
gefangen, und mit der ganzen Gluth ſeiner Natur klammerte er
ſich an den Vorſatz der Wiederaufrichtung des Kaiſerthums, einen
Vorſatz, dem er alles Andere unterordnete.
Kaum zwei Jahre verblieb Heinrich diesſeits der Alpen,
lediglich bemüht ſeine königliche Stellung zu ſichern, indem er ſich
mit dem mächtigen Geſchlecht ſeines Vorgängers auseinanderſetzte
und ſeinem eigenen Hauſe durch die Zuwendung des böhmiſchen
Königreichs einen Platz unter den großen Dynaftien Deutjchlande
erwarb. Dann eilte er nad Süden und betrat, großer Erwar—
tungen voll, den italifchen Boden.
Aber nur fein war das Häuflein, welches mit ihm die Alpen
überſchritt. Längft hatten ſich die großen Reichsfürſten der Ver—
"2
4 Einleitung.
pflichtung ihren Herrn zum Empfang der Kaiſerkrone mit geſammter
Macht nach Rom zu geleiten entzogen. So ging nur Herzog
Leopold von Oeſterreich auf Grund eines beſonderen Abkommens
mit dem König nach Italien, von wo er jedoch bald erkrankt heim—
kehrte. Größer war die Zahl der geiſtlichen Fürſten, welche an
der Romfahrt Theil nahmen. Allen voran iſt Balduin zu nennen,
Erzbiſchof von Trier, die treueſte und zuverläſſigſte Stütze ſeines
königlichen Bruders. Außerdem befanden ſich von mächtigeren
Fürſten noch drei Grafen von Flandern, zwei Delfine von Vienne
und Graf Amadeus V. der Große von Savoyen, ſämmtlich durch
das Band der Verwandtſchaft mit Heinrich verknüpft, im Zuge.
Begegnen wir endlich im Heere des Königs auch noch reichsſtädtiſchen
Contingenten und einer beträchtlichen Anzahl von abenteuerluſtigen
Rittern, unter denen Walram, Heinrichs Bruder, hervorragt, ſo
ſoll doch die Schaar, welche ſich im Herbſte des Jahres 1310 im
Piemonteſiſchen zuſammenfand, außer dem geringeren Fußvolk und
den Armbruſtſchützen nur tauſend Ritterpferde gezählt haben.
Augenſcheinlich genügte eine ſo geringfügige Streitmacht nicht um
Italien zu überwältigen und dieſem Lande den Willen ſeines
königlichen und kaiſerlichen Herrn aufzuzwingen; es kam daher
für die Durchführung des Unternehmens Heinrichs weſentlich darauf
an, wie ihn die Italiener aufnehmen, und ob und wie weit es
ihm gelingen würde ſich in Italien zum Herrn der Verhältniſſe zu
machen.
Zunächſt hatte Heinrich einen Vorzug vor dem Staufer: nicht
als ein Feind der Curie und von den Bannflüchen der Kirche
verfolgt zog er einher, ſondern die Segenswünſche des Papſtes
begleiteten ihn und Cardinäle bereiteten ihm den Weg. Das
Papſtthum nämlich vermochte ſich in der Machtſtellung, welche ihm
der Sieg über das Imperium gewährt hatte, nicht lange zu er—
halten. Einſt hatte die Curie ſelbſt gegen den Staufer einen
neuen Factor, die jung aufblühende franzöſiſche Macht, nach Italien
gezogen. Als nun die Staufer fielen, blieb der Franzoſe zurück,
ſetzte ſich in Unteritalien an die Stelle des geſtürzten Gegners und
Einleitung. 5
brachte bald das Papjtthum in weit höherem Grade unter feinen
Einfluß als es die Staufer je erreiht oder auch nur erjtrebt
hatten. Nachdem Papſt Bonifacius VIII. von der Krone Frank—
reih auf das roheſte mißhandelt worden war, zogen feine Nach—
folger e8 vor fid) geradezu in den Schuß Frankreichs zu ftellen
und ihren Wohnfis aus Kom nad Südfrankreich zu verlegen,
wo fie, wie befannt, ſchließlich in Avignon dauernd ihren Aufent-
halt nahmen. Freilid) fühlten fie das Abhängige ihrer Stellung
und Clemens V. fuchte jest in dem neu erftandenen römiſchen
Königthum eine Stüge gegen den willensftarfen gemaltthätigen
Gapetinger Philipp IV. den Schönen. So beförderte er wider
Frankreich, welches einem feiner Prinzen die deutſche Krone und
damit die Ausfiht auf das Kaifertfum zu verichaffen gedachte,
die Wahl des LTürelburgers, und begrüßte e8 mit Freuden als
diejer ſich unterfing auch in Italien den füniglihen und kaiſerlichen
Namen wieder zur Geltung zu bringen. Indeß hatte für Hein-
rich VII. das Verhalten Clemens’ V. nicht entfernt die gleiche
Bedeutung wie einft für Friedrich II. die Stellung, melde Papſt
Sunocenz IV. ihm gegenüber eingenommen. Insbeſondere war der
Einfluß, den die Curie in Italien ſelbſt beſaß, ſeit der Zeit des
großen Staufer wejentlih herabgegangen, wozu, ganz abgejehen
von der erft furz vor der Zeit Heinrichs erfolgten Verlegung des
päpftlihen Stuhles, namentlid die Verweltlihung, der die Kirche
bald nad) ihrem Stege anheimfiel, beigetragen hatte. Dieſe Ber-
weltlihung mußte aber gerade da, wo man gleichlam Augenzeuge
des Treibens an der Curie war, d. h. in Italien, das geiftliche
Anjehen, dem dieſelbe denn doch in erfter Linie ihre bedeutſame
Stellung verdankte, vermindern und damit ihrem Einfluß den Boden
entziehen. Nirgends treffen wir daher jo früh wie in Italien
trogige Keger, die fi die Bannftrahlen der Kirche nichts anfechten
laſſen und das Papftthum nicht anders betrachten wie jede beliebige
weltlihe Macht, mit welcher ihre Politik zu rechnen hat.
Uebrigend hatte die Gunft, welche Papft Clemens dem Nom:
zuge des Lütelburgers zuwandte, denn doch ihre, nicht allzu weit
6 Einleitung.
gezogenen, Grenzen. Mit größter Eiferſucht überwachte die Curie,
zumal jeitdem fie nach Frankreich gezogen war, das ihr unter-
ftehende Gebiet in Italien, welches ſich feit den Zeiten der Staufer
fefter zufammengejchloffen und ſchließlich noch durch einen fiegreichen
Krieg gegen Benedig an Macht und Anjeyen gewonnen hatte. Im
ganzen Umfang dieſes Gebiets war man nicht gewillt dem Kaiſer—
thum Hoheitsrechte einzuräumen. Die Katferfrönung in der Peters—
firhe zu Rom hatte zwar Clemens bereitwillig zugefagt, aber gerade
in jeiner Hauptſtadt war die Macht des Papfted am menigften
befeftigt, denn Rom wurde damals im mejentlichen durch die Adelg-
factionen beherrſcht, an deren Spige ſich die guelfifhen Orſini und
die Faiferlich gefinnten Colonna in erbittertem Hader gegenüber
ftanden, ſodaß ſich unmöglich vorausjehen ließ ob und mie meit es
dem Raifer, ob er fich gleich von der Curie unterftütt ſah, ges
lingen werde hier jein Anſehen zur Geltung zu bringen.
Ganz ausgeihloffen aber war von vorn herein ein Einfluß
Heinrichs auf Das Lehnsreich des apoftoliichen Stuhles, das König-
reich Neapel, von welchem allerdings in Folge der ſ. g. ſicilianiſchen
Beiper des Jahres 1282 die Inſel Sicilien losgeriſſen worden
war, die jeßt unter dem jüngeren Sohne König Peterd von Ara-
gonien des Befreierd, dem waderen Friedrich, ein eigenes Königs
veich bildete. Neapel dagegen, d. h. das feftländifche Unteritalien,
behaupteten die Anjou. Kurz vor Heinvih Ankunft in Italien,
im Jahre 1309, ftarb König Karl II. von Neapel, Sohn des
berüchtigten erften Karl von Aniou, und hinterließ feine Krone,
mit Uebergehung der Nachkommen feines Erftgeborenen, dem jüngeren
Sohne Robert, einem gewandten, verfchlagenen Fürften, der fich
alsbald bemühte die guten Beziehungen feines Haufes zur Curie
zu erhalten und zu befefligen. Aus den Händen des Papftes, in
defjen Umgebung er geraume Zeit verweilte, nahm er in Perfon
die Belehnung entgegen und machte ſich erft unmittelbar vor dem
Erſcheinen des Lützelburgers auf, um jein füdliches Reich einzuneh-
men. Da die Anjou aud in Piemont feften Fuß gefaßt, To blieb
dem deutſchen König als dasjenige Gebiet, auf welches er verſuchen
Einleitung. 7
durfte feinen faiferlichen Einfluß zu erſtrecken, nur die eigentliche
Lombardei, mit der Mark Trevifo, und Toskana übrig.
In diefen, den eigentlichen Neihslanden war nun die Idee
des Kaiſerthums troß der langen Vakanz des kaiſerlichen Stuhles
keineswegs erloſchen. Auch abgejehen von Dante, deſſen Kaiſer
mehr eine abftrafte Potenzierung der Idee als ein conkretes Weſen
des beginnenden vierzehnten Jahrhunderts ift, hatte doc) insbeſondere
das Studium des römiſchen Rechts die alte Kaiſeridee inſoweit
feſtgehalten, daß ſelbſt der nüchterne, entſchieden guelfiſch geſinnte
Paduaner Albertino Muſſato mit Bezug auf die Stellung der
Italiener zu Heinrich VII. ſagen konnte: von dem urſprünglichen
Rechte des Kaiſerthums ſeien Alle ausnahmslos und ohne Rückſicht
auf ihre Parteiſtellung durchdrungen; nur hätten, fügt er hinzu,
Viele vermeint, Heinrich habe durch die Begünſtigung und Bevor—
zugung, die er der einen Partei (den Ghibellinen) zu Theil werden
laſſen, ſein Recht verwirkt. Die nur ſehr bedingungsweiſe Aner—
kennung des Kaiſers, welche und aus dieſer Anſchauung entgegen—
tritt, war nun freilich nicht mehr die urſprüngliche Kaiſeridee und
entſprach auch der Auffaſſung Heinrichs VII. gar wenig. Ueber—
haupt aber war es denn doch ſehr fraglich, ob die alte Kaiſer—
tradition noch für die Gegenwart rechte Lebensfähigkeit beſaß
oder ob ſie nur wie ein Schleier, den der erſte rauhe Windſtoß
abheben und davontragen mußte, über den Gemüthern lag. Denn
wenn von den beiden Momenten, welche wir oben als Gegner der
Staufer bezeichneten, das eine, das kirchliche, welches in der rö—
miſchen Curie ſeinen Mittelpunkt beſaß, auf Heinrichs Seite ſtand
und ſein Unternehmen begünſtigte, ſo hatte dagegen das zweite
eine Entwicklung genommen, die den Tendenzen des Kaiſerthums,
mochte dieſes nun durch Friedrich II. oder durch Heinrich VII.
vertreten ſein, unmöglich hold ſein konnte. Ich meine hier das
Moment der Nationalität, welches ſich in dem Bürgerthum verkör—
perte. Bei dem Worte Nationalität iſt nun freilich nicht etwa an
ein Verlangen nach politiſcher Einigung der Halbinſel zu denken;
dieſes ſpielt in dem mittelalterlichen Italien, zumal in dieſer Epoche,
8 Einleitung.
kaum eine Rolle. Aber man war ſich doch nach und nach einer
nationalen Zuſammengehörigkeit bewußt geworden, wie denn eben
in dieſer Zeit eine nationale Schriftſprache erſtand, die mit dem
Beginn des neuen Jahrhunderts in Dante's göttlicher Komödie die
herrlichſte Frucht zeitigte und damit ein für allemal in der
Weltlitteratur einen Platz gewann. Das Nationalbewußtſein äußerte
ſich dann namentlich durch die Abneigung gegen die Fremden, ins—
beſondere auch gegen die Deutſchen, eine Abneigung, der wir faſt
bei ſämmtlichen Geſchichtſchreibern der Epoche Heinrichs VII., Ghi—
bellinen wie Guelfen, Lombarden wie Toskaneſen, begegnen. „Was
habe ich mit dieſem Grafen von Lützelburg zu” fhaffen, den mein
Auge nie erblidt hat? mit welchem Recht maßt ſich diefer Fremd-
ling an meine Verhältniffe zu wirren, meine Pläne zu durchfreuzen,
Das Werk meines Lebens umzuftürzen?” In folhen Worten foll
Guido della Torre, der Gebieter Mailands, feinem Unmuth Aus-
druck gegeben haben, als er die Nachricht von Heinrichs bevor—
ftehender Romfahrt erhielt, und ficherlic fanden derartige Reden
einen Widerhall in den Gemüthern von taufend und abertaufend
jeiner YandSleute, welche es, mochten fie auch von dem theoretiichen
Rechte des Kaiſers durchdrungen fein, nicht mehr recht faſſen
fonnten, daß nad) jo langer Pauſe jetzt plöglich mit den weiteft-
gehenden Forderungen auf ihrem Gebiete ein Ausländer erichien,
welcher durch irgendwelche ihnen unbefannte Combinationen, unter
der Einwirfung von Momenten, die ganz außerhalb ihres Ein-
fluſſes und Geſichtskreiſes lagen, in einem fremden Lande zum
König erhoben worden war. Ueberhaupt aber mußte mit dem
völligen Obſiegen des Bürgerthums, wie es in Ober- und Mittel-
italien jeit der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts der
Fall war, eine nüchternere Auffaffung Plag greifen, als da noch der
Clerus und der ritterliche Adel fih zu Trägern der hochfliegenden
Ideen der Weltherrichaft gemacht hatten. Handel und Gewerbe
nahmen jet die Aufmerffamkeit des Bürgers in erfter Linie in
Anſpruch; wie hätte er da für Theorien und Abftractionen, die von
feiner Intereffenfphäre weit ablagen, noch Sinn haben fünnen?
Einleitung. 9
Trotz alledem zählte das Kaiſerthum in den italiſchen Städten
eine ſtarke Anhängerſchaft, welche freilich weniger dem Inſtitut an
ſich ergeben war als vielmehr mit Hilfe des Kaiſers ihr eigenes
Beſte zu fördern und den Sieg über ihre Nebenbuhler davonzu—
tragen hoffte. Wurde doch damals ganz Italien durch Partei—
kämpfe aufs äußerſte zerriſſen. Es ſchien als ob die faſt wunder—
bare Fülle von Lebenskraft, welche dieſes Land aufzuweiſen hatte,
es zwänge ſich jelbftmörderifch zu zerfleiihen. Aus dem großen
Ringen der Unwerjalmächte erwachlen, hatte diefer Parteifampf
mit dem Unterliegen des Kaiſerthums begreiflicher Weiſe feinen
Abſchluß nicht gefunden. inftweilen zwar ſchien er den univer-
ſaliſtiſchen Charakter abgeftreift und fih in eine unabjebbare Reihe
von zufammenhangslojen Einzelfehden aufgelöft zu haben, und
wenn die alten Parteinamen der Guelfen und Ghibellinen immer
noch gehört wurden, fo konnte e8 das Anjehen haben als ſeien
died nur noch leere Namen und Aushängeſchilder für die verichte-
denartigften Interefjen. Aber es lag trogdem in diefen Namen
ein Zauber, der fid) bewährte, jobald das richtige Wort ausge—
ſprochen wurde. Je länger der Kampf dauerte, deſto weiter ent=
fernte er fi) von feiner urfprünglichen Bafis, defto weniger waren
bei Guelfen und Ghibellinen Beziehungen zur Kirche oder zum
Kaifertfum wahrnehmbar: hatte vielmehr irgendwo eine Partet
den Namen dev Guelfen überfommen, jo nahm eine etwaige Gegen-
partei, einerlei worauf der Gegenſatz zu jener beruhte, Davon
Anlaf ſich mit dem ghibelliniihen Namen zu fhmüden, ohne daß
fie darum fid eines Gegenjates zur Curie oder einer bejonderen
Hinneigung zu den kaiſerlichen Tendenzen bewußt gemorden wäre,
und umgefehrt. Sobald e8 aber jenfeit8 der Alpen Tebendig
wurde, jobald dort die Erinnerung an das Kaiſerthum erwachte
und Stalien in den Geſichtskreis der deutſchen Politik trat, fo
ſchienen die alten Parteinamen ihre alte Bedeutung plötzlich wieder:
gewonnen zu haben, indem nun diejenigen, welche fich ©hibellinen
nannten, auch Ghibellinen fein wollten und ſich als Verbündete
und Freunde des Kaiſerthums betrachteten, während die Guelfen,
10 Einleitung.
die freilich jest nicht den befonderen Gegenfa der Curie zum Raifer-
thum, fondern im Allgemeinen die Feindfchaft wider letzteres ver-
traten, mistrauifh nach Norden blickten und fich rüfteten mit den
Waffen in der Hand die kaiſerlichen Tendenzen abzumehren.
Betrachten wir jedoch die Wirren in Italien losgelöſt von
den Beziehungen zu den Univerfalmäcdhten, jo ericheinen fie ung
wejentlih unter dem Bilde eines Ständefampfes, in welchem das
demofratiiche Princip mehr und mehr zum Siege gelangt. In
der Lombardei, mo die Demokratie ſich befanntlich zuerft im elften
Jahrhundert regte, war man zur Zeit Heinrichs ſchon einen Schritt
meiter gefommen; die zweite Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts
ift die Epoche, in der hier der Grund zur Tyrannis gelegt wurde.
Charafteriftiich Fir dieſe Erfcheinung ift die Geſchichte Mailands,
wo der Kampf der Parteien fich eben damals mehr und mehr in
die Nebenbuhlerichaft zweier mächtigen Geſchlechter umfegt. Mit
den Vorgängen in Mailand aber fteht faft die ganze Lombardei
in Wechjelwirfung. Beide mailändische Parteien haben ihre Stügen
an verjchiedenen einander feindlichen Städten oder an den verfchie-
denen Parteien eines und deſſelben Gemeinmejens, und umgekehrt
wirken die Siege und Berlufte, melde bier erfochten und erlitten
merden, und überhaupt die Barteiverhältniffe im übrigen Yombarbien
oftmals auf die Hauptftabt entſcheidend zurüd. Indem diefe Ver—
änderungen nicht jelten durch die geringfügigften Anläffe, dur
Familienzwiſt, Eiferfucht, zumeilen durch ein bloßes Ungefähr her-
beigeführt werden, tritt ein haltloſes Schwanfen, eine geradezu
wunderbare Verſchiebbarkeit aller Lebenswerhältniffe ein, zu ber
allerdings auch die beftändigen Wiühlereten der unterliegenden Fae—
tionen nicht am wenigften beitrugen, die, in der Regel aus der
tadt vertrieben, unabläffig bemüht waren ſowohl im Innern
derjelben neue Beziehungen zu fnüpfen als auch in dem Gebiete
feften Fuß zu faffen und namentlich recht viele befeftigte Plätze
zu behaupten, von denen aus fie der fiegreichen Gegenpartei
in der Stadt jelbft das Yeben fauer machten, bis etma ein Um—
Ihmung in den Berhältniffen fie heimfehren Yieß, morauf dann
Einleitung. 11
gemeiniglich die bisher fiegreichen Bürger in die Verbannung zogen
und dort daſſelbe Spiel begannen. Ein gewifjes Gegengewicht
gegen -die allgemeine Auflöfung bildete nicht felten das damals
auffommende Inftitut der Signorie, mittel8 deren oft jelbft meh:
rere Gemeinweſen unter Einem hervorragenden Manne (meift aus
der Zahl der mailändifchen Parteihäupter) gleihjam in Perjonal-
union verbunden waren. Die Signorie bildet eine gewifje Ergänzung
zum Amte des Podeſtä, welches in diefer Epoche zwar den Blut-
bann und die höchſte Polizei im Inneren handhabte, aber von
geringer politifcher Bedeutung war, während die Signorie faum
weniger als die wirkliche Herrſchaft über die betreffende Stadt
beveutete. Auch wurde fie in den meiften Fällen auf längere Zeit
als das halbjährlich wechjelnde Podeftariat, in der Kegel auf einige
Jahre, verliehen, ohne daß man übrigens bei Aenderungen der
politiichen Verhältnifje Bedenken getragen hätte ſich des Signore
auch vor Ablauf jener Amtszeit zu entledigen.
An der Spise der demokratiſchen Partei tritt, unter dem
Namen eines Volkscapitäns, zuerſt Martino della Torre als der
eigentliche Leiter der mailändiſchen Politik in den Bordergrund.
Borfihtig verkhmäht er die Signorie der Stadt, und jo gelingt
es ihm feine herrſchende Stellung bis auf feinen zweiten Nach—
folger, Napoleone della Torre, zu vererben, welcher 1274 von
Rudolf von Habsburg zum Reichsvikar ernannt und durch deutiche
Keifige unterftügt wurde. Den della Torre gegenüber jucht Die
Ariftofratie zuerft an Ezzelino da Nomano, dem mächtigen Tyran—
nen von Verona und Padua, einen Anhalt; nach veilen Sturz
ericheint an der Spitze des Adels der Erzbiſchof von Mailand,
Ditone de’ Viscontti, der, anfänglich im offenen Gegenſatz zu
Napoleone, dann mit demfelben verföhnt, ihn jchlieglih an ber
Spite einer großen lombardiſchen Coalition zu Falle bringt (1277)
und fiegreid die Signorie über die ambroſianiſche Stadt in die
Hand nimmt. Auch er jucht und erlangt von König Rudolf einen
Rechtstitel für feine Herrſchaft. Sein Neffe Maffeo Visconti, ſeit
1287 Volkscapitän, wird ſpäter Ottone's Nachfolger in der Herr—
12 Einleitung.
Ihaft über Mailand und nimmt das Reichsvikariat von König
Adolf und ſodann auch von Albrecht I. entgegen. Er erlangt eine
bedeutende Machtfülle, hat aber fortwährend mit den Torrianen
zu kämpfen, die ihn endlidy im Jahre 1302 mit Hilfe des Signore
von Piacenza Alberto Scotto und des Markgrafen Johann von
Montferrat zu Falle bringen. An feine Stelle tritt Guido della
Torre, den die Mailänder im Jahre 1308 zum Volkscapitän auf
Lebenszeit ernannten. Durch Anfnüpfung freundfhaftliher Bezie—
bungen und Verſchwägerung mit den mächtigften Stadthäuptern,
3. B. dem Grafen Filippone da Yangosco, der nad) Heberwältigung
des Manfredo da Beccaria in Pavia herrſchte, Antonio da Fiſiraga
Signore von Lodi, dem einflußreichen Gremonejen Gulielmo
Savalcabo und Simone degli Avvocati da Corobiano (Colubiano)
aus Vercelli, ſuchte Gutdo feine Stellung zu fihern. Dem Bündnis
diefer Tyrannen, melde ſich als Guelfen bezeichneten, ftanden die
ghibelliniichen Gemeinmwelen, zu denen Parma Mantua Reggio
Modena und Brescia gehörten, gegenüber, ohne jedoch unter einander
einen engeren Zuſammenhang aufrechtzuerhalten. Auch PBiacenza,
wo Alberto Scotto, 1305 geftürzt, vier Jahre fpäter die Herrichaft
im Gegenſatz zu den della Torre wiedergewann, trat auf die Seite
der Ghibellinen.
Im wejentlichen unberührt von den Verhältniffen der Lom—
bardei blieb außer Genua, wo die rivalifierenden Familien der
Doria und Spinola fih erft kurz vor Heinrichs VII Erfcheinen
in der Stadt vorübergehend vertrugen, und Venedig, welches ſich
längft jeder thatſächlichen Abhängigkeit vom Reiche entzogen hatte,
auh die Mark Trevifo, wo Padua nah dem Sturze Ezzelino’s
einen mächtigen Aufihwung nahm und das benachbarte Vicenza
unterwarf, während zu Verona in den della Scala (Scaligert)
ein fraftoolles Herrengeichlecht auffam; weniger feft war, wie ſich
bald zeigen jollte, die Herrihaft begründet, melde die Familie
Camino gleichzeitig in Treviſo aufrichtete. —
In Toskana vollzieht fih in diefer Epoche, unter faum minder
großer Verwirrung aller Yebensformen als in der Lombardei, ein
Einleitung. 13
bedeutfamer Umſchwung im demofratifchen Sinne. In den meiften
Gemeinweſen löft das Volk den Adel in der Yenfung des Staates
ab, ein Umstand, der zugleich zwifchen den einzelnen Städten ein
engeres Einverftändnis herbeiführte. Das größte Intereffe nimmt
naturgemäß Florenz in Anſpruch, welches, durch den Tod der
großen Gräfin Mathilde von Tuscien im Jahre 1115 zur freien
Stadt geworden, jeit 1125, wo es das benachbarte Fiejole zer-
ftörte und deſſen Einwohner in feine eigenen Mauern auf:
nahm, fid) jo bedeutend hob, daß es, als im Anfang des drei—
zehnten Jahrhunderts Piſa's Macht in Folge unglüdflicher Kämpfe
mit den Genueſen zurüdging, an Die Spite der ganzen Landichaft
trat. In Florenz tummelte fih eine zahlreihe, Handel- und
Gewerbtreibende Bevölkerung, welche, guelfiſch-demokratiſch gefinnt,
allmählich zu dem herrſchenden Adel in Gegenſatz trat, bis es im
Todesjahre Kaiſer Friedrichs II. 1250 ihr gelang durch eine un-
blutige Revolution das Adeldregiment zu ftürzen und eine demo—
fratiiche Obrigkeit an die Spite zu ftellen. Noch mehrfach zwar
erlangte in der Folge der Adel, und mit ihm das Chibellinenthum,
die herrichende Gewalt in Florenz, doch fühlte er fich ſelbſt in ver
Zeit feines Sieges jo wenig ficher in Florenz, daß einft auf einem
Parteiparlament zu Empoli alles Ernſtes der Vorſchlag gemacht
wurde Florenz von Grund aus zu zerjtören, weil auf feinem an—
deren Wege das Uebergewicht der Ghibellinen in Tosfana zu be—
haupten jein werde. Der verzweifelte Antrag ging nun freilich
nicht Durch, aber gar ſchnell bemwahrheitete fih die Borausficht
aus der er erwachſen war, denn die Tage der Adelsherrſchaft
waren gezählt. Im Jahre 1282 fam das Regiment an die
Vorſteher der Zünfte (Priori dee Arti), die das Collegium der
Signorie bildeten. Von nun an ward die Stellung des Adels
eine jo ungünftige, daß viele ärmere Mitglieder dieſes Standes
zu den Zünften übertraten. Namentlid) unter Giano della Bella
ging die Tendenz der Gefeggebung dahın den Adel in den meiften
Sinfichten dem Volke nachzuſetzen. Damals eniftand in dem Ban—
nerträger der Gerechtigkeit (Öonfaloniere della Giuſtizia) ein mäch—
14 Einleitung.
tiger demofratiicher Magiftrat, der die Aufgabe hatte, den Adel
im Zaum zu halten und zu Demüthigen. — Kaum aber jchten
der Kampf zwiſchen Adel und Volk durch Das völlige Obfiegen deö
Iegteren beendet zu fein, als eine neue gefährliche Spaltung unter
den herrſchenden Klaſſen Toskana's ausbrach. In Piftoja nämlich,
nahm gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts eine Familienfehde
zwiſchen dem ſ. g. ſchwarzen und dem weißen Zweige der Cancellieri ſo
große Dimenſionen an, daß ſie die ganze Stadt ſpaltete und endlich
die Florentiner zum Einſchreiten veranlaßte. Indem nun aber die
letzteren ſich theills der Weißen, theils der Schwarzen annahmen,
verpflanzte ſich die Zwietracht nach Florenz ſelbſt und zeigte hier
bald einen weſentlich politiſchen Charakter, indem die Schwarzen
(Neri) das ultraguelfiſche Moment in ſich darſtellten, während die
Weißen (Bianchi) eine vermittelnde, gemäßigte Richtung vertraten.
Zunächſt lag das Uebergewicht auf Seite der Bianchi; im
Jahre 1302 aber benutzte Corſo Donati, das Haupt der Neri,
die Anweſenheit des franzöſiſchen Prinzen Karl Grafen von Pro—
vence, der im päpſtlichen Auftrag die Parteiung ſchlichten ſollte,
dazu um mit deſſen Hilfe die Gegner zu überwältigen. Nach
einigem Widerſtreben verließen die namhafteſten Bianchi 1302 die
Stadt und wurden nachträglich von Karl mit der Berbannungs-
jentenz belegt. Noch einmal fam es jest im Schoße der Neri zu
Zweiungen und unruhigen Bewegungen, denen Corſo Donati zum
Dpfer fiel (1308). In der Folge finden wir feinen einzelnen Bür—
ger an der Spitze. Doch verharrte die Stadt einmüthig auf der
guelfiſchen Seite. ALS bereits Heinrich) von Lützelburg den deutſchen
Thron beftiegen hatte und die Romfahrt plante, zogen die Floren=
tiner wider Arezzo aus und liefen fih durch die Abmahnungen
des fernen Königs nicht irre machen, bis deſſen Ankunft fie zwang
auf ihrer Hut zu fein. In Arezzo nämlich) war neuerdings Die
ghibelliniihe Partei unter den Beiftand eines päpftlichen Yegaten,
Napoleone degli Drfint, wieder zu Bedeutung gekommen. Aud)
das altkaiſerliche Piſa war nad) einigem Schwanken zum Ohibellinen-
thum zurücgetreten, während andererjeitS Lucca jeit der Vertreibung
Einleitung. 15
der Interminelli wieder ganz auf guelfiiher Seite ftand; fchon
eher war Siena, weldes in den erften Zeiten nad Kaiſer Frie-
drichs Tode das ghibelliniihe Banner hochgehalten hatte, in Das
quelfiiche Lager übergegangen. Alle Eleineren Gemeinwejen Tos—
kana's aber folgten der Politif des mächtigen florentiniſchen Staates,
der das Nachbargebiet weithin ſich einverleibt hatte. —
Den im Vorftehenden fkizzierten Verhältniffen gegenüber hatte
Heinrich VO. die Wahl zwiſchen zwei verfchtedenen Wegen: er
fonnte entweder ald Haupt der Ghibellinen auftreten, diefe um fich
fammeln und ſich mit ihnen auf die guelfiich Gefinnten ftürzen;
oder aber er mochte verfuchen eine Stellung über den Parteien zu
behaupten, und fich bemühen allen Hader beizulegen und unter der
höheren Einheit des Kaiſerthums alle Befonderheiten und Partei-
unterſchiede verfchwinden zu laſſen. Heinrich war feinen Augenblid
darüber unfchlüffig welchen Weg er wählen ſollte. Nichts Tag
ihm urfprünglich ferner als der Gedanke fid) zum Partethaupt zu
erniedrigen. Er fahte das Kaiſerthum nod ganz ım Sinne der
Ditonen, der Salier und Staufer auf, nahm die weitgehendften
Befugnifje für fih in Anſpruch, und war nicht gefonnen ſich von
der altkaiſerlichen Allmacht auch nur ein Tüttelchen abringen zu
laſſen. Daber hatte er aber hochherzig das Beſte Italiens im
Auge: er hielt fih für berufen Dort als ein Friedendengel zu er—
ſcheinen, allem Elend, aller Zerrüttung ein Ende zu machen und
eine Aera beglücdender Ruhe und fruchtbaren Friedens über Die
Ihöne Halbinjel heraufzuführen.
Einem ſolchen Beftreben jauchzten namentlih die zahlloſen
Berbannten zu, deren faft jedes Gemeinweſen im größerer oder
geringerer Anzahl aufzumeilen hatte. Der theuren Heimath ftet8
eingedenk festen diefe Unglüclihen jest ihre ganze Hoffnung auf
den nordiſchen Herricher, der zu ihrem Heile die Alpen überfchritt.
Unter den Berbannten aber war feiner, deſſen Namen jich mit
dem erlauchten floventinifchen Dichterheros Dante Alighiert meffen
fonnte. Der Partei der Bianchi angehörend hatte der Dichter
der göttlichen Komödie 1302 die Vaterſtadt verlafien müfjen, bie
16 Einleitung.
ihn undankbar mit ihrem Aechtungsdekret verfolgte. Als Dante, der
jeit jeinem Scheiden aus Florenz ein unftätes Wanderleben aeführt
hatte, von dem Plane der Erneuerung der kaiſerlichen Tendenzen durch
König Heinrich erfuhr, da richtete er freudig bewegt ein von Bes
geifterung überftrömendes Schreiben an jeine Landsleute, in welchem
er denjelben anempfahl ihren Retter und Heiland gebührend aufzu-
nehmen: „Siehe da die willfommene Zeit”, ruft er aus, „in mel-
cher die Zeichen des Trofted und des Friedens fich erheben. Denn
der neue Tag erglänzt, feinen Schimmer zeigend, der ſchon die
Finſternis des langwierigen Elends zerftreut. Bereits mehen fanfte
Morgenlüfte, der Himmel vöthet fid) an jeinen Rändern und be—
zeugt mit ſüßer Klarheit die Wahrzeichen der Völfer. Und mir
werden die erjehnte Freude erbliden, die wir lange Zeit in der
Müfte übernachtet haben. Sintemal der friedfertige Titan wieder
erftehen und die Gerechtigfeit, die ohne ihre Sonne gleich Pflanzen
um die Zeit der Sonnenmende erftorben war, ſobald er feine Locken
gejchüttelt Hat, wieder grünen wird. Sättigen werben ſich alle,
welche Hungern und dürften, in dem Lichte feiner Strahlen; jene
aber, die da Ungerechtigkeit lieben, werden durch fein funfelndes
Angeficht verwirrt werden. Denn fiehe da, e8 erhob die mitleidigen
Ohren der Löwe vom Stamme Juda und, Erbarmen fühlend bei
dem Geheul der allgemeinen Gefangenſchaft, erwedte er einen zwei=
ten Moſes, der fein Volk von den Plagen der Aegypter befreien
und fie in das Yand führen wird, wo Mil und Honig fließt.
Freue did nun, Italia, du auch den Saracenen mitleivswirdige,
die du Sofort neidenswerth erjcheinen wirft dem Erdkreiſe. Denn
dein Bräutigam, der Troft der Welt und der Stolz deines Volkes,
der gnadenreihe Heinrich der göttliche und Auguftus und Cäfar,
eilt zur Hochzeit. Trockne die Thränen und tilge die Spuren des
Rummers, du Schönſte; denn nahe ift er, welcher dich befreien
wird aus dem Kerker der Gottloſen, er, der die Boshaften ſchla—
gend, fie mit der Schärfe des Schwerts verderben und jeinen
Weinberg anderen Arbeitern verdingen wird, die Die Frucht der
Gerechtigfeit darbringen zur Zeit der Emdte...... Wohlauf,
Einleitung. {7
eilt, ihr Sprößlinge Scandinaviens (d. i. Yombarden, mit Rück—
ſicht auf die angeblich früheſten Wohnſitze derſelben in Scandi-
navten), damit ihr euch feiner Gegenwart erfreut, vor deſſen An-
funft ihr mit Recht zittert. ...... Kommt durch das Geftänd-
nis eurer Unterwerfung feinem Zorne zuvor und jubelt auf dem
Pjalter dev Reue, ermägend, daft, wer ver Obrigkeit widerftrebt,
der Ordnung Gottes widerftrebt, und, mer gegen Gottes Ordnung
ankämpft, gegen den gleichbleibenden Willen der Allmacht löckt;
und hart iſt es ja gegen den Stachel zu löcken. — Aber ihr, die
ihr als Unterdrückte trauert, erhebet den Geiſt, denn nahe iſt euer
Heil. Nehmet den Karſt edler Demuth und ebnet, nachdem ihr die
Schollen dürrer Feindſchaft zerſchlagen habt, das kleine Feld eures
Geiſtes, damit der himmliſche Regen, eurer Ausſaat zuvorkommend,
nicht vergeblich von der erhabenſten Höhe falle. Nicht weiſet die Gnade
Gottes von euch, wie den täglichen Thau der Stein, zurück, ſondern
nehmt ihn auf wie ein fruchtbares Thal, und grüne Sproſſen mögt
ihr treiben, grüne, ſage ich, welche des wahren Friedens Früchte
bringen. ..... Erwachet denn alle, umd erhebet euch eurem
Herrn entgegen, o Bewohner Italiens, die ihr ihm aufbehalten ſeid
nit bloß daß er euch beherrſche, fondern euch als Kinder
tenleve, u}. ?
Durch ſolche Worte angefündigt betrat der Lützelburger die
italijchen Gefilve. Eifrig bemüht die Gedanfen, welche ihn be—
jeelten, zur Ausführung zu bringen, mußte er nur allzu bald er—
fennen wie groß die Schwierigfeiten feien, die jeinem Beginnen ent-
gegen ftanden. Waren die Berbannten beglüct wenn fie durch ihn
die Rüdfehr in die Baterftadt erlangten, jo pflegte die herrſchende
Partei der Rückführung jener zu widerftreben, und faft nirgends
führte diefe Rückführung zu dauernder Verföhnung und Eintradit ;
weit öfter gab eben fie das Signal zu neuen Irrungen. Daß
ferner Heinrich die Hoheitsrechte im meiteften Umfang, jelbft über
das Abkommen von Conftanz, in welchem ſich einft Friedrich Roth—
bart mit den lombardiſchen Städten verglichen, hinaus in Anſpruch
nahm, erregte um ſo größeren Unwillen als die geringen thatſäch⸗
Geſchichtſchreiber. Lfg. 67. Leben Heinrichs VII. 2
18 Einleitung.
lichen Machtmittel, über welche der König verfügte, in keinem Ver—
hältnis zu feinen weitgehenden Forderungen zu ftehen jchtenen. Auch
Heinrichs Armuth gereichte ihm bei den Stalienern zum Vorwurf,
und mit jedem Gulden, den fie dem Herrſcher ſpenden mußten,
verminderte fich ihre Ergebenheit gegen denſelben. Die Hauptjache
indeß lag in den allgemeinen Verhältniffen und Zuftänden Italiens.
Da nämlich der Hader, welcher dieſes Land zerriß, viel zu feft
wurzelte als daß er mit Einem Schlage hätte beigelegt und aus—
gerottet werden fünnen, der König aber bei weiten nicht die Macht
bejaß den Zwieſpalt gewaltſam niederzuhalten, ſo ſcheiterte nicht
nur fein Beftreben den Frieden herzuftellen, jondern die fortdauernde
Zwietracht zog den Herricher jelbft von feinem erhabenen Stand-
punkt herab und zwang ihn, fo jehr er auch wiberftrebte, Partei
zu ergreifen. Im Anfange zwar hatte Heinrich es ſich angelegen
fein laſſen aud die Guelfen zu fördern, auch ihren Häuptern
manche Gunftbezeigungen zuzumenden, auch ihren Berbannten den
Rückweg in die Heimath zu ebnen, ſodaß ſchon die Ghibellinen
fi) enttäufcht zu fühlen begannen. Ber der Beſetzung wichtiger
Poſten freilich, namentlich bet der Aufitellung der Reichsvikare, jehen
wir Heinrich von Anfang an die Ghibellinen, auf deren Ergeben-
heit er rechnen fonnte, vor den Guelfen, Die denn doch nur ge-
zwingen und widerwillig den Nacken beugten, bevorzugen. Erregte
dies wiederum auf guelfiiher Seite Unwillen, jo ward Doch erſt dev
mailändiſche Aufftand entſcheidend für Heinrichs Stellung zu den
Parteien.
Anfangs lächelte das Glüd dem Unternehmen des Lützelburgers.
Die Häupter der lombardiſchen Guelfen wagten nicht, dem römiſchen
König von vorn herein ſich zu widerfegen, und jelbft Guido della
Torre, der zuerft entfhloffen war den Fremdling, von defien An-
funft er für fih und feine Herrihaft Arges befürchtete, nicht auf-
zunehmen, verlor den Muth als Heinrich gegen Matland hevan-
eilte, und beugte das Knie vor feinem Herrn. Wenige Wochen
jpäter indeß erhoben die Torrianen das Banner der Empörung,
und es fam in den Straßen Mailands zu einem erbitterten
Einleitung. 19
Kampfe, welcher mit dem Sturze des Haufes della Torre und ver
Vertreibung aller Mitglieder desjelben endete. Fortan aber hatte
Heinrich das Vertrauen der Guelfen unwiederbringlich verloren;
ſeines Charafters ald Friedensbringer entEleidet, erſchien er jetzt
lediglich als Parteihaupt, und bald loderte der Kampf der Factionen
in der Lombardei auf neue in hellen Flammen empor. In Gre-
mong wagte man zuerjt Heinrich offen entgegenzutreten; die un-
zeitige Strenge, welche der fonjt milde König gegen die wehrlofen
Cremonefen, die, von den Anftiftern Des Aufftandes im Stich ge
laſſen, im Augenblid der Entſcheidung es vorgezogen hatten fich zu
demüthigen, in Anwendung bradıte, führte zunächft den unbeilvollen
Aufftand von Brescia unter dem foeben zurüdgeführten ränkevollen
ZTebaldo Brusciati herbei. Vier lange Monate verbrachte der
König unter unfäglihen Leiden vor der Bergfefte, und diefe Ber-
zögerung ſeines Vormarſches gab den im erften Augenblid über—
raſchten und erihütterten toskaniſchen Städten ihre Befinnung und
Haltung zurüd. Ihren Rüdhalt an König Robert ven Neapel
nehmend, der die Wiederberitellung des Kaiſerthums begreiflicher
Weiſe nicht mit günftigen Augen anfehen Eonnte, ſchloſſen ſich diefe
Gemeinden, mit Ausnahme von Arezzo und Pifa, um Florenz zu
einem fejten Bunde zujammen, der den Widerftand gegen ven
römischen König auf fein Banner ſchrieb. Diefer aber richtete zu-
nacht feine Blicke nah Kom, ließ die fampfdurchtobte Yombarbei,
nachdem er derſelben in ver Perfon des Grafen Werner von Hom-
burg emen umfihtigen, immer fampfbereiten Statthalter gefekt,
Hinter fih und ging in Genua, welches ihm freiwillig die Signorie
entgegenbrachte, zur See. An der pilaniihen Küfte landete er und
zog dann von Pila aus nah Nom. Doch aud hier traf er auf
Widerftand: Robert von Neapel, mit den Orſini eng verbündet,
ließ die Peterskirche, wo dem Ritus gemäß die Kaiſerkrönung ftatt-
finden mußte, und die angrenzenden Theile von Rom bejegt halten,
und vergebens bemühte ſich der Lützelburger die fefte Stellung der
Feinde zu erihüttern. Endlich empfing er an ungewohnter Stätte,
in der Johanniskirche des Lateran, die Kaiſerkrone und eröffnete
2*
30 Einleitung.
nun den Kampf gegen die toskaniſche Liga. Große Heldenthaten
führte das kleine Häufchen der’ Kaiferlihen aus, und die feindlichen
Bürger wagten troß ihrer Ueberzahl nicht dafjelbe im Felde zu
beſtehen; ebenfowenig aber vermochte der Kaifer, nachdem ev ein=
mal eine Gelegenheit, die ihm vielleicht Florenz in die Hände ge
ipielt hätte, unbenußt vorüber gelaſſen, den feften Städten etwas
anzuhaben, ſodaß er endlich ohne ſich wejentliher Erfolge rühmen
zu fünnen nad) dem getreuen Piſa zurüdfehren mußte. Doch hatte
er eine wichtige Erkenntnis gewonnen: e8 war ihm klar geworben,
daß er feine Gegner nicht in Toskana bekämpfen müffe, Jondern daß
e8 fin ihn gelte ven Stier bet den Hörnern zu paden d. h. König
Kobert von Neapel, der ſich immermehr als die Seele des Wider:
ftandes gegen das Kaiſerthum herausstellte, zu vernichten. Ent—
ihlofjen ging Heinrich ans Werk. Unbefümmert darum, daß er ſich
mit Frankreich verfeindete, daß er aud) das Wohlwollen des hei=
ligen Stuhles aufs Spiel fette, rüftete er eifrig gegen Neapel,
ſchloß mit Roberts natürlichem Nebenbuhler König Friedrich von
Sicilien, ein Offenfivbündnig ab, entbot aus Deutjchland ein neues
anfehnliches NeichScontingent und brach dann, nod) ehe Diejes ſich
bei ihm eingeftellt hatte, von Pila auf. Doch gelangte der Katfer
nicht nach Neapel, denn feine Tage waren gezählt. Nicht wäljches
Gift, wohl aber die Laſten und Sorgen, die ihm die Angelegen-
heiten diefes Landes immer aufs neue ſchufen, und das mörderiſche
Klima des italienischen Himmels hatten Heinrichs Kräfte verzehrt.
Nach mehreren glücklich überftandenen Krankheiten befiel ihn im
Sommer des Jahres 1313 ein Fieber, welches zwar an fi kaum
tödtlich war, in Folge der Ungeduld des Kranken aber und ber
ungenügenden Heilmittel, die auf dem Marſche zu bejehaffen waren,
den jchlimmften Ausgang nahm. Am 24. Auguft 1313 jchied
Raifer Heinrich VII. zu Buonconvento im Gebiete von Siena
aus dem Leben, und fein Tod machte mit Einem Schlage dem
Unternehmen ein Ende.
Zugleich befreite des Kaiſers Hintritt den Anjou aus der
größten Gefahr, die er oder fein Haus je hatten über fich herauf:
I
Einleitung. 21
ziehen ſehen. Selbſt guelfiih gefinnte Schriftiteller räumen em,
daß Robert nit im Stande geweſen ſei, dem Einfall des Kaiſers
und des ſiciliſchen Rivalen namhaften Widerftand entgegenzujeten und
daher die Flucht nad) Frankreich bereit8 ın Erwägung gezogen habe.
Bielleiht hätte dann der madere Aragonier das Königreich beider
Sicilien unter feinem Scepter vereint. Doch die Geſchichte hat
es nur mit dem zu thun was wirklich geſchehen ıft, und es ıft
müßtg, Betrachtungen über das was hätte gejchehen fünnen, wenn
Heinrid VII. damald am Leben geblieben wäre, länger nachzu—
hängen. Faſſen wir aber das ind Auge was durch Heinrichs
Komzug, wie derjelbe in That und Wahrheit verlaufen, bewirkt
worden ift, ſo kann nicht geleugnet werden daß etwas Dauerndes
durch das Unternehmen, an welches der hochitrebende Lützelburger
Gut und Blut geſetzt hat, nicht erreicht morben ift. Bei feinem
Tode bot Italien im Großen und Ganzen denjelben Anblik, melden
e8 drei Jahre zuvor, da ter Cäſar die Alpen überjchritt, ges
währt hatte. Höchſtens wurde die Entwidlung, welcher Italien ent=
gegenreifte, durch das Eingreifen von Norden her bejchleunigt. In
der Lombardei hatten die Tyrannen, meift, wie die beiden glän—
zendften Dynaftenfamilien der Zeit, die Visconti in Mailand und die
della Scala in Verona, durch Anſchluß an das, Kaiſerthum, ihre
Stellung neu befeftigt,; Cane della Scala gewann unter Heinrichs
Mitwirkung Bicenza, wodurch er jeine mächtigften Gegner, die
Padıraner,. lahm legte; die Biscontt aber waren überhaupt erjt
durch Heinrich aus armfeligen Berbannten zu ftolzen Gewaltherren
geworden, und behaupteten von nun an ununterbrochen die Herr—
haft über Mailand. In Toskana andererjeitS hatte das Er-
ſcheinen des Königs nur dazu gedient die Verbindung zwilchen ven
einzelnen guelfiſchen Gemeinweſen zu befetigen und dauerhafter zu
machen. Hatte jich Florenz aud) im Kampfe gegen Katfer- Heinrich
nicht eben mit Ruhm bevedt, jo hatte e8 doch die Angriffe des
Gegners, welche ihm in erfter Linie galten, ausgehalten und ftand
nun bei Heinrichs Tode nur um jo einflußreiher da. Die Hoff:
nungen der Ghibellinen und Bianchi Toskana's aber waren ver-
323 Einfeitung.
eitelt worden und die Guelfen hatten ſich im Beſitz der Herrſchaft
behauptet. Erſt geraume Zeit nad) Heinrichs Tode und ohne Zu—
jammenhang mit feiner Unternehmung (abgejehen davon daß einige
Ritter, die in feiner Begleitung die Alpen überſchritten und nad
jeinem Tode ihre Dienfte ven Ghibellinen anboten, dabei mit
wirften) trat in diefen Gegenden ein Umſchwung ein, indem in der
blutigen Schlaht von Meontecatino am 29. Auguft 1315 die
neapolitanifch = guelfifche Streitmacht eine ſchwere Niederlage erlitt,
welche den ©hibellinen, die dad mächtige Yucca gewannen, wider
aufzuathmen geftattete. — Bon den Nachfolgern Heinrichs VII.
auf dem deutſchen Throne nahm feiner die weltumfafienden Ten—
denzen des Kaiſerthums wieder auf, ſodaß fich die ſpäteren Rom—
züge mit dem Unternehmen des Lützelburgers nicht wohl vergleichen
Yafjen. Mit Heinrih VII. ſank das Kaiſerthum ind Grab; zu=
gleich aber befiegelte jein Tod das Schickſal Italiens, melches, ſich
jelbft zerfleiichend, ipäter eine Beute und der Zankapfel fremder
Nationen wurde und erft in unferem Jahrhundert, nicht ohne Ein-
wirkung der Verhältniſſe in Deutjchland, feine politiiche Einigung
erlangt hat. —
Die Romfahrt Kaifer Heinrichs erregte ſchon bei der Mit-
welt von Anfang an die allgemeinfte Aufmerffamfeit. Die Augen
von ganz Europa richteten fi) voll Spannung auf die Vorgänge,
welche fih in Italien abipielten. Hiermit hängt es denn auch zu:
jammen, daß die Geſchichtſchreibung noch bei Heinrichs Lebzeiten
daran ging feine Thaten zum ewigen Gedächtnis für die Tpäteren
Geſchlechter aufzuzeichnen. Wir haben nicht weniger als drei zeit-
genöffiihe ausführlibe Geſchichtswerke (wenn anders man der
Kelation des Nifolaus von Butrinto einen Pla unter den Ge—
ſchichtswerken gönnen will), die Heinrichs Romzug zum ausjchließ-
lichen Gegenftand ihrer Darftellung nehmen. Auch in faft allen
anderen, namentlich italiichen Quellen dieſes Zeitraums wird dem
Lügelburger beſondere Aufmerkſamkeit gejchenkt: Der Plorentiner
Villani giebt feine ſynchroniſtiſche Darſtellungsweiſe auf, um zunächſt
Einleitung. 23
die Gejchichte Heinrichs bis zu Ende zu verfolgen; auch in ver
Chronik von Piftoja tritt die Erzählung von den Thaten dieſes
Kaiſers epiſodiſch aus dem Rahmen der Daritellung heraus u. ſ. w.
In unferer Sammlung der „Geſchichtſchreiber der deutſchen
Vorzeit“ werden die Duellenichriftfteller der Epoche Heinrih8 VII.
zwei Bände einnehmen; während tem zweiten außer der Relation
des Nikolaus von Butrinto insbejondere Die toskaniſchen Dar—
ftelungen aufgelpart bleiben, enthält der vorliegende erſte Band
die wichtigften oberitaliſchen Geſchichtswerke, welche ſich ausichlief-
lich oder vorwiegend mit Heinrich VII. beſchäftigen.
Das ausführlichſte Werk, welches uns von den Thaten Kaiſer
Heinrichs berichtet, iſt die „Raifergejhichte” des Paduaners
Albertino Muſſato, eines Mannes, der in der proſaiſchen wie
poetiſchen Literatur Italiens im vierzehnten Jahrhundert einen her—
vorragenden Platz einnimmt. Albertino !) war ein Emporkömmling
im beften Sinne des Wortes, d. h. ein Mann, der fich dur)
eigened DVerdienft und eigene Kraft aus niederer Sphäre zu einer
angefehenen Stellung und ausgebreiteter Wirkſamkeit emporſchwang.
Geboren im Jahre 1261 als das ältefte von mahrfcheinlich zehn
Kindern des unvermögenden Ausrufers Cavallerio, den er verlor
noch ehe er das Mannesalter erreichte, mußte Albertino frühzeitig
bei den Gejchwiftern Baterftelle vertreten und denfelben den Lebens—
unterhalt beichaffen. Zunächſt war er als Schreiber thätig, doc
ruhte er nicht bis er das Notariat erlangte, welches ihm beſſere
Ausfichten eröffnete. Auch als Sachwalter jehen wir ihn in feiner
1) Sein Leben ift neuerdings ausführlich dargeftellt worden in der Göttinger Differ-
tation von J. Wychgram, Albertino Muffato. Ein Beitrag zur italienifhen Gefchichte
des 14. Jahrhunderts. Leipzig 1880. — Die Frage nad) feiner Abftammung und feinen
Bamilienverhältniffen hat eine anſehnliche Literatur herdorgerufen; zulett, und mohl
abſchließend, iſt das Thema behandelt von D. König, Ueber die Herkunft des Albertino
Mufjato (Neues Archiv der Geſellſchaft f. ält. Deutihe Geihidhtst. VII, 121—133). —
Vergl. auch Dönniges, Geſchichte des deutfchen Kaiſerthums im 14. Jahrh. I, 1: Kritik
der Quellen für die Geſchichte Heinrich VIL. des Luremburgers (Berlin 1841), ©. 37 ff.
24 Einleitung.
Baterftadt auftreten und diefer Beruf führte ihn bald auf das
Gebiet der Politif hinüber. Die Gewandtheit, mit der Albertino
das gejprochene wie Das gejchriebene Wort handhabte, kam ihm
als Advokat wie als Staatsmann zu ftatten; er wurde wohl—
habend und erlangte ein jo großes Anjehen daß feine Mitbürger ihn
1296 unter Verleihung der Xitterwürde in den großen Kath
zogen. Wahricheinlich legte er fich erft damals den Namen Mufjato
d. b. Eſelchen bei. Die Gattin entnahm er der adeligen Familie
der Lermict oder Lermizzoni. Wie beveutend Mufjato’s Einfluß
in feiner Vaterſtadt bereit8 vor der Epoche Heinrihs VII, war,
zeigt Die Erhebung ſeines Bruderd Gualpertino zum Abt des
paduaniichen Klofterd der heiligen Yuftina. Auch über die engere
Heimath Hinaus unterhielt Abertino Beziehungen; u. a. verwaltete
er einjt in Florenz das Amt eined Eſecutore degli ordinamenti
della giuftizia.
Frübzeitig trat Muffato mit Heinrih VII. in Verbindung.
Schon an der Gejandtichaft, welche der Krönung des neuen Herr=
ihers in Mailand, am 6. Januar 1311, beimohnte, nahm unfer
Autor Theil. Im der Folge fuchte derjelbe dann noch zu drei
verſchiedenen Malen, wie er in feinem Gejchichtswerf ausführlich
berichtet, im Auftrage feiner Mitbürger das königliche Hoflager
auf, bis nad der Rückkehr von jeiner vierten Legation Padua,
welches bis dahin eine jehwanfende Haltung eingenommen hatte,
fih endgültig von dem deutſchen König losſagte. Geſchah Das
gleihh gegen den Wunſch und Rath des Mufjato, jo begründete
diefer Schritt doc, feine tiefergehende Differenz zwilchen ihm und
feinen Mitbürgern, vielmehr fehen wir unferen Autor auch fürder
feine Dienfte zu Haufe und im Felde der Vaterftadt weihen, welche
in Folge ihres Abfalls in einen blutigen und gefährlichen Krieg
mit ihrem alten Aivalen, dem Statthalter von Verona und Vicenza,
Francesco della Scala oder — wie er gewöhnlich genannt wird —
Cane grande („der große Hund von der Leiter“ überjegt ein
deutſcher Chronift des vierzehnten Jahrhunderts) verwidelt murbe.
Der Tod Kaifer Heinrichs beeinflußte dieſe Verhältnifie nur in
Einleitung. 25
geringem Maße, weil Cane auch ohne den Rückhalt ſeines kaiſer—
lihen Gönners ſtark genug war, um die von inneren Wirren zer-
rifjene Stadt in Schach zu halten. Ms im Jahre 1314 vie
Bürgerſchaft unter Anführung der emporitrebenden Familie Carrara
der Tyrannei der Altehint und Agolantt über Padua ein Ende
machte, vergriff fich der Pöbel aud an dem Haufe des Albertino,
ver jih als Anziane durch die Einbringung eined Antrags zu
Gunften einer indireften Steuer misltebig gemacht hatte. Das
Haus ſank in Trümmern und der erichredte Befiger mußte fein
Heil in der Flucht fuchen. Bald indeß wurde er von den fieg-
reichen Carrareſen, auf deren Seite er gejtanden hatte, heimgeholt,
doch nur um furze Zeit darauf in einer unglüdlihen Schlacht nad)
hartnädiger Gegenwehr in Cane's Hände zu fallen, aus denen ihn
erft der im October des Jahres 1314 geſchloſſene Waffenftillitand
befreite. — Die Zeit von der Befreiung aus dieſer Haft bis zum
Sahre 1317 ift wohl als Höhepunkt im Yeben des Muſſato zu
bezeichnen. Damals Yeitete ev in Gemeinfchaft mit den trefflichiten
und bemwährteften Bürgern die Vaterſtadt, melde fi im Innern
wie von Außen leidlicher Ruhe erfreute. Wohl noch in Das
Jahr 1314 fällt auch die Dichterfrönung des Muffato, eine Aus-
zeichnung welche ihm mit Rückſicht auf die joeben vollendete „Katjer-
geichichte und feine Tragödie „Eccerinis“ von Ceiten der padua—
nifchen Univerfität zu Theil wurde. Zugleich wurde bejchlojjen, daß feine
Werke alljährlid) am Weihnachtstage öffentlich werlefen werden ſollten;
auch jeheint man ihm damals den Beinamen „Poeta“ (der Dichter)
zuerkannt zu haben. Der glüdliche Autor und Staatsmann glaubte
am Ziel feiner Wünſche zu ftehen, als ein ‚großes Unheil über die
Vaterſtadt hereinbrach: die Einnahme der paduaniſchen Hauptfeftung
Monfelice durch Kane grande am 21. December 1317 erniedrigte
Padua mit Einem Schlage aus einer mächtigen unabhängigen Re—
publi zur Sclavin des gefürchteten Scaliger. Allerdingd wehrte
fi die Stadt noch einige Jahre lang gegen den iibermächtigen
Zwingherrn. Mufjato ſelbſt, der anfangs aus Furt vor den
in Folge des unglüdlichen Friedens von 1318 zurückgeführten
36 Einleitung.
Berbannten die Heimath verlafien hatte, doch abermals von den
Carrareſen zurüdgerufen worden war, welche, durch Cane's Ein—
fluß an die Spige der Stadt erhoben, mit dem Beronejen bald zer=
fielen und in dem bewährten und beliebten Muffato eine willkommene
Stüge erblidten, ging zweimal hilfeflehend nad) Toscana und über-
Ihritt fogar die Alpen, um der Baterftadt den Beiftand des
deutjchen Königs, des ſchönen Friedrich, zu gewinnen, der dann.
dem bedrohten Gemeinweſen noch einen gewiſſen Rückhalt bot.
Auch als über den Habsburger bei Mühldorf (1322) die Würfel des
Geſchicks Hinweggerollt waren, verzagte Muffato nit. Er war es
der noch einmal, zu Roveredo, ein freilich für Padua nichts
weniger als günftiges Abkommen mit Cane traf. Während er
aber in diefer Angelegenheit abwejend war, bereitete fi) im Herzen
der Stadt, für die er unabläffig thätig gemejen war, ein ver-
nichtender Schlag gegen ihn vor. Ein Familienzwift führte zu
blutigen Auftritten im Innern der Stadt, in deren Verlauf
Marfiglio, das Haupt der Carrara, dem der Sieg zufiel, die -
Gegenpartei aus der Stadt warf (1325). Zu den Berbannten gehörten
niht nur die dem Alberting verichmwägerten Yermizzont ſowie der
Abt Gualpertino, fondern auch unfer Autor ward von jeinem.
ehemaligen Freunde Marfiglio nad) Chioggia ins Eril gewiefen.
Dem ehrgeizigen Carrarefen, welcher entichloffen war feine Herr=
Ihaft auf Cane grande zu ftügen, mußte jegt die Anweſenheit
eines Mannes, der unentwegt für die Behauptung der paduantjchen
Selbftändigfeit und den Kampf gegen Verona eingetreten war,
unbequem fein. Wohinaus Marfigliv’8 Streben ging, wurde
fund al3 diefer im Auguft des Jahres 1328 die Stadt Padua
dem Scaliger übergab und aus deſſen Händen die Signorie ent-
gegennahm. Die allgemeine Eintracht, welche bei diefer Gelegen-
heit proflamiert wurde, veranlaßte unſern Albertino, der, Durch
Alter und Kummer gebeugt, jest nur noch den Wunſch hegte feine
Tage in der geliebten Vaterftadt zu beichließen, dorthin zurüdzu-
fehren. Aber Marfiglio und Cane duldeten feine Anmejenheit auch
jest nicht; er mußte wieder nach Chioggia gehen; um fein Unglüd
Einleitung. 27
vol zu machen, nahm ihm Marfiglio eine Mühle weg, die ihm
den mejentlichften Theil feines Unterhalts gewährte; außerdem vers
bitterte der Kummer über feinen ungerathenen Sohn Vitaliano
ihm das Leben, bi8 im Jahre 1330 ven faft Siebenzigjährigen
der Tod erlöjte.
Neben feiner Rechtlichfeit und Vaterlandsliebe war e8, wie
ſchon angedeutet, ficherlih auch die dichterifche und vhetorifche Be—
gabung unferes Albertino, die ihm den Weg zu Anſehen und Ehren
erſchloß. Meitten in den Etaatögeichäften hat er immer wieder
zur Feder gegriffen und auf diefe Weile ſowohl umfangreiche hiſto—
riſche als auch verjchtevenartige poetiihe Werfe — ſämmtlich jedoch,
im lateinifchen Idiom abgefaßt — hinterlaffen. Nachdem er faum
die „Kaiſergeſchichte“ wollendet, begann er die Abfafjung der „Ge—
ſchichte Italiens nad) dem Tode Kaiſer Heinrih3 VII.“, welche,
in zwölf Bücher getheilt, die Zeit von 1313 bis 1329 behandelt.
Sie ift nicht aus einem Guß, ſondern in größeren Abichnitten den
erzählten Begebenheiten nahezu gleichzeitig nievergefchrieben worden.
Die Yetten Bücher, vom achten an, find der Darftellung ausſchließ—
ih paduaniſcher Begebenheiten und BVerhältniffe gewidmet, der
Kampf gegen Cane bildet das Thema. Bemerkenswerth iſt daß
Buch I—11 in gebundener Rede und zwar in Herametern abge=
faßt find. — Endlich gab das Erfcheinen König Ludwigs des
Batern in Italien dem greifen Verbannten Anlaß, in einem dritten
Geſchichtswerke diefe Nomfahrt, Die zweite welche er N in
furzen aber Tebensvollen Zügen zu jehilvern.
Bon Muſſato's poetifchen Werfen nimmt die ſchon —
Tragödie „Eccerinis“ das größte litterarhiſtoriſche Intereſſe in An—
ſpruch, weil ſie zum erſten Mal ihren Stoff aus der modernen
vaterländiſchen Geſchichte entnimmt — fie behandelt die Thaten
und den Untergang des grauſen Ezzelino da Romano. Die Epiſteln
und Elegien, zuſammen ein und zwanzig, im elegiſchen Versmaß
abgefaßt gewähren manche Beiträge zur Lebensgeſchichte des Autors
und zur Kenntnis der Kreiſe, in welchen ſich derſelbe bewegte. Eine der
28 Einleitung.
Epiſteln, welche dem Kaiſer Heinrich gewidmet iſt, bildet eine Art
poetiſchen Prologs zur „Kaiſergeſchichte“. —
Eingehend beſchäftigt uns hier natürlich nur die „Kaiſerge—
ſchichte“ oder „Geſchichte Kaiſer Heinrichs VII.” 1). Auch dieſes
Werk iſt faſt gleichzeitig mit den Begebenheiten, welche es ſchildert,
niedergeſchrieben worden. Schon ſpäteſtens aus dem Anfang des
Jahres 1314 haben wir deutliche Anzeichen, daß der Autor mit
ſeinem zweiten Werke, den Geſchichten nach Heinrichs Tode, be—
ſchäftigt iſt, alſo ohne Zweifel die „Kaiſergeſchichte“ vollendet hat,
worauf übrigens auch andere Merfmale hindeuten ?).
Es iſt ein buntes farbenprächtiges Gemälde welches fi) und
entrollt wenn wir an die „Kaiſergeſchichte“ herantreten. In jech-
zehn Büchern ftellt dieſes Werk die Begebenheiten dar, welche in
Italien von dem Erſcheinen des ritterlihen Lützelburgers, deſſen
Borgefhichte und Königswahl in ein paar Kapiteln vorangeftellt
werden, bis zu dejjen Tote ihren Verlauf nahmen. Schon das
erfte Buch führt die Erzählung bi8 zum Empfang der eijernen
Krone in Mailand dur Heinrich fort; die drei nächften ſchildern
deſſen ferneres Walten in der Lombardei; die Beftrafung Cremona's,
die Belagerung und jhließlihe Einnahme von Brescia nehmen
das hauptfählichite Intereſſe in Anſpruch. Im fünften Buche
jehen wir, wie gleich nach Heinrichs Abzug nad) Genua die Guelfen
in der Lombardei ſich überall regen und mit der Liga der Tuscier
in Verbindung treten. Nur mühſam wahrt Werner von Homburg
das königliche Anfehen. In den beiden nächften Büchern wird
hauptfächlih die Losſagung Paduas von der Sache des Königs
und der Anfang des Kampfes diefer Stadt mit Verona und Vicenza
zur Darftellung gebracht. Im achten Buche ſehen wir fodann
1) Zuerft in einer Gejammtausgabe der Werfe Muffato’3 1636 zu Venedig ediert.
Wir legen indeh die mit einem Kommentar verjehene und durch VBergleihung mit meh-
teren Handihriften verbefierte Ausgabe Muratori’3 im 10. Bande feiner großen Samm—
fung der italiſchen Geſchichtsquellen (1727), Fol. 1 sqg-, zu Grunde. — 2) Bol. Dön—
nige3 a. a. D. ©. 57. Wenn in der „Kaifergefhichte” (XT, 11) König Philipp IV. der
Schöne, der am 29. Nov. 1314 ftarb, noch als gegenwärtiger Herrſcher von Franfreich
erjcheint, jo würde das an ſich allein nur beweifer, daf das elfte Buch vor diefem Termin
gejchrieben ift, nicht aber daß das Werk damals bereit3 abgeſchloſſen war.
Einleitung. 29
Heinrich über Piſa nah Rom ziehen, wo er nad) blutigen, nicht
immer glüdlichen Kämpfen die Kaiferfrone an ungemohnter Stelle
empfängt, um fodann den Feldzug gegen Florenz zu eröffnen
(Bud) 9). Die Schilderung diefer Kämpfe wird im elften Buche
wieder aufgenommen, während das zehnte bei den Begebenheiten
der Mark Trevifo verweilt. Auch das. zwölfte gedenft des padua—
nischen Krieges und jchildert ferner die zunehmenden Wirren der
Lombardei. Das dreizehnte zeigt den Kaifer in Pifa, mit den
Vorbereitungen zu einem Heerzuge wider König Aobert von Neapel,
den ein fatjerlicher Kichteriprudy zum Tode verurtheilt, beſchäftigt.
Das vierzehnte und fünfzehnte Bud haben es wieder mit Den
Parteikämpfen in Oberitalien zu thun, während endlich das ſech—
zehnte zum Kaiſer zurückkehrt, feine weiteren Rüftungen verfolgt,
den entftehenden Conflift mit der Curie jchildert und den Herricher
dann auf feiner legten Reife von Piſa bis Buonconvento begleitet,
um mit der Erzählung von der Be und dem Tode Heinrichs
zu jchliegen.
Am werthvollſten find die fieben erften Bücher der „Kaiſer—
geſchichte“, welche die Erzählung bis etwa zum Frühling 1312
führen. Hier nämlich ſchöpft Muffato durchgehends aus unmittel-
barfter Kenntnis: ex felbft war, wie ſchon angedeutet, wiederholt
am Hoflager des Herrſchers anmwejend, den er zweimal in Mailand,
einmal im Lager vor Brescia und endlidh in Genua aufjuchte.
Namentlich feste unfern Autor fein mehrmonatliher Aufenthalt
zu Genua in den Stand Alles was ihm wifjenswerth erſchien
gründlich zu erforſchen. Aud führte ihn die Keife dorthin umd
die Rückreiſe in die Vaterftadt quer durch die Lombardei, ſodaß
er Gelegenheit hatte die Berhältniffe in den einzelnen Städten und
Staaten aus eigener Anjhauung fennen zu lernen. Dem ent-
ſprechend ift die „Kaiſergeſchichte“ in dieſem erften Haupttheil eine
Duelle erften Ranges, zumal da Wahrheitsliebe, ftrenge Schei-
dung zwiſchen dem als ficher Berichteten- und dem nur durch
Gerüchte Verbürgten und das Bemühen unparteiifch zu bleiben in
der Darftellung nirgends vermißt merben.
30 Einleitung.
Als dann aber der König fich weiter ſüdlich wandte, über
Piſa nah Rom eilte und in der Folge in Toskana Krieg führte,
während Muffato, wie wir nicht anders wiſſen, im fernen Padua
verblieb, mußte an die Stelle der unmittelbaren Anſchauung oder
der Erfundigung an unterrichtetfter Stelle der Bericht Dritter
treten. Dieſen Unterfchted betont Mufjato jelbft am Anfang feines
acıten Buches, wo er die volle Verantwortlichkeit für die Richtigkeit
des Folgenden gleihjam von fid) abmeift. Die Frage nad der
Zuverläffigfeit jeiner Nachrichten wird alſo mit der Trage nad;
feinen Quellen zufammenfallen. Halten wir und an den Inhalt
der jpäteren Bücher des Werkes, jo werden wir nicht lange im
Zweifel darüber bleiben fünnen daß der Urfprung der uns hier
gebotenen Berichte im guelfifchen Heerlager zu Juchen fei. In der
That müßten wir und wundern wenn e3 ficy hiermit ander ver-
hielte. Biel dod) im Anfang des Jahres 1312 Padua von Hein:
rich ab und trat mit voller Entjchiedenheit auf die Seite der
Guelfen; der Kampf gegen den Scaliger, die Stüte der füniglichen
Macht im Nordoften, jchärfte naturgemäß den Gegenſatz, welcher
jo große Dimenfionen annahın daß ſich der Kaifer bewogen fand
neben „andern rebelliihen Städten (namentlich Toskana's) aud)
Padua durch eine Aechtungs- und Verdammungsjentenz zu brand-
marken. Daß aber diefe PBarteiftellung Padua's auf das in dieſer
Stadt inmitten der Wirren und Kämpfe abgefaßte Geſchichtswerk
Albertino's nicht ohne Einfluß bleiben konnte, Liegt auf der Hand;
natürlidh waren es überwiegend, wenn nicht ausſchließlich, Nach—
richten von guelfiihen Siegen und Triumphen, welde in der Stadt
verbreitet wurden und willigen Glauben fanden, während man
das, was etwa über Berona oder Mailand von Erfolgen des
ghibelliniſch-kaiſerlichen Anhangs verlautete, ficherlich mit dem größten
Mistrauen entgegennahm oder von vorn herein als unglaubhaft
verwarf. Es läßt ſich nun freilich nicht Ieugnen, daß Muſſato,
mindefteng in den erften Zeiten der Wirffamfeit Heinrichs in
Italien eine gewiſſe Hinneigung zu dem König verräth. Doc
geht dieſe Gefinnung nur die Perfon Heinrichs an und hat mit der
Einleitung. 31
Sache, welche diefer vertritt, nichts zu Schaffen. Man wird an-
nehmen dürfen daß der von Natur leutjelige Herriher dem Muflato,
als dem einflußreichen Vertreter eines blühenden mächtigen Gemein—
wejens, freundlic, begegnet ift und ihn mit Auszeihnung behandelt
bat. Daß dies bei dem von Eitelfeit nicht ganz freien Empor—
tömmling, dem Sohne des armen Ausrufers, feines Eindruds nicht
verfehlt hat, verräth ung Mufjato an mehr als einer Stelle: er
liebt es, fich in einem möglichſt engen, vertrauten Verhältniß zu
König Heinrich darzuftellen oder in ein ſolches Hineinzuträumen ; auch
hätteer e8 ohne Zweifel gern gejehen wenn feine Vaterftadt fich dem
Lügelburger angeſchloſſen hätte. Der größte Theil ſeiner Mitbürger
indeß war anderer Anſicht. Indem fie die Anfunft des deutſchen
Königs in Italien ficherlich von vorn herein ungern fahen, glaubten fie
Doch fich vermöge der Lage ihrer Stadt feinem Einfluß entziehen
zu fönnen, nahmen eine zumartende Haltung ein und jchoben jogar
die Bedingungen, welche ihnen Mufjato und Antonio da Bigodarzere,
die um zu fondieren das königliche Hoflager aufgefuht hatten, für
den Anſchluß an Heinrich überbrachten, gelafien bei Seite. Erft
Die Losreißung Bicenza’3, welche unter Mitwirkung des Königs
erfolgte, belehrte fie daß die Bewegung, die Das Erjcheinen des
Lüselburgers auf italiſchem Boden hervorgerufen, aud fie in ihre
Kreife ziehe. Aufs neue ging jest eine Gelandtihaft zum König:
als Wortführer derſelben entſchuldigte Muſſato die. Zögerung feiner
Mitbürger und erlangte ein nicht weſentlich ungünftigeres Abkommen
al3 zuvor. Diesmal beeilten ſich die Paduaner die ihnen gewährten
Bedingungen anzunehmen, wenngleich jchweren Herzens; ſchon ein
jo äußerlicher Umftand wie die Namensänderung des Podeſtà, der
fünftig königlicher Vikar heißen jollte, berührte fie ſchmerzlich. Aber
die Beziehungen zu Vicenza Liegen einen dauernden Frieden nicht
zu. Während der Vereinigung Padua's und PVicenza’8 hatte jich
die herrſchende Gemeinde der beiten Pläge im Gebiet der Unter-
thanen verfichert, doch hatten umgekehrt auch Vicentiner im Pa—
duaniſchen Grundbefig erworben. Die Ausgleihung dieſer Rechte
und Anſprüche wäre überaus jchwierig gewelen, auch wenn man
32 Einleitung.
von beiden Seiten mit dem redlichſten Willen und der friedfertigiten
Gefinnung and Werk gegangen wäre. Dies war aber keineswegs
der Fall. Natürlich hatte Padua die friih geichlagene Wunde
noch bei weitem nicht verſchmerzt; andrerſeits aber gingen die Bicen-
tiner darauf aus den alten Zwingherren nad Kräften Abbruch zu
thun und ihr Müthchen an ihnen zu fühlen. Unter anderm Ienkten
fie oberhalb Padua's den Fluß Bachiglione ab, um die Nach—
barſtadt des Waſſers zu berauben und dal. m. Die in Genua
weilenden paduaniſchen Gejandten (unter denen ſich wieder Muſſato
defand) betrieben freilich beim König die Abftellung der Belchwer-
den ihres Gemeinweſens ſowie die Anbahnung eines erträglichen
Verhältniſſes mit Vicenza; aber die allgemein gehaltenen Verord-
nungen und Zuſagen, melde fie erlangten, genügten nicht um den
Uebelftänden abzubelfen. So mußte den Paduanern nacdıgerade
klar werden, daß eine friedliche Löäſung nicht zu Hoffen ftehe. Auch
der König traf feine Mafregeln und ſuchte namentlich Bicenza
dadurd zu fihern, Daß er Canegrande von Verona der Stadt zum
Reichsvikar feste. Die war allerdings ein Schlag ind Geſicht
der. Paduaner, doch Härte ev im Grunde nur die Situation.
Vicenza mußte, wenn es fich behaupten wollte, gegen das ihm
weit überlegene Padua feinen Rückhalt an Kane juchen, mochte
dieſer nun einen Rechtstitel haben oder nicht; die Paduaner aber
durften Cane nicht dergeftalt in ihrer nächſten Nähe Fuß fallen
falfen: kurz, mit dem Abfall Vicenza's war der Krieg Padua's
gegen Cane und damit indireft auch gegen König Heinrich bereits
thatfächlich gegeben, und die Einjegung des Beronefen in Bicenza
war höchftens das Signal zum Zufchlagen. Wenigftens faßten es
die Paduaner als jolches auf und fagten fid) ohne Säumen offen
von der Sache des Königs los. Muffato widerftrebte allerdings,
aber die Rede, welche er bei dieſer Gelegenheit im großen Nathe
zu Padua hielt, zeigt daß auch er die Nothwendigkeit des Kriegs
begriff; er wid) nur darin von der Mehrzahl feiner Mitbürger
ab, daß er die Gegner zur formellen Eröffnung des Kampfes ge—
trieben zu jehen wünſchte. Als aber gegen jeinen Antrag der
Einleitung. 33
Rathsbeſchluß die jofortige Yosfagung vom König und deſſen
Reichsvikar ausſprach, fügte fi) auch Muffato. Seine Sympathie
für den König tritt fortan nicht mehr zu Tage. Wir fehen alfo,
dag von Anhänglichkeit an die Sache, die der König und Kaifer
vertrat und verfocht, bei Muffato nicht die Rede fein kann. Diefer
mar nichts weniger als ein Schmwärmer für Kaiferhohett uud
Univerſalität; jein ganzes Leben zeigt ihn als Paduaner. Ueber
die Intereſſenſphäre Padua's ging jein politifcher Horizont im
Weſentlichen nicht hinaus. Der Stadt, die ihn aus Armuth und
niederem Stande zu Reichthum, zu Ehren und Winden erhoben,
gehörte allein jein ganzes Dichten und Trachten.
Es ift hiernach Elar daß Albertino ſich nicht veranlaft fühlen
Eonnte den in Padua einlaufenden guelfiſch gefärbten officiellen wie
Privatnachrichten gegenüber feptifcher zu jein als jene Mitbürger.
Daß er, wie | hon erwähnt wurde, einft eine hervorragende Magiftratur
in Florenz verwaltete, läßt ſogar auf engere Beziehungen unjeres
Autord zu der Hauptftadt Tosfana’8 und der guelfilchen Liga
ſchließen; doch braucht man darum nicht anzunehmen daß er jeine
Nachrichten über die Kämpfe Kaiſer Heinrich8 gegen Florenz direkt
aus diefer Stadt bezogen habe, denn verſchiedene Anzeichen weiſen
darauf Hin daß die Berichte, welche Muffato über dieſe Begeben-
heiten beibringt, nicht unmittelbar nad) Padua gelangt feien, und.
zwar ift da wohl am eheften an eine Vermittlung Bologna’,
des natürlichen Austaufchplages zwiſchen Tosfana und der
Lombardei zu denken. Mit ver Politik dieſes ultraguelfiſchen—
Gemeinweſens ftimmt die Tendenz der Nachrichten Muffato’3
durchaus überen. Werben nämlich hier Die Stege der Guelfen
herausgeftrichen, die geringfügigften Erfolge zu großen entſcheidenden
Aktionen aufgebaufht und überhaupt mit fichtbarer Vorliebe Alles
was für fie günftig iſt in den Vordergrund geftellt, jo kann anderer-
ſeits die Lage des Kaiſers gar nicht troftlos und ſchwarz genug
gemalt werben, derart daß fich unter den zahlreichen gleichzeitigen
Darftellern des Romzuges Kaiſer Heinrichs feiner findet, der jo
viel von Siegen der Guelfen, und Niederlagen ee Unglüds-
Geſchichtſchreiber. Lig. 67. Leben Heinrichs VIT.
34 Einleitung.
fällen auf kaiſerlich-ghibelliniſcher Seite zu berichten weiß wie
Albertino Mufjato ). Ber der Benugung des zweiten Abjchnittes
der „Kaiſergeſchichte“ tft Daher nie außer Auge zu laſſen, daß Diefe
Berichte fein objectives Bild von den Ereignifien, welche fie jchilvern,
gewähren, ſondern nur die Auffafiung einer, der guelfiichen Partet,
widerfpiegeln. — Daß hierdurch die perfünlihe Glaubwürdigkeit
des Autors nicht berührt wird, Liegt auf der Hand. Gerne aus:
führlichen Berichte über die Kämpfe Padua's, welche er aus eigener
unmittelbarer Kenntnis befchreibt, zeigen ihn durchaus zuverläffig
und bemüht aud dem Gegner Gerechtigkeit zu erweifen. Cbenfo
erzählt er ziemlich unverhüllt Die Niederlagen feiner Landsleute
und dedt die Fehler auf, welde diefe begehen. Daß Albertino
trogdem Paduaner bleibt, verfteht fi für einen Mann, der un-
mittelbar und zwar in hervorragender Weiſe an dem Kampfe jelbjt
betbeiligt war, wohl von jelbft. Unbedingte Objectivität wird
niemand bier erwarten können.
Die Aktenſtücke, welche unfer Autor in fein Werk aufgenommen
hat, konnte er zum größten Theil den Archiven feiner Vaterſtadt
entlehnen, jo drei Verfügungen Kaifer Heinrichs in paduantichen
Angelegenheiten (III, 6 und V, 10), ein Schreiben König Roberts
von Neapel an die Gemeinde Padua und deren Antwort (XI, 4),
endlich das Aechtungsdekret des Kaiſers (XIV, 7). Außerdem
finden wir in der „Kaifergefchichte‘‘ die gegen Robert von Neapel
ergangene Sentenz Heinrih8 (XII, 5), ein Schreiben König
Philipps IV. von Franfreih an den Papſt Clemens und eine
daraufhin erfolgende Bulle des Iegteren aufgenommen, welche den
Streit zwiſchen Kaiſer Heinrih und König Robert vor das Forum
des heiligen Stuhles zu ziehen ſucht (XVI, 3). Wie dieſe Ur-
funden unferem Autor zugänglich geworden find, läßt ſich mit Bes
ftimmtheit nicht jagen, doch werben fie ficherlich weit verbreitet ges
wejen fein, ſodaß wir nicht genöthigt find deswegen auf fpectelle
Beziehungen oder eigenartige Quellen Muſſato's zu ſchließen.
1) Das Nähere ftehe in meinem Aufjag „Zur Kritif der Historia Augusta des
Albertino Muſſato.“ Forihungen zur deutihen Gedichte, Bd. XXL.
Einleitung. 35
Nah der Weiſe der Alten läßt Muffato feine Helven, ing-
bejondere auh König Heinrich, zu wiederholten Malen Anſprachen
halten, die er in die Form der direkten Rede zu kleiden liebt.
Was hiervon zu halten jet, wird ſich Der verftändige Lefer felbit
jagen fünnen. Auf wörtliche Treue machen diefe Reden natürlich
feinen Anſpruch; auch auf die Authenticität des Gebanfenganges
wird meift fein großes Gewicht zu Yegen fein. Die direfte Rede
it vielmehr unter Umftänden diejenige Form, in welcher der Autor
den Erwägungen, welche eine beftimmte Situation an die Hand
giebt, am bequemften und anſchaulichſten Ausdruck verleiht.
Der Stil des Mufjato iſt an den Alten gebildet. Salluft,
Horaz, Bergil find unferem Autor vertraut, doch wird es letzterem
durchaus nicht Leicht ſich in ihrer Sprade fließend auszudrüden.
Sein Stil ift holpricht und oft bis zur Unverftändlichfeit ungefchtet.
Die Darftellung im Großen und Ganzen hat den Mangel daß
der Autor fernen Stoff allzu jehr verhadt hat. Manchmal, wie
namentlich im vierzehnten und fünfzehnten Buch, ſcheint die Er-
zählung fih in zufammenhangslofe Einzelheiten aufzulöfen. Amt
beften gelungen find mande Schilderungen aus der Gefchichte der
paduaniſchen Wirren und Kämpfe; hier, aber auch nur hier, treffen
wir auf eme ebenmäßige zujammenhängende und wohl disponirte,
zum Theil ſelbſt feſſelnde Darftellung.
Ein Menfchenalter nah dem Tode des Mufjato entitand
- im Padua ein zweites Geſchichtswerk, die |. g. Cortuſiſche
- Ehronit,!) welde die Ueberlieferung zwei Männern aus dem
edlen paduaniſchen Geſchlechte der Cortufier, Gultelmo und Alber-
ghetti (Albigretus) zuweiſt. Ein Gulielmo de’ Cortofi wird in
der Chronik jelbft einmal als Richter (judex) bezeichnet und unter
den fünf Männern genannt melde ım Juni des Jahres 1335
furze Zeit an der Spige Padua's ftanden ?); doch ift derfelbe mit
1) Herausgegeben von Muratori, SS. rer. Ital. XII, 759 sq. Bergleihe auch Dönniges
©. 60 ff. — 2) 1. e. VI, 1 Sp. 870.
x
e>
36 Sinleitung.
dem Autor der Chronik ſchwerlich identiſch ). Ein Alberghetti de’
Sortofi wird in dem Aechtungsdekret Kaifer Heinrih8 VII. gegen
Padua vom 16. Mai 1313 mit aufgeführt). Derſelbe iſt noch
fünf. und dreißig Jahre jpäter am Leben, da er auch in einer
Urkunde König Karls IV. vom 4. Yunt 1348 namhaft gemacht
wird‘). Wohl derſelbe Alberghetti, Sohn des Matten de’ Cortofi
efferdete einft unter Öuecillone da Camino das Ant eines Podeſtà
in Feltre 9).
Die ausführlichſten Angaben über unſere Chronik finden ſich
bei dem gelehrten Canoniker Bernardinus Scardeonius, der in
ſeinem Werke über paduaniſche Alterthümer ſich folgendermaßen
äußert): „Kurz nad der Zeit des Albertinus Muſſatus ſtand in
Padua Gulielmus Cortuſius als Gelehrter in großem Anfehen.
Diefer Mann begann ein Werk über die zeitgenöffiihe Geſchichte
Padua's zu jchreiben; nach feinem Tode jeßte einer feiner Ge—
ſchlechtsgenoſſen, Albrigetus, die unvollendete Chronif nad) dem
Vorgang des Gulielmus, aber mit größerem ©lüde, fort. Der-
felbe holte meiter aus umd jchrieb ſowohl über die Gefchichte feiner
Heimath als aud über die Thaten anderer Völker alles mas
ihm des Ueberlieferns werth erichten, nieder, freilich in einein weder
gewählten noch eleganten Stil... .... Er verfaßte weitläufige
Jahrzeitbücher über die Gemaltherrichaft des Acciolinus (Ezzelino),
die nod vorhanden find und von Pielen mit großem Vergnügen
gelefen werden. Ueberdies hat er fich über Die Kriege des Ge—
waltherren von Verona, Canid Ecaliger, gegen die Pabuaner
ausgelaffen und noch vieles Andere aus der Geichichte ſeines Vater—
Landes, jo gut wie er vermodte, und damit fich felbft auf die
Nachwelt gebracht.“
Es darf gleich bemerkt werden daß die Annahme von der
1) ſ. u. ©.43,4 — 2) Alberghectus et Bonginellus condam Mathei de Cortosis (Dön=
niges, Acta H. VII., pars II, 208). — 3) Albrighettus quondam Matthaei de Curtosiis
(Muratori l. e. 762). — 4) Notiz in einem handſchriftl. Werfe de familiis Fatavinae urkis,
angeführt Muratori 760. — 5) De antiquitatibus Paduae ed. Graevius et Burmannus,
Thesaurus antiquitatum et historiarum Italiae, VI, 111. Die Stelle citiert bei Mura=
tori 759.
| Einleitung. 37
Mitautorichaft Des Albergbetti fih allein auf dieſe Worte ftükt.
Die Handſchriften, ſoweit fie nicht ohne Namen des Verfaflers auf
und gekommen find, nennen lediglich Gultelmo ald Autor. Dazu
fommt nın daß P. P. Vergerius, welcher Lebensbeſchreibungen
der erjten Fürſten aus dem Haufe Garrara verfaßt hat, fih in
dieſem Werke über unfere Chronik folgendermaßen äußert: „Sodann
machte ſich Gulielmus de Cortoſiis, der Zeitgenoffe und Mitbürger
des Mufjato, daran auch ſelbſt ein Geſchichtswerk zu fehreiben,
und ftoppelte, da er den Mufjato überlebte, Vielerlei über Ein-
beimiches und Auswärtiges zufammen, wobei es ihm nur auf
ten Inhalt -anfam, ſodaß er auf eimen gefälligen Stil, den er
freilich zu ſchreiben nicht im Stande war, ohne Bedenken ver-
zichtete .“
Während alſo Scardeonius dem Gulielmo höchſtens die lokal—
geſchichtlichen Partien der „Cortuſiſchen Chronik“ vindicieren will
und alles Andere dem Alberghetti zuſchreibt, der nach dem Tode
des Vetters deſſen Werk aufgenommen, überarbeitet, vermehrt und
fortgeſetzt habe, weiß Vergerius von irgendwelchem Antheil des
Alberghetti an der Abfaſſung der Chronik nichts zu melden und
giebt vielmehr ausdrücklich an, daß Gulielmo ſowohl die Geſchichte
Padua's als auch außerpaduaniſche Begebenheiten zum Gegenſtand
ſeiner Darſtellung gemacht habe. Welchem von dieſen beiden
Männern an ſich die größere Glaubwürdigkeit zuſtehe, kann nicht
zweifelhaft ſein. Vergerius, der im Jahre 1428 hochbetagt ſtarb
und ſchon 1388 litterariſch thätig geweſen ſein ſoll, darf noch als
jüngerer Zeitgenoſſe des Gulielmo de' Cortoſi gelten, während
Scardeonius (J 1574) einer weit ſpäteren Epoche angehört.
Es kommt hinzu, daß die Chronik, wie ſie uns vorliegt,
ſichere Spuren von Ueberarbeitung oder von Aufnahme der Arbeit
durch einen Zweiten nirgends aufweiſt. Die gleichen Wendungen
kehren von Anfang bis zu Ende wieder; es iſt dieſelbe nüchterne
Auffaſſung der Dinge, dieſelbe an einander reihende, nur zuweilen
durch allgemeine Betrachtungen und Rückblicke unterbrochene Dar—
1) Muratori XVI, 114.
38 Einleitung.
ftellung, der wir im ganzen Verlauf der Chronif begegnen. Daß
manches zmeimal erzählt wird, wird man auch nicht auf zwei ver=
ſchiedene Berfaffer deuten wollen, da vielmehr eine Weberarbeitung
eine concijere Faſſung zur Folge gehabt Haben würde. Die Wieder:
Holungen erklären ſich lediglich daraus, daß unfer Autor in feiner
etwas unbeholfenen Manier, die des bunten, mannigfaltigen Stoffes
nicht recht Herr zu werden vermag, oft einen Gegenjtand ziemlich
unvermittelt fallen läßt, um jpäter nochmals auf denſelben zurüd-
zufommen, ihn fortzuführen und zu ergänzen, wobei dann Wieder:
holungen, zum Theil jelbft mit Anwendung derjelben Worte, nicht
aushleiben fünnen ’).
Aber wir haben auch eine ausdrüdlihe Hindeutung auf die
Einheit der Abfaffung, nämlich die Stelle im erften Kapitel des
elften Buches, mo es heißt: „Der geftrenge Kaiſer Graf Heinrich
von Luxemburg zeugte König Johann von Böhmen, Johann
zeugte Karl. Weil ih aber von dem erften und zweiten
oben bereits erzählt habe, jo bleiben mir noch die Thaten
Karla zu erzählen übtig2).“ Da nun der bier angezogene
Bericht über Kaiſer Heinrih VII. die erften Kapitel des Merfes
einnimmt, von Johann von Böhmen inmitten der Chronif (Buch 5)
berichtet wird, und endlich von Karl IV. die legten Blätter derſelben
veden, jo geht aus diejen Worten hervor, daß die Chronik, wie
fie ung vorliegt, in ihren ganzen Beftande auf einen und denjelben
Berfaffer zurüdgeht. Diefer aber kann doch wohl fein anderer
jein als Gulielmo ; denn wollte man jene Aeußerung dem Alberghetti
in den Mund legen, fo bleibt für Gulielmo faum etwas übrig;
mindeftend wäre anzunehmen, daß Alberghetti die Arbeit des
Betters völlig umgeftaltet und gleihjam ein ganz neues Werf
daraus geichaffen hätte, welcher Annahme denn doch die Ausjage
1) Man ſehe 3. B. die Gefhichte von der Mutter des Tiſo Novellus 991 A und
855B. Bol. aud) 843 A und 841 D. — Daß dabei gelegentlich auch kleine Abweichungen
mit unterlaufen, ift bei einer folchen mofaitartigen, mangelhaft disponierten Arbeit nicht
eben zu verwundern. Am auffälligften find die verjchiedenen Angaben über den Tod
des Galeazzo Pisconte, der nad) 852 D im Kerfer, nad) 840 D nad) feiner Befreiung
ftarb. 2) 943 A.
Sinleitung. 39
des Vergerius und die Nennung des Gulielmo in den Handſchriften
allzu ſchroff entgegenftehen.
Am eheften möchte man num vielleicht noch die fieben Anfangs-
fapitel der Chronik für Alberghetti in Anfpruc nehmen. Die
älteren Handſchriften beginnen nämlich) mit Kap. 8 in der Zählung
Muratori’d. Auch aus der Chronif jelbft geht: hervor daß die
erften fieben Kapitel zu ihrem urfprünglichen Beftande nicht gehört
haben. Im neunten Kapitel des fiebenten Buches nämlich bemerkt
der Autor, nachdem er einen Rückblick auf die Geichichte Padua's
nad) der Beleitigung des Ezzelino geworfen: „Alles Borftehende
findet fih der Reihe nady in diefem Werke vom Anfang deſſelben
an beſchrieben.“ Hieraus wird Elar daß die Chronif damals mit
der Zeit nad Ezzelino begonnen bat, d. h. mit dem achten Kapitel,
da Kap. 1—7 die Zeiten des Ezzelino und jenes Geſchlechts be-
handeln. Daß jedoch auch dieſe Anfangsfapitel denſelben Autor
haben wie die übrige Chronik, laſſen die Worte vermuthen mit
denen wir am Ende von Kap. 7 zum eigentlichen Text übergeleitet
werden. „Obwohl“, jo leſen wir hier, „in der Chronif des
Rolandinus (eined paduaniſchen Gejchichtsichreibers des dreizehnten
Jahrhunderts) über die Gefhichte derer von Romano ausführlicher
berichtet wird, jo hat es mir dennoch beliebt derſelben Erwähnung
zu thun, zu einem Beihpiel daß man nichtswürdige Herrichaften
meiden müfje und zur Erläuterung der nachſtehenden Neuigkeiten,
die nach Ankunft Kaiſer Heinrichs zu meiner Zeit Plas griffen.‘
Sp fonnte nur der Autor des Hauptmerfes Iprechen. Es
fommt hinzu daß derjelbe im elften Kapitel, wo er num wirklich
an die Zeit Heinrichs VII. hevantritt, einige- Notizen über die
Macht und Größe Padua's voranftellt, wie er fih ausprüdt:
„zur Erläuterung der Neuigkeiten der Mark Trevifo, welche ich
erlebt habe. Der Ausdruck ift der im fiebenten Kapitel gebrauchten
Wendung jo ähnlich, daß man dadurd nur in der VBermuthung
beftärft wird, hier wie dort den nämlichen Verfaſſer vor ſich zu haben 9).
1) Ganz unglüdlih ift Dönniges Einfall (a. a. O. ©. 62) von einer Familien=
Hronif, die mehrere Generationen hindurch fortgeführt worden fei. Wunderbarer Weife
40 Einleitung.
Det alledem müfjen wir ſuchen, und mit der Angabe des
Scardeontus abzufinden. Da die Chronik, von der er berichtet,
jeinem Zeugnis zufolge noch zu feiner Zeit viel gelefen wurde, fo
kann man nicht annehmen daß er feine Weittheilungen ganz aus
der Luft gegriffen haben follte. Cine Hindentung auf den wahren
Sachverhalt giebt und, wie mir jcheint, die Inhaltsangabe ver
Chronik, wie fie Scardeonius anführt, wenn er fagt, Albergbetti
habe über die Gewaltherrſchaft des Ezzelino !) ausführliche Jahr—
zeitbücher abgefaßt. Sehen wir daraufhin unjere Chronif an, jo
zeigt ſich daß für fie diefe Angabe keineswegs zutrifft. Die Er—
zählung von der Tyrannis des Czzelino iſt in ein einziges Kapitel
(Kap. 2) zufammengebrängt. Kapitel 3 beipricht bereit8 den Sturz
des Gewaltherrn; 4 feine vergeblichen Anftrengungen Padua wieder
zu gewinnen, 6 und 7 dann feinen und feines Geſchlechtes Unter-
gang, während Kap. 5 etwas Ferneliegendes berichte. Was hier
geboten wird, kann Scardeonius weder als „meitläufig‘ (longus)
nod als „Jahrzeitbücher“ (annales), d. h. eine nad) der Folge
der Jahre geordnete Erzählung bezeichnen. Hieraus ergiebt fich
mit großer Wahrjcheinlickeit daß Scardeonius ein andered Werf
vor ſich hatte als die |. g. „Cortuſiſche Chronik", aljo wohl eine
jpätere Ueberarbeitung, die auf Grund diefer Yegteren, auf Gulielmo
de’ Cortoſi allen zurücgehenden, Chronif immerhin von einem
nämlich verjteht D. das in Kap. 1, in der Erzählung von Begebenheiten des Jahres 1237,
gebrauchte Präjens fo, al3 ob das Kapitel im Jahre 1237 niedergejchrieben fein müßte,
während jchon die Ueberſchrift de3 Kapitel3 zeigt, daß wir es mit einer von dem fpäteren
Berfaffer dem paduanifhen Bolt in den Mund gelegten Anrufung der Schußheiligen
der Stadt zu thun haben. — Richtig fieht dagegen Dünniges, daß das von Muratori
als Kap. 2—25 in das zweite Buch der Chronif willkürlich eingefchaltete Stück Fein
Beftandtheil derjelben it. Ich füge zu feinen Argumenten noch hinzu, daß Kap.26 ganz
unmittelbar die Erzählung des Kap. 1 aufnimmt und fortführt; außerdem werden die
in dem Einjchiebjel behandelten Begebenheiten auch fonft, wenngleich fürzer, in der „Cor—
tufiijhen Chronik” beriihrt. — 1) „de Acciolini tyrannide*. Daß hier daS de nicht etwa
gleichbedeutend mit ab (= von — an, jeit) fein kann, wird (ganz abgejehen davon daß
ein italieniſcher Gelehrter des 16. Jahrhunderts ſich eines derartigen DVerftoßes gegen
den claffiihen Sprachgebrauch gewiß nicht fhuldig machen Konnte) ſachlich durch die
nachfolgenden Worte des Sc. erwiefen: insuper (scripsit) de bello Canis... . adversus
Patavinos. Mlberghetti hat daher, den Worten des Sc. zufolge, geichrieben: 1) iiber
Ezzelin, 2) über die Epoche der Kämpfe mit CaniS.
|
Einleitung. 41
Geſchlechtsgenoſſen defjelben Namens Alberghetti angefertigt worden
fein mag‘). Die Annahme daß zur Zeit des Scardeonius ein
derartiges Werf exiftiert Habe wird auch durch die beiden Bruch—
ftügfe nahegelegt, welche Muratori feiner Ausgabe der Chronif des
Gulielmo anfügt ?). Sie find, wie er angiebt, aus einer Eſten—
fiihen Handſchrift entnommen und beide in italienischer Sprache,
und zwar paduaniſcher Mundart, abgefaft. Die eine diefer beiden
Chroniken erſtreckte jih von 1350 bi8 etwa 1365, die andere von
1267 bi8 1391, Doc theilt Muratori fie nur vom Jahre 1358
an mit, weil foweit die Chronik des Gulielmo veicht, mit der fie
feiner Angabe nad) die größte Achnlichkeit haben follen. Der
Herausgeber ſelbſt fieht daher in ihnen feine Originalwerke, ſondern
nimmt Abhängigkeit von der „Cortuſiſchen Chronik” an. Wir
ſtoßen alſo möglicherweife hier auf Spuren von einem Werfe des
Alberghetti. — Ohne eine eingehende Unterfuhung der Hand»
ſchriften und der paduanischen Geſchichtsſchreibung im vierzehnten
Jahrhundert werden wir in diefen Fragen zu ficheren Ergebnifjen
zu gelangen nicht hoffen dürfen; trotzdem fonnte an dieſer Stelle
der Frage nad) der Entftehung der „Cortuſiſchen Chronik“ nicht
ganz aus dem Wege gegangen werden. — —
Daß die und vorliegende Chronik des Gulielmo nicht mit
den Ereignifjen unmittelbar gleichzeitig niedergeſchrieben fei, hat ſchon
Dönniged bemerkt, der aus dem erften Buche des Werkes ein Paar
Stellen anführt in denen der ſpäteren Schickſale einiger Perſonen
bereitö gedacht wird. Insbeſondere wird zum Jahre 1313 ange:
führt daß Paganus della Torre, damald Biſchof von Padua,
ſpäter Patriarch) von Aquileja geworden fei, was im Jahre 1319
erfolgte ?). Auch die übrigen Bücher der Chronik laſſen ed an
folhen VBorausverweifungen nicht fehlen. Im zweiten Buch, welches
die Erzählung bis zum Jahre 1321 fortführt, wird ein Presbyter
1) Freilich wohl nicht von dem 1313 und 1343 lebenden Alberghetti (j. o.), jondern
von einem fpäteren des gleichen Namens. Einen Alberghetti, der um 1435 lebte, erwähnt
Muratori a. a. DO. 749. — 2) a. u. D. Sp. 97 ff. — 3) Sp. 787 C. Dönniges 63.
42 Einleitung.
Gorza in Feltre als Fünftiger Biſchof bezeichnet 1), während feine
Erhebung auf den Biſchofſtuhl von Feltre und Belluno eıft 1327
erfolgte. Weiter gedenkt der Verfaſſer im vierten Buch bei Ge-
legenheit der Verheirathung einer Nichte des Gherardo da Camino
mit einem Sohne des Alberto della Scala des Umftandes, daß
diejelbe jpäter die Gattin des Markgrafen Berthold (von Efte)
geworden jei?), womit auf eine Begebenheit des Jahres 1339 an=
gejpielt wird. Endlich ift zu beachten daß unfer Autor bereits
zum Jahre 1332 (Bud) 5) weiß, daß Karl von Luxemburg, der
Sohn König Johanns von Böhmen, fpäter imperator (d. h. wohl
römiſcher König) geworden je. Aus diefen Verweiſungen (derem
Zahl fih noch um ein Erhebliches vermehren Tiege) ergiebt ſich
alſo daß
Buch 1 (Begebenheiten v. 1310 — 1317) früheſtens 1319
Buch 2 ( x EIN A.
Bud 4 ( F 133228888 es
Buch 5 ( P 1330-135) aa
abgefaßt worden ift. Dieſe Daten geben die Bermuthung an die
Hand daß Das Werk nicht nach und nad, jondern auf einmal ent=
ftanden ſei. - Hierauf deutet audy der Umftand daß die Buch- und
Rapiteleintheilung jogleid) vom Verfaſſer felbft gemacht worden ift,
der fie mehrfah im Texte erwähnt; zu Anfang des fieben und
zwanzigften (befjer: dritten) Kapitel8 im zweiten Bud, leſen wir
3. B. die Worte: „nachdem diejenigen die im vorigen Kapitel
nambaft gemacht find, vertrieben waren;“ vdesgleichen heißt es
Bub 3 Kap. 4: „wie im vorhergehenden zweiten Kapitel berührt
wurde.“ In Kapitel 12 des nämlichen Buches verweift der Ver—
faſſer auf das jechfte Kapitel zurüd u. dgl. m. Wer die Ereig-
niffe gleichzeitig nad) und nach niederjchrieb, würde ſeinem Werfe
ſchwerlich gleich eine jo fpecificterte Eintheilung gegeben haben.
Die Chronif reicht bi8 zum Jahre 1358). Ueber dieſes
1) Sp. 828 A. — 2) ©p. 852 D. — 3) Die Angabe des Handſchriftenkatalogs der
Münchener Bibliothek, daß der dort befindliche Coder der „Cortufiihen Chronik“ die Er—
zählung bis 1364 führte ift, wie mir auf Befragen gütigft mitgetheilt wurde, irrig. Die
Einleitung. 43
Jahr weift, ſoweit ich fehe, nichts Hinaus!). Auch läßt fich einer
Aeußerung des Autors entnehmen daß an eine erheblich ſpätere
Abfaffung nicht zu denken if. Nachdem nämlich der Heimkehr
Raifer Karls IV. von jeinem erften Romzug (1355) gedacht ift,
fügt der Verfaſſer Hinzu: „mas Gott in Zufunft durch ihn (Karl)
ausrichten wird, weiß nur er.” In diefen Worten treten wir
offenbar an die Schwelle der Gegenwart heran; mindeftens müfjen
fie vor dem zmeiten Erſcheinen Karls in Italien, 1368, ges
ſchrieben jein.
Hiernadh würde man aljo die Entfiehung des vorliegenden
Werkes um das Jahr 1360 annehmen müffen. Der Terfaffer
begann mit 1260 und führte die Chronik bis auf die Gegenwart
herab. Schon bald muß es ihm dann wünfchenswerth erfchienen
fein eine furze Echilverung der für Padua unvergeßlichen Zeit
des Ezzelino voranzuftellen, worauf vielleicht die „Eccerinis“ des
Aldertino Muffato nicht ohne Einfluß geblieben ift, mwenigftens
wird Diefelbe von unferem Autor in den einleitenden Kapiteln
citiert. — Daß der Eortufier von dem eigentlichen Anfang feiner
Erzählung (1310) an Zeitgenoffe ift, betont er, wie ſchon ange—
deutet wurde, ausprüdlih. Auch war er in Staatsgeſchäften thätig ;
er erwähnt zwei Geſandtſchaften, die er für feine Vaterſtadt unter:
nommen, eine im Jahre 1329 2), die andere un Jahre 1335 ?),
beivemal nach Verona an den Hof der Scaliger?). Ebenjo muß
er den einheimifchen Herrſchern, ven Garrarefen, nicht fern ges
ftanden haben, da er 3. B. einen Brief, den Ubertino da Carrara
aus Parma erhielt, im Wortlaut mitzutheilen vermag); des—
Handſchrift Ichliekt da wo aud die von Muratori benutzten Handihriften fchließen. —
1) Mit Ausnahme des in den älteren Handidhriften fehlenden neunten Kapitels des elften
Buchs (Tod des Jakobus post multos annos). Dieſes Kapitel aber, welches nur wieder—
holt was ſchon im fiebenten dargelegt wurde, ift zweifellos fpätere Zuthat. — 2) 842 E.
— 3) 869 A. — 4) Er Sprit an diefen Stellen von ſich, ohne feinen Namen zu nennen,
in der erften PBerfon. Darum kann der von ihm in der dritten Perſon als Richter und
Mitglied einer proviforiihen Regierung von Padua erwähnte Gulielmus Cortufius nicht
wohl der Berfaffer der Chronik fein. Doch wird man diefen Umftand faum als ein
Argument zu Gunften der Autorfchaft des Alberghetti vermerthen fünnen, da nichts gegen
die Annahme ſpricht daß gleichzeitig zwei Männer de3 Namens Gulielmus Cortufius
in Padua gelebt haben fünnten. — 5) 95 E.
44 Einleitung.
gleichen ſchon früher ein Billet des Cane grande an Marjiglio da
Garrara!). Aud ein wichtiger Staatsvertrag zwiſchen Berona
und Venedig ift ihm genau befannt ?).
Uebrigend zeigen die zahlreihen Einzelheiten und namentlid
die — oft bis auf ten Tag — genauen hronologiihen Angaben
die fi) von Anfang an in der Chronik des Gulielmo finden, daß
diefer wenigftend für die erften Partien des Werkes — um die ed
ſich für und bier allein handelt — ſchriftliche Aufzeichnungen,
wohl eigene Golleftaneen, vor fi gehabt habe. Geine chrono—
logifhen Angaben find für uns um fo wichtiger als Albertino
Muffato nur ausnahmsweiſe genaue Daten anführt. Ueberhaupt
bieten die Nachrichten des Gulielmo für die Zeit Heinrihs VII.
willfommene Ergänzungen zu Mufjato. Freilich ift jener über
die auferpaduaniichen Begebenheiten der Epoche nur mangelhaft
unterrichtet; fälſchlich erzählt er 3. B. daß Guido della Toore
dem König bis Aftt entgegengeeilt ſei; ebenfo wenig richtig ift
jeine Annahme von der Krönung Heinrichs in Monza (ftatt in
Mailand). Dod hat Gulielmo im weſentlichen nur die Ereigniffe
welche feine Baterftadt betreffen, berüdfichtigt und bier bietet er
namentlich deshalb eine erwünſchte Ergänzung zu Mufjato, weil
feine Darftellung und mande interefjante Streiflichter auf die
innere Lage Padua’s, die Parteiungen, Stimmungen und Anfichten
daſelbſt werfen läßt, während Muffato, mindeftend von dem Zeit-
punkt des Abfalls der Paduaner von Heinrich an, lediglich die
äußeren Kämpfe feiner Landsleute Ichilvert ?). Auch giebt es dem
Eortufier ein gewiſſes Webergewicht über den mitten in den That—
ſachen, die er berichtet, felbft ftehenden Muffato, daß er eine Reihe
von „Jahren jpäter ſchreibt und ſchon die weitere Entwidlung ber
Dinge kennt. Dur feine Darftellung zieht fid) ein entfchtedener
Tadel gegen die damals in Padua herrichende Partei. Herb
tadelt er ferner die Nachläffigkeit der paduaniſchen Beſatzung in
Bicenza, welche ſich hat überrumpeln und den Beſitz der wichtigen
1) 850. — 2) 896 ff. — 3) Einiges iiber die inneren Zuftände holt M. allerdings im
Anfang feiner „Geihichte Staliens nad) dem Tode Kaifer Heinrih3 VII.“ nad.
Einleitung. 45
Stadt fih aus den Händen winden laffen. Sodann aber ericheint
es ihm als ein großer politifcher Fehler dag man ſeitens Padua's
die abtrünnige Nachbarftadt jogleih aufs ſchärfſte überzogen und
fie jo genöthigt habe, fich dem lauernden Gegner in Verona in
die Arme zu werfen, eine gewiß richtige Bemerkung die fich Freilich
hinterher leichter machen ließ, als zu einer Zeit, da der Ausgang
der Sade fid) noch jeglicher Vorausberehnung entzog.
Die „Raifergefchichte” des Muffato ſcheint dem Cortufier bei
feiner Ausarbeitung nicht vorgelegen zu haben. Hätte er dies
Werk gefannt und herangezogen, jo würde er jchwerlich einen jo
iparfamen Gebrauch von vemjelben gemacht haben. Es findet fich
nämlich daß Kap. 18 Abſ. 2 des Kortufierd der Darftellung bei
Muſſato VI, 10—12 ziemlich ähnlich if. Auch Kap. 19 Abf. 3
und 4 correfpondiven im weſentlichen mit Mufjfato XIV, 9;
Rap. 20 mit XV, 1. Dod) geht die Uebereinftimmung nirgends
jo weit daß man nothwendig Abhängigkeit des einen von dem
anteren ftatuteren müßte. Der Cortufier giebt nur die allgemeinen
Umriſſe und hat überall Zufäge, die nicht aus Muffato entlehnt
jein fünnen. Auch Abweihungen von diefem fehlen nicht; jo giebt
Gulielmo in Kap. 18 Abf. 4, der im Ganzen Mufj. VII, 10
gegen Ende entipricht, den Auguft 1312 an, während Muffato
den Juli nennt. Ebenſo find fachlihe Abweichungen vorhanden
(3. B. im Betreff der Namen der Gefallenen) Cort. Kap. 20 und
Muſſ. XV, 1 x. Wo fi demnad; zwifchen beiden Werfen Ueber-
einftimmungen vorfinden, da find diefelben ſchwerlich durch Benugung
des Muffato beim Cortufier herbeigeführt worten, jondern fie er—
klären ſich aus der Erzählung der nämlichen Begebenheiten, ſodaß
fie ung um fo werthooller find und die Zuverläffigfeit beider
Schriftfteller in der Schilderung der paduanijchen ee
in um fo hellerem Lichte erſcheinen laſſen.
Für unfere Kunde über das Leben des Ferreto von
Vicenza, des jüngeren Zeitgenoffen des Muffato, find wir
ausſchließlich anf die Nachrichten angewieſen, welche feine Werke
46 Einleitung.
und gewähren‘)... Am Anfang des vierten Buches feiner Chronif,
da mo er zur Geſchichte Heinrichs VII. übergeht, bemerkt unfer
Autor, er verlaffe jest Die Zeiten die wor feiner Geburt lägen
oder die er als Kind durchlebt habe, um zu der Schilderung von
Ereignifjen zu gelangen welche der Zeit feines reiferen Alters an-
gehörten ?).
Weiter äußert er fich bet Gelegenheit der Befigergreifung von
Vicenza durch Cane grande (c. Merz 1312) dahın daß er über
den Verlauf diefer Begebenheit im Einzelnen nicht genügend unter-
richtet jet weil er damals kaum feine mannbaren Jahre erreicht
und noch im fnabenhaften Spiele den Ball geſchlagen habe 3). Noch
näher laßt uns fein Alter eine dritte Angabe beftimmen, der zu-
folge er zur Zeit der großen Seeſchlacht des Jahres 1298, in
welcher ſich Genua und Venedig maßen, fo jung geweſen fein will
daß er entweder überhaupt noch nicht habe ſprechen können oder
joeben der Ammenmilch entwöhnt zu Yallen begonnen habe *).
Danach wird alſo die Geburt unfered Autors etwa in das Jahr
1297 zu jegen jein. Ueber Ferreto's Herkunft und Erziehung
iſt nicht8 befannt, doch zeigen feine Schriften daß er eine gute
Bildung genofjen haben und frühzeitig mit den Alten bekannt ges
worden ſein muß. Zunächſt warf er ſich auf die Poefie: eins
jeiner Gedichte, welches den Tod des vicentinijchen Dichters Benve—
nuto Campefano beflagt, ift für und namentlich deshalb intereffant
weil es fih an Albertino Mufjato wendet und auf eine nähere,
wohl auch perjünliche Bekanntichaft des Autors mit dem Paduaner
ſchließen Laßt’). Später wandte fich Ferreto zur Geſchichtſchreibung,
die er, wie er in der von und mitgetheilten Vorrede zu feiner
Chronif bemerkt, für leichter als die Dichtfunft hält, wohl wegen
des Wegfalls der Profodie. Diefe Vorrede nimmt bereitS auf den
Tod des Mufjato Bezug, und zwar fcheint ed daß Ferreto nicht
zum wenigſten eben dur das Abjcheiden des Freundes, deſſen
1) Seine Chronik fowie die erhaltenen poetiihen Werfe bei Muratori SS. rer.
Ital. IX, 935 sqq. Vgl. Dönniges ©. 73. — 21. c. 1051 A. — Bol. unten. —
3) Mur. 1123 D. — 4) ib. 990 D. — 5) Mur. IX, 1187 sag.
Einleitung. 47
„Kaiſergeſchichte“ und ſonſtige Werke ihm theilmeife befannt waren,
veranlaßt worden ſei ſich nach jenes Muſter der Hiſtoriographie
in die Arme zu werfen. Er begann ſeine Chronik mit dem Jahre
1250; die erſten drei Bücher ſchildern die Zeit bis 1308, worauf
dad vierte und fünfte die Geſchichte Heinrichs VII. behandeln;
das jechfte Buch holt die gleichzeitigen Kämpfe in der Mark Treviſo
nad) und führt, vom fiebenten aufgenommen, dann die Gejchichte
Staliens bis zum Jahre 1318 fort. Hier bricht die von Mura—
tori benutste, einzige Handjchrift mitten im Sate ab. Wie viel noch
hier weggefallen ift, läßt ſich nicht erfennen !). Leider ift auch der
erhaltene Text dur Lücken vielfach entftellt.
Eine Hauptquelle unjere® Autors für die Darftellung der
Geſchichte Kaifer Heinrichs VII. bildet, wie von Dönniges zur
Genüge nachgewiejen worden ift, die „Kaiſergeſchichte“ des Mufjato,
welche dem Ferreto vom dritten bis zum achten Buche worgelegen
zu haben jceint. Die Erwählung Heinrichs, fein Walten in
Deutichland, feine Ankunft in Italien, die Mailänder Krönung
u. ſ. mw. erzählt der PVicentiner dagegen durchaus unabhängig von
der „Kaiſergeſchichte“, da er, wie er ausdrüdlid) bemerkt, ven Anfang
dieſes Werkes nur aus Erzählung Anderer kannte Wir Dürfen
ihm dies um fo eher glauben als er, wenn er gleich Mufjato nie
mit ausdrüdlichen Worten als feine Duelle bezeichnet, doch mehr-
fach feine Befanntihaft mit defjen Werke hervorhebt. Wäre e8
ihm aber darauf angefommen, wie Dönniges meint, die Abhängig-
feit jeiner Darftellung von der des Mufjato zu verhehlen uud zu
vertufchen, jo würde er fi) wohl gehütet haben geradezu auf
Yetteren zu verweilen und jeine Lejer gewiſſermaßen zur Heran—
ziehung des Geſchichtswerkes des Paduaners aufzufordern ?).
Bei der Erzählung von dem Abfall Bicenza’8 von Papua
nennt Ferreto ſich ſelbſt als Augenzeugen, Dann aber lenkt er in
1) Einige römische Handichriften des Ferreto, auf welche im „Archiv der Gejellihaft
f. ält. d. Geſchichtskunde“ V, 177 f. aufmerffam gemacht wird, find noch nicht näher
unterfucht worden. — 2) Das Nähere fiehe in meinem oben angezogenen Auflage „Zur
Kritif der Hist. aug. des A. Muſſato.“
2
48 Einleitung.
das Fahrwaſſer des Muſſato ein, deſſen viertes und fünftes Buch
er faſt vollſtändig in ſeine Darſtellung aufnimmt. Daneben finden
ſich eigene Zuſätze des Ferreto, und auch ſonſt bietet ſein Werk
eine Fülle von Nachrichten die ſich auf keine uns bekannte Quelle
zurückführen laſſen. Beſonders mache ich auf die Darſtellung der
Ereigniſſe in Rom während Heinrichs Anweſenheit daſelbſt auf-
merkſam, wofür der Vicentiner unſere ausführlichſte Quelle iſt.
Die Darſtellung Ferreto's zeugt von nicht geringer Fertigkeit.
Seine Sprache iſt verhältnißmäßig rein und gewählt; der Perioden=
bau, namentlich im Vergleich mit dem ungelenfen Mufjato, gewandt
und ſachgemäß; auch iſt Ferreto Tetterem in der Anordnung des
reihen Stoffe® bei weitem überlegen. Dagegen tadeln bereit8
ſowohl Muratori als Dünniged mit Recht eine wenig glücliche
Geziertheit des Ausdruckes, mie die Bezeichnung der Florentiner
als Fäfulaner, Vicenza's als Cimbria u. |. wm. Mit nicht ge
ringerer Berechtigung wird von gleicher Seite dem Ferreto fein
herbes einfeitige8 Urtheil und der von der Sache felbft Losgelöfte,
gar zu allgemeine Maßſtab, den er an die Ereigniffe legt, zum
Vorwurf gemacht. „Nicht ein taciteifcher Schmerz ſcheint ihn zu
herben, ja ungerechten Ausiprüchen zu verleiten, jondern ein manch—
mal Eleinlicher unzufrievener Sinn, deſſen Befangenheit man auf
den erften Blick erkennt.“
Ueber das fernere Leben und den Ausgang des Ferreto liegen
ung feinerlei Nachric;ten vor; Muratori läßt jener Ausgabe eine
Rede folgen, in der ein Ungenannter die Hochzeit eined Daniel de
Ferreto feiert; diefer Daniel wird ein Sohn des Jacobus genannt,
welcher wieder ein Sohn oder Enkel des Geſchichtſchreibers Ferreto
fein 109).
Schon wegen der Entlehmung eined nicht geringen Theiles
feiner Nachrichten aus Mufjato war es geboten, die Erzählungen
Ferreto's über Die Zeit und die Thaten des Lützelburgers hier
nicht vollftändig wiederzugeben. Ich habe Folgende Auswahl ges
1) IX, 1189 sq.; ef. 939.
Einleitung. 49
troffen: Nach Voranftellung des wichtigeren Theild der allgemeinen
Borrede wurde die Geſchichte der Wahl Heinrih8 und feines
Wirkens im Reich bis zum Romzug (mit Auslaffung ver jehr
verworrenen Erzählung von der Erwerbung Böhmens), ſodann
die Vorbereitung der Romfahrt, die interefjante Schilderung von
dem Zujtand Italiens in diefer Epoche, Heinrichs Erfcheinen jen>
jeit8 der Alpen und erfte Erfolge bis zur Krönung in Mailand
wiedergegeben !). Der Bericht vom Mailänder Aufftand £onnte,
obwohl er nit auf Mufjato beruht, fortgelaffen werden, da er
ziemlich ungenau und offenbar ohne eingehende Kenntnis der Ver-
hältnifje gejchrieben ift. Dagegen findet die Erzählung vom Ab-
fall Vicenza's hier Plag ?), ebenjo, nach Weglaffung der weſentlich
aus der „Kaiſergeſchichte“ entlehnten Partien, die Epifode des
Johannes PBarrieida, der fih in Genua dem König zu Füßen
warf;?) jodann die von Muffato mit einem furzen Wort abges
machten Begebenheiten in Pija *), die unmittelbar zur Schilverung
des Mariches des Königs nad) Rom, feiner Ankunft dafelbft und
‚der Geftaltung der Dinge in der ewigen Stadt hinüberleiten >).
Die Kämpfe in Toskana, welche namentlich von den einheimiichen
Geſchichtſchreibern eingehend geſchildert find, fonnten fortbleiben,
jodaß dann nur noch erforderlih war den Ausgang des Kaiſers
mitzutheilen 6), wobei Terreto die ausführlichfte und detailliertefte
Krankheitsgeſchichte Heinrichs bietet. Die Kämpfe in der Mark
Trevifo, welche uns im ſechſten Buche, von der Belizergreifung
Cane's in Vicenza an, gejchildert werden, find unberüdfichtigt ge-
blieben; wennſchon die Vergleihung mit den Berichten Muſſato's
nicht ohne Intereſſe gewejen wäre, jo haben dieſe Begebenheiten,
Die doch nur mittelbar mit der Geſchichte Kaiſer Heinrichs zu=
jammenhängen, beveit3 durd) den Paduaner eine jo ausführliche
Darlegung erfahren, daß anderweitige eingehende Schilderungen
derjelben Ereigniffe von dem Leer ficherlich nicht vermißt werden. —
1) Mur. 1051—1060, — 2) ib. 1065—66. 1068— 70. — 3) ib. 1093. — 4) 1094—1098.
— 5) 1098—1109. — 6) 1114—1118.
Geſchichtſchreiber. Lg. 67. Leben Heinrichs VII. 4
50 Einleitung.
An vierter und letzter Stelle ericheint hier Johannes de
Cermenate, nad Leo's Urtheil einer der naivſten und vortreff-
lichften Geſchichtſchreiber Italiens !). Einem matländifchen Gejchlechte
entſproſſen, verſah Johannes in jeiner Vaterſtadt das Amt eines
Notare, doch war er aud in Staatsgeſchäften thätig, wie er denn
im Jahre 1312 das Eyndifat, einen der höchften Vertrauenspoften,
zu Mailand bandhabte. Gelehrte Bildung zeichnete ihn aus; nad)
jeinen eigenen Berichten hat er fich mit der altelaffiihen Literatur
eingehend befaßt. Als aber einem leuchtenden Meteore gleich König
Heinrich der Lügelburger in Italien erſchien, jih in Mailand die
eiferne Krone aufs Haupt fette, den mächtigen Gebieter der Lom—
bardiihen Hauptftadt Guido della Torre ftürzte und zum heimath-
loſen Flüchtling machte, ganz Italien von den Alpen bis zum
Pharus in fieberhafte Aufregung verfette, die Idee des Kaiſerthums
nad) langem Schlummer wieder ermedte und in ſich verförperte:
da genügten unferem Mailänder jeine gelehrten Studien nicht
mehr; ed ſchien ihm unwürdig in einer ſolchen Zeit jih auf die
Durchforſchung fremder Geiftegerzeugnifie zu beichränfen und er
fühlte den. Trieb etwas Eigenes zu Ihaffen und ven fpäteren
Generationen ein Denkmal der großartigen Ereignifje, deren Zeit-
genofje und Augenzeuge er war, zu hinterlafien. In dieſem Ge—
danken griff er zur Feder: ein paar einleitende Kapitel ſkizzieren
furz die großentheil® fabelhafte Vorgeſchichte Mailands auf Grund
der damals üblichen Weltchroniken: doch ſucht der Autor ſchnell zu
feinem eigentlichen ©egenftande zu fommen, da er mit jolden
Schilderungen entlegener Zeiten und Ereigniffe die Leſer zu lang—
weilen fürchtet.
Dom jehften Kapitel an beginnt unfere Uebertragung, welche
den Autor bis zur Erzählung vom Tode des Kaiſers (Kap. 64)
wiedergiebt. Die Schlußkapitel 65—68, welche hier mwegbleiben,
ſchildern lediglih die Unternehmungen der durch Heinrichs Hin-
ſcheiden ermuthigten Guelfen wider Mailand. Ta der Autor
1) Bl. Dönniges ©. 89 ff.
Einleitung. 51
im Anfang des 67ſten Kapitels von den Jahren 1313 und 1314
als bereits hinter ihm liegenden ſpricht, ſo kann ſein Werk nicht
vor 1315 abgefaßt worden fein; doch entſtand es auch nicht weſentlich
ſpäter, denn im Kap. 25 wird Caſtone della Torre, welcher bereits
1316 den Patriarchenſtuhl von Aquileja beſtieg, noch als gegen—
wärtiger Erzbiſchof von Mailand bezeichnet, Daß Cermenate in
Einem Zuge geſchrieben habe, wird durch die ganze Anlage des
Werkes von Anfang an erwieſen. Auch weiſt er z. B. am Ende
von Rap. 13 auf ſpätere Ereigniſſe voraus. — Unſer Autor
ſchreibt alſo als Zeitgenoſſe und für die Ereigniſſe in Mailand,
wie er in ſeiner Vorrede zu betonen nicht verſäumt, als Augen-
zeuge. Wo er aber von den Thatſachen und Ereigniſſen, die er
ſchildert, nicht genau und authentiſch unterrichtet iſt, da ſchiebt er
gewiſſenhaft ein „ſoll“, „wie ich vernehme“ und ähnliche Aus—
drücke ein; zuweilen geſteht er auch unverhüllt daß er etwas nicht
ſicher wiſſe, nicht habe in Erfahrung bringen können.
Cermenate zeigt ſich von dem göttlichen Rechte des Kaiſers
und der Nothwendigkeit des Weltkaiſerthums durchdrungen; mehrfach
tadelt er die Vorgänger Heinrichs, welche es verſäumt haben den
Pflichten ihres Berufs ſich zu unterziehen und der Kaiſerkrone ent—
gegenzueilen. Die Deutſchen ſelbſt freilich liebt unſer Autor keines—
wegs, waren gleich ſeine Landsleute zu jener Zeit zweifellos weit
blutdürſtiger und rachgieriger als die Deutſchen, ſo wirkten die
plumpen Manieren der Ritter und Landsknechte, ihre Wolluſt und
Plünderungsgier doch auf die Italiener ſehr abſtoßend, wie
neben vielen anderen auch unſer ehrlicher Mailänder beweiſt.
Derſelbe iſt außerdem ſehr empfindlich über den Umſtand, daß die
Deutſchen auf die Italiener verachtend herabſchauen; dieſe Ueber—
hebung, ſo deduciert er etwas wunderlich, ſei die eigentliche Urſache
der langen Verwaiſung des kaiſerlichen Thrones, indem nämlich
des Deutſchen ungeſtümes, unzuverläſſiges Gebahren den Italiener,
den alten treuen Wirth des kaiſerlichen Hoflagers, jenem entfremdet
habe. Man ſieht, Cermenate fühlt ſich als Italiener; ganz be—
ſonders aber iſt er für die Herrlichkeit und Macht ſeiner Vaterſtadt
4*
52 Einleitung.
begeiftert. Sein lebhaftes Gefühl für die glänzenden Zeiten des
republikaniſchen Mailands macht ihn zum erbitterten Feinde Guido's
della Torre, deſſen herriſches Auftreten den Tyrannen nur allzu
deutlich durchblicken ließ. Halb humoriſtiſch, Halb ingrimmig
ſchildert Cermenate den Guido im Lichte eines aufgeblafenen, nahezu
wahnmitigen Deöpoten, wie er im Vorgefühl des Zuſammenbruchs
feiner ufurpierten Herrihaft ruhelos angftgequält von der unter=
würfigen zitternden Höflingsſchaar umgeben die weiten Hallen feines
Palaftes durchirrt, wie er weder mannhaft zu widerftehen noch fich
aufricgtigen Herzens zu unterwerfen meiß, ſodaß ihn fein herbes
Geſchick nicht unverdient trifft. Auch das Leben des föniglichen
Vikars von Mailand, des Niccolo de? Buonfignori, wird voll
Unmuth geſchildert; denn wie darf ſich ein Tuscier, ein vertrie—
bener Sanefe und banferotter Kaufmann, herausnehmen der
ambrofianifchen Stadt feinen Willen zum Geſetz machen zu
wollen? — Auch über die Grenzen der Lombardei hinaus begleitet
die Erzählung Cermenate's den König; namentlic werben Die
Kämpfe vor Florenz mit einiger Ausführlichfeit gefchilvert, wenn—
gleich das Hauptgewicht auf der Darlegung der lombardiſchen Ber:
hältniffe vuht. Die wichtigften Vorgänge hier, jelbft nach dem
Abzuge des Könige, z. B. die Einfegung Werner von Homburg
als Statthalter, der Tod des Gulielmo Cavalcabö, die vereitelte
Unternehmung der Guelfen wider Piacenza und die Gefangennahme
des Grafen Filippone da Langosco, werden anſchaulich und ein-
gehend berichtet. Auf einige thatſächliche Irrthümer unferes Autors
macht Dünniges Seite 90—93 aufmerkfjam 9. Aud er aber ver—
fennt nicht wie trefflih und unſchätzbar die Aufzeichnungen unſeres
Mailänders im Großen und Ganzen find. Schon die prächtige,
an den Alten gebilvete Sprache erfreut um jo mehr, je jeltener
wir fie noch in diefer Epoche finden; auch die Kunft der Darftellung
ift nicht gering anzuſchlagen. Mit dramatiicher Anſchaulichkeit
werden und manche Scenen vorgeführt; die Geftalten des Guido
1) Uebrigens folgt Dönniges in feiner Auffaffung von dem Mailänder Aufftande der
Darftellung des Nicolaus von Butrinto viel zu meit.
Einleitung. 53
und Maffeo treten ung fürmlich plaſtiſch entgegen; die eingeftreuten Reden
zeichnen, ohne den Anſpruch auf Authenticität erheben zu fünnen,
doch die Situation aufs Trefflichjte. Cermenate's politiicher Stand»
punft wird, wie ſchon angedeutet, dadurch charakterifiert, Daß er von
dem Kaifer das Heil für alle Melt und im Spectellen die Hetlung
der Schäden, an denen Italten krankt, erwartet. Er ıft durchaus
Ghibelline, ohne daß er fich freilich deshalb zu Berunglimpfuns
gen der Guelfen, zu Verkleinerung oder Bemäntelung ihrer
Unternehmungen und Erfolge verleiten läßt. Andererfeits iſt auch
feine Zeichnung des Maffeo Bisconte nicht ausſchließlich mit lichten
Farben ausgeführt; gerade Germenate weift deutlicher als irgend
ein. anderer gleichzeitiger Autor auf die Mitſchuld des Bisconte
an der Erhebung der Torrianen wider den König hin. Im
Sahre 1315, als unfer Autor fchrieb, konnte ihm ſchwerlich ver-
borgen fein, daß Mailand bei Gelegenheit des Sturzes Guido's
und der Erhebung Maffeo's nur feinen Herrn gemechjelt habe;
darum geht denn auch durch feine Darftellung die Klage darüber
daß feine Landsleute, entartet und ihrer großen Voreltern unmürdig,
das Gefühl für die Freiheit eingebüßt haben.
ALS Syndikus der Stadt erjchten Cermenate 1312 vor dem
Oberſtatthalter Grafen Werner von Homburg. Ob er fpäter noch
eine einflußreiche Role in Mailand gefpielt, wifjen wir nit; nur
icheinen namentlich) die letzten Kapitel auf ein nahes Berhältnis
des Autors zu Francesco da Garbagnate, dem Vertrauten Des
Maffeo, fchließen zu laffen. Die einzige pofitive Notiz aber, die
wir aus fpäterer Zeit über ihn Haben, findet ſich bei dem Mailänder
Chroniften Galvaneus della Flamma, der unter den Chroniken,
aus welchen er feinen Manipulus Florum zuſammengeſetzt, einige,
Darunter den Livius, von Johannes de Cermenate entlieh, wie er
im Anfang feines mohl erft nah 1336 gefchriebenen Werfes
notiert 2). Hiernach wiirde Cermenate die Zeiten Heinrichs VII. noch
mindeſtens um ein Bierteljahrhundert überlebt haben.
1) Muratori XI, 539.
54 Einleitung.
Der Ueberjegung des Germenate ift der Drud Muratori's)
zu runde gelegt. Leider ift der Text erheblich verftümmelt. Die
Schilderung des Einrückens Heinrih8 in Italien bis zu
jeinem Erjcheinen vor Mailand jowie der Ereignifje in Rom
während der Anmejenheit des Königs dafelbft ſammt der Kaiſer—
frönung etc. iſt ausgefallen. Die erftere Lüde vermögen wir
freilich mit einiger Zuverfiht aus der Chronit von Monza, welche
Bonincontro Morigia um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderte
abfaßte, aufzufüllen, weil diefer Chronift (ſoweit nicht feine Vater—
ftadt Monza im Mittelpunkt ver Darftellung fteht) in dieſen
Partien ſeines Werkes den Cermenate nahezu wörtlich auszuſchreiben
liebt ?2). Ueber die Ereigniffe in Rom dagegen giebt Morigia leider
nur ganz dürftige Nachrichten, fer e8 daß ihn dieſe fernliegenden
Dinge wenig intereffierten oder daß fein Mailänder Gemährs-
mann ihm nichts Ausführliches darbot. — Audy der jchon er—
wähnte Galvaneus della Slamma, ein mailändiſcher Predigermönd,
ichreibt den Germenate aus 8), doch verfährt er jo ſummariſch, daR
er zur Ausfüllung der Lücken dieſes Autors nicht zu verwenden ift.
Ueber die äußere Einrichtung der nachſtehenden Bearbeitungen
ift furz folgendes zu bemerken: Die Ueberjegung ſucht dem Original-
text jo nahe zu kommen wie dies ohne Vergewaltigung des deutſchen
Sprachgebrauchs zu erreichen fteht; auch ſprachliche und ſtiliſtiſche
Eigenthümlichfeiten des betreffenden Autoren werden möglichſt be-
rüdfichtigt. Die unter den Text gefegten erflärenden Anmerkungen
find anf das geringfte Maß bejchränft worden; es kann nicht die
Aufgabe des Ueberfegers fein zu tem Texte, den er bietet, einen
fortlaufenden Commentar zu liefern, jondern er hat fein Augenmerf
nur auf folgende Punkte zu richten: erſtens ift der Leſer durch an
geeigneten Stellen anzufügende Notizen furz in die allgemeine Sach—
lage, um die e8 ſich handelt, einzuführen und mit den wichtigften
Perfonen gleichjam befannt zu machen; zweitens find alle Aus-
1) Seriptt. rer. Itai. IX 1225 sqgq. — 2) Gedrudt bei Muratori 1X 1061 sqq. —
8) Mur. IX 720-728. |
Einleitung. 55
drüde,. ‚Namen etc, die nicht ohne Weiteres verſtändlich find, zu
erläutern, und endlich drittens ıft da, wo der Autor, der zu der
Zeit da er jchrieb vieles als allgemein bekannt betrachten Konnte,
was heutzutage nur durch ein mehr oder minder eingehendes
Studium der betreffenden Epoche zu lernen ift, allzufchnell über
einzelne Ereigniffe etc. hinwegzugehen ſcheint, ergänzend nachzuhelfen.
Insbeſondere bin ich bemüht geweſen mit Herbeiziehung der mir
zugänglichen Karten und Lexica die italienischen Ortsnamen,
welche bei unjeren Autoren in reicher Fülle ericheinen, feflzuftellen. —
Die Eigennamen, geographiſche wie Perfonennamen, find in ver
Form gegeben morden wie fie der Originaltert bot; nur jchien es
gerechtfertigt ſowohl die deutjchen Perfonennamen ald aud) die und
in einer deutſchen Form geläufigen italienischen Städtenamen etc.
in dieſer darzubieten (4. B. Mailand, nicht Mediolanum); bei
allen übrigen wurde da, wo die lateinische Namensform nicht all
gemein befannt und verſtändlich ift, die bei uns übliche in einer
Note Hinzugefügt.
I.
Des Albertinns Muſſatus Kaiſergeſchichte
oder
Geſchichte Kaiſer heinrichs VII.
Vorrede.
Nachdem ich reiflich bei mir erwogen, ob ich es unternehmen
ſollte, Deine hehren Thaten zu beſchreiben, Cäſar Heinrich VII.,
allezeit Mehrer des Reichs, habe ich endlich nach langem Streit
zwiſchen Vernunft und Verlangen meiner Begierde nachgegeben.
Die Vernunft nämlich hielt mir Deine Erhabenheit und die Größe
Deiner Thaten vor, denen der Schmuck meiner Worte und Wen—
dungen entſprechen mußte, da es unziemlich erſcheint eine Geſtalt
von ausgezeichneter Schönheit in ein verblichenes, beflecktes Gewand
zu hüllen, und weil unſinnig iſt, wer aus ſandigem Flußbett klares
Waſſer durch kothige Rinnſale in eine trübe und ſchmutzige Lache
hinüberleitet. Aber die dreiſte Anmaßung, welche in unſerer Zeit
an der Tagesordnung iſt und — eine ergebene Sklavin der Be—
gierde — dem Einzelnen wie der Geſammtheit nichts, was von
ihr verlangt wird, verſagt, leiſtet meiner Verwegenheit, ein ſo
großes Werk zu planen und zu ſchreiben, Vorſchub. Ja, die
Vernunft, dem Wunſche gehorſam, läßt mich ſogar hoffen, daß,
gleichwie Du überhaupt die Sitten der Italier erhoben, Du ſo
auch meiner rauhen und plumpen Schreibart abhelfen und dann
als einen Gegenſtand des Neides, nicht aber der Geringſchätzung für
die würdigen Aufzeichner Deiner Thaten !) mein Werk in die Welt
1) So wenig Muffato ernfthaft an eine VBerbefferung der Chronik durch den Kaiſer
dachte, der, als dieſe Vorrede entjtand, fchon tot war, ebenfo wenig hat der Autor hier
beftinnmte Hiftoriographen HeinrihS im Auge; von folhen, auf die diefe Benennung
Anwendung finden würde, wiſſen wir nichts. Im Lateinifchen ift hier ein Wortfpiel
verfucht: rerum tuarum magnis non invisa, sed potius invidiosa scriptoribus.
60 Vorrede.
gehen Lafjen wirft. Gewiß, Du wirt dad thun und es fogar für
wünfchenswerth erachten; denn tft mein Buch gleich ungefchlacht
und weit entfernt von der holden Anmuth des Pataviniſchen Alt
meifter8 1), fo befchreibt es doch, jo gut e8 num eben vermag, unter
welchen Verhältniſſen und durch welche Eigenjchaften Du das Reich
erlangt und in Krieg und Frieden gemehrt haſt. — Wenn aber
bet. der Schilderung fo vieler und mannichfaltiger Kriege und
fonftiger Ereignifje Dein und der Deinen Ruf nicht immer unan—
getaftet und frei von Tadel bleibt, jo möge das Deine geheiligten
Ohren nicht verlegen, denn, wie es Frevel wäre zu behaupten, daß
Du die Abficht gehabt hätteft zu täufchen, jo folgt, wenn Du nur
zugiebft daß Du ein Menſch bift, daraus, daß Du Dich jelbft
täuſchen konnteſt. — Auch ganz befannte Thatfachen, die durch
Viele bezeugt find, hielt ich nicht für überflülfig aufzuzeichnen, da=
mit ihre Webergehung nicht die unmandelbare Wahrheit beein-
trächtige. Wie fi) dies aber verhalten möge, hohe Freude wird
mich erfüllen, wenn Du gegen mein geringes Talent Nachjicht üben
und meiner Arbeit das Lob ſpenden wirft, welches fie beanipruchen
darf, da fie Did, wie Du e8 mit göttlicher Hilfe verdient haft,
den hehren Namen der Weltherricher zurechnen und an die Seite
ftellen will.
1) 3. Living, der zu Padua geboren it.
Erftes Bud.
1. Heimath. Yüselburg ift eine Stadt an der Grenze
zwiichen den Franken und Germanen. Sie hat ihren Namen von
der Unfruchtbarkeit des Bodens; denn „lützel“ in der deutſchen
Sprache bedeutet „ärmlich“ oder „Klein“, und „Burg“ iſt jo viel
als „Caſtell“.
2. Geſchlecht. Das Geſchlecht der Grafen von Lützel—
burg ) ift edel und führt feinen Ursprung weit zurüd auf Männer,
Die ſich durch kriegeriſche Tüchtigfeit Ruhm erwarben. Bon ſolchen
Borfahren ftammte Heinrih ab, der, als fein Vater und zwei
Brüder defjelben im Kriege gegen die Grafen von Brabant um:
gefommen waren (die Oheime fowie zwei Halbbräder derjelben
fielen im Kampfe, der Vater gerieth Iebend in Gefangenfchaft,
wurde aber, obwohl er, in der Hoffnung fi Losfaufen zu können,
ein hohes Löſegeld bot, niedergeftogen und die Leiche in den nächften
Fluß geworfen) ?2) — mit feinen drei Brüdern 3) übrig blieb und
als Exftgeborener nach galliſchem Recht das Haupt der Familie
wurde.
1) Siehe die Stammtafel des Haufes Lügelburg in der Beilage. — 2) In der blutigen
Schlacht von Worringen 5. Juni 1288 fielen die Brüder Heinrich IV. und Walram von
Lützelburg. Es handelte fih in dem Kampfe um Limburg, welches nad) dem Tode
Ermefindens 1282 Graf Adolf VI. von Berg ihrem Gemahl Grafen Rainald I. von
Geldern ftreitig machte (j. die Stammtafel in der Beilage). Adolf verfaufte jein Recht
an Herz. Johann I. von Brabant, Rainald verzichtete zu Gunften der Grafen von Lützel—
burg. In Folge der Schladht fiel Limburg an Brabant. — 3) ES waren im Ganzen
nur drei Brüder, wenigitens ift fein vierter nachzumeifen.
1288
62 Erſtes Bud).
— 3. Heinrichs Weſen und Walten. Weithin erſcholl
der Ruf des Jünglings, der von Tag zu Tage durch rühmliche
Thaten ſeinen Ruhm mehrte und Alles, was ihm oblag, ebenſo
beſonnen als wacker ausführte. Sp groß war ſeine Gereditigfeitö-
liebe, daß der Kaufmann ſowie jeder Reiſende was für Güter er
auch mit ſich führen mochte, im Lützelburgiſchen Gebiet ſich der
größten Sicherheit erfreute und, ſelbſt wenn er ſein Nachtlager im
Walde oder in einſamer Gegend aufſchlug, keiner Bewachung für
ſeine Laſtthiere und Güter bedurfte. Im Gericht fand man ihn
unerbittlich gegen Räuber und ſonſtiges ſchädliche Geſindel; er
gab von ſeinem eigenen Gelde her, wenn Jemand durch Diebſtahl
oder Raub offenkundigen Schaden erlitten hatte. — Noch als
ER Süngling führte er die jugendliche Magaretha, eine Tochter des
. Herzogs von Brabant, als Gattin heim und zeugte mit ihr als
1296 erftgebornen Johann. — Als die Einwohner von Trier ihm ges
Aug. 10. wiſſe Abgaben und die üblichen Ehrengefchente an das Haus Lütel-
burg vorenthielten überzog er fie mit Krieg, umjchloß mit Unter:
ftügung der ummohnenden Fürften und feiner Freunde Trier, welches
unter den deutſchen Städten dieſſeits des Aheines!) einen hoben
Rang einnimmt, und zwang die Bürger zur Erneuerung des alten
Vertrages über die Ehrengefchenfe. ALS der erzbiſchöfliche Sit von
Trier, an welchen eine Stimme bet der Erwählung des römtjchen
Königs haftet, erledigt ward ?), bemühte fich Heinrich die Würde
1302 für feinen jüngeren Bruder zu erlangen und mußte gewandt jeinen
1307 Zweck zu erreichen). Durch folhe und andere bemerfenswerthe
TIhaten gewann er großes Anfehen und hohen Ruhm unter den
Fürften; aud nahm er zu an Macht und Allem was bei Fürften
und VBornehmen von den Sterblicyen gepriefen wird.
4. Königswahl Als nun der Thron des Herren der
Welt erledigt ward?) und es fih um die Wahl eined neuen
1) Diesjeit, nämlih vom Standpunkte des Lützelburgers aus. — 2) Durch den Tod
Dietrich III. von Naſſau + 1397 Nov. — 3) Balduin Erzbifhof von Trier, gewählt
7. Dec. 1307, 7 21. Januar 1354. — 4) In Folge der Ermordung König Albrehts T.
am 1. Mai 1308 durch feinen Neffen Herzog Johann (Parricida) von Schwaben und „
Defterreic.
Königswahl. 63
Herrſchers handelte, da traten die Fürſten, welchen nad den Ge—
jegen des Reiches das Wahlrecht verliehen war!), zufammen.
Unter ihnen faßte der Biſchof von Mainz, der zu dem Haufe
Lügelburg in einem Treuverhältnis ftand 2), im Einverftändnts mit
dem Trierer die Wahl Heinrichs ind Auge, Doch hielt er jo lange
an fih, bis die übrigen Wähler, welche, wie er vorher wußte,
unter jih uneind waren, ihre Pläne und Entwürfe an den Tag
legen würden. Endlih, nahdem man faſt drei Tage lang ver:
handelt hatte, viele Namen in Vorſchlag gebracht waren und die
Gemüther ſich erhisten, ſodaß es zu Zwiſtigkeiten zu kommen drohte,
ſchritt man zur Abſtimmung. Als man dann das Ergebnis der
Wahl, welche der Gewohnheit gemäß eine geheime geweſen war,
betrachtete, da zeigte es ſich daß Heinrich vier Stimmen auf ſich
vereinigt hatte; nämlich außer den beiden Erzbiſchöfen von Trier
und Mainz, die von vorne herein darauf ausgegangen waren,
ſtimmten zwei andere für Heinrich aus Gehäſſigkeit gegen die
übrigen Wähler, und nicht ſowohl deshalb weil ſie Heinrichs
Wahl wünſchten, als weil fie den anderen Bewerbern abhold waren.
"Mag e8 fih aber jo verhalten haben oder mögen wir bier ftatt
menſchlicher Pläne das Walten der Gottheit erkennen wollen: genug,
Heinrich wurde zum „Kaiſer der Römer und allezeit Mehrer des
Reichs“ ausgerufen, indem nun auch die übrigen Wähler hinzu:
traten ?). — Als ſich die Nachricht von feiner Wahl durch Deutfch-
1) Dauernd geregelt wurde das Wahlrecht erft durch die f. g. Goldene Bulle Kaifer
Karls IV. im Jahre 1356, — 2) Peter von Afpelt 1306—1320, vorher feit 1296 Biſchof
bon Bafel. Welcher Art das Verhältnis zwifhen ihm und dem Litelburger, auf das
Muffato bier anjpielt, war, wird don anderen zeitgenöſſiſchen Schriftitellern nicht be—
‚richtet. Spätere erzählen, Peter ſei der Leibarzt Heinrichs geweſen, doch ift das ſchwer—
lich richtig; völlig fagenhaft aber ift die Erzählung, Peter fei im Jahre 1306 von
Heinrih nah Avignon gefandt worden, um fir Balduin das Erzbistum Mainz zu er-
bitten, und habe damals den kranken Papſt geheilt, der ihm deshalb das Erzitift ſelbſt
ertheilt Habe. Vgl. 5. Heidemann, Peter von Afpelt als Kirchenfürft und Staatsmann
(Berlin 1875). — 3) Diefer Beriht Muffato’s iiber die Königswahl Heinrichs von
Lützelburg ift nichtS weniger als zutreffend. Der Verlauf war in den Sauptziigen fol-
gender: Zuerjt ſuchten Seinrih und Balduin nicht ohne Erfolg Kurköln zu gewinnen,
welches allerdings im Anfang der Candidatur eines franzöfifchen Prinzen zuneigte; weiter
wurde Kurmainz herangezogen, welches den Pfalzgrafen zu gewinnen fuchte, während
Brandenburg und Sachſen ihre Stimmen von Kurföln abhängig gemncht hatten. Die
1303
—
64 Erſtes Buch.
Yen land verbreitete, erregte fie an manchen Orten große Berwunderung,
und fand erft Glauben, als offene Schreiben und Erlaſſe aus—
gingen, welche allen Provinzen das Gefchehene fündeten. Die Ver—
wunderung aber war nicht unbegründet, denn jene höchfte Würde
pflegte nur den heroorragendften der deutichen Fürften zu Theil zu
werden !). Und munderbar ift e8 in der That, daß, je bejcheivener
Heinrichs Anfänge waren, er um jo ſchneller feinen Flug zum
Erhabenen nahm, wober ihm, menjchlih zu reden, Natur und
Glück beiftanden, während wir Doch nicht leugnen wollen daß nad
Gottes Winf und Willen in der Höhe Alles vor fic geht.
5. Drdnung der deutſchen Angelegenheiten. Mit
dem föniglichen Titel geſchmückt, ward Heinrich unter bereitwilliger
Beipflihtung aller Fürften, unter dem Jubelgeſchrei des Volkes
und dem freudigen Beifall der Prälaten zum kaiſerlichen Site 2)
geführt. Gern beugten fich feiner Herrihaft die Völker diefjeit
und jenjeit des Rheines, und alle deutjchen Männer eilten herbei
zu ihm als dem fichtbaren Träger der kaiſerlichen Hoheit.
6. Anläſſe des Zuges nad Italien. Sobald Heinrich
die Angelegenheiten Deutjchlands und des fernen Nordens bis zum
Weltmeer hin?) geordnet hatte, wandte er fein Augenmerk auf
größere Dinge, Da gewichtige Gründe ihm jagten daß er im Stande
ſei das Kaiſerthum, deſſen feit langen Zeiten die Welt entwöhnt
war®), zu neuem Leben zu bringen. Da er aber erwog, daß er,
Kurftinnme von Böhmen war beftritten und fam niet in Betradt. Unter diefen Um—
ftänden hatten "einige anderweitige Abmachungen weltlicher Fürften feine Bedeutung, und
zwar um fo weniger, da fie im Grunde felbit es den geiftlihen Wählern überließen den
Ausſchlag zu geben, und jo wurde Heinrih von Ligelburg am 27. Nov. 1308 zu Frank—
furt nad) Furzer Berathung einftimmig zum römischen König erwählt. Val. insbeſondere
B. Thomas, Zur Königswahl des Grafen Heinrih von Luremburg im Fahre 1308
(Straßburg 1875). — 1) Dies trifft für jene Zeit faum mehr zu, denn ſchon 1273 war
Graf Rudolf von Habsburg, 1291 Graf Adolf von Naffau zum König erwählt worden. —
2) Nach Nahen, dem alten Site Karls des Großen, wo am 6. Januar 1309 Heinrichs
Krönung erfolgte. — 3) Dies ift lediglich Phrafe. Heinrich, deffen Blick fi) bald gen
Süden wandte, hat in die Verhältniſſe Norddeutjchlands, gefchtweige denn der nod) nörd—
Yiheren Länder, nirgends tiefer eingegriffen. — 4) Die letzte Kaiferfrönung vor Hein—
rich VII, diejenige Friedrich II. des Staufers, erfolgte am 22. November 1220. Frieds
rich II, jtarb am 13. Dec. 1250, nachdem ihn im Jahre 1245 Papft Innocenz IV. und
das Eoncil zu Lyon für abgefegt erflärt hatten. -
Anläffe des Zuges nad) Stalien. 65
um dies auszuführen, in erfter Linie die beiden Kronen!) er= 1308
langen müſſe, jo faßte er den Plan Italien aufzufuchen 2). Die
meiften Gemeinden von Italien hatten, wie Heinrich wußte, viele
Bürger in die Verbannung getrieben in Folge der Streitigkeiten
unter den Angejeheneren und der Trennung in zwei Parteien, deren
eine, die fi) auf die Kirche ftügte, ſich als die der Guelfen, die
andere, welche ihren Halt beim Reiche juchte, als die der Ghibellinen
bezeichnete ?).
Einige — namentlih unter den lombardifchen Städten —
hatten überdies Gewaltherricher bei ſich auffommen laſſen und lagen
in Folge von Berbannungen oder ſchweren Bedrüdungen ſeit langer
Zeit darnieder. Es ſchien Heinrich unter diefen Umftänden von
vorne herein wahrſcheinlich, daß die Erbitterung hierüber die Ver—
bannten ihm zuführen, und daß er die Bevölkerung insgefammt
durch unabläffige Mahnung zum Frieden für die ihr lange ent=
fremdete fatferliche Pracht und Hoheit gewinnen würde. Auch die
umfihtigfte Erwägung aber ließ das, was des Könige mannhafter
Sinn dergeftalt gleihfam vorausfühlte, als nicht unbegründet erfcheinen.
Denn es famen nit nur aus Tuscien Optimaten von der ur-
Iprünglichen ghibelliniſchen Partei, fondern auch aus der gefpaltenen
Schaar der Guelfen mande, die, weil fie ven Namen Ghibellinen
nicht annehmen mochten, fi) als Weiße *) bezeichneten, zu gleichen
Zwecke über die Alpen, um nämlich den König durch Gefchenfe
und Hilfsverfprechen zur Heerfahrt nach Italien zu bemegen 5).
Man glaubt jogar, daR auch Albuinus und Canis ®), die Herricher
von Verona, fi hierzu herbeigelaffen haben, wodurch fpäter ihre
Unterthanen in Folge der ſchweren DVerlufte des Staates und der
Erprefiung großer Geldſummen zu leiden hatten. Durch die Be-
1) Die ſ. g. eiferne Krone der Lombarden und die Kaiferfrone zu Rom. — 2) f. u.
Ceite 68 Anm. 1. — 3) Das nähere hieriiber f. in der Einleitung. — 4) Biandji, im
Gegenjag zu den Neri oder Schwarzen; vgl. die Einleitung. — 5) Außer Tebaldo de’
Brusciati von Brescia, der perfünlich erſchien, werden namentlih Boten der Mailän-
diihen Parteihäupter della Torre und Visconte erwähnt, die den König in Speier ge=
troffen haben follen. — 6) aus dem Haufe della Scala; des letzteren eigentliher Name
war Francesco, ſ. die Einleitung.
Geihichtichreiber. Lig. 67. Leben Heinrichs VII. 5
—1310
1308
—1310
1309
26. Juli
66 Erſtes Bud).
richte dieſer Männer in feinem Vorſatz beſtärkt, beichloß Heinrich
hochſinnig, Papſt Clemens!) und die Carbinäle, welche, wie ihm
nicht unbekannt war, mit König Philipp ?) von Frankreich, der auf
Verbrennung der Gebeine des verftorbenen, der Ketzerei ange:
ihuldigten Papſtes Bonifacius ?) drang, im Streit lagen, zur
Meberfievelung nad Italien aufzufordern, damit er den Schmud
der Kaiſerkrone und die Gunft der triumphivenden Kirche für alle
jeine Unternehmungen erlange. In der That erlangten feine
Gefandten offene Briefe, in welchen die Erwählung Heinrichs von
der Kirche gebilligt und er durch den heiligen Segensſpruch der—
jelben beglüdt, zugleich audy ein beſtimmter Tag *) für die Kaiſer—
frönung feierlich feftgefegt wurde, zu deren Vornahme der Papit
felbft zu Nom in der päpftlichen Aefidenz zu erjcheinen verſprach 9).
7. Anfündigung der Heerfahrt. AS dieſe Ans
gelegenheiten geordnet waren und des Königs Erftgeborener mit
Böhmen, welches damals an das Reich zurüdgefallen war 6), unter
Dermerfung Herzog Heinrih8 von Kärnthen, der den Thron in
Anfprud nahm, belehnt und dort gefrönt, die Ordnung in Böhmen
aber durch das energiiche Auftreten des Königs hergeftellt worden
1) Clemens V. 1305—1314, welcher 1309 feinen bleibenden Sit in Aoignon nahm
und fomit die f. g. Babyloniſche Gefangenfhaft der Kirche herbeiführte, die jhließlich
in ein mehr als dreifigjähriges Schisma auslief. — 2) Philipp IV. der Schöne
1280—1314. — 3) Bonifacius VII. 1294—1303. Es handelte fi) in dem von Muffato
erwähnten Streit der Curie mit Frankreich nicht ſowohl um Verbrennung der Gebeine
des Bonifaz, als um die Kaffierung feiner Frankreich feindlichen Verfügungen und
Erlaſſe. — 4) 2. Februar 1312. — 5) Am 2. Juni 1309 orönete der König eine Ge:
ſandtſchaft an die Curie ab, welche um die Beftätigung der Wahl und die Verleihung
der Kaiſerkrone nachſuchen follte; die Antwort des Papftes erfolgte am 26. Juli. Ueber
die Beziehungen des Königs zur Curie vgl. insbefondere R. Pöhlmann, der Römerzug
Kaiſer Heinrichs VII. und die Politif der Curie, des Haufes Anjou und der Welfenliga
(Nürnberg 1875). — 6) Als mit dem Tode König WenzelS III. von Böhmen am 4. Aug.
1306 der Mannsftamm der Praemisliden erlofh, gelang es König Albrecht I. wider
Herzog Heinrih von Kärnthen, den Gemahl der Anna, älteren Tochter Wenzelö IL,
Böhmen für feinen Sohn Rudolf zu gewinnen, der aber jhon am 4. Juli 1307 ftarb,
worauf des Kärnthners Einfluß überwog, bis ſich eine diefem feindliche Partei an den
neuen König, unferen Heinrich wandte, der zuerſt feinem Bruder Walram die Krone zu=
zumenden gedachte, auf Wunfch der Böhmen aber ihnen feinen Sohn Johann zum König
gab (25. Juli 1310) und denfelben mit EClifabeth, der jüngeren Schweiter des letten
Przemisliden vermählte. Seitdem blieb Böhmen der Mittelpunkt der Lütelburgifchen
Hausmacht bis zum Erlöſchen des Haujes 1437.
Ankündigung der Heerfahrt. 67
war, ließ Heinrich, um ſich die Liebe der Bevölkerung zu gewinnen 1310
Boten mit Majeftätsbriefen ausgehen, welche feine fegensreihe An- Mai 10.
funft vorausverfündigten, verſprachen daß er der Welt Frieden
bringen, Recht und Freiheit überall wo fie abhanden gefommen wieder
berftellen, wo aber Friede herrfche, feine Gunft ſpenden werde, und
die Getreuen durch Föniglihe Verſprechungen ermuthigten und er-
freuten. Er jelbft ſuchte inzwiſchen Bündniffe mit den deutjchen
Fürſten abzujchliegen und fi) auch ſonſt durch Verſprechungen und
durch Alles, was die Menſchen anzulocken vermag, Freunde zu er—
werben. Auch auf Ameus, den Grafen von Savoyen !), welcher
die andere Tochter des Herzogs von Brabant zur Gattin hatte 2),
jegte er feine Hoffnung; Ameus feinerfeitS aber mar mit dem
Bruder des Delphin von Vienne, feinem Schmwiegerjohn, eng ver-
bündet ?). Auch mit Guido, dem Bruder des Grafen von Flandern,
traf der König ein freundichaftliches Abkommen *). Diefe alle ſahen
die Ankunft des römiſchen Königs gern, da ihnen König Philipp
von Frankreich verhaßt war). AS den Ort, von welchem aus
die Ueberfchreitung der Alpen zur feftgefetsten Zeit vor fich gehen
jollte, beftimmte Heinrich Yaufanna ©), welches nahe an dem Abfall
des Gebirged zur großen Lombardifchen Ebene liegt, und verfündete
daß er von Dort die Heerfahrt antreten werde. Aufs neue fandte
er dann von jeiner Seite wadere Männer, Geiftlihe und Weltliche,
an alle und jeve Getreuen des Reichs in Italien und ließ ihnen
den Tag, an welchem er von den Bergen herabfteigen werde, finden,
1) Amadeus V. Graf dv. Savoyen 1279—1323. — 2) Maria, Tochter Herz. Johanns I.
von Brabant. — 3) Hugo, Bruder des Delphin Johanns II. von Vienne, hatte Maria
Tochter Amadeus’ V. zur Gemahlin. Eben diefer Hugo jomwie fein Bruder der Delphin
Guido Herr von Montauban begleiteten den König auf dem Romzuge. — 4) Guido Robert
und Heinrich von Flandern nahmen an der Heerfahrt nad) Stalien Theil; ihre Vermandtichaft
mit dem Haufe Lütelburg erläutert die Stammtafel, 1 Beilage. — 5) Der um ſich greifen
den Macht König Philipps ‚gegenüber fonnten dieje Herren, meift jüngere Söhne ihrer
Häufer, nit darauf rechnen in der Heimath zu Einfluß und Macht zu kommen; um jo
willfommener war ihnen die Heerfahrt des Lügelburgers, die ihrem Ehrgeiz neue Bahnen
öffnete. König Heinrich hatte übrigens ſich vor Philipp durch ein mit ihm zu Paris ab—
geichloffenes Freundſchaftsbündnis (26. Juni 1309) zu fihern geſucht. — 6) Der Ueber=
gang im Weiten (über den Mont Cenis) wurde vermuthlich des Rückhaltes wegen, den
Graf Amadeus bieten konnte, den bequemeren öftlichen Päffen, die in Folge der Feind—
ihaft mit Herzog Heinrich von Kärnthen geringere Sicherheit boten, vorgezogen.
5*
1310
68 Erftes Bud).
damit fie herbeieilten um die Macht des Herrichers zu verjtärfen
und feinen heilfamen Geboten zu gehorchen, wie es die königliche
Majeftät verlangte.
3. Verhandlung mit den deutjhen Fürften. Nach—
dem Heinrich aljo Alles, jo weit e8 möglich war, geordnet und vor-
bereitet hatte, berief er, wie erzählt wird, die Fürften des Reiches
zu fid) und ſprach auf Rath feiner Gemahlın Margaretha folgender:
maßen !); Hätte Gott, von dem alle menſchlichen Handlungen
ausgehen, gewollt daß ihm das gemeine Geſchick, fein Leben ale
Privatmann zu verbringen, zugefallen jet, jo würde er das Privat-
{eben haben auf fi) nehmen müſſen. Da Gott jedody verfügt
habe daß er der Oberherr Aller werde, jo fünne man über die
Ziele, melde die Vorfehung mit ihm verfolge, nicht im Unklaren
fein. Ex aber werde ſich dein von Gott Verhängten nicht, dem ge—
fnechteten Viehe ?) gleich, welches ſich Durch feine eigene Trägheit aufs
veibt, entziehen jondern was ihm der Höcfte aufgetragen erfüllen.
Er ermahne daher die Gefährten, dem Unternehmen, welches ihnen
den Beſitz der weiten Welt verheiße und ſchon jest in feinen An—
fängen glücklich und der beften Ausfichten voll erſcheine, ſich nicht
zu entziehen, ſondern unter Gottes Schug mit ihm zu gehen und
die ihnen entgegengebrachte Herrihaft der Welt in Empfang zu
nehmen. Sie möchten die verwaiften curuliſchen Sefjel einnehmen
und die Statthalterfchaften und höchſten Machtpoften des römiſchen
Senates und Volkes, die ihnen winkten, nicht abweiſen, jondern ihm
1) Diefer Bericht unferes Autors ift zum mindeften ungenau. Nach jeiner Krönung
in Aachen (6. Jan. 1309) durchzog Heinrich die Aheingegenden, Schwaben und Franken;
feinen erften Reichs- oder Hoftag hielt er im Auguft und September in Speier, wo er
fi) mit den Habsburgern auseinanderjegte, Eberhard von Würtemberg in die Acht that,
vor Alfem aber die Romfahrt fir den nächften Herbft verfiindete, nahdem er furz zuvor
das feinen Wünfchen entgegenfommende Schreiben des Papftes vom 26. Juli 1309
(. 0. ©. 67, 5) erhalten hatte. Einen zweiten Reichstag hielt Heinrich im Auguft 1310
zu Frankfurt, wo ein Landfriedensgejet erlaffen und der zum König von Böhmen deſig⸗
nierte Prinz Johann zum Reichsvikar erhoben wurde. Im September begab fi der
König in das Elſaß, wo fih die Reichshülfe allerdings jehr unvollſtändig verfammelte,
und nahm dann feinen Weg füdlih; am 11. Oftober war er in Laufanne, am 12. in
Genf, am 3. fand der Alpenübergang ftatt und am 24. ftieg das Heer nad) Sufa hin
ab. — 2) „servam pecus“ nad) Horaz, Epifteln I 19 3. 19.
Alpenübergang und Einmarſch in Stalien. 69
folgen, der als ihr Nitter und Führer, jeglichen Geſchickes gewärtig,
ihnen vorangehe! — Als der König geendet, durchtönte murmelndes
Stimmengewirr die Halle. Zwieſpältig ftanden die Edlen, das
gemeine Volt lärmte und jchalt durch einander. Endlich traten
aus der Neihe der Fürften einige vor, die im Einverftändnis mit
ver Mehrzahl dem König vorftellten: Allzu fchnell Kaffe er fi
auf jo weit ausjehende Unternehmungen ein, nad) denen der Sinn
der Deutichen nicht ftehe; überdies ſei man nicht gerüftet, auf
eine Angelegenheit von jo großer Tragweite fofort einzugehen ; der
König möge daher erft den Winter vorüber lafjen; wenn um ven
März der Schnee jehmelze, wenn das Vieh ſich auf den weiten
Feldern tummele und das junge Korn dem Heere Nahrung gewähre,
dann möge man aufbrechen; dann erft werde der König furchtbar
und mächtig erfcheinen. — Hierdurch wenig erfreut umarmte Heinrich
die Königin und ſprach: fie wenigſtens werde ihn nicht verlafien,
jondern feine Begleiterin im Glück und Unglüd fein. „Hebet die
Adler empor!” befahl er, „auf nad) Italien! Möge das Glück mit
ung fein und Gott und die Natur für uns ftreiten!” Zugleich ließ
er Waffen, Pferde, Gepäd, Geſchütz, Fuhrwerk und Alles, mas
für Die Heerfahrt erforberlich war, herbeiſchaffen.
9. Alpenübergang und Einmarſch in Italien.
Ohne Säumen feste ſich der König in Bewegung und gelangte
mit etwa dreihundert Nittern und einer entſprechenden Zahl von
Fußvolf über die Alpen, wo man ſich durch den Schnee einen Weg
bahnen mußte, nah Taurinum, deſſen Bürger die Thore
öffneten und den König freudig aufnahmen. Diejer Jette einen
Statthalter ein und gab den Bürgern eine neue Verfafjung. Aus
verjchiedenen Theilen Tusciens und der Lombardei eilten Boten
herbei, jobald der Auf erſcholl der Römiſche König nahe. Der
Cardinal Pellagrun !), Legat des heiligen Stuhles in der Provinz
Bologna, der ſoeben die Venetianer befiegt und Ferrara der Kirche
unterworfen, hatte den Auftrag dem König entgegenzugehen und
1) Arnald von Pellagrua, ein Nepote des Papftes Clemens V., Cardinaldiacon von
©. Maria in Porticı.
1310
1319
70 Erites Bud).
das Heer überall mit Proviant zu verjorgen. Während nun der
König erwartete dag jener den offenen Briefen des Papftes gemäß
diefem Auftrag nachkommen werde, ſchlug der Kardinal einen
anderen Weg ein und begab ſich nad Aoignon!). Der Papft
feste an feine Stelle mit gleihem Auftrag einen anderen, der ſich
zwar aufmachte, unterwegs aber ftarb2). Inzwiſchen begab ſich
der König, nachdem er die Angelegenheiten von Taurinum ge—
ordnet hatte, nad) der benachbarten Stadt Aftı, welche ihn friedlich
und unterwürfig empfing. Er fühnte die VBornehmen der Stadt
mit einander aus, fegte ihnen einen neuen Rath und ordnete Alles
nad feinem Ermeſſen, [hlieplih ernannte er Nicolaus de Bonfig-
noribus zu feinem Statthalter und rüſtete denſelben mit voller
föniglicher Gewalt aus a;
1) Jedoch erfhien Arnald, ehe er an die Curie zurücdffehrte, bei König Heinrich in
Afti (Nov. 1310). — 2) Thomas Cardinalpresbyter vom Titel der h. Sabina. Sein
Nachfolger ward der fpäter au von Muffato erwähnte Cardiual Lucas de’ Fieschi,
ſ. unten Buch 4 Kap. 1. — 3) Die Ereigniffe in Afti werden in der gleichzeitigen
Aftenfer Chronif des Gulielmus Ventura (Muratori Scriptt. rer. Ital. XI, 139 sqgq.)
ausführlich befchrieben. Wir fiigen den Bericht der Chronik hier an (l. c. 229—231):
„König Heinrich ſchickte feine Boten dur das ganze Reih aus, damit man überall
freudig feiner Ankunft harre und feinem Anderen gehorche. Dies gefhah namentlich im
Hinblick darauf, daß Robert der Sohn meiland König Karls Cuneum Alba und andere
Orte von Piemont eingenommen hatte und auch nad) Ati gefommen war um die Aſte—
fanen fi zu unterwetfen, was ihm jedoch fehlſchlug. Das war im Auguft 1310 geſchehen,
zu der Zeit da König Robert in Mlerandria vermweilte und diefe Stadt unterwarf.
Gulielmus de Jnvitiatis aber, welcher damals Kapitän von Alerandria war, fowie die
Sippe der Lanzavetuli, welche ſich dem König nicht fügen wollten, verließen Mlerandria,
eroberten eine Reihe von Landftädten und eröffneten einen ununterbrodhenen Kampf gegen
die Hauptitadt. — Endlih, im September (vielmehr: October) des Jahres 1310 ftieg
König Heinrid mit einer Schaar von dreitaufend Reifigen, begleitet von dem Bifchof
von Lüttich, dem Erzbifhof von Trier, Graf Amadeus von Savoyen, deſſen Neffen
Philipp, dem Herzog von Brabant (?), dem Delfin Guido und Veraldus feinem (Hein-
richs) Bruder nad) Secufia (Sufa) hinab. Hier warteten feiner Gefandte der Römer,
Graf Philippus de Langusco, Maffeus Biscontus, welcher damals aus Mailand verbannt
war, die Pifaner mit bewaffneten Reifigen und zwölf Gefandte aus den erften Männern
bon Aft. Alle waren der frohen Hoffnung vol, daß die Lombardei durch den erwähnten
Heinrich den Frieden erhalten würde. Diefer eilte dann nah Taurinum, wo die von
Spporegia (Ivrea) als erfte von Allen ihm den Treueid leiſteten; fodann beriihrte er
Cherium (Chieri), deffen Einwohner dem Beispiel derer von Ipporegia folgten. Hierauf
erihhien der König am 11. November 1310 in Aft. Mit ihm zogen zum großen Mis-
fallen der Solarii und der übrigen Guelfen diefer Stadt die Eaftelli und andere Ghi-
bellinen ein, welche viele Fahre Yang die Stadt hatten meiden müffen. Heinrich berief
dann den Rath der Stadt in die Halle des Domes und erfchien felbft in der Verſamm—
Lombardiſche Parteihäupter erfcheinen am Hoflager des Könige. 71
10. Lombardiſche Barteihäupter erjheinen am 1310
Hoflager des Königs. MS nun immer lauter der Ruf er-
{hol und fi vom oberen!) und unteren?) Meer bis zu den
Bergen des Nordens verbreitete, deutſche Fürften und Bölfer ſeien
im Gefolge des Königs über die Alpen gezogen, traten überall
verjchiedenartige Beftrebungen hervor, und verjchteden war die Auf-
nahme welche die neue Zeitung fand. Denn furchtbar erſchien fie
denen, welche die Herrichaft inne hatten, ſowie denjenigen welche
ſich geordneter Zuftände erfreuten, namentlid) auch ſolchen die ihre
Gegner in die Verbannung getrieben hatten, hoch willkommen da=
Yung, um die Verfügung zu thun daß man ihm die Huldigung leifte, zu der die Aitenfer
von je her den römischen Kaifern verpflichtet waren, worauf die Symdici Philippus de
Bialo und Benediftus de Pelleta den Eid ablegten, während Andreas Garrettus, welcher
mit dem König auf dem Söller ftand, in deifen Namen den Schwur entgegennahm, Hein—
rich ſelbſt aber eine Anfpradhe hielt, den Aitefanen ihre Privilegien beftätigte und, zugleich
Erweiterung derfelben verhieß, wenn es nothmwendig fein follte und falls fie felbft ein rühm=
liches Benehmen beobachten würden. Dies geihah auf dem Domplage in Anmwefenheit
der ganzen Bevölferung und der bewaffneten Ritter des Königs. Am nächſten Tage
jedoch war diefer hiermit nicht zufrieden; er ließ das ganze Volk zur Verfammlung auf
den Heiligenmarft berufen, wo zugleich feine ganze Ritterfchaar zu Roß und in voller
Rüftung erfhien. Der König ftand auf dem Söller des Haufes der Comentina. In
feinem Namen erflärte nun Nicolaus de Silebanis aus Siena (Niccolo de’ Salimbeni
de’ Buonfignori), die einfache oberherrliche Gewalt (baylia), wie fie dem König übertragen
worden fei, genüge demfelben nicht. ALS dies der Käfehändler Gulielmus de Bayro ver—
nahm, ftieg er auf einen Tiſch, ſchwang feine Mütze und rief mit erhobenen Händen und
lauter Stimme: „Ich beantrage, o Herr, daß dir die unbeſchränkte Gewalt (generalis
baylia) det Stadt und des Gebietes von Aſt übertragen werde.” Sofort rief Nicolaus
vom Sölfer herab: „„Wer den Worten des Gulielmus beiftiinmt, bleibe ftehen; mer
dagegen ift, ſetze fih auf die Erde nieder!" Ein entjeglicher Lärm entftand; einige
ſchrieen: ja, ja! der größere Theil aber rief: nein, nein! Heinrich jedoch Yieß den Antrag
des Gulielmus de Vayro zu Protofoll nehmen und in aller Form niederjesen, ernannte
Nicolaus de Bonfignorio zu feinem Bifar, änderte die Verfaffung der Stadt und Tief
die Burg von Afti, in die er fremdes Kriegsvolk legte, auf Koften der Bürger befeftigen;
überdies legte er den Guelfen ſchwere Laften und unerſchwinglich hohe Lieferungen auf,
und zwar dies Alles zur Strafe, weil fie König Robert den Treueid geleiftet hätten. ALS
die Aftefanen hierüber murrten, erließ er ferner die Verordnung, es folten ſich nicht
mehr al3 drei Männer zufammenrotten dürfen. Das allgemeine Geriiht aber ging, daß
dies auf Rath des Philipp von Savoyen gefchehen jei, um das Geſchlecht der Solarii
und deffen Anhang, die König Robert in Aft eingelaffen hatten, zu demüthigen. Sch
füge Hinzu, daß gerade Graf Amadeus von Savoyen und Fürft Philipp jenen Heinrich
veranlaßten nad) Lombardien zu fommen, worüber König Philipp von Franfreich jehr
zornig wurde. Später ſah ic), Gulielmus Ventura, wie aus diefer Beranlaffung das
Schloß Savoyen von dem franzöfifchen König in Trümmer gelegt wurde.“. (Ueber diefe
Ehronif vgl. D. König Krit. Erdrterungen zu einigen ital. Ouellen f. d. &. des Römer—
zuges K. Heinrichs VII. ©. 38 ff.).
1) d. i. das Adriatiſche Meer. — 2) d. i. das Tyrrheniſche Meer.
1310
72 Erſtes Bud.
gegen den Berbannten und denjenigen, welche Yange ſchon unter
ſchwerer Gewaltherrihaft Schmachteten und auf Ummälzungen hofften,
die leicht ihren Leiden ein Ende bereiten konnten. So machten fich
überall unruhige Bewegungen, Tumulte und Unregelmäßigfeiten
bemerkbar: bier wagten diejenigen welche die Furcht feit Yange
fumm gemacht hatte, die Stimme wieder zu erheben, dort waren
die augenblidlihen Machthaber geſchäftig fich den König auf jede
Weile zum Freunde zu machen, um ſich fo in der Macht zu er-
halten. Bon diefen Yegteren nun erjchtenen aus der Zahl der
Lombardiſchen Edlen Graf PBhilipponus von PBavia!), Simon de
Colubiano ?) Herr von Vercellä und Antonius de Fifiraga Herr
von Lodi in gleichen Wünfchen und Abfichten nebft einem Gefolge
auserlefener Bürger am föniglichen Hoflager, wo man fie Leutjelig
aufnahm und zum Kath des Königs Hinzuzog. Nachdem fie dort
längere Zeit verweilt hatten um ihre verſchiedenen Angelegenheiten
zu betreiben, wandten fie ſich fchließlih nochmals an den König,
verfuchten ihm den gegenwärtigen Zuftand ihrer Städte als für
die Einwohner erſprießlich dDarzuftellen und veriprachen, darauf be-
dacht den Sinn des Königs ihren Intereffen geneigt zu machen,
ihn mit ihren eigenen Mannfchaften zu geleiten und ihm zur Ge—
winnung der ganzen übrigen Lombardei mit ihrer gefammten Macht
behilflich zu fein. Heinrich antwortete ihnen königlichen Sinnes:
Sie möchten gutes Muthes fein, er bringe der Bevölkerung und
ihnen jelbft den Frieden und werde die VBerbannten der Nachbar-
ihaft mit ihnen ausföhnen, er wolle ihnen Gnaden und Wohl:
thaten ermweilen und ihnen als den erften, die fi) ihm mohlgefinnt
und ergeben bewiejen, zu Gefallen fein; doch müßten fie ihre Herr-
Ihaften ihm, als dem Könige, unterftellen und dem Manfred de
Deccarıa ?) und den übrigen, welche um Frieden nachſuchten, den—
jelben nicht weigern. Jene, fei e8 in der Hoffnung den König
für fi) zu gewinnen, ſei e8 aus Furcht vor ihren Mitbürgern in
1) Aus dem Gejchleht Langusco. — 2) Aus dem Gefchleht der Apvocati. — 3) Ein
vertriebener Paveſe, Haupt der Ghibellinen und Gegner des guelfiihen Langusco. Man
fred hatte fich ebenfall$ bei dem König eingefunden.
Lombardiiche Parteihäupter ericheinen am Hoflager des Königs. 73
der Heimath, die fie in heftiger Erregung und großer Begeifterung
für die Katferherrlichfeit zurüdgelafien hatten, ftimmten ihm zu und
fügten fich, lieferten ihre Schlüffel aus und legten ihre Beſitzungen
in Wort und That dem König zu Füßen, der fie, um fie aufzu-
richten, bejchenfte; dem Philipponus gab er die Feſte Salvazium !),
welche an das Reich zurüdgefallen war, mit allen Hoheitsrechten
zu Lehen und erneuerte ihm gleichzeitig Die alte Grafichaft feines
Geſchlechtes ?); den übrigen aber beftätigte er die Privilegien feiner
Vorgänger und Alles was fie jonft rechtmäßig erworben hatten,
bejchenfte fie in gütigfter und freigiebigfter Weile und ftellte ihnen,
falls ihr Verhalten fie deſſen würdig erweife, Größeres in Aus-
ſicht, ſobald ſich die Gelegenheit bieten werde. — Auch erſchienen
feierliche Geſandtſchaften der Herrſcher von Verona, Albuinus und
Canis della Scala, welche, wie die Geſandten behaupteten, Adler
und Schild des Kaiſerthums getragen und demfelben offenkundig
mit Einfegung ihres Lebens gedient hätten, ja deren Vorfahren
jogar dafür in den Tod gegangen jeien, ohne daß deshalb die
Meberlebenden läffiger geworden wären; ihre Macht und Herrihaft
aber, welche ja nicht ihnen fondern dem Reich, deſſen Verwalter
fie jeien, gehörten, feten nicht im Abnehmen, ſondern wüchſen immer
mächtiger an. Zugleich bieten fie die Stadt Verona dem König
zum Wohnfig dar. Mit freundlicher Miene belobte fie der König
anverhohlen, nahm Alles und Jedes, was fie vorbraditen, beifällig
auf nnd erklärte fie alle des Danfes würdig, melden der
königlichen Freigtebigfeit zu jpenden gezieme; er werde, verhieß er,
feinen Marſch fortfegen und in nächſter Zeit in Verona erfcheinen,
mer Gerechtes erbitte, thue bet ihm feine Fehlbitte. Auch Geſandte
der Piſaner langten an, beritten in Feſtgewänder gekleidet, mit glänzen=
dem reichbewaffnetem Gefolge, wie e8 fich für die geziemt die vor
das Auge des Königs treten. Ihnen wurde ald Beweis befonveren
Zutraueng die beftändige Bewachung der Perſon des Königs über-
1) Unten vollftändiger Caſale Salvazium genannt; heute Caſale di S. Evaſio. —
2) D, i. die Graffhaft Lomello.
1310
1310
24 Erftes Bud).
laſſen und der erfte Rang?) unter den italijchen Contingenten zu—
gemiejen. Sie braditen dem König aus dem Staatsihag von Piſa
jechzig tauſend Dufaten dar und gelobten bei feinem glüdverheißen-
den Einzug in ihre Stadt die gleiche Summe zu fchenfen. Aus
dem Adel Tusciend famen namentlich ſolche deren Eifer für die
Sache des Reichs ihnen von alterd her einen Namen gemacht
hatte, nämlich aus dem florentiniichen Geſchlecht der UÜberti ?) eine
große Anzahl und aus andern der tapferften und Friegsfundigften
Familien Etruriend. Während die königliche Hofhaltung durch
franzöfifche, deutſche und italiſche Schaaren anſchwoll und jchon
unter ihrer Größe zu leiden hatte, hielt Guido della Turre, das
Haupt der Mailänder, ein Mann von hervorragenden Eigenjchaften,
jeine Bürger im Gebiete von Mailand beifammen, bewaffnete fie
und ließ fie die Schugmehren der Stadt und der abhängigen Orte
behüten. Ein hochſtrebender Mann, aber hart und unbeugfam,
io lange er die Macht hatte fi) zu wehren oder Rache zu üben!
Seinen Abfichten arbeitete Maphäus Bicecomed an der Spige der
einflußreihen Männer der Gegenpartei, welche den König einzu=
laſſen wünfchten, emfig entgegen, ebenjo jein eigener Neffe der Erz—
biihof von Mailand ?), deſſen Brüder‘) Guido, da er fie als
Nebenbuhler fürchtete, in den Kerfer geworfen hatte. Auch ftand
ihm der Haß vieler Einheimiſchen, welche es indgeheim mit
Maphäus hielten, entgegen, und nicht minder die Unbeftändigfeit
des Bolfes, welches Hin und her Ichwanft: und Veränderungen
immer gerne fieht. Im diefer unentjchiedenen Lage verharrte man.
faſt dreißig Tage): beide Theile Hatten ein Heer aufgebradt ;.
der König hoffte, daß in Mailand felbft Unruhen entftehen und
io Guido's Herrihaft ohne offenen Kampf in fich jelbft zuſammen—
ftürgen würde; Guido dagegen erwartete muthig die Hilfötruppen
1) Wörtlih: confularifher Rang. Muffato Yiebt Ausdrüde zu wählen, welche an
die Einrichtungen des alten Römerthums erinnern, vgl. oben ©. 68 curulifche Seffel ꝛc. —
2) Die alten Häupter der toSfanifhen Ghibellinen. — 3) Caſſone della Torre —
4) Pagano Advardo nnd Moschino. — 5) Am 10. Nov. erſchien der König in Afti und
faßte dort die Mailändifchen Verhältniffe näher ins Auge; am 12. December brad) er
dann gegen Mailand auf.)
Uebergabe von Mailand. 75
Lombardiſcher und Tusciſcher Städte, ja er verftieg ſich zu 1810
der Hoffnung daß das Heer des Königs auf die Dauer nicht zus
jammenbleiben werde. Keines von beiden Berechnung war ohne
Grund; die Sade ftand ſonder Zweifel auf der Spite und e8 war
noch durchaus unentſchieden wen fi) das Glück zumenden würde.
Endlich, als der König den günſtigen Augenblick gekommen glaubte,
marſchierte er, von dem erwähnten Erzbiſchof, von Maphäus
und den übrigen, welche zu der Gegenpartei im Innern
der Stadt Beziehungen unterhielten, gedrängt, mit Zurücklaſſung
einer Beſatzung in Aſti und in Begleitung von ſiebenzig Männern
aus den Vornehmen dieſer Stadt nach Caſale Salvazium, wo er
einige Tage Raſt machte, um durch Boten Guido auffordern zu laſſen,
den königlichen Befehlen nachzukommen. Als dieſer aus Bejorgnis
vor dem leicht erregbaren Volke zwar ſchwankte, ſchließlich aber doch
nicht gehorchte, jondern Ausflüchte ſuchte um die Sache in die
Länge zu ziehen, ging der König aufgebracht nach DVercellä, in der
Erwartung daß feine Annäherung Guido in Schreden jegen,
deſſen Feinden im Innern aber Muth machen werde. Während
dann die Hoffnung Mailand zu gewinnen jeine Schritte bejchleu-
nigte, ließ er Novara Hinter fich, machte, während er ſich das An-
jehen gab auf Pavia marfchiren zu wollen, eine Schwenfung und
eilte wider Guido's Bermuthungen gegen Mailand heran. Da
endlich ſandte Guido, durch die unerwartete Bewegung im höchften
Grade erfchredt, Boten zum König um feinen Gehorfam zu melden,
fam jelbft, nachdem er das Heer und die Wachen entlafien, dem
König unbemwaffnet entgegen und überlieferte ſich und das ganze
Machtgebiet ver Stadt in Heinrich Hände. 23. Dec.
11. Uebergabe von Mailand Die Uebergabe von
Mailand vergrößerte Heinrich des römischen Königs Auf in ganz
Stalten umfjomehr, als man die Stadt als das zweite Rom be—
trachtete und er mit ihr halb Italien zu beherrichen ſchien. Neuer,
erhöhter Schreden ergriff diejenigen welche dem Kaiſerthum feind-
lich waren; die Hoffnungen der Willfährigen und Ergebenen aber
hoben ſich. Auf der einen Seite herrichte verſteckt lautloſe Trauer,
1310
76 Erſtes Bud).
auf der anderen trat die Freude offen und ungefährdet an den Tag,
und — wunderbar zu jagen — faft alle Gemeinden der Lombardei
von den Alpen an, hier bi8 Verona, dort bi8 Mutina bin, leifteten
dem König metteifernd den Eid der Treue. Heinrich ordnete die
Verfaſſungen und feste Statthalter mit Macht über Leben und
Tod. Nur Meffandria!) machte eine Ausnahme. Hier nämlich
Yag eine Beſatzung König Roberts von Apulien 2). Ihr wid)
Heinrich Freiwillig, vielleicht weil fie nicht ohne fein Wifjen dorthin
gelegt war; denn nicht alle Pläne der Könige werden den Völkern
fund 3). Die Paduaner und PVicentiner, melde durch die Grau-
ſamkeit Kaiſer Friedrichs und unter dem Schredensregiment des
Ecerinus de Romano ſeines Statthalters *) beinahe ausgerottet,
dann aber, durch andauernde friedliche Zuftände begünftigt, wieder
emporgefommen waren, zeigten zwar feine Anmaßung oder Gering-
Ihätung, aber auch feine Unterwürfigkeit gegen den König; doch
war zu hoffen, daß das Beiſpiel der Anhänger deſſelben und feine
großen Erfolge fie veranlafien würden heilſame Entſchlüſſe zu
falfen. Anders die Bolognejen d). Diefe umgaben ihre Stadt
mit neuen Mauern und gingen mit Erlafjen und Gefeten gegen
den König und deſſen Anhänger vor, indem fie für jeden, der ſich
als kaiſerlich gefinnt bezeichne, Die Todesftrafe feftjetten.
12. Krönung in Mailand. Durch jeine Erfolge ge
hoben, bejchlog König Heinrich ſich in Mailand nach heiligem altem
1) Diefe Stadt wurde von dem Lombardenbund 1168 al3 Schutzwehr gegen Kaiſer
Triedrich I. gegriindet; fie erhielt ihren Namen von Papft Merander III., dem Haupt—
gegner Friedrihs. — 2) Robert König von Neapel 1309—1343 aus dem Haufe Anjou,
Enfel des berüchtigten Karls I. von Anjou. — 3) Die Befegung von Aleffandria (jowie
einiger anderen Drte der Lombardei) durch Robert war durchaus nit im Einverftändnis
mit Heinrich geichehen, dem ſchon zu Afti der Kardinal Pellagrua verfprehen mußte,
daß er Robert zur Herausgabe jener Orte auffordern werde; als dies nicht geſchah,
brachte Heinrich die Angelegenheit an den Papſt. — 4) Ezzelino IV. aus dem Haufe
Romano, Parteigänger Friedrichs IL, unterwarf feiner Herrihaft Padua, Vicenza, Verona
und andere benachbarte Städte; 1256 fiel Padua ab, Ezzelino aber ftarb 1259 in mai=
Yändifher Gefangenfhaft. Sein Schiefal bildet den Gegenftand der Eccerinis einer der
beiden Tragödien des Albertino Muffato, ſ. die Einleitung. — 5) Diefe hatten fich be=
reit3 als erbitterte Feinde der Staufer einen Namen gemadt; befanntlich Tiefen fie
König Enzio, Friedrihs II. Sohn, der ihnen 1249 in die Hände fiel, bis zu feinem Tode
(1272) in ihrem Kerker ſchmachten.
Krönung in Mailand. 17
hin Edikte ausgehen zu lafien, welche die Völker auf einen be—
ftimmten Tag nah Mailand zur Kirche des heiligen Ambrofius
zufammenberufen jolten. Man hatte zwar erwogen und Darüber
geftritten ob die Feierlichkeit nicht in Monza ftattfinden müſſe,
wohin das Beispiel der meiften Vorgänger des Königs zu weiſen
ſchien ), doch entſchied man ſich ſchließlich dahin, daß es nichts
austrage, wenn die Krönung in Mailand ſelbſt vor ſich gehe. Die—
jelbe fand denn auch hier unter großer und eifriger Betheiligung
von Fürften, Edlen und gemeinem Volk ftatt. Aus der Zahl
derer, welche noch nicht gehuldigt, waren, der Ladung gehorfam,
u. a. Geſandte der Paduaner und Bicentiner erichtenen, welche
Die Krönung durch ihre Gegenwart ehrten und die Erklärung ab-
gaben, fie jeien unter des Königs Getreuen nicht die geringften an
löblihem Eifer, und fie würden ihren Eifer auch durd die That
beweiſen, jobald fich Gelegenheit darbiete. Der König entgegnete
leutjelig, ex werde ihnen gnädig fein, jobald fie fih ihm und dem
Reihe, wie es ſich gebühre, unterworfen haben würden. — So
wurden der Caeſar?) Heinrih und die Augufta Margaretha nad)
Chriſti Geburt im dreizehnhundert und elften Jahre am 6. Januar mit Ian. 6.
- der eifernen Krone, welche man die Xorbeerfrone nannte ?), gefvönt,
und zeigten ſich dem Volke auf köſtlich aufgezäumten, mit Scharlad-
deden und purpurfarbigen Tüchern behangenen Roßen, der König
mit dem Scepter, einem goldenen Stab, welcher oben in eine Lilie
auslief, in der Rechten. Hier wird e8 am Plate fein Die äußere
Erſcheinung des königlichen Paares zu bejchreiben.
13. Schilderung des Königs und der Königin.
Der König ift Schlank, von Mittelgröße; Gefihtöfarbe und Haupt:
haar find vöthlich, die Augenbrauen ftehen hervor; die Kurzfichtig-
feit auf dem linfen Auge wird durch die ungewöhnliche Beweglich—
|
|
Kaiſergeſetz die eiferne Krone auf das Haupt, zu fegen und überall= ısıı
|
1) Mailand, Bavia und Monza fahen in ihren Mauern die Krönungen deutjcher
Könige; am häufigften aber Mailand, nicht Monza. — 2) Bon hier an nennt unfer Autor
den König meift „Caeſar“, was wir bis zur Raiferfrönung mit „König“ mwidergeben. —
3) Sie hatte die Geftalt eines Lorbeerzweiges.
1311
78 Erftes Bud. Schilderung des Königs und der Königin.
feit defjelben verborgen; er hat eine gerade ſpitz zulaufende Nafe;
das Antlig ift würdig, mit wohlgeformtem Kinn; das Haar,
welches er nad gallifcher Sitte trägt‘, laßt in Daumensbreite das
Hinterhaupt hindurchblicken ). In beftem Ebenmaaß trennt ber
Naden vie Schultern vom Haupte. Der Rüden ift fräftig gebaut.
Der Unterleib bildet mit dem Oberkörper eine Fläche. Füße und
Oberſchenkel find proportioniert. Der König ſpricht langſam und
liebt nicht viele Worte; er bedient ſich der franzöfiichen Sprache,
weiß ſich aber auch lateiniſch verftändlih zu machen. Cein hoch—
ftrebender Sinn ift mit Milde und eifriger Hingebung an den
Gottesdienft gepaart. Verträge irgend welcher Art mit feinen
Unterthanen zu Ichliegen, duldet er nicht; er haft die Erwähnung
der Parteinamen der Guelfen und Ghibellinen und umfaßt Alles
mit unbejchränfter Herrfchergewalt. Die römiſche Königin, melche
im ſechsunddreißigſten Lebensjahre fteht, hat ein faft noch mädchen—
haftes Ausfehen; ihre Gefichtsfarbe iſt bleich; fie hat hellblonde
Haare, mohlgeftaltete Wangen, die Naſenſpitze ift röthlich, der
Mund Klein; Antlis und Augen jcheinen beftändig zu lächeln. Die
Unterlippe, das Kinn und den Hals bedeft nad) germaniſchem
Braud ein ringdumliegender Schleier; die Gemänder find, gallifcher
Sitte entiprechend, ziemlich weit. Sie iſt etwas unter Mittelgröße.
Guten Rath weiß die Fürftin ſtets zu geben, ohne deshalb im
mindeften hochmüthig zu fein. Im Gegentheil! Ihre Herablaſſung
gegen Niedere Fol, wie Einige berichten, weiter gehen als e8 einer
Königin anfteht, doch rechnen ihr die Meiften dies als Milde und
Güte an. In Beobachtung religiöfer Bräuche und im Gottesdienſt
befigt fie einen jo großen Eifer daß fie, wie man behauptet, die
Nächte vor den Hauptfeften wachend zu verbringen pflegt. Sie ift
mitleidig gegen Gefallene, ihrem Manne in innigfter Liebe zuge=
than; fie weiß gut zu fprechen, redet aber ohne Anmaßung.
1) Die Franzofen pflegten das Hinterhaupt Fahl zu ſcheeren, wie man es vorzüglich
auf der Tapisserie de Bayeur deutlich dargeftellt fieht.
|
Zweites Bud).
—.
1. Ausbrud von Empörungen gegen den Kömig ısı
in Mailand; Aufftände in Crema und Cremona;
Bertreibung Guido's della Turre. Während vergeftalt
die Fürften der Welt zum Gipfel erhabenen Ruhmes vorwärts
eilten, mifchte das Geſchick, welches bis dahın fie holdſelig Ichmeichelnd
umgaufelt hatte, in das Glück auch Widerwärtiges. Als nämlich,
unter dem Drud der Nothwendigfeit die untergebenen Völker der
dringenden Bedürfniſſe des Reichs und Staates halber und zu
Gunſten der begonnenen Unternehmung und ihres erfolgreichen
Vortganges zu Beiſteuern heranzuziehen, dem mailändiſchen Volke
das Anfinnen geftellt wurde, es möchte ſich zu einem den mwohl-
befannten Mitteln der Gemeinde und des Volkes entſprechenden
Geſchenk herbeilafien, da überboten ſich bet ver aus diefem Anlaf
gehaltenen Berathung der Obrigfeiten die Parteihäupter, welche
ſeit lange mit einander haderten, hier auf Guido's, dort auf
Maphäus’ Antrieb, indem jeder von ihnen, um zu zeigen daß feine
Liebe und Ergebenheit gegen den König die größere ſei, wetteifernd
immer größere Summen in Vorſchlag brachte, bi8 man auf hundert
taujend Gulden fam. AS dies fund wurde, erſchien e8 dem
Volke, welches ſchon durch frühere Laften beſchwert war, überaus
hart eine jo große Summe zu erlegen; ſchon hörte man laute
Flüche gegen den König auf dem Markte, in den Kirchen, auf den
Gaſſen; ſchon erſchien die Gewaltthätigkeit der Deutfchen unerträg-
ch, jhon empfand man die Veränderung, auf melde man vorher
80 Zweites Buch. Ausbruch von Empörungen gegen den König in Mailand;
jo große Hoffnungen geſetzt Hatte, voll Unmuth als eine Laft.
Solche Klagen wurden von Tag zu Tage lauter; aud hörten fie
nicht auf, jondern wurden höchſtens für den Augenblid beſchwichtigt,
als der König mildherzig befahl, man jolle nur die Hälfte zahlen
und die Erlegung des Reſtes einftmeilen verjchteben. In der That
erhob man, bis der König aud über das übrige Geld verfügen
würde, nur die Hälfte. Aber wenn dies den Ausbruch der Er—
bitterung hinhielt, jo wurden doc die haßgeſchwellten Pläne nicht
aufgegeben. Dazu famen nun noch andere Anläffe, welche die
Empörung vorbereiteten. In denjelben Tagen nämlid) ordnete der
König, im Begriff den Mari auf Pavia anzutreten, an daß
Auserwählte aus den Angefeheneren, fünfzig an der Zahl, ihn be>
gleiten jollten, und zwar mußten diejelben auf Koften der Stadt
unterhalten werden. Died gab zu zwiefacher Unzufriedenheit An—
laß. Das fchwerbelaftete Volk murrte wegen der neuen Geld—
zahlung; die Eolen beider Parteien aber betrachteten als Grund
der Entfernung jener Auserlefenen nicht eigentlich die Heerfahrt und
das Geleit des Königs, ſondern fürchteten, man wolle jene von der
Stadt fernhalten. Schon ward das Murren des gegen den König
in heller Wuth entbrennenden Volkes immer lauter; nur der Auf-
reizung bedurfte e8 noch um einen gewaltſamen Ausbruch herbei-
zuführen. Dies blieb weder dem Guido und den Häuptern der
Turrianen nod dem Maphäus Vicecomes und den Seinen ver-
borgen. Sie wußten überdie8 daß fie dem König megen des be—
jorgnigerregenden Umfanges ihrer Macht bereits verhaßt und vers
dächtig waren. Doch gehen hier die Anfichten auseinander. Die
meiften behaupten, Maphäus ſei der Gunft des Königs ficher und
in deffen vollem Vertrauen geweſen, und habe lediglich in der
Abfiht den Francischinus, Guido's Sohn, liftig auszuforichen,
denfelben zur Unterredung mit feinem Sohne Galaaz außerhalb
der Stabt in der Nähe der St. Dionyſiuskirche verleitet, wobei
aber, da alle Zeugen ferngehalten worden, niemand gejehen daß
Francischinus und Galaaz ſich die Hand zum Bunde gereicht.
Andere dagegen |ftellen die Sache jo dar, als fei die Unterredung
Aufftäande in Crema ımd Cremona; Vertreibung Guido's della Turre, Si
ohne jede Heimlichkeit vor fich gegangen, der König aber habe noth—
gedrungen über die Schuld des Maphäus Hinweggefehen. Wir
Yaffen unentichteden, welche Auffaffung der Wahrheit näher kommt.
Während nun die Erbitterung des Volkes und der Edlen gegen den
König immer mehr zunahm, geihah ed, dar, als Nicolaus de
Bonfignoribus, den Heinrich, nahdem er in Aſti einen Andern an
ſeine Stelle gejetst, zu feinem Statthalter in Mailand erhoben
hatte, darauf drang daß die Erhebung des Unterhalts für Die
außserlefenen Edlen und des dem König veriprochenen Geldes ftatt-
finde, und man fich widerftrebend dazu herbeiließ, neben dem Forum
Prätorii, da mo es Broletum) heißt, eine Stimme laut „Zu
den Waffen!“ vief. Sofort ftimmten Mehrere in ven Auf ein
und bald war die ganze Stadt in Erregung. Die in den fünig-
lichen Rath berufenen Edlen zerftreuten ſich und eilten ihren Häufern
zu. Auch das Bolt und der Pöbel flürzten durch die Straßen
nad) ihren Duartieren. Einige aber ergriffen die Waffen und
ftellten fich auf, ohne zu wilfen, was der Tumult bedeute. Auf
Seite des Königs waffneten ſich die Fürjten, Graf Ameus von
Savoyen, der Marichall des Heeres Heinrich, Bruder des Grafen
von Flandern, der Herzog von Defterreicd) 2), Goleran ?) des Königs
Bruder und die übrigen, und durchzogen planlos mit jchnell zu=
lammengerafften ungeordneten Schaaren die Stadt. Mehrere von
ihnen eilten zum Quartier der ihnen verdächtigen della Turre,
welches Bafta heit, und ftiegen in der Nähe von Guido's Wohnung
auf etwa dreißig ſchwerbewaffnete Nitter, welche dort hielten, ſei es
meil fie etwas beftimmtes im Schilde führten oder noch unſchlüſſig
waren umd nicht wußten was vorging; unter ihnen befand fich,
wie man jpäter erfuhr, auch Franceschinus, Guido's ältefter Sohn.
Auf dieſe Reiter machten die Deutjchen einen Angriff, wurden aber
mit erheblichem Berluft an Todten und Verwundeten zurückgewieſen.
Voller Wuth über diefen hartnädigen Widerftand ſammelten fich
° 1) An die Piazza dell’Arengo (daS alte Forum Asamblatorium) ſchloß fich ſüdlich der
Broletto vecchio an. — 2) Leovold, Sohn König Albrehts, Bruder Friedrihs des
Schönen. — 3) Walram.
Geſchichtſchreiber. Lfg. 67. Leben Heinrichs VIT. 6
1311
1311
82 Zweites Bud).
biev bald größere Schaaren von Deutſchen und Franzoſen an, und
e3 Fam zu einem neuen evbitterten Kampf, in welchem die Mai—
länder durch die Ueberzahl der Gegner in die Flucht geichlagen
oder getödtet wurden. Saum aber war der Kampf entjchteven, fo
wurde, noch ehe Guido von diefen Vorgängen unterrichtet worden
war, fein Haus zerftört, der Hausrath aber, ehernes und filbernes
Geſchirr, Waffen von wuchtigem Erz, Pferde und Alles was ein
üppiges Zeitalter in das Haus eines Bornehmen zufammengebracht
hatte, gevaubt, die Gebäude fchließlid) bis auf den Grund nieber-
gebrannt. Erſchreckt durch das Toben des Aufftandes blieben
jedoch die Königlichen nicht an diefer Stelle, ſondern fchmeiften
durch die Stadt und hieben, faum der Wehrlojen ſchonend, nieder,
was fie mit den Waffen in der Hand fanden. Galaaz, der älteite
Sohn des Maphäus, ftellte fih mit feinen Begleitern bei dem
Marſchall als Helfer in der Bedrängnis ein. Endlich ging Die
Sonne unter und die Nacht machte dem Kämpfen und Morden
ein Ende. Die königlichen Schaaren übernachteten auf den öffent-
lichen Pläten und an den Sreuzungspunften der Hauptftraßen,
bewaffnet, bet Fackelſchein, abwechjelnd die Wache haltend. Als
der Tag anbrach, erging der Befehl ſich ruhig zu verhalten.
Herolde kündeten den Frieden, Doch wird erzählt, daß die Plünde—
rungen und Gewaltthätigfeiten in den Duariieren der Stadt noch
5*
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ET TEE NIT TB
nicht aufgehört hätten. Ja, eine große Zahl von Deutjchen, verz
bündet mit Parteigängern des Maphäus Vicecomes, wüthete gegen
die Tuxrianen und deren Anhänger und ftieß auf die bloßen Partei—
namen? hin jeden, der ſich als Guelfen bezeichnet, nieder, während
man die Ghibellinen unbeſchädigt ziehen Tief. Auch in den ab=-
hängigen Orten machten die Parteigänger der VBicecomites zahl
reiche Getreue des Hauſes della Turre nieder und zündeten ihre
Häufer an, wie fich denn erbitterte Sieger leiht arge Frevel zu
Schulden fommen laſſen. Nach Verlauf von drei oder vier Tagen
ließ der König Befehl ertheilen, fich ſolcher Uebergriffe zu enthalten
und das Geraubte zurüdzuerftatten. Guido aber und feine Söhne
follten innerhalb acht Tagen bei Strafe an Leib und Gut vor
Empörung von Brescia. 83
ihm erſcheinen um ſich zu rechtfertigen. Die Bürger, von Schreden 1311
befangen, hielten fich in ihren Häufern und Quartieren. Auch
Maphäus und die Seinen, hieß es, jeien nicht ficher, denn Der
König wiſſe ſehr wohl, daß beide Parteien ſich gegen ihn vers
ſchworen, und ihre Häupter an abgelegenen Drten fi unterredet
und Ehebündnifje zwiſchen ihren Familien einzugehen gelobt hätten,
Berabredungen, die ausdrücklich gegen den König gerichtet gemefen
feien; ihn hätten fie einmüthig überrafchen und aus der Stadt ver-
jagen und dann ihre gemeinfame Herrichaft erneuern wollen.
Aus den rauchenden Trümmern Malilands ſchlug bald eine
gewaltige Flamme empor. Italien nämlich, ſchon ohnehin durch
die jüngften Vorgänge erregt, gerietb in Gluth, und überall er=
ſcholl der — wenn nicht ganz zutreffende, Jo doch auch nicht aus
der Luft gegriffene — Ruf: der König habe fich in einen Tyrannen
verwandelt, er zernichte Die Macht und den Wohlftand des Volkes,
er zeige fich parteiiſch; die Yateiner feten der Wuth der Deutjchen
und der Anmaßung der Franzofen preiögegeben. Bon anderer
Seite verlautete zwar: der König fer nicht fchlechter geworden,
jondern nur die Seinen hätten gefrevelt. Für die Getödteten, Ver—
triebenen aber trug Died nichts aus. Die benachbarten Städte,
bejonder8 diejenigen, welche fi) von Alters her zur kirchlichen
Partei bekannten, Liegen, über die blutigen Auftritte in Mailand
entſetzt, alle Hoffnung auf Erlangung des Friedens fallen und
empörten fi. Die in nächfter Nähe gelegenen Städte Crema und
Cremona verjagten die königlichen Statthalter und Belagungen und
machten fich frei. Die Einwohner von Regium vertrieben die An-
hänger des Kaiſerthums, welche in unbilliger Weife frohlodten und
ſich wegen der jüngft errungenen Erfolge der königlichen Streit-
macht überhoben; der Statthalter aber ergriff die Flucht.
2. Empörung von Brescia. Dur ſolche Nachrichten
aus Mailand ermuthigt, erregten die Mazier !), welche furz zuvor
no die Herren von Bredcia gemejen waren, einen Aufftand gegen
1) Häupter der Ghibellinen in Brescia.
5 6 *
1311
84 Zweites Bud).
Thebaldus de Bruxadid und die übrigen, welche neuerdings auf
Befehl des Königs nah Brescia zurüdgeführt worden waren; aber
das Glück war wider ihre vermefjenen Entwürfe und führte das
Gegentheil von dem, mas fie erftrebt hatten, herbei. Da namlich
der Adel und das gemeine Volt ihrer alten Herrſcher ſchon über
drüſſig geweſen waren und die Neugeftaltung ihres Staates gern
gejehen Hatten, jo wurden von den Aufftändifchen viele aetödtet
oder gefangen genommen; Maphäus de Maziis aber, ſowie der
Biſchof von Brescta ?), fein Neffe, entfamen nur mit Mühe durch die
Flucht und vetteten ſich nach Caſtrum Urceorum ?). So behauptete
fi) Thebaldus, welcher eben erft durch des Könige Milde in Brescia
wieder eingejegt worden war, nebſt den Seinen, auf den ſtädtiſchen
Adel, deffen Haupt er-war, geftütt, an der Spite der Stadt, nach—
dem anf jeinen Betrieb die Freunde der Mazier verbannt worden
waren. Albertus de Rogolone, den der König in Brescia als
Statthalter eingejett ‚hatte, mußte, weil er feinen Anhang bejaß,
das Geichehene gutheißen; doc verließ er die Stadt nicht, da
Thebaldus und die Seinen ihm freundlich begegneten.
3. Tumulte in Como Die Stadt Como blieb von
diefen Bewegungen nicht unberührt; doch fügte fie fi), Tobald
der Biſchof von Genf?) auf Befehl des Königs dort erichten, um
eine Verſtändigung herbeizuführen.
4. Bertreibung der Rubei aus Parma. Cinige
aus dem Geichleht der Nubert), melche auf Befehl des Könige
nad) Barma zurücdgeführt worden waren, brachen den mit Gibertus
de Corrigia geſchloſſenen Frieden, wurden aber in ungleihem Kampfe
von diejem befiegt und mit großen Verluften an Todten und Ge—
fangenen aus der Stadt getrieben.
5. Berjöhnung mit Mailand eingeleitet. Diele
ringsum ausbrechenden Unruhen riefen am füniglichen Hoflager
große Beftürzung hervor und verurfachten ſchwere Sorgen. Der
1) Friedrih 1308-17. — 2) D. i. Orci. — 3) Nimo II. von Genf 1304—1311.
Diefer hatte fi Heinrich angeſchloſſen, als derfelbe im Dftober 1310 feinen Biſchoffitz
berührte. — 4) D. i. Roſſi.
j
|
Verſöhnung mit Mailand eingeleitet. 85
König hielt öffentliche und geheime Berathungen ab, zu denen der
Tag kaum ausreihtee Zur geheimen Berathung traten aus
Heinrih8 Umgebung zufammen Graf Ameus von Savoyen, der
Bilhof von Trier, des Königs jüngerer Bruder — der dritte der
Brüder, der Tampfluftige Ooleran, war befier im Felde als tm
Rathe zu verwenden !) — die Bilchöfe von Lüttich?), Bafel ?), Genf,
der Biſchof von Trientt) Vorfteher der königlichen Kanzlei 5) ſowie
der Protonotar und Geheimſchreiber Heinrih de Geldonta 6), der
Referendarius 7). In den erſten Erlaſſen tadelte man die eigenen
Leute, wagte nur ganz vorſichtig Neuerungen einzuführen, erzeigte
ſich gegen die Mailänder verſöhnlich, verlängerte dem Guido
della Turre ſeinen Termin, damit er nicht etwa ohne ſein Wiſſen
verurtheilt werde, nahm ſich ſorgfältig in Acht die alten Partei—
namen anzuwenden, unterſuchte mit möglichſter Nachſicht die Ur—
ſachen der Bewegungen, beſänftigte und beruhigte durch Ver—
minderung der Geldauflagen die Klagen und ſuchte die Aufſtändiſchen
durch freundliche Ermahnung zur Unterwerfung zu bringen. Nach—
dem man ſolche Anordnungen getroffen, ſoll der König den Grafen
Ameus von Savoyen, das Brüderpaar der Delphine, den Herzog
von Oeſterreich, Johann de Calcia von Flandern, den Marſchall
des königlichen Hofhaltes Grafen Heinrich von Flandern und deſſen
Bruder nebſt anderen franzöſiſchen und deutſchen Fürſten zu ſich
beſchieden und zu ihnen bald trüben Blickes mit gebrochener Stimme,
bald voll Unmuth mit zornfunkelnden Augen folgendermaßen ge—
redet haben:
„Meinen Gott, den Himmel und die Geſtirne nehme ich zu
Zeugen, ihr Franzoſen und Deutſche, ihr meine Gefährten und
Mitſtreiter, meine Freunde, Brüder, Verwandte und Schwäger,
mein Fleiſch und mein Blut: keine irdiſche Ruhmſucht, kein Ver—
langen nach dem was den Sterblichen ſonſt begehrenswerth er—
1) Dies iſt wohl der Sinn der ſchwer verſtändlichen Stelle. — 2) Theobald Graf
von Bar 1302—1312. — 3) Gerhard 1309—1325. — A) Heinrich 1310—1336. — 5) it ’
Bertretung de3 Erzbiſchofs von Köln, welcher Erzkanzler für Italien mar. — 6) Die ur»
tundlihe Namensform ift Geldonia. — 7) Ein Beamter welcher mit der Beforgung der
füniglihen Dokumente zu thun hatte.
1311
1311
86 Zweites Bud).
icheint, treiben mich zu dieſem welterichütternden Unternehmen,
MWenn ich meinen Blid nad oben wende, jo ſchaue ich Gott als
Beranftalter deſſelben; als irdiſchen Anftifter aber Papſt Clemens,
Diefe find die Führer auf meiner Herfahrt. Wer aber ift gegen
mih? Falls ich nicht ſelbſt thöricht und undankbar Echandthaten
meinen Beifall gebe, damit ich wie ein von Blinden aeführter
Blinder in den Abgrund ftürze? Hat Gott der höchſte Lehrer ver
Gerechtigkeit und Billigfeit ein heiligeres Gebot erlaffen, ald das,
welches lautet: Du jollft deinen Nächften lieben als dich jelbft?!
ft nun aber da unter Chriften irgend ein Unterſchied zu machen ?
Wer ift mein Näcfter? Sit e8 der Deutiche, der Franzoſe, der
MWandale, der Schwabe, der Lombarde oder der Tuscier? Und
wer von euch möchte antworten: Der hibellinel? Unerhört!
Wozu bin ich gefommen, wozu ausgeſandt? daR ic) als gottlofer
Nachfolger die Irrthümer aller meiner Vorgänger !) aufnehme und
weiter führe? Daß ich die alte Spaltung wieder erwede? Und
Papft Clemens, der Gotted Thron auf Erden einnimmt, jollte
dazu unjere Heerfahrt hervorgerufen und auf Blei fein Zeichen
eingegraben haben 2), damit ich den Shibellinen die Guelfen oder
diefen jene unterwerfe? Aber mas iſt aus diefer Gleichheit ge-
worden? Die einen haben unter dem Dedinantel des Reichs, die
anderen unter dem der Kirche Namen angenommen, welche nur
Haß erzeugen fünnen und melde ihnen Yucifer der gefallene er-
theilt hat. Ich alfo, der ich ald Bote des Papftes Clemens und
unter deſſen Zeichen einherziehe (weswegen die Chriften auf mid
wie auf eine zweite Leuchte Gottes bliden), ich fol hier ericheinen,
um den Einen zu Willen zu jein, die Anderen zu verrathen ?
Nicht To, rufe ich euch zu, Die ihr vermegen unfere Anſichten in
ihr Gegentheil verwandelt, namentlich) euch, ſoviele aus eurer Zahl
an jenen abjcheulichen Freveln betheiligt waren. Möge ich eher
fterben, möge eher das Gefüge meines Körpers auseinandergerifien,
als mein Sinn zwielpältig werden. Und wenn einige unter euch
1) nämlich die Barteinahme für die Ghibellinen und die Befämpfung der Guelfen. —
2) Wohl eine Anfpielung auf das päpftliche Siegel, die Bleibulle.
Verlöhnung mit Mailand eingeleitet. 87
die böſe Begierde unmiderftehlih zu Frevelthaten drängt, jelbft
wenn ihr es jein folltet, ihr meine leiblihen Brüder — dabei
faßte er diefe ind Auge — geht fort von bier, jucht euch anders-
wo Mord und Blutvergießen, mwüthet, aber auf eure eigene Gefahr,
nicht unter meiner Führerjchaft, unter meiner Herrichaft! Beim
ewigen Gott, meidet mein Henferbeil, welches der erfte, ver in Zus
funft ähnliche Unruhen hervorruft, mit jeinem Blute geröthet jpüren
wird. Seht ihr nicht? ſchon verabjicheuen und meiden ung die
Gemeinden Lombardiens und Italiens in gerechtefter Entrüftung
(wenn ander8 die Gerüchte Wahres bejagen) als einen ruchlojen
Tyrannen. Was Wunder? flieht Doch jelbjt das Thier Tod und
Berderben“.
Als er geendet, verſuchte die Königin mit thränenfeuchten
Wangen den Gemahl zu bejänftigen: er folle die Sache nicht fo
ſchwer nehmen, fagte fie, nicht alles jet wahr, was der erfte der
beſte berichte, zumal da das, was man erfahren, nicht von ge—
wichtigen zuverläffigen Zeugen herrühre, jondern ſchmutziges und
läppiſches Gerede des niedrigften Geſindels je. Die Fürften ſeien
an jenen Vorgängen unjchuldig und hätten nichtS davon gewußt;
er thäte beijer, fie zu muthigen Ihaten anzuregen. Jeder folle
fih anſchicken, dieſe Widerwärtigkeiten fchnell wieder gut zu machen,
jo werde unter Gottes Führung alles nah Wunſch ausſchlagen. —
Lange Zeit beriethen die Verfammelten über das Vorliegende, ver—
ſchiedene Anſichten wurden laut; ſchließlich erſchien ihnen zweck—
mäßig, das Uebel von Grund aus zu heilen, Guido dem König
zu verſöhnen und ihm zu dem Ende ſicheres Geleit zu gewähren,
ſeine Güter zurück zu erſtatten und ihm zu gewähren unbeläſtigt
außerhalb des Mailändiſchen Gebietes zu wohnen; doch ſolle er
das Schloß Drphanım ?), um Verdacht zu meiden, einem von
beiden Theilen als zuverläffig erachteten Manne zuftellen. Die
Unterhandlung über dieje Punkte ſolle man Guido's Schwiegerjohn
Graf Bhilipponus, Simon de Colubiang von Bercel& und Antonius
1) D. i. Montorfano.
1311
1311
88 Zweites Bud.
de Fiſiraga von Lodi übertragen; diefelben follter aud in Cremona
nachforſchen, wer die Urheber des Abfalls diefer Stadt gemelen
jeien, dort jeglichen Anlaß zum Zwieſpalt befeitigen und Die Bürger
der Milde des Königs verfühnen. Auf der Stelle nad Cremona
gefandt (denn dorthin hatte ſich Guido fliehend gewandt), berichteten
fie zurüd: Guido habe geantwortet, er ſei von den Cremoneſen
gaftlih aufgenommen und habe bei ihnen Schuß für fein Leben
gefunden; Alles komme auf ihr Ermeſſen an, er gebe fich feinen
anderen Erwägungen bin als wie fie über ihn und die Seinen
beſchließen würden. Die Cremoneſen ihverjeitS aber hätten ge
antwortet: das Joch des königlichen Statthalters fer ihnen läſtig;
das Bolt, durch Armuth und Hunger gebeugt, fer nicht im Stande
geweſen, Die Beiſteuer zu entrichten, welche der Künig ihnen auf-
zuerlegen beſchloſſen; außerdem laſſe Diefer zu — was noch weit
ſchwerer zu ertragen fer — daß Die Deutichen gegen die Yateiner
in ungebundener Zügellofigfeit würheten. Schon zeigten die den
Guelfen zugefügten ©ewaltthätigfeiten, welche unbeftraft gebliebei:
jeien, daß jene überall ausgerottet werden follten. in deutliches
Zeichen der Parteilichfeit des Königs fei auch die Einfegung
ahibelliniiher Statthalter in allen größeren und kleineren Orten.
Schon müſſe die kirchliche Partei bejorgen, Daß die alte Spaltung
der Zeit Friedrihs fich erneuere. Endlich, erklärten fie, fer es
erforderlich, daß fie erft den Rath ihrer Freunde in der Lombardei
und in Tuscien einholten; mit Nücficht darauf würden fie dann
eine endgültige Antwort geben.
6. Genua unterwirft ſich. Inzwiſchen eilten Ab-
geordnete aus Genua!) mit großer Prachtentfaltung zum König,
ſchworen ihm Gehorſam und gelobten auf eigene Koften Schiffe
zum Geleit des Königs zur Kaiſerkrönung zu ftellen. — Die Luc
chefen behielten ihre Geſandten lange Zeit am Hofe, verhandelten
des langen und breiten und verſprachen eine große Summe Geldes,
wenn man fie frei und unabhängig von der Kaiſergewalt belafie,
1) Ueber Genua dgl unten Buch 5 Kap. 1 ff.
Privilegienertheilung an Padıra. 89
fie nicht zwinge Die Berbannten zurüdzurufen und fie im übrigen
mit Contributionen verſchone. Man wies ihr Begehren nicht
geradezu ab, gewährte ihnen vielmehr langdauernde Audienzen und
Beſprechungen; jchlieglih aber wergendeten fie ihre Zeit ohne
Nutzen. |
7. Brivilegienertbeilung an Badua. Etwa um
diefelbe Zeit wurden von den Obrigfeiten Padua's zwei Männer,
ein Minderbruvder !), und ein Predigermönd) ?), nad Mailand an
das Hoflager gefandt, um durch Bermittlung der Bertrauten des
Königs zu erfunden, was für erjprieglihe Maßregeln zu Gunſten
ber Freiheit der Stadt ſich mit Genehmigung des Königs auf
Grund einer beide Theile befriedigenden Gehorjamteitserklärung
treffen ließen. Die Gejandten, unter fi) uneins, führten ihre Auf-
träge läſſig aus und entſprachen den Erwartungen ihrer Auftrag-
geber keineswegs. Der eine berichtete, er habe vom König erfahren:
von irgend einem Abkommen fünne nicht eher die Rede fein, als
bis man, bereit allen gerechten Geboten des Herrſchers zu gehorchen,
den Syndikus der Stadt mit den erforberlichen Vollmachten aus-
gerüftet zu ihm fende, fonft werde jedes Gejuch vergeblich fein;
gehordhe man jedody in diefem Punfte, jo werde man den König
geneigt machen der Gemeinde von Padua jeine Gunft zu bezeigen.
Hierdurch beunruhigt beauftragte der Magiftrat ?) im Einver—
ſtändnis mit den Volfstribunen, welche jest Gaftaldionen *) heißen,
und den zwölf Mitwifjern der Staatsgeheimnifje >), welden auf
Anregung der Decurionen®) durch Senatsbefhlug ‘) die Befugnis
übertragen war über die vorliegende Angelegenheit fih ſchlüſſig zu
machen, zwei Plebejer vor erprobter Zuverläffigkeit, nämlich
Antonius de Vicoaggeris 3) und Albertinus Mufjatus fich ebenfalls
1) D. i. Franziskaner. — 2) d. i. Dominifaner. — 3) Darunter jcheint der Podeſtà
verftanden zu fein nebit Anzianen oder Savii. — 4) eine gerichtliche Behörde, deren
Competenz ſich vermuthlicdy nur iiber das niedere Volk erjtredte. — 5) wohl die Cre—
denza, ein Ausihuß des Fleinen Rathes. — 6) Der große Rath. — 7) Unter Senat ift
der kleine Rath zu verftehen. Die VBerfaffung von Padua war fehr complicirt; fie durch—
lief der Reihe nah faft alle Formen, melde in jenen Zeiten bei den Gemeinweſen
Staliens überhaupt vorkommen. — 8) Damals Syndifus von Padua, die italienische
Form des Namens ift Vigodarzere.
1311
1311
90 Zweites Bud).
an das Hoflager zu begeben, um dasjelbe, was man vorher den
ermähnten Mönchen aufgetragen hatte, zu erfunden. Cinmüthigen
Sinnes reiften diefe Männer nah Mailand, mo fie nicht ohne
Mühe durchletsten daß die Beamten der königlichen Sammer 1) fich
mit ihnen überhaupt auf Verhandlungen einließen; dann aber gelang
es ihnen gelegentlich auch ven König felbft zu ſprechen, der den er-
lauten Grafen Ameus von Savoyen, den Erzbifchof von Trier,
die Biſchöͤfe von Lüttich Baſel und Trient beauftragte, über die
Bedingungen der Unterwerfung Padua's zu verhandeln. Nachdem
die beiden Abgeordneten mehrere Tage hindurch großen Eifer auf-
gewandt und mit Wilfen des Königs mehrere Zufammentünfte
mit jenen gehabt, wurde der Gemeinde von Padua eröffnet: des
Königs Güte geftatte ihnen — jedoch unbeichadet der Königlichen
Hoheit — in halbjährlichen Terminen, an denen die Wahl ver
Rectoren ?) ftattzufinden pflegte, vier Männer, welche fie wollten,
auszumählen, jofern e8 nur Reichstreue jeien; von diefen würde
der König kraft feiner fatferlichen Gewalt einen zum Reichsvikar
beftellen, falls er ſich zur Zeit dieſſeits der Alpen befinde,
andernfall® werde der Oberftatthalter der Lombardei die Auswahl
unter den vieren treffen. Die Herrichaft über Vicenza werde den
Paduanern zugeftanden und zwar in der Form einer fortdanernden
Belehnung mit derjelben. Jene Rectoren nun oder Bicare follten
Derfaffung, Gewohnheiten, Statuten, Herfommen, Vorrechte und
Sreiheiten der beiden Städte, welche diefelben im früheren Jahren
erlangt hätten, unverfehrt aufrecht erhalten und darüber künftig vor
den Syndikaten ?) der Benölferung Rechenſchaft ablegen. Hierfür
aber müßten ſich die Paduaner dankbar bezeigen, und zwar dadurch
daß fie und ihre Nachkommen der füniglichen Kammer eine jähr-
fihe Abgabe von 15000 florentinischen Goldgulden zahlten; für
den Augenblick jollten ferner 60000 Goldgulden, um die Veran:
1) archarii. — 2) bier ſoviel als Podefta. — 3) Unter Syndifat verftand man in
den italienischen Städten die Rechenſchaftsablage, zu welcher jede Beamte am Schluß
feiner Verwaltung verpflichtet war. Die geringeren ftellten fi dazu vor dem Podeftä,
diefer vor dem großen Rathe oder einem eigens ernannten Ausihuffe (Raumer Gefd.
d. Hohenftaufen V 113).
Privilegienertheilung an Padua. 91
ftaltungen zum Vormarſch des Königs zu fördern und als Ehren:
geſchenk zur Krönung deſſelben, dargereicht werden. Ueberdies
ſollte für die Beſoldung und den Unterhalt der Miliz des Vorſtehers
der Provinz alle fünf Monate an im Voraus feſtzuſetzenden Ter—
minen der auf die Gemeinde von Padua fallende Antheil, nämlich)
5000 Goldgulden, werabfolgt werden. Die beiden Gejandten er=
flärten fich hiermit einverftanden, unter dem Vorbehalt, daß das
Volk es billige (denn weiter ging ihre Vollmacht nicht), beurlaubten
fib beim König, der ihnen viele Gunftbezeugungen in Ausficht
ftellte, und reiften ab, um fo jchnell als möglich in der Heimath
Bericht zu erftatten. Als fie aber nad) Padua famen, fanden fie
das Volk unter dem Eindrud der fid) häufenden Neuigkeiten zu
Ungunften des Königs geftimmt. Zu dem Mistrauen nämlid,,
welches ſich ſchon Früher angefammelt, hatten meitere Vorkommniſſe
neuen Stoff geliefert, wie z. B. der Umftand, daß gegen die Er—
wartung Aller welche ihr Vertrauen auf den König fetten, Graf
Bineiguerra !) von Verona bereits alle Hoffnung nad) Verona
zurüdfgeführt zu werden, wie man nach dem überall fundgegebenen
Borjag des Königs?) geglaubt, aufgegeben hatte, da er ohne
Gehör gefunden zu haben vom königlichen Hoflager fortgewieſen
worden war, mährend andererſeits Albumus und Canis della
Scala durch üffentlihe Briefe der kaiſerlichen Meajeftät zu Des
Kaiſers und des Neich8 Bilaren ?) ernannt worden waren. Auch
erregte es das Bol, als verlautete, daß Riziardus de Camino die
gleihen Befugniſſe in den Städten Trevifo Feltre und Belluno
erhalten habe, und zwar ohne Rückſicht auf Recht und Billigfeit,
lediglich durch Beftehung, weil nämlich Alles käuflich ſei. So vers
dächtigte des Pöbels, der die Urfachen jener Maßregeln nicht kannte,
Geſchwätz, welches bald ganz aus der Luft gegriffen mar, bald
ein Körnchen Wahrheit enthielt, die Verfügungen des Königs und
zog fie in den Staub. Bei einer ſolchen Lage der Dinge, während
1) Aus dem Haufe der Grafen von San Bonifacio, Haupt der Guelfen Verona’s. —
2) nämlich die VBerbannten überall zurüczuführen und zn reftituiren. — 3) nämlich in
Verona.
1311
1311
92 Zweites Bud).
die Stadt unter dem Eindrud dieſer verſchiedenen Ereigniſſe und
Nachrichten ftand und die Ausficht auf einen guten Ausgang ihrer
Angelegenheiten jehr zweifelhaft erſchien, berichteten num die Ge—
ſandten zuerft dem Magiftrat, dann dem Senat ihre Berabredungen
und theilten die Bedingungen des Könige mit. Schon während
fie redeten, konnten ſich Viele des Lachens, Ziſchens und unzeitigen
Murrens nicht enthalten; als fie geendet, entftand:ein jo großer
Lärm und ein ſolches Schelten, daß der vorfisende Podeſta kaum
im Stande war über das Vorgebrachte die Anficht der Verſamm—
lung einzuholen. Als aber endlich der Antrag durchgebracht war,
daß ein jeder feine Meinung über das, was zu geichehen habe,
abgeben jolle: da gaben mande ihren Abjchen über die einzelnen
Punkte des Abkommens fund, welde nicht nur nicht erſprießlich,
fondern durchaus unbillig und der Stadt geradezu verderblich Seien;
namentlich fer e8 unerhört, daß die Mark von Treviſo irgend einem
von Stantäwegen oder von Einzelnen beftellten Vikar gehorche, möge
er num von ihrer Stadt beftellt werden oder nicht; die auferlegten
Geldjummen ferner jeien unerſchwinglich hoch. Die etwas Be—
Jonneneren ftimmten dafür, daß man die Befefligung und Ver—
theidigung von Padua und Bicenza ins Auge falle, daß man mit
Vicenza zufammengehe, die alte Einheit durch neue Unterpfande
befeftige, Die Gräben im Gebiet ermeitere, die Schlöſſer ummalle,
die Feſtungen beider Gebiete verftärke, Waffen und Pferde be-
Ihaffe, Kurz ſich auf jegliche Kriegsfälle gefaßt mache und vor—
bereite; daneben freilich folle man auch nicht unterlafien, abermals
den König zu beſchicken und mit ihm darüber zu verhandeln, daß
er beide Städte mit Berbehaltung ihrer guten Gewohnheiten und
ihrer Verfafjung wie bisher ohne Neuerungen weiter beftehen laſſe;
nur Das eine wollte man zugefteben, daß die durch die Gemeinde
von Padua für das Gebiet beider Städte erwählten Nectoren den
Namen kaiſerlicher Vikare annähmen; doch wollte man ſich des—
wegen zu nichts verbindlid machen, wenn nicht unter ausprüdlicher
Beiſtimmung von zwei Dritteln der taufend Mitglieder des großen
Rathes. Indeß verhehlte einer der beiden Gefandten, der fih an
Abkommen zwifchen dem König und Brescia. 93
dem königlichen Hoflager umgejehen und über die Abfichten und
Berhältniffe des Königs ſich eingehend unterrichtet hatte), feine
Anfiht nicht, daß es ihm nämlich vermeifen erjcheine dem König
von einer To großen Abneigung gegen feine Vorſchläge und won
deren gänzlicher Verwerfung Anzeige zu machen; aud dürfe man
Die äußere Form nicht ganz vernadhläffigen, jondern müſſe diejelbe
vielmehr, ſoweit es geziemend und der Gemeinde möglich jei, zus
gleich der. Ehre des füniglihen Namens und den Wiünjchen dev
Paduaner anpafjen; auch folle man wohl erwägen, wie zweifelhaft
der Ausgang eines Krieges fer. Andere wiederum ſchlugen vor,
einen Aufjhub eintreten und die Sache vierzehn Tage lang ruhen
zu laſſen; inzwijchen würden ſich in Folge neuer wichtiger Ver—
änderungen eriprießlihe Rathſchläge finden laſſen; vielleicht würde
für alles weitere maßgebend fein, was die an den päpftlihen Hof
geichieften Abgeordneten, die man zurüd erwartete, vollbringen würden.
Auf Dielen Testen Vorſchlag ging der Senat ein.
- 8. Einjegung eines Statthalter in Barma.
Um diefe Zeit jegte der König einen Edelmann aus dem Geſchlecht
der Malafpini, der dem Gibertus de Corrigia genehm war, als
Vikar von Parma ein.
9. Abkommen zwijhen dem König und Brescia.
Auf Andringen des Maphäus de Maziis und der Andern, Die mit
ihm furz zuvor aus Brescia vertrieben worden waren ?), jandte der
König den Grafen Ameus von Savoyen mit etwa taufend Rittern
aus feiner Begleitung und zweihundert Matländern nad) Caftrum
Urceorum, um mit Thebaldus Bruxiadis und dem Bolfe von
Brescta entweder ein gütliches Abkommen zu treffen oder ihnen den
Krieg anzufagen. Bon Caftrum Urceorum aus ſchickte man als Ge-
jandten den Moroellus de Malaſpinis nad) Brescia, dev vor allem
darauf Drang, daß als Ausgangspunft jeglicher Verhandlung
Bartolinus de Maziis und die übrigen Gefangenen ihrer Haft
entlaffen würden. Man berief den Senat, auch das Volk trat
1) vermuthlich geht das auf Muffato jeldit. — 2) Pal. ob. Kap. 2,
—
311
1311
94 Zweites Bud).
zufammen: beide ſchlugen dieſes Verlangen ab. Thebaldus de
Bruxiadis aber mit den Edleren legte ſich ins Mittel umd rieth
die Freigebung der Gefangenen an, unter der Bedingung daß die
Mazier Caftrum Urceorum und die übrigen Schlöſſer der Bres-
cianer, melche fie eingenommen, herausgeben würden; Daß ferner
der Graf von Sapoyen aus dem Gebiet Brescia's und der zu=
gehörigen Orte weiche und den ihnen zugefügten Schaden erſetze
und daß auch der König fi) feindlicher Einfälle in ihr Yand ent:
halte. Mit Mühe fetten fie dies durch, während das Bolf, auf-
geregt Durch die Erinnerung an die ehemalige Gewaltherrichaft der
Mazier, gegen diefe entbrannte und in eine ſolche Wuth gerieth,
daß es mit Schwertern und Gejchoffen bewaffnet auf den Straßen
zufammenlief, al8 man die Gefangenen aus dem Kerfer holte, um
fie den Gejandten des Königs zu übergeben. Man mußte fie daher
in das Schloß zurüdführen, während Thebaldus mit den Edlen
vor das Volk trat und dafjelbe in längerer Rede durch verjöhn-
liche Worte ſoweit bejänftigte, Daß es zwar die Sache nicht gerade-
zu billigte, fie aber doc gejchehen Tief. Als jo des Volkes Er:
bitterung zurüdgedrangt war, nahm er die Gelegenheit wahr, um
die Gefangenen auf abgelegenen Straßen den Gejandten zuzuführen
und ihnen einen ficheren Ausgang aus der Stadt zu verichaffen.
Nachdem dann den Bresctanern ihre Schlöffer zurücgeftellt waren,
zog Ameus mit der ganzen Schaar, melde er mit fich führte,
wieder ab, marjchterte unter Verheerungen durd) das Gebiet und
die abhängigen Orte der Cremonejen und gejtattete feinem Kriegs—
volf Feuer anzulegen, zu plündern und jegliche Feindſeligkeit aus-
zuüben. Auch unternahm er einen Angriff auf Soncinum!) und
brannte alle mit dem Schloß zulammenhängenden Gebäude nieder.
Dann marjchterte er durch den Ort, bemächtigte fich defjelben und
befeftigte ihn, da ſeine Lage ihn zur Bertheidigung ſehr geeignet
erichtenen Tief, durch Gräben; die Kernichaar feiner Truppen aber
fandte er aus, um vings die Verwüſtung der cremonefischen Yände-
1) Soneino, fiidweftlih von Brescia, beherricht die Straße von Lodi und Crema
nah Brescia.
Berurtheilung der aufrühreriichen Cremonejen. 95
veren zu betreiben. Nachdem er ſolches ausgeführt, kehrte ev zum
König zurüd.
10. Berurtheilung der aufrührerifhen Cremo—
nefen. Entſchloſſen, die Empörung der Gremonefen zu Boden
zu werfen, erklärte der König diefelben in aller Form für Neichs-
feinde, indem er einen Erlaß ausgehen ließ, wonach jedem erlaubt
jein follte jene als erklärte Aufrührer wider das heilige Reich zu
verfolgen, zu vertreiben und zu tödten, und wonad ihre Güter, ihre
Rechte, ihre Unterthanen und ihr Vieh demjenigen zufallen jellten,
der ſich deſſen bemächtigen wirde; wer aber in Befolgung dieſes
Gebotes des heiligen Reichs Städte und Länder durchziehen würde,
ſollte von Weggelvern und fonjtigen Abgaben frei fein. Nachdem
1311
der König dann die Verfammlung des Heeres auf den 18. April !) Apr. 18
anberaumt hatte, jandte er den Bilchof von Genf nah Verona
Mantua und in die übrigen dem römiſchen Reich unterworfenen
Ortſchaften. Diefer machte jened Gebot allgemein befannt und
forderte die Statthalter wie die Bevöfferung auf, zu dem erwähnten
Termin ihre Streitkräfte in das Gebiet von Cremona zu führen.
Den Faiferlichen Geboten fügte er den Bannflud) des Papſtes hinzu,
ſodaß Die Cremonefen aus der Gemeinjhaft der Gläubigen aus-
gemärzt und mit denen, welche feterifche Irrlehre von dem Pfade
des orthodoren Glaubens entfernt hat, auf gleicher Stufe zu ftehn,
und deshalb Diejenigen, welche in geziemendem Gehorfam gegen
Gott fie befriegen und alle Macht daran fegen würden fie zu
Ihädigen und zu verderben, auf hundertfachen Lohn ihrer Mühen
und auf die göttliche Gnade zur Vergebung ihrer Sünden Anjprud)
zu haben ſchienen. — Die Cremoneſen ihrerſeits, geftügt auf ihre
Auffafiung der Dinge, welche fie für die richtige hielten und durd)
vernünftige Erwägungen zu befräftigen Juchten, Liegen offen hören:
man habe es ſchon nicht mehr mit einem König, fondern mit
einem Tyrannen zu thun, der entichloffen ſei, eine Gemaltherrichaft
aufzurichten, da er den Tyrannen, welche er bereits worgefunden,
1) Bis dahin hielt der König fortdauernd in Mailand Hof, abgejehen von einem
furzen Aufenthalt in Pavia, wo er das DOfterfeft (11. April) beging.
1311
96 Zweites Bud).
durch kaiſerliche Titel feine Biligung ausdrücke 1); wo aber feine
ſeien, ſolche nach dem Ermeſſen der herrſchenden Klaſſen einſetze;
die volksthümlichen Männer dagegen, ſoweit er ſie habe zurück—
führen laſſen, wieder zu beſeitigen befehle, und denjenigen, welche
ſie vertrieben, ſeine Hülfe und Gunſt angedeihen laſſe, weil er, den
Ghibellinen durchaus ergeben, die Partei der Guelfen in der Lom—
bardei zu unterdrücken beſtrebt ſei und auch in Tuscien das größte
Verlangen trage jene Partei emporzubringen. Solche Reden ließen
die Cremoneſen hören, äußerten ſich in derſelben Weiſe brieflich
gegen die Bevölkerungen der Städte ringsum und erbaten Unter—
ſtützung von nah und fern mit der Behauptung, daß ihr Verderben
der Anfang des Verderbens für alle Übrigen ſei. Dieſe in allen
Gemeinweſen Italiens offen verfündete Empörung der Cremonefen
veizte nicht nur diejenigen auf, melde DVerlegenheiten für den
König herbeifehnten, weil fie hofften, daß dann ihr eigenes Gebiet
verichont bleiben werde, fondern verlodte aud) mandye von denen,
die fih Thon unterworfen hatten, zum Abfall und hielt dadurch
den Bormarjc des Königs und die Berwirflihung feiner Pläne auf.
1) d. h. indem er fie a Reichsvikaren ernannte, wie 3. B. Mbuin und Cane in
Berona. Gar häufig ftütten die in den einzelnen Gemeinden Italiens herrichenden Ge—
ichlechter ihr angeblihes Recht auf ihre Funktionen und Titel als Reichsvifare.
——
Drittes Bud).
1. Bicenza fällt von Padua zum König ab. 1a
Obwohl der König die Folgen feines Verſuches, die Lombardei zu
unterwerfen, deutlich vor Augen ſah und fich nicht verhehlen konnte,
daß die Ordnung der verwidelten Verhältniffe dafelbft noch viele
Mühe koſten würde, fo richtete er doch feinen Blick weitſchauend
bereit8 auf die entlegenen Gegenden und beſchloß, auf Daß Dad
ganze von den Alten als Gallia Cisalpina bezeichnete Land!) feine
Befehle empfange, ehe er ven Po überfchreite, auch die Landftriche
am Adriatiihen Meere bis zu dem Winkel, wo Venedig berrict,
feinem Machtgebiet einzuverleiben. Den heroorragendften Einfluß
in diefem Landftrich befaß die Stadt Padua, deren durd langen
Frieden begünftigter Wohlftand den der Nachbarftädte übertraf.
Seit dem Sturze der Gemaltherrichaft des Eccerinus de Romano,
alſo jeit etwa fünfundfünfzig Jahren, war Padua vor jeder Er-
ſchütterung feines Staatsweſens bewahrt geblieben und hatte in
Folge deſſen in hohem Grade an Eriegerifcher Tüchtigkeit und Volks—
zahl zugenommen. Unter der Herrihaft von Padua ftand aud)
Bicenza, welches, durch feine Nothlage gezwungen, ſich der Nachbar—
ftadt unterftelt Hatte, jegt aber der Paduaniſchen Botmäßigkeit
müde war, theil® des ſüßen Gefühl Langer Ruhe überbrüffig,
theil8 aber auch aus Entrüftung über die Willfürherrichaft des
1) Im Wefentlihen das ganze Oberitalien.
Geſchichtſchreiber. Lig. 67. Leben Heinrichs VII. 7
1311
98 Drittes Buch.
Paduaniſchen Volkes, welches nicht ſelten unter Beſchuldigungen,
die öfter ungegründet als ſtichhaltig waren, und Verdächtigungen,
die lediglich aus dem Gegenſatz der Parteien entjprangen, Bürger
von Vicenza in die Verbannung getrieben oder gar mit dem Beile
hatte enthaupten laſſen. Dieje Umftände waren dem König jehr
wohl befannt, der bereit durch die Undankbarkeit der Paduaner,
denen er fich doc jo überaus milde erwielen hatte, gereizt war,
weil diejelben e8 nämlich zu verſchmähen ſchienen auf die von ihm
geftellten Bedingungen hin ihren Frieden mit ihm zu machen.
Die wahnfinnige Verwegenheit Padua's erbitterte ihn nicht wenig
und gerne neigte er der heimlichen Verſchwörung der DVicentiner,
zu der fich Volk und Vornehme faft ohne Ausnahme vereinigt
hatten, jein Ohr. Er berief aus feinen Räthen den Biſchof von
Genf Aymo, der ein ſehr geſchickter Unterhändler war, zu ſich und
gab ihm den Auftrag mit möglichfter Gewandtheit die Ergebung
der Stadt Vicenza entgegenzunehmen. Der Biſchof begab ſich mit
einer Schaar Truppen nad) Mantua, indem er Kiftig vorgab, er
habe den Befehl die Contingente der reichötreuen Städte in das
Gebiet von Cremona zur Belagerung dieſes Platzes zu führen.
Dann fam er nad Verona und erzählte dafjelbe. Darauf jegte
ex fi mit den Verſchworenen von Vicenza in Verbindung und
verabredete einen Zeitpunft zur Uebergabe der Stadt. Nachdem
alle Vorbereitungen dazu getroffen worden waren, rüdte er mit
Canis Grandis, dem Reichsvikar von Verona, Hülfsichaaren der
Mantuaner und Beronefen und einer füniglichen Heeresabtheilung
an dem fejtgejesten Tage gegen PVicenza vor und nahm die Stadt,
welche ihm die Bürger bei offenen Thoren überlieferten, in Folge
der Nadläffigfeit der Paduaner in Befis. Bald ſah man die
föniglichen Infignien auf dem Markte; der Paduaniſche Präfekt
Sohannes de Bigontia mußte fi) dem Biſchof ergeben, die Padua—
niſchen Soldaten aber, die die Beſatzung der Stadt bildeten, irrten
verftört in den Straßen umher und verftedten fich ſchließlich einzeln
in den Gotteshäuſern, in den PVorftädten oder in den Schlupf:
winkeln ihrer Landsleute. in Theil von ihnen eilte freilich zu
Unruhen in Mantua. 99
dem befeftigten Yager, der ſog. Inſel, wo ihr Standort war, und 1311
Ihloß die Thore; ſchleunigſt aber eilte Canis mit jeinen Kern—
truppen und leichtem Fußvolk herbei und legte Feuer an die Thore.
Die im Yager befindlichen vermochten, durch dieſes neue Schredniß
verwirrt, kaum die Waffen zu ergreifen, wagten feinen nachdrüd-
lichen Widerftand und eilten faft ſchon verzagend zu den Thoren;
nur wenige flürzten auf die Mauern und verjuchten fic) zu wehren;
Canis aber, der ihre Verzagtheit vorausſah, verlangte auf Rath
der Bicentiner die Uebergabe des Lagers. Die Bürger, die vor
Aufregung zitterten und faum Hoffnung hatten jolange die Beſatzung
ſich behauptete, gelobten, wenn fie das Lager überlieferten, fie an
Leib und Gut unverjehrt zu entlaffen; als aber die Thore geöffnet
wurden und die Kriegsſchaaren eindrangen, brach Canis das gegebene
Wort und ließ feine Soldaten plündern, indem er jevem erlaubte,
was ihm in die Hände fiel, an fih zu reißen. Auch hielt ex
- jelbft nit an fich, Jondern wählte ſich einige aus, ſchickte diejelben
mit Striden gebunden ohne Achtung vor feinem Waffenbündniß
und jeiner Freundſchaft mit den Paduanern nad) Verona und
zwang fie jpäter fih um jchmere8 Geld loszukaufen. Es war
diefer Canis ein Mann von rauher Sinnesart und verjchlojjenem,
unzugänglichen Weſen. Bei der Ausführung einer Pläne, die er
mit Feuereifer erfaßte, verfuhr er ungeftüm und ließ ſich durch
nicht8 von ihnen abwendig machen. Küdfichten zu nehmen, lag
ihm gänzlich fern, vielmehr glaubte ex ſich berechtigt, alles, was
ihm in den Sinn fam, auch auszuführen. Er liebte es äußerlich
noch größere Wildheit zur Schau zu tragen als jeinem Wejen ent-
ſprach. So geihah es, daß im Jahre des Herrn 1311, am 17.
Tage vor den Kalenden des Mai d. i. am 15. April, die Stadt Apr. 15
Vicenza jih der Botmäßigfeit Padua's entzog und zu König
Heinrich abfiel.
2. Unruhen in Mantua. Um dieſelbe Zeit brachen
zwiſchen den durch den König aus der Verbannung zurückgeführten
Guelfen Mantua's und den Häuptern der Gegenpartei, den Bonacofi ?),
1) Buonacoffi,
7 *
1311
100 Drittes Bud.
neue Feindſeligkeiten aus. Die einen ftachelte der alte Haß an,
die anderen die Erinnerung an die Herrihaft, deren Verluſt fie
ichmerzlih empfanden ). Bon Tag zu Tage nahmen die Reibungen
zu, Screden erfüllte die Bürger und der fünigliche Vikar Lapus
Farinata aus dem Gejchlecht der Übertt ?) wurde mit Verbächtigungen
und Angebereien beider Parteien wider einander beläftigt und ſuchte
vergebens, bald durch gütige Mahnungen, bald durch ftarfe Drohungen,
die Zwiſtigkeiten beizulegen. Endlih bradite man mit großem
Nachdruck und in glaubwürdiger Form — id) weiß nicht, ob die
Sache erdichtet oder rihtig war — dor das Ohr des Königs:
die Zurüdgeführten hätten im Einverſtändnis mit dem veränderungs-
füchtigen Volke den verwegenen Plan, die Bonacofi zu vertreiben.
Der König wurde durch diefe Nachricht heftig erichüttert und glaubte
es nicht zugeben zu Dürfen daß jene die Wohlthat, welche er ihnen
durch ihre Rückführung in die Heimath bereitet, voll Undank mis-
brauchten. So benutte er die Gelegenheit ?) und jandte Bifchof
Aymo von Genf mit einer Kriegerichaar dorthin, mit dem Auftrag
entweder einen dauernden Frieden zu vereinbaren oder aber, falls
die Vermegenheit Einzelner e3 nöthig mache, dieſe Durch gebührende
Strafe zu demüthigen. Der gewandte Vollzieher der Füniglichen
Aufträge rief den Salinguerra aus Ferrara zu fich, dem die Ver-
hältnifje der Marf von Treviſo befannt waren und dem es an
der Vermegenheit ſolche Anſchläge auszuführen feinesmegs gebrach,
erihien dann mit Lapus in Mantua und ftellte hier eine eingehende
Unterfuhung an, melche ihn veranlaßte feine Gunft den Bonacofi
al3 der dem König ergebeneren Partei zuzumwenden, die Gegenpartei
aber aus der Stadt zu entfernen, ein Unternehmen, welches durch
die Klugheit und Umficht der beiden, nämlich des Bischofs und des
Vikars, ohne Kampf bewerfftelligt ward, ſodaß Corteſia de Caſa—
xolto und Venaticus de Gaffaris mit den Ihren aus der Stadt
weichen mußten. Kurze Zeit hernach ſandte Pafjarinus de Bonacofis
1) Die Buonaccoffi hatten dem Füniglihen Statthalter in der Herrſchaft iiber die
Stadt weichen müſſen. — 2) Ueber die Uberti vgl. ob. ©. 74. — 3) Die ihm nämlih
der Anſchlag auf Vicenza bot, vgl. das vorhergehende Kapitel.
Ergebung von Lodi. 101
im Einvernehmen mit der Benölferung von Mantua jenen Bruder
Beraldus zum König mit der Bitte, ihm, dem Paſſarinus, dag
Vikariat der Stadt zu übertragen. Beraldus aber Jette es durch,
daß wider den ihm vom Volfe und von Pafjarınus ertheilten Auf-
trag ihm jelbft die Statthalterfchaft zuerkannt wurde. Doch ges
langte ev nicht in den Genuß diefer Würde, denn man ließ ihn
in Mantua nit ein und er wurde auf Betrieb des Paſſarinus,
den Canis Grandıs und Albuin della Scala unterftügten, vom
König, der feine Hinterliſt misbilligte, alsbald wieder abgejest nnd
Paſſarinus an feiner Stelle erhoben.
3. Ergebung von Lodi. Mit ganzer Seele darauf
bedacht den Reſt der Lombardei in feine Gewalt zu bringen, und
ſchon voll Mistrauen wegen der Unbeftändigfeit der Lombarden,
die ex bereit8 jo oft und vielfach erprobt hatte, beſchloß der König
fie durch ihre eigene Schlauheit zu fangen, damit nicht der Yıgurer
den Gallier an Wis übertreffe.e Er entbot daher den Antonius
de Fiſiraga aus Lodi, einen Mann von feltener Gewandtheit des
Geiftes, der ohne eine öffentliche Würde zu befleiven Lodi Cremona
und Crema mit einander lenkte, mit mehreren einflugreihen Männern
aus diefen Städten zu fich, unter der Verheißung, den Frieden zu er-
neuern und eine Webereinfunft zu treffen, welche zugleich ihren
Wünſchen und denen der königlichen Majeftät entipräde. Antonius
namlich behauptete, ex habe nicht Die Macht Lodi zur Uebergabe
zu bewegen, ja, er finde bei feinen Brüdern und den Einwohnern
von Lodi niht nur feinen Glauben, jondern ericheine ihnen wegen
der Treue, die er dem König gegenüber mit ganzer Hingebung be—
wahrt, jogar verdächtig. Als nun Antonius und die Häupter
ſeines Anhangs fi) zur Verhandlung bei dem Könige eingefunden
hatten, ließ dieſer fie feftnehmen und bedrohte fie mit dem Tode,
falls Lodi ihm nicht überliefert würde. Da gab Antonius, durch
die Betrachtung jeiner bevrängten Yage entmuthigt und ganz be
ſonders von der Bejorgnis gequält, die Vermittlung des erwählten
Biſchofs von Salerno und des Gascogners Ugo, des päpftlichen
1311
1311
102 Drittes Bud).
Kaplans 9), welche auf Clemens’ Geheiß die Cremoneſen im Sinne
des Friedens bearbeiteten, möchte ihm zuvorfommen, nad), und befahl
der Stadt ſich dem König zu ergeben, was die Einwohner jofort
thaten. Die Einnahme Lodi's ?) machte den König den Cremonefen
im höchſten Grade furchtbar, zumal da er nun den Deutjchen und
jeinen übrigen Truppen ihre Ländereien zum Plündern überlief.
Ein fo gewaltiger Schreden griff bei ihnen um fich, daß fie, aud
unter ſich uneins, zu ihren Befeftigungen und Wällen alles Zu—
trauen verloren. Eine große Zahl der VBornehmen, deren Be—
nehmen fie zu offenfundigen Empörern gemacht hatte, verließ Die
Stadt; ihre Flucht theilte auch Guido della Turre, der ſich nach
Cremona begeben hatte, und ging mit ihnen nach Bologna, von
wo aus ein jeder dahın, wohn ihn das Ungefähr führte, entwich.
Das im Stich gelafiene nievere Bolt mit feinen Tribunen und
Senatoren hielt ſich verborgen oder zerftreute ſich durch Die Stadt
hin, verließ die Rathhäufer und Verfammlungspläge, und es kam
nicht mehr zu regelmäßigen Beihlüffen der Volksverſammlung oder
des Senats, bi8 endlich ein Paar geängftigte Senatoren eine außer:
ordentlihe Verfammlung auf den Markt beriefen, wo fie darzu—
legen Juchten daß demüthiges Bitten erhört werden würde; man
jolle, riethen fie, den König aufnehmen, ihn zu beichwichtigen fuchen
und ferner Milde Alles anhermftellen.
4. Cremona's Ergebung und VBerderben. Nah
Borausfendung von Boten öffnete man die Thore und der Adel
jammt dem Volke, in Trauergewänder gehüllt, ging, nach Ständen
georonet, mit Palınzweigen in den Händen, dem König eine Meile
1) Nach jeinen eriten Erfolgen in der Lombardei hatte König Heinrich den Papſt
erfuht die auf den 2. Febr. 1312 (vgl. die betr. Anm. zu Buch 1 Kap. 6) angejekte
Kaiferfrönung an einem friiheren Termin ftattfinden zu laſſen. Man einigte fih auf
Pfingften (Mai 30) 1311; doch zeigte fich diefer Termin bald als zu zeitig, worauf
Clemens in diefer Angelegenheit die hier von Muffato erwähnten Männer, Robert er—
wählten Biichof von Salerno und Hugo Geraldi feine Kapläne, mit einem Brief an den
König fandte, der dann den Tag der Himmelfahrt Mariä Aug. 15. für feine Krönung
anjegte. Vgl, unten Kap.5 am Ende. — 2) Ausführliher und richtiger erzählen andere
Duellen, befonder8 Johannes von Cermenate (j. u.) und Bifhof Nikolaus von Butrinto
die Gewinnung Lodi’s fiir den König.
Cremona's Ergebung und Verderben. 103
weit von den Vorſtädten aus entgegen. Einen goldenen Baldadın
führten fie auf den Spigen der Ranzen mit fi, damit unter ihm
die königliche Majeſtät einherziehe. Als aber der König mit feinen
Schaaren und Schlachthaufen, dicht umdrängt von den Fürften des
Heered, heranfam, weigerte er fih unter den Thronhimmel zu
treten, da er im demſelben nicht ein Anzeichen von Ergebenbeit,
jondern einen Ausdrud der feigen Furcht derjenigen, deren Hartnädig-
feit er ſonſt erprobt hatte, erblidte. Ohne Verzug nahm er dtei—
hundert der einflußreichften und thatkräftigften Cremoneſen in Ge—
wahrſam und Lie fie im verfchtedenen Städten iun Feſſeln legen.
Dann betrat er die Stadt, nahm furchtbar anzufchauen auf der
Gerihtöftätte Pla und fällte mit Hevanziehung derjenigen, melche
fih durch Kenntnis der Rechte und Bräuche wie aud der Straf:
mittel der kaiſerlichen Conftitutionen auszeichneten, vom Throne
herab folgendes Uxtheil: die Thore und Befeftigungen der Stadt
jollten gänzlich zerftört, die ſämmtlichen Auszeichnungen, Freiheiten
und Vorrechte, welche fie vom Reiche empfangen, ihr entzogen werden;
niemand außerhalb des Umkreiſes der Vorftädte ſollte der Gemeinde
untergeben, alle ihre Bürger und abhängigen Orte frei fein, jeder
Cremoneſe dagegen ſollte ein Knecht des heiligen Römischen Keiches
jein, mit Ausnahme derer die ſich dem König nicht geftellt hätten,
diefe nämlich ſeien als erklärte Feinde des Reichs zu betrachten.
Der höchſte auf dem Markte gelegene Thurm, der ſog. Turriazzo,
auf defien Gipfel fi) das Standbild eines Yöwen befand al weit-
bin fihtbare Zierde der Stadt, war ſchon zum Niederreißen be-
ftimmt, ald die milde Königin zu Gunften des flehenden Volkes
den König begütigte und ihm von feinem Vorhaben abwandte;
ebenfalls auf Verwendung Der Königin enthielt man ſich auch des
Beutemachens, der Verheerungen und des Zerftörend der Häufer.
Soncinum Rimenengum und die übrigen befeftigten Orte im Gebiet
von Cremona ergaben fi) auf die Kunde von der Einnahme der
Stadt dem König, der Fall derjelben jchredte aber weit und breit
Die benachbarten Gegenden. Der König fer ein Wütherich, hieß
ed; natürlih waren, wie es bei ſchnell verbreiteten Gerüchten zu
1311
1311
Aug. 15.
104 Drittes Bud).
gehen pflegt, die ausgehenden Nachrichten meift übertrieben und das
Wahre in ihnen war mit Falſchem vermifcht. Der König erſchien
von nun an den Yeuten jo fürdterlih, dag man ſich in mannig-
fachen aufrühreriichen Neben erging und daß bereit3 die entgegen-
gejetsten Beftrebungen gewaltfam aufeinander platten.
5. Empörung Brescia’d Thebaldus de Bruriadie,
der angejehenfte Mann in Brescia, und die übrigen Vornehmen
(ten in völliger Mebereinftimmung mit dem Volke, da es ſchien
daß in Folge ihres bisherigen trogigen Auftretens gegen den König
feine Hoffnung ihn zu befänftigen vorhanden et, mit emſigem Eifer
das Korn, ehe es veif wurde, mähen und alles Grün, das Die
Erde trug, abjchneiden, die Bäume und Weinftöde fällen, altes
Getreide von allen Seiten zulammenbringen und nebft Allem, was
zum Lebensunterhalt oder zur Kleidung der Menjchen veriwendet
werden kann, in die Stadt führen und dort niederlegen. reife
und Kinder wurten aus der Stadt getrieben und nur die Waffen-
fähigen zurüdbehalten, Geſchütze und Mafchinen wurden erbaut
und auf die Zinnen gejchleppt, dann ſchloß man die Thore.
Schon zog aud) der König mit den Contingenten aller gehorjamen
Gemeinden und feinen fränkiſchen und germaniſchen Schaaren in
Eilmärſchen heran um die Stadt zu belagern und legte ſich vor
diejelbe, indem er fein Yager ringsum in der Ebene und über die um-
gebenden Hügel bin auffchlug und fich ſämmtlicher Päfje und Straßen
bemächtigte. Inzwiſchen empfing er von den Gejandten, melde ex
an die Curie nad) Avignon geſchickt hatte, ein Schreiben des heiligen
Baters, welches ald Tag der Krönung das Feft der Himmelfahrt
der heiligen Gottesmutter Maria im bevorftehenden Monat Auguft
anfündigte; und zwar jollte die feierliche Handlung in der Stadt
Rom in Beiſein dreier in jenem Schreiben bereit mit Namen
aufgeführten Cardinäle al8 außerordentlichen Gejandten der heiligen
Kirhe vor ſich gehen. Diefe Ausficht erweckte bei den Italifern
und Galliern, welche der Sache des Königs zugethan waren, große
Freude, bei den übrigen dagegen allgemeine Betrübnis.
Padua unterwirft fid) u. wird mit fgl. FreiheitSbriefen begnadigt. 105
6. Padua unterwirft ih und wird mit könig—
[ihen Freiheitsbriefen begnadigt. In diefen Tagen
entfchloffen fich die Paduaner, durch jo große Erſchütterungen und
Unruhen aufgefchredt; und in der Einficht daß, jobald Brescia
gebrochen fei, die Feindſeligkeiten der Königlichen fi) wider Padua
richten würden, nicht länger zu zögern mit dem König in eim
gutes Einvernehmen zu fommen. Bol Neue daß fie das erjprieß-
liche Abkommen, welches Antonius de Bicvaggeri8 und Albertinus
Mufjatus erlangt, verſchmäht hatten, überhäuften fie dafjelbe jett
mit Lob als im höchſten Grade heilfam, erhoben die Umficht,
Trefflichkeit und Gejchielichket des Antonius und des Albertinus
bi8 zum Himmel und jchmähten und jchalten auf die welche vorher
gegen jene gefprochen hatten. Um diefelbe Zeit erfuhr man durd)
Zwiſchenträger daß der vorermähnte Biſchof Ayıno von Genf den
zwölf Werfen, die damals das Gemeinwejen lenkten, unter der
Hand habe mittheilen lafjen: wenn es der Gemeinde von Padua
gefiele und fie dem König unter ©emwährleiftung ihrer Freiheit
gehorchen wollten, jo werde fid) das von der Milde des Königs
leicht erreichen laffen, und zwar durch Aymo's Vermittlung, der
fih für fie zu verwenden bereit ſei, jofern fie e8 wünſchten und
genehmigten "und jofern fie nur die überhaupt erreichbaren Be—
Dingungen, welche fie zu fordern gevächten, dem Biſchof vorher Fund
machen wollten. Als man jo nad beiden Seiten hin unter Ver—
mittlung der Bertrauten des Königs fondiert hatte, wurde endlich
eine Zuſammenkunft in Barbanım, einem Ort an der Grenze
zwifchen dem Paduaniſchen und PVicentinifhen Gebiet, angelegt.
Hier traf der Bifchof nebft wenigen Begleitern mit ſechs Geſandten
der Stadt zufammen. Als Ayımo fragte, welche Bedingungen die
Paduaner zu erlangen wünjchten, wurden ihm diejelben durch
Albertinus Muffatus, dem alle früheren Berhandlungen am fünig-
chen Hoflager befannt waren, auseinandergejeßt. Der Herr von
Genf, dem fie als vernünftig gefielen, ſprach fi) dahin aus daß
fie wohl erlangt werden fünnten, und gelobte im Intereſſe der
Paduaner jelbft zu dem König zu eilen, ın der Hoffnung das
1311
1311
106 Drittes Bud.
Weſentliche von dem was fie ihm jett dargelegt und was Andere
erlangt hätten, oder Aehnliches für fie auszuwirken, wozu er alle
Mühe aufzumenden verſprach. Die Gejandten drücten dem Biſchof
ihren Dank aus, worauf die Zuſammenkunft beendet ward und
Aymo nad Vicenza, die Abgeordneten aber nah Padua zurückkehrten.
Hier brachte man die Sade erft an Die zwölf Vorfteher und die
Volkstribunen, dann an die taufend Mitglieder des großen Rathes
und erlangte auf Antrieb des Mufjatus, der dazu anfpornte und
die DVortheile dieſes Schritted mit Anführung der gemwichtigften
Dernunftgründe darlegte und beleuchtete, einen Rathsbeſchluß, wo—
nad) Gejandte, unter denen ſich Antonius de Vicoaggeris und
Albertinus Muſſatus befinden follten, zu bejtimmen wären, Die
unter Führung des Biſchofs Aymo zum König eilen follten, um von
deſſen Milde zu erreichen daß er ihnen feine Gunft wieder zu=
wende und ihnen nochmals Friedensbedingungen gewähre, unter
denen die öffentliche Ruhe und die Berfafiung des paduaniſchen
Gemeinwejens unerjchüttert beitehen könnten, wogegen fie, Die
Paduaner, den Geboten des Königs gehorfam fein und den Treu—
eid leiften wollten nah Maßgabe ver alten Gewohnheiten und
Geſetze des Kaiſerthums. Ohne Berzug wählte man aus dem
Kitterftand Henricus Scerovegnus, aus dem Volfe die Richter
Antonius de Brognachis und Antonius de Leo, denen man Die
Ihon erwähnten Männer, Antonius de Vicoaggerid und Albertinus
Muſſatus, welche fi durch Die Kenntnis der früheren Verhand—
(ungen empfahlen, beigab, damit die Angelegenheit um fo erſprieß—
licher betrieben werden fünnte. Die beiden legteren weigerten fich
indeß wiederum eine Gefandtihaft zu übernehmen, in ver Er—
innerung daran wie jehr fie unter der Nichtanerfennung ihrer
Bemühungen, ja unter dem Vorwurf verbrecherifcher Teigheit und
Mangeld an Umficht zu leiden gehabt hatten, Doch Liegen fie fich
ſchließlich durch das Drängen der Decurionen und der Volkstribunen
beihwichtigen, unterzogen fi, durch die große Gefahr des feinem
Berderben nahen Staates in Schreden geſetzt, der Geſandtſchaft
und machten fich mit den übrigen auf ven Weg. ALS fie fih bis auf
Padıra unterwirft ſich zc. 107
ein paar taufend Schritt Bologna genähert hatten, kamen ihnen
Boten der Bolognejen entgegen um ihnen das Betreten ihrer Stadt
zu unterfagen, da fie zu dem ihnen verhaßten und verfeindeten
König reiften, und fie zu jchleuniger Entfernung aus dem Bolog-
nefilhen Gebiet aufzufordern. Da fein anderer Weg ihnen offen
ftand, jo mußten fie umfehren, doch erlangte man dann durch
bejondere Gejandte von den Bolognejen aufs neue das Recht durch—
zupaffieren, und, da von den ſechs Abgeordneten Henricus Eerovegnus
erkrankte, Antonius de Rogatis aber dringender Rechtsgeſchäfte
halber zu Haufe bleiben mußte, jo gingen nur die vier übrigen
an das Hoflager des Königs. Am feftgejegten Tage erfchienen fie
vor dem Stuhle des Herriherd, an den im Auftrag der Mit-
gejandten Albertinus Mufjatus folgende Anſprache hielt. 1)
„Zum dritten Male 2), hochfinniger König, geftattet mix die
Gunft Gottes und der himmliſchen Heerihaaren das hehre Antlis
deiner Majeftät zu ſchauen, du Zierde der Chriftenheit, durch den
unter den Augen Gottes die Könige Könige find und die Herricher
bereichen. Und wenn ich dieſes Mal, da ich hier vor dir ftehe,
die Angelegenheiten des Paduanifchen Gemeinweſens dergeftalt fördere
daß dieſes Gemeinweſen zugleich deinen Wünjchen ſich fügt ?), jo
will ic mich glücklich preilen, mic für einen Liebling Gottes
halten, und an der Erinnerung hieran mic) tröften, felbft wenn es
das letzte Glück fein follte welches mir je zu Theil wird. Doch
ic komme zu dem was mir aufgetragen iſt. Dem Paduaniſchen
Staate, welcher jetzt an langen Frieden gewöhnt ift, der die Studien
und die Weisheit pflegt *), Parteikämpfe nicht fennt, und Gewalt-
berrichaft nicht erträgt, erſchien dein Einmarsch in die Lombardei
als ein höchſt erfreuliches Ereignis. Zum Beweife führe ih an
daß die Biſchöfe von Chur und Conftanz 5), deine Fürften, bei ung
wie Himmelsboten, die nicht Irdiſches, ſondern Himmliſches melven,
1) Die folgende Rede ift von Wychgram, Albertino Muſſato, S. 15—17, überſetzt
worden. — 2) Bgl. die Einleitung. — 3) So möchte wohl der jeltfame Ausdruf ut
tuis sit compos votis illa respublica zu verftehen fein. — 4) Muffato fpielt auf die
berühmte Univerfität Padua’3 an, welche im Jahre 1222 begründet wurde. — 5) Die
Biſchöfe Siegfried van Chur und Gerhard von Eonftanz erichienen als Gefandte König
Heinrich's im Mai 1310 in Stalien.
1311
-108 Drittes Bud).
1511 aufgenommen find. Zu dem freudigen Schaufpiel deiner Krönung
jodann haft du in königlicher Yeutjeligfeit aud) und Paduaner ein
geladen, und Auserlejene von und waren als Zufchauer bei jenem
herrlichen Feſte anmejend, unter ihnen auch meine Geringfügigfeit.
Kurz darauf jandte Padua's Bevölkerung den Antonius de Vicvag-
geris, denjelben der hier neben mir fteht und mid) jelbft, wenngleich
jo unbedeutend, wie du mi — ſchau her! — hier vor dir fiehit,
damit wir deiner füniglihen Herablaffung vorlegten was wir zu
einem ruhigen und glüdlichen Dafein bedürften und was aus
dieſem Bedürfnis heraus die Gemeinde von div erbat. Du
winfteft unjeren Bitten Erhörung, o Caeſar! Obwohl frei, haft
du dich doch willig bezeigt dich zu binden, indem du div jelber
Geſetze vorjehriebeft, die dir zu überfchreiten, wenn du gleich Willens
wäreft, nicht zufüme; nämlich du haft feſtgeſetzt daß wir un felbft
Rectoren wählen, unter unjeren eigenen Geſetzen leben, unjere
Sitten und Gewohnheiten bewahren follten, haft e8 für Recht er-
fannt dag wir über die Stadt Vicenza herrichten und haft auf ung
dein unbegrenztes und ungetheilte8 1) Recht über dieſe Gemeinde
übertragen, in deiner Huld gegen ung beinahe, wenn id) das Wort
wagen darf, ein Berjchwender! Denn mas, frage id), wollt ihr
Paduaner von der föniglichen Freigiebigfeit noch mehr erbitten ?
Froh alfo und vollftändig befriedigt wandten wir und von deinem
UAngefichte heimwärts, mit dem Verſprechen, an einem beftimmten
Zage mit der Annahmeerflärung To großer Gnaden jeitens de8
Volkes zurüdzufehren. Du fragit jest: weshalb habt ihr verfäumt
an jenem feftgejegten Tage wiederzufehren? woher die Zögerung ?
Gnädigſter König, nicht an einen Alleinherricher hatten wir ung zu
wenden, der durch feinen Mund allein die Anwort giebt, fondern
wir brachten die Sache an eine zahlreiche Bevölkerung, welche aus
den Golonien, Burgen, Fleden und Dörfern nur jchmer zu ver—
jammeln war. Als diejelbe aber endlich verfammelt war, was fid,
da man bei allen erſt Die paflende Zeit abwarten mußte, nur =
langjam erreichen ließ, Da erregte die Kunde von deiner Bereit:
1) Im Tert ift wohl immixtum für mixtum zu leſen.
Padua unterwirft fich ıc. 109
willigfeit jo große Vergünſtigungen zu gewähren, eine fo gewaltige
Freude daß das zum Himmel tönende Jubelgejchret und Die ein—
müthige Beglückwünſchung des Volkes fih an deiner erhabenen
Freigiebigkeit gleihjam zu ſättigen ſchien !). Aber mas Hintertrieb
denn eigentlich unſere Rückkehr zur werabredeten Zeit? Ich will
es jagen: die Erwägung über die Art und Weife im der deine
Gebote am beten deiner Erhabenheit entiprechend auszuführen
ſeien. Nicht, weil man das, mas du gemwährteft, nicht mit ein-
müthiger Freude aufgenommen hätte, ſondern weil bei einer fo
großen Freigiebigkeit deinerſeits die von Dankbarkeit überftrömen-
den Gemüther iiber die Art dir diefe Dankbarkeit zu bezeigen nicht
einig waren, da jeder wollte dag dir dic Aufrichtigfeit unferer Ge—
finnungen und Bemühungen, jo deutlich als möglich, fund gegeben
würde! Wetteifernd jchlugen die Tribunen diefe, die Decurionen
jene, der Senat noch andere Wege und Formen deine Majeftät zu
ehren vor, bis fie endlih — allerdings nad Verlauf einer etwas
längeren Zeit als der Anlaß erforderte — einmüthig beichlofien
dir zu Willen zu jein, Div zu gehorchen, Dich als erhabene Zierde
zu verehren und das, was wir, Antonius und Muffatus, mit dir
verhandelt und ausgemacht hatten, zu beftätigen. Da fommt den
Paduanern plötzlich die überrafchende Nachricht zu: Canis von
Berona habe Bicenza bejett, die Paduaniſche Beſatzung der Stadt
aber vertrieben oder gefangen genommen. Solches konnte Canis
thun, unjer Mitbürger und Bruder, dem auch ſonſt jederzeit bie
Thore Padua's offen geftanden hätten, der durch unfere Gunft
groß geworden iſt, mit dem und Waffenbündnis und Bürgerrecht
verbindet! Aber, bei Gott! beſſer wäre es gemefen, wenn die
Paduaner deinen Befehl gekannt Hätten, denn mir wären eifriger
Darauf bedacht geweſen dir zu gehordhen, ald du ung zu befehlen 2).
Denn aus welchem Grunde und in welcher Hinficht ift, wofern
1) Für satiaret ift Hier wohl satiaretur zu leſen. — 2) Muffato will fagen: Hätten
die Paduaner gewußt daß der König ihnen Vicenza zu entfremden gefonnen fei, fo
wilrden fie gern diefe Stadt preisgegeben haben; nur das eine ſchmerze fie, daß ihr bis—
beriger Freund und Bundesgenoffe Cane grande fich jo treulos und undankbar gegen fie
ermwiejen habe.
1311
1311
110 Drittes Buch.
nur die Völker im Frieden verbleiben und die höchſte Gottheit Dich N
am Xeben erhält und beihütt, für Padua die Fortdauer feiner
Herrſchaft und Oberhoheit über Vicenza wünſchenswerth? Bielleicht
jagt jemand: e8 war dies eine Ehrenjache für Padua. Aber dieſe
Ehre, o König, ward durch eine Laſt, welche ſich auf fünfzig
Pfund Goldes belief, überwogen. Die Vicentiner mögen unab—
hängig fein, wofern fie e8 nur ſelbſt wollen, und dieſe Angelegen-
heit joll bei unfern Verhandlungen aus dem Spiel bleiben. Wir
find erjchtenen um Stadt und Bürger deiner Botmäßigfeit zu
unterwerfen. Wir befennen uns als Getreue des heiligen Reichs,
nur geftatte, o König, in deiner Gewifjenhaftigfeit daß wir au
ferner nach unferen eigenen Gelesen, unter denen wir jo lange in
Freiheit gelebt haben, leben mögen. Möge ung gewährt fein ge=
ſchickte und brauchbare Männer nad) unferen Sitten zu Borftehern
zu mählen, unter welchen du jelbft einen ausfuchen magft, dem du
für den Zeitraum eines halben Jahres die höchfte vichterliche Gewalt
bei und überträgft. Auch mögen die Paduaner fich ihrer Güter
und Befitthümer, die ihnen unvermuthet geraubt worden find,
wieder erfreuen. Zu foldhen Bedingungen find wir willig bereit,
hiermit ift unfere Gemeinde zufrieden. Du aber, lebe und wirke,
unbefiegliher König, du Heil aller Chriſten auf Erden!“
Nachdem Mufjatus jo geredet hatte, hieß der König Die
Geſandten fich entfernen, verfammelte feine Fürften und trat nad
veiflicher Dreitägiger Berathung, bei der fi) die Königin Margaretha,
Graf Ameus von Savoyen, die beiden Brüder des Königs und Die
übrigen Bertrauten, namentlid) aber Biſchof Aymo von Genf, für
die Paduaner verwandten, mit folgenden Verfügungen hervor, die er
in den nachftehenden füniglichen Urkunden vechtöfräftig niederſetzen ließ:
„Wir Heinrih, von Gottes Gnaden römiſcher König, allezeit
Mehrer des Reichs, entbieten allen Getreuen des heiligen römiſchen
Reiche, die diefen Brief jehen, unfere Gnade und alles Gute! —
Dann wird der Eifer der Getreuen und Ergebenen des Reichs all-
feitig entflammt, wenn er des Königs Freigiebigfeit ihnen zu ihrem
Rechte zu verhelfen und Gnaden zu fpenden willig und bereit er
Padıra unterwirft fich ꝛc. 111
findet. Deshalb gewähren wir, in dem Wunſch gnädige Fürjorge
für die Ruhe und das Wohl der weiſen Männer, des Kathes und
der Gemeinde von Padua, unferer lieben Getreuen zu treffen, und
verftatten ihnen aus fünigliher Güte daß fie alle ſechs Monate
vier brave und geeignete, und und dem Neid) ergebene Männer
erwählen und deren Wahl durch offene, mit den Siegeln der Ge—
meinde verjehene Briefe zu unjerer Kenntnis bringen mögen, falls
wir uns in der Lombardei, in Tuscien oder ſonſt dieſſeits der Alpen
oder aud in der Stadt Rom aufhalten. Wir werden dann von
den vorgenannten vieren einen, welchen wir wollen, ihnen geben
und zum Bifar und Rector der genannten Stadt Padua auf
ſechs Monate jegen, und werden durch unjern offenen, mit dem könig—
lichen Siegel verjehenen Brief dem jevesmaligen Biſchof von Padua
oder einer andern geeigneten Perſönlichkeit, die ihren Aufenthalt in
Padua hat, ven Auftrag ertheilen won demjelben Dergeftalt durch
föniglihe Gewalt ernannten Bifar in unferem Namen den Eid
entgegenzunehmen, daß er die Yeitung der genannten Stadt und
ihres Gebietes trefflich, gejegmäßig und treulich zur Ehre und zum
Nutzen unferer Perfon und des Reichs ausüben und handhaben
wolle. Falls wir dagegen uns außerhalb der Lombardei oder
Tusciens oder der dieffeit der Alpen gelegenen Gebiete und auch
nicht in der Stadt Nom befinden jollten, jo ſoll die Wahl jener
vier unſerem eneralftatthalter der Lombardei angezeigt werben,
und diefer Toll aus ihnen einen, welchen er will, zum Vikar Der
Stadt Padua erheben unter Wahrung der oben vorgefchriebenen
Art und Weiſe. Wir wollen jedoch daß Diefe Gnade und Ber:
günftigung von heute, dem Tage der Ausftellung dieſer Urkunde
an, nur jech® unmittelbar auf einander folgende Jahre in Kraft
bleiben joll, e8 fer denn daß wir und aus reichlicherer Gnadenfülle
heraus entſchließen jollten den gedachten Zeitraum zu verlängern.
Derſelbe Vikar ſoll auch die genannte Stadt und ihr Gebiet, wie
er es nad) dem Recht innehat und befitt, in gemeinem, friedlichem
Zuftand in unferem Namen regieren, zu Gottes, unjer und bed
Reiches Ehre, nach den Gefegen und guten Gewohnheiten jomie
1311
1311
Suni 9.
Apr. 15.
112 Drittes Buch.
nach den von uns gebilligten oder noch zu billigenden Feſtſetzungen,
Gejegen und Abmachungen, welche Teftfegungen, Gejege und Ab-
machungen weder gegen Gott noch zum Nachtheil unferer und des
erwähnten Reiches Ehre fein jollen. Da wir aber wollen, daß die
vorgenannte Stadt Padua des erwünſchten Vortheils der Ruhe ge—
nieße und durch königliche Umſicht vor jeglichen Nachtheilen be—
wahrt bleibe, jo haben wir für gut befunden die Stadt ſelbſt, ihr
Gebiet, ihre Einwohner, und Einrichtungen in unferen ganz be
jonderen Schu und Schirm zu nehmen, und gegen eine jähr—
lite Abgabe von zwanzig taufend Gulden guten und puren
Goldes, welche fie unferer Kammer zu entrichten hat, von jeglichen
Antheil an der Aufbringung des Gehaltes unſeres Provinzialoor-
ſtehers zu entbinden. — Diefer Dinge aller zu Urfund haben
wir diefen Brief niederjchreiben und mit unferer Majeſtät Inge—
fiegel befiegeln laſſen, der gegeben iſt im Lager wor Brescia am
9. Juni in der neunten Imdictton im Jahre des Herren 1311,
unſeres Reichs aber im dritten Jahre.“
Zweitens: |
„Wir Heinrich, von Gottes Gnaden römischer König, allezeit
Mehrer des Reiche, entbieten allen Getreuen des heiligen römischen
Reichs, die dieſen Brief ſehen, unfere Gnade und alles Gute!
— 68 ziemt der füniglichen Erhabenheit dasjenige was Zwiftige
feiten und Verirrungen unter den ©etreuen des Reichs herbeizu=
führen im Stande ift, mit emfiger Sorgfalt aus dein Wege zu
raumen und einen friedlichen Zuſtand herzuftellen, denn, folange
Gemüth und Sinn der Ruhe genießen, bequemen fie fic) beſſer
zum Gehorfam gegen und und zur Ergebenheit gegen das Neid).
Wir wollen daher und ordnen an daß Diejenigen Paduaner, welche
am fünfzehnten Tage des jüngjtverwichenen Monats April, an
welhen Tage Vicenza der Obhut der Stadt Padua enthoben
ward, und nach jenem Tage durch irgend welche Leute aus der
Stadt oder dem Gebiet von Vicenza ihres Beſitzes, ihrer Rechte
oder unbeweglichen Güter beraubt worden find, im Genuß dieſer
ihrer Güter und Beſitzungen ohne Rechtsgang und Anftrengung
Padua untermwirft fih x. 113
einer Klage wieder hergeftellt werben. Dieſe Wiederhergeftellten ızı1
aber follen ihr Eigen in Befig nehmen und behalten ohne irgend-
welche ungerechte Beläftigung oder Beichwerung, doch jo dag die
vorgenannten Paduaner gehalten fein jollen, jene Güter, Rechte
und Befitthümer der Gemeinde von PVicenza oder einzelnen Per—
fonen aus der Stadt oder dem Gebiete derjelben um einen ge-
ziemenden Preis käuflich zu überlafjen, wenn die vorgenannte Ges
meinde von Bicenza oder einzelne Perfonen aus der Stadt oder
ihrem Gebiet dieſelben zu erwerben wünſchen, doch joll jeglihem
fein Recht vollftändig gewahrt bleiben, ſodaß aus diefen Beſtim—
mungen niemandem irgend ein Nachtheil an feinem echte erwachſe.
Für die beweglichen Güter aber, welche die Paduaner in der Stadt,
dem Gebiet und Diftriet von Vicenza innehaben oder hatten, jo
viele deren in die Hände der Vicentiner gelangt find, joll, ver-
ordnen wir, durch den Statthalter von PVicenza ihnen eine ent-
ſprechende Entſchädigung ausgewirkt werden. Auf diejelbe Weiſe
beftimmen wir und münfchen daß es durchaus bei der Wieder:
herftellung der Beſitzthümer, Rechte und beweglichen wie unbeweg-
lichen Güter, melde die Vicentiner in der Stadt und dem Gebiet
der Paduaner oder ſonſtwo haben, und welche an dem vorgenannten
Tage oder päter von den Paduanern in Befis genommen find
und ſich noch in deren Beſitz befinden, gehalten werde, indem wir
zugleich anordnen und beftimmen, daß alle und jegliche Bürger
Padua's, welche an dem vorgenannten Tage oder ſpäter durch Die
unferen oder durch die Bürger von Vicenza oder durch Fremde ges
fangen worden find, freigelaffen werden. Wir fügen überdies hinzu
und befehlen, daß Die Gemeinde Vicenza, die einzelnen wie bie
Gefammtheit, den Verpflichtungen, melche fie nachweisbar gegen die
Paduaner hat, nachkomme, wie es ſich gebührt, auf daß jegliche.
Grund zur Beichwerde mwegfalle, jowie aucd daß die Paduaner den
Bicentinern in Betreff ihrer Verpflichtungen gleichfalls genugthun.
— Aller diefer Dinge zu Urkund haben wir diefen Brief nieder—
Ichreiben und mit unferer Majeftät Ingefiegel beſiegeln laſſen, der
gegeben ift im Lager vor Brescia am 9. Juni im Jahre des Juni 9
Geſchichtſchreiber. Lg. 67. Leben Heinrichs VIT. 8
114 Drittes Bud).
1311 Herrn 1311, in der neunten Indiction, unſeres Reichs aber im
dritten Jahre.“
Nah Ertheilung diefer Privilegien befahl der König, daß
Padua, um fich für feine Freigiebigfeit dankbar zu bezeigen, Tomte
als Ehrengejchent für die Königin und zur Wiverlegung der ges
waltigen Ausgaben, welche die Belagerung von Brescia, mit Der
man beihäftigt war, verfchlang, innerhalb eines beftimmten Zeitz.
raumes der Königlichen Schatzkammer hunderttaufend Gulden über-
weile. Hierauf entließ er die Gefandten. Im Senate berichtete
Muſſatus im Auftrag feiner Gefährten das Ergebnis ihrer Unter—
handlungen im einzelnen und fand jeltenes Yob indem ein jeder
erklärte daß alles zum Heil des Baterlandes gereiche. Ald nam:
lich fünfhundert und fünfzig Senatoren nad) der Sitte der Paduaner |
mit bleiernen Kügelchen, welche man Ballotten nennt, (Die jeder
insgeheim in die Urne werfen mußte, damit aus der Zahl der—
jelben ganz fiher die geheime Anficht der einzelnen zu Tage trete)
abftimmten, ward gegen nicht mehr als fiebzehn Ballotten, die ſich
in der Urne der dagegen Stimmenden befanden, alles genehmigt.
Nach etwa vierzehn Tagen erſchien als Abgeordneter des Königs
Biſchof Aymo von Genf, Der vom Senate, von den einzelnen
Senatoren und den Zribunen den Treueid entgegennahm. So
unterwarf fih Padua dem Reiche, während der vorermähnte
Heinrih VII. König war, im Jahre nah Chriftt Geburt 1311
Sumizı am 21. Jun. Wenn aber jemand auf die Conftellationen und
Umdrehungen der Himmelöförper achtet, ſo ift folgendes Zuſammen—
treffen bemerfenswerth, dag nämlich Padua an demſelben Tage,
an welchem “8 vor ſechs und fünfzig Jahren!) vom Reiche zur
römischen Kirche abgefallen war, nunmehr zum Reiche zurüdfehrte.
Inzwiſchen langten in Padua zwei der Gefandten an, melde die
Stadt an die Curie geichielt Hatte, nämlich der Doctor der Rechte Bartcus
de Lingua de Vacca und der Ritter Anſelminus de Anjelminis, die bet
der Durchreife im Lager des Königs wegen der Widerjpenitigfeit
1) Bielmehr vor 55 Jahren. Der Abfall von Ezzelino und die Flucht des Neffen des—
ielben Anfedifio aus Padua erfolgte am 21. Juni 1256.
Belagerung von Brescia ıc. 115
ihrer Stadt und weil man behauptete, fie hätten im Angeficht des
Papftes ſich Schmähungen gegen den König erlaubt, feitgehalten
worden waren, nun aber, in Folge des frienlichen Ausgleichs
befreit, endlich in Padua erfchtenen und dem Senat und Bolf
die Antwort des Bapftes überbrachten, welche dahın lautete daß
fie dem erlaucdten Könige, dem Sohn der römiſchen Kirche, in
allen Stüden gehorchen follten; eher würde feiner von ihnen Er—
hörung finden; fondern erft menn dies geichehen, fünne Die priefter-
liche Milde fi) auf ihre Gefuche einlaffen, ſoweit diejelben mit
der föniglihen Hoheit und ihrer eigenen Ehre jih im Einflang
befänden. Nach abermaligem Verlauf weniger Tage fehrten dann
audy der Richter Iohannes de Vigontia und der Ritter Roland
de Guarnerinis, die Mitgefandten der letzterwähnten, zurüd und
beftätigten was jene berichtet hatten.
7. Belagerung von Brescia und Tod des The-
baldus de Bruxiadis. Um diefe Zeit war der König in
feinem Lager vor Brescia nebjt den lombardiſchen Hilfsvölkern mit
der Belagerung der Stadt beichäftigt 1), beläftigte die Vertheidiger
ohne Unterlaß durch Belagerungsthürme, Sturmböde und alle
Arten von Schleudermafchinen, erlitt aber aud von ihnen bei
einigen Ausfällen und durd) die Geſchoſſe ihrer Mafchinen Berlufte,
indem das Glück, wie e8 zu geichehen pflegt, bald diefem bald jenem
Theile jeine Gunft zumandte. Ber diefer Belagerung ereignete fich
nun folgender bemerfenswerthe Tall. Thebaldus de Brurxia—
DIS, das Haupt der Brescianer, hatte an einen dem königlichen Lager
nahe gelegenen feljigen Hügel eine Warte, melde die Yombarden
Ditifredus ?) nennen, erbauen lafjen, die nicht nur zur Beobachtung
der Bewegungen der Königlichen diente, Jondern auch geeignet war
jenen dem feindlichen Lager benachbarten Hügel zu fihern. Als
fi nun Thebaldus einft mit etwa dreißig Leichtbewaffneten dorthin
begeben hatte um die Werke zu befichtigen, wurbe er, jet e8 durch
Zufall oder in Folge von Verrath, von eimer Schaar deutjcher
1) Die Belagerung von Brescia dauerte vom 19. Mai bis zum 18. September 1311,
ajo gerade 4 Monate. — 2) Die gewöhnliche Form ift belfredus oder berfredus.
8 *
1311
131
—
116 Drittes Buch.
Reiter überfallen, welche ſich mitten auf denjenigen Weg ſtürzten
der, über ein ſchmales Joch führend, den einzigen Zugang zu jenem
Hügel bildete. Obwohl er ſich verloren ſah, wich er dem Kampfe
nicht aus. Die Lanzen fliegen und es kommt zu einem blutigen
Gemetzel; wenige der Begleiter Thebalds retten ſich durch die Flucht
in ein benachbartes Caſtell, die übrigen wurden gefangen, unter
ihnen Thebaldus ſelbſt, der erſt im letzten Augenblick, als er bereits
vom Pferde geworfen war und den Todesſtoß erwartete, mit Hilfe
eines Knechtes italiſcher Zunge, welcher ausrief es ſei Thebaldus,
von den Deutſchen erkannt wurde. Gefangen und von fünf Wunden
durchbohrt, aus deren einer in Folge einer Verletzung des Stirn—
knochens an der linken Stirnader das Auge ausfloß, wurde der
Unglüdlihe zum König geführt. Wild tobte das Heer und des
Königs triumphirender Jubelruf jtieg zum Himmel. Vergebens
verwandte ſich Die Königin auf das allernahdrüdlichite für ihn:
Heinrich ließ ihn nah Abhaltung eines Fürftenvathes, in welchem
eine Unterfuchung angeftellt und Thebaldus des Hochverrathes über-
führt und jchuldig erklärt wurde, zum Tode nad) alter Sitte ver—
urtheilen. In eine Rindshaut genäht, damit er länger am Leben
und für die Erleidvung der Strafe aufgeipart bleibe (denn, Durch
die Wunden auf das härtefte mitgenommen, friſtete Thebaldus kaum
noch das Leben), ward er an die Schwänze von wilden Ejeln ge=
bunden und um das Lager geichleift, dann aber mit den Händen
und Fügen an den Naden von vier Kindern befeftigt und von
diefen in Stücke gerifien, fein Haupt auf die Spite einer Lanze
geftet und an die nächſte Mauer, den Einwohnern zum Schaufpiel,
getragen, jeine Glieder durch das Heer. compagnieweiſe verteilt
und jeine Eingeweide von dem lärmenden Volke im Lager verbrannt.
Das war das Ende des Thebaldus 9. Aber die Belagerten, fei
es daR fie fich über dieſes entjegliche Ereignis, das vor ihren
Augen fi) vollzog, hinwegſetzten, oder die Schmach durch erhöhte
Tapferkeit austilgen wollten, thaten fich nur um jo mehr im Kampfe
1) Saft alle Quellen gedenten des Ausgangs diefes hervorragenden Mannes, f. u. an
den betreffenden Stellen.
2 ee
Geſandtſchaft zu den Venezianern. 117
hervor. Auch berichtete man, daß fie jofort etwa Hundert gefangene
Feinde auf die Zinnen ihrer Mauer geführt und ihnen dort die
Kehle zugeichnürt hätten. Aus den Angefehenften erwählten fie
an Stelle des einen vier, welchen fie die höchfte Gewalt über Tod
und Leben übertrugen, ſchmähten die Feigheit des Ihebaldus, der
ohne ihr Wiſſen fid) in die Gewalt der Gegner begeben, verboten
feinen Namen zu nennen und meinten, man müfje Gott und den
Heiligen Dankopfer bringen, daß die verdiente Strafe ſich auf jein
Haupt berabgejenkt habe. Unter diefe vier ward auch die Obhut
über die Befeftigungen und die Wachen der Stadt getheilt und
viele umfichtige Anordnungen getroffen; um fo vermwegener aber
und häufiger wurden von nun an Ausfälle unternommen.
8. Geſandtſchaft zu den Benezianern. Um Diele
Zeit begaben fih Biſchff Aymo von Genf, Grato Herr von
Clariacus !) und der Richter Andreas Gareti von Aftı in einer
Botichaft des Königs nad) Venedig. Der Doge Petrus Gradoncus ?)
fam ihnen mit Gefolge zu Schiffe entgegen, empfing fie zuvor—
fommend und ehrenvoll und führte fie in feinen Palaſt. Indeß
muthete ınan weder ihm noch den Benezianern zu überhaupt irgend ein
Treu- oder Gehorfamteitöverhältnis mit dem König einzugehen,
denn ſchon früher, als diefer eben ven italifhen Boden berührt,
hatte der Doge Gefandte mit königlichen Ehrengeſchenken 3) zu ihm
geichiet *), nicht aber um irgendwie feinen Gehorfam zu erklären,
wie er denn auch den Gefandten unterfagt hatte die Füße Des
Königs zu küſſen. Man fagte aber, der Gemeinde von Benedig
jet dieſe Ausnahmsftellung durd alte Vorrechte von Kirche und
Reich bewilligt worden. Doch follen des Königs Boten Geſchenke
1) Ein Ort Clariacus (jet Notre Dame de Clery) liegt nicht weit von Orleans;
ob indeß diefer hier gemeint, ift zweifelhaft. — 2) Pietro Gradenigo 1289—1311. Unter
ihm erfolgte die Schliefung des großen Rathes, welche der Republik für alle Folgezeit
ihren ariftofratiijhen Charakter bewahrte. — 3) Muffato bedient fich Hier des längſten
Wortes, welches in der Yateinifchen Sprache vorfommt; er nennt nämlich die Geſchenke
exennia honorificabilitudinitatis, vielleicht um durch dieſes ſchwülſtige Wort dem eitlen
Prunk und die Hoffahrt der VBenezianer zu bezeichnen. Vgl. Barthold, der Nömerzug
König Heinrih3 von Lützelburg (1831) II ©. 60 Nte. 77. — 4) nah Mailand.
1311
1311
fer
118 Drittes Bud).
und Unterftügung für den Marſch auf Rom zur Katjerfrönung
ſowie Galeeren oder fleinere Schiffe, falls der König irgend ein
Meer zu befahren für nöthig erachten würde, erbeten haben, worauf
der Doge veriprach, ev werde nad) Rath und Beſchluß der Erſten
des Staates !) Heinrich dem Römiſchen König als jeinem Freunde
Dienftleiftungen und Ehren erweifen. Drei Tage verweilten Die
Geſandten in Venedig, beurlaubten fid) dann und begaben ſich
nad Treviſo.
9. Trevifo unterwirft ſich. Zu ihrem Empfang er-
ſchien mit den Edlen ver Trevijaner der erlauchte Riciardus de
Camino, der dem König bereits Beiftenern geleiftet hatte, demſelben
treu ergeben und von ihm (mie wir oben?) erzählt haben) mit
dem Vikariat über Treviſo, Feltre und Belluno begabt worden
war. Doll freudigen Eifers veranftaltete er unter dem Beifall der
Bevölkerung von Trevifo den Gejandten glänzende Feſte und Er-
luſtigungen, zugleich aber berief er eine Volksverſammlung und
leiſtete felbft zuerft, nach ihm die übrigen Mann für Mann, den
Eid den Geboten des Königs zu gehorchen. Zwei Tage ver-
weilten die Gefandten bier, dann Fehrten fie, mit herrlichen Roſſen
beichentt, nach Padua zurüd, um die dafelbft entftandenen Uneinig=
feiten beizulegen und die Urfachen von ärgerlichen Auftritten, melde
mischen den mit einander werfeindeten Paduanern und Bicentinern vor—
fielen und von Tag zu Tag einen hitigeren Charafter annahmen,
aus dem Wege zu Ichaffen.
10. Beiläufige Erwähnung der Berurtheilung
des Drdens der Tempelherren. Während diefe Dinge vor
fih gingen, berührte der Patriarch Octobonus von Aquileja ?),
vom Papfte zu dem allgemeinen Concil gerufen, welches am folgen=
den erften Dftober in der Stadt Vienna *) eröffnet werden jollte,
Benedig und Padua, im Begriff zuvor nod den König aufzu=
ſuchen, und durdeilte dann geraden Weges die Lombardei. Jenes
Concil aber, zu dem alle Brälaten der Chriftenheit geladen waren,
1) d. h. der in der Signoria, dem großen Rathe, verfammelten Nobili. — 2) ©. o.
Bud 2 Kap. 7. — 3) Dttobuono de’ Razzi 1302—1315. — 4) Vienne in der Provence.
4
4
&
Beiläufige Erwähnung d. Verurtheilung d. Ordens d. Teinpelherren. 119
hatte der Papſt hauptfächlih wegen des Verbrechens der Gottes—
fäfterung, des furchtbaren ſchnöden Lafterd des Götzendienſtes, der
enteglihen Unthat der Sodomiteret und der abjcheulichen Ketzerei,
deren die Meifter Präceptoren und Ritter des Templerordens von
Serufalem, etwa zweiundjiebenzig an der Zahl, überführt und ge—
ftandig waren und wofür fie num die Strafe der Kirche erwarteten,
berufen. O Schande! Freilih gehören diefe unſäglichen Schand—
thaten nicht zu unferer Erzählung, aber man darf doch davon
jagen zur Warnung für alle, die ähnlicher Vergehen ſchuldig find
(was fern jei!), damit Das, was unfer Zeitalter erlebt, die Nach—
welt vorfichtiger made! Jene abjcheulichen Beftien, die eine menſch—
liche Form angenommen als Brüder oder beſſer als Teinde des
heiligen Kreuzes, unter defjen Zeichen fie einherzogen, hatten bet
der Aufnahme in den Orden unter Abſchwörung Chrifti, Anfpetung
des Kreuzes und anderer Ceremonien, welche ih aus Schamhaftig-
feit verjchmeige, durch ihre und ihrer Geſellen Verbrechen ihre
Seelen dem Satan verſchrieben und Frankreich, die Länder jenſeits
des Meeres, die Normandie, Aquitanien und Poitou mit dem
Schmutze ihres Gottesfrevels angeſteckt. Hauptſächlich um dieſer
Sache willen wurde wie ſchon geſagt das Concil verſammelt zur
Kräftigung des Glaubens, zur Ausrottung ſolcher Irrlehren und
zur Rückführung der Gefallenen auf den Weg der Wahrheit. Den
Anlaß zu dieſer Unterſuchung und Aufklärung verdankte man dem
Scharfblick König Philipps von Frankreich, welcher in ſeinem Eifer
für den Glauben in die leuchtenden Fußtapfen ſeiner Vorgänger 9)
trat, und dem jene Verbrechen der Ritter angezeigt worden waren;
nicht Habgier bemog ihn, wie einige aus jener Sippihaft behaup-
teten, da er in der Folge nichts von ihrem Beſitz für fi in An—
ſpruch nahm, fondern die Hände von ihren unberührten Gütern fern
hielt, die er vielmehr aus freien Stüden dem Befig der hoch—
heiligen Kiche, von welcher fie ausgegangen waren, vorzubehalten
befahl 2).
1) Nämlich der durch die blutigen Kriege gegen die Albigenfer in Siüdfranfreidh be=
rüchtigten Könige Philipp II. Auguft, Ludwig VII. und Ludwig IX. — 2) Die Aufhebung
1311
1311
120 | Drittes Bud).
11. Wunderzeihen. Ungeheure ftaunenswerthe Vor—
gänge und Ergebnifje waren Died, welche man, ehe fie eintraten,
faum für möglich gehalten hätte. Auch fehlte e8 nicht an Wunder-
zeihen am Himmel. Denn gerade um die Zeit, ald man fich
mit diefer Sache zu beſchäftigen begann, erblicte man in Parts
und ven benachbarten Yandftrihen von Frankreich ſeltſame Er—
Iheinungen, eine zweitägige Verfinfterung der Sonne und des Mondes
in Folge des Erdſchattens, ein nie worber gefehenes leuchtendes
Geftirn, ein dreifaches Abbild des Mondes, feurige Kreife, melde
das Bild eines Kreuzes einjchloffen, und andere jeltiame erichred:
lihe ©eftalten in den Lüften. Ferner ſah man von der Erde aus
bimmelwärts Fadeln fliegen, welche die italiihen Gefilde ver-
brannten; das Geräuſch der Umdrehung der Erdaxen an den
Polen wurde bet heiterem Himmel donnerähnlich vernommen ohne
daß es bligte. Solches wurde aus dem gallifchen Lande gemelbet,
mit diefen Gerüchten die italifchen Gemeinden erfüllt und, da die
Nachrichten immer entjchiedener auftraten, galten fie der ganzen
Welt für offenfundig. In einem Paduaniſchen Dorfe, mit Namen
Eurte !), verirrte fich die Natur bei der Bildung des Lebenden fo
meit, daß eine Stute ein Junges mit neun Füßen zur Welt brachte.
Auf der Grenze zwilchen dem Gebiet von Padua und von Treviſo
wurde das Schloß der Feſte Trivilla, ein altehrmürdiges Bau—
werk aus Backſteinen, durch ein Erdbeben zerftört, ſodaß die oberften
ZTragebalfen und der Giebel dem Erdboden gleihgemacht wurden.
Auch wurde eine bis dahin unbefannte Vogelart in der Lombardei
beobachtet und gefangen, deren Gefieder afchfarbig war und rothe
Aleden zeigte und die einen Kamm auf dem Kopfe trugen, won der
Größe derer welche wir Paduaner Frironen ?) nennen; einige be-
des Ordens der Tempelherren erfolgte 1312, die Verbrennung des Großmeifters Jacob
von Molay mit 54 Nittern 1314. Sie fielen nicht ſowohl in Folge ihrer angeblichen
Berbrehen als vielmehr wegen der Habſucht des nad ihren reihen Gütern Tüfternen
Königs Philipp. Wenn Muffato berichtet, diejer habe die Gitter der Berurtheilten un—
berührt gelafien, fo ift er durchaus falfch berichtet. — 1) Corte a. d. Brenta ö. v. Piove. —
2) Da diefes Wort uur hier vorfommt, jo läßt fih nicht jagen, welche Gattung von
Bögeln der Autor bezeichnen wil.
Wunderzeichen. 121
richteten übrigens, dieſelbe Vogelart fer auch zu Zeiten Kaiſer
Friederichs gejehen worden. Der Winter diefes Jahres war
regnerifh und brachte viel Schnee, der Frühling war reich an
Ueberſchwemmungen, der Sommer troden mit häufigen Hageljchauern.
Daher entftand im ganzen Gebiet von Padua eine ſolche Dürre, daß
die Aecker kaum die Ausfaat wieder einbradhten, die Trauben
wurden vom Hagel abgeichlagen, die Neben vertrodneten, ſodaß die
fünftige Beinernte im ganzen Gebiet der Euganeen !) geſchädigt wurde.
»- Und wenn wir an der uralten Sitte der Vorfahren, der Nömer,
nah deren Gefegen und Einrichtungen wir nod heute leben, die
nämlich in ähnlichen Fällen ſich bemühten die Götter zu befänftigen,
uns ein Beispiel nehmen wollten, wir, welche wir, vom Lichte des
eingebornen Sohnes Gottes erleuchtet, die Erhabenheit des allmächtigen
Vaters lebendiger zu begreifen vermögen, jo hätten wir wohl dieſe
Wunderzeihen durdy Gelübde nnd Bitten fühnen und die durch die
Welt verbreiteten Verbrechen abftellen müſſen. Aber leider
fann niemand leugnen, daß, während jene Heiden ihren erzürnten,
ihon zu den Blisitrahlen greifenden Jupiter durd) Opfer gar häufig
befänftigt zu haben behaupteten, und verficherten daß die, welche
fie Götter nannten, durch der Menſchen Uebermuth und Troß ge—
kränkt, gegen dieſelben eingejchritten ferien, ihre Macht vernichtet,
ihnen Tod und Verderben gebracht hätten (mie 3. B. gegen Niobe,
welche in ihrer Anmaßung den Göttern zuzurufen wagte: „Schaut
wie mächtig ich bin, nid ſchädigt nimmer das Schidjal?)!“
Latona, die Mutter des Phoebus und der Phoebe, mit rächender
Strafe einfhritt), und, wenngleidy unter der Wolfe ihrer betrogenen
Sinne, Diejenigen, welche jie für Götter hielten, verehrten und
fcheuten: wir den ficheren Gott, der und erfchtenen ift, vernach—
läſſigen und die am Himmel fihtbaren Zeichen desjenigen, deſſen
Allmacht und Eigenihaften wir gefpürt haben, nicht ſcheuen! Was
Wunder alfo, wenn die Plagen des mwaltenden Gottes vom Himmel
fih auf die Erde fenfen und mit gerechter Strafe die Erdgeborenen
1) vulfanifhe Gebirgsgruppe jüdweftlih von Padua. — 2) Ovid, Metamorphojen
195.
—
—
1311
1311
122 Drittes Bud).
treffen? — Dod nehmen wir den Faden unferer Erzählung
wieder auf!
12. Einnahme von Bergamo Während fi der
König noch im Lager vor Brescia befand, wurde ihm durch An-
geber heimlich hinterbradt, in Bergamo finne die Partei der
Dptimaten auf Abfall: man fordere von dort aus durch Briefe
und Boten die Feinde des Königs, die belagerten Bresctaner, auf,
fie follten fi) männlid) halten und gutes Muthes fein, ſchon bereite
man zu ihrer Unterftügung jegliche Hilfsmittel; Guido della Turre
fer gefchäftig, mit den ihm ergebenen Fractionen in der Lombardei
Tuscien und Romagniola fich zu vereinen, im Heere ded Königs
ſuche man die ſich ſchon insgeheim vorbereitenden Empörungen
zum Ausbrucd zu bringen; die Gemeinde von Bergamo jelbft aber
bereite und rüfte fih zur offenen Rebellion. Der thatkräftige
Herrſcher jandte ſofort den älteren jeiner Brüder, Goleran, einen
unerfchrodenen und tapferen Krieger, der, jchnell entſchloſſen, für
alles Rath wuhte, mit einer Heeresſchaar nad) Bergamo. Erſchreckt
liegen die Bürger den Gefürdteten mitten in der Nacht nad
Deffnung ihrer Thore ein. Er aber, vol Mistrauen wegen der
Dinge, die ihm binterbracht worden waren, daß fie nämlich
vermegene Thaten planen jollten, ließ die Zugänge Ichließen, damit
niemand fich entfernen fönnte, und dann ohne Verzug die Gebäude
und Wohnhäufer der einzelnen Quartiere durchſuchen, zumal da
einige vermutheten, Guido della Turre felbft fer in der Stadt ver-
jtedt. Zweiundzwanzig aus den Erſten der Stadt führte er am
nächſten Tage in Feſſeln mit fi in das Tager, wo fie einige Tage
blieben, ohne ihrer Felleln entledigt zu werden, dann aber, nach—
dem fie der König durch viele Fragen auögeforicht hatte, nad)
Verona in Haft gejandt wurden.
13. Tod Golerans, Bruders des Könige Sm
eben diefen Tagen ereignete ſich ein beflagensmwerther Unfall, indem
Goleran, der Bruder des Königs, einft, als die belagerten Brescianer
einen hölzernen Belagerungsthurm, den die Deutſchen erbaut hatten
um mit Hilfe deſſelben die Mauern der Stadt zu überfteigen, in
;
EA Eh
Tod Goleran’s, Bruders des Königs. 123
Brand gejett hatten und er herbeilief um dies zu befichtigen, von 1811
einem Wurfipieß an der Kehle getroffen und durhbohrt ward. Die
Wunde erwies fi) al3 tödtlich und entriß ihn nad) wenigen Tagen
dem Leben. Seine Yeihe ward nad) Verona gebracht und dort
unter großer Prachtentfaltung beftattet. Staunenswerth und merf-
würdig erſchien hierbei, daß der König dieſen Unfall mit größter
Standhaftigfeit ertrug und in Bid und That nicht das geringfte
Zeichen von Trauer fundgab. Ihm nahahmend überging auch
der Hof dieſen jo jchmerzlihen Todesfall mit tiefem Schweigen.
1311
Viertes Bud.
1. Anfunft der vom Papſte gejandten Cardi—
dinäle beim König und deren Verhandlungen mit
den Einwohnern von Brescia. Der Bilhof von Baſel,
einer von den Fürften des Hoflagers, welcher vom König na
Avignon, wo damals die päpftliche Curie ihren Sig hatte, ge—
Ihidt worden wart), wurde vom Papfte ehrenvoll aufgenommen
und berichtete über den Marſch des Königs und die Läftigen Wechſel—
fälle des Geſchickes, ſowie über den Ungehorfam der Brescianer
und ihrer Gönner und Helferähelfer, und wie wegen der ungün—
ftigen Geftaltung der Dinge bei den Bolognejen, den Florentinern
und den übrigen Gemeinden Tusciens, die derſelben PBartet an—
hingen, e8 nicht möglich fein werde, daß der König an dem feit-
gejetsten Tage, nämlidy dem Feſttage der Jungfrau Maria in dem
Ihon nahenden Monat Auguft 2), die Kaijerfrone — wenigſtens
in der Stadt Rom — empfange, weswegen der Termin, bis daß
fih ein beftünmter Zeitpunft abjehen lafjen würde, zu verjchieben
jet. Dies ward denn auc bereitwillig zugeftanden und zwar nicht
nur auf Verlangen des Biſchofs, ſondern der Papft jelbit hatte
durchaus den gleichen Wunſch. Letzterer ernannte num als außer
1) Im Juni 1311. Außer Bifhof Gerhard von Bajel nahm Biſchof Ugutio von
Novara, deſſen auch zwei Handichriften des Muſſato an diefer Stelle gedenken, an der
Gefandtihaft Theil. — 2) Vgl. die Anm. zu Buch 3 Rap. 3.
area er
Ankunft der vom Papfte gefandten Cardinäle beim König x. 125
ordentliche Gejandte !) Arnald de Frangeriis den Cardinalbiſchof 1811
von ‚Sabina (und zwar war diefer hauptfählic dazu beftimmt
dem Kaiſer die Krone aufzufegen), ferner die Cardinalbiſchöfe Ni—
colaus von Dftia und Beliträ und Leonardus de Guercino von
Alba, endlih den Cardinaldiakon Lucas de Flesco?) vom Titel
St. Marine in Bia lata 3), unter welchen, wie ſchoͤn angedeutet,
der Biſchof von Sabina, den übrigen vorgehend, Die Stelle des
Papftes zu vertreten beftimmt war, freilich erft nachdem ſich hier—
über ein Streit entiponnen hatte, wer zu diefer Würde auszuer-
wählen jet, indem nämlich) der Biſchof von Oſtia vorbrachte, daß,
wie e8 fein Amt jet, ven Papft zu krönen, jo er folglich auch den
Kaiſer zu krönen habe; wogegen der von Sabina geltend machte,
es ſei alter Brauch, daß bei den Krönungen der Kaifer der Sa—
biner ftet3 dem Papfte zunächft ftehe und, näher an der Handlung
betheiligt al® die übrigen, dem Papfte die Krone überreiche. Durch
des Papftes Ausſpruch wurde entſchieden, daß der Biſchof von Sa—
bina jenes Amt verjehen und das Haupt der Gefandtichaft fein
jollte. Sie erhielten alfo den Befehl, jo ſchleunig als möglich nad
Stalien aufzubregen, um die heilige Handlung der Krönung zu
vollziehen zu der Zeit die der König als geeignet beftimmen mürbe,
und machten ſich eiligft auf ven Weg. Zwei von ihnen, nämlid)
die Bilhöfe von Sabina und Alba, überjhritten auf gangbareren
Wegen als die übrigen die Alpen und langten um den Anfang
des Auguft im Lager des Königs an, wo fie freudig aufgenommen Aug. 7
wurden. Sie begrüßten den König und die Königin mit dem
päpftlihen Segen und meldeten, daß der Bitte des Königs gemäß
der Termin der Krönung aus den gewichtigften Gründen einftweilen
verjchoben worden jei; das Ceremoniell der ganzen Feier in Rom
jet bereit feftgeftellt und alle dazu gehörigen Feftlichfeiten im Vor—
aus angeordnet *); der König möge fich Daher voll Vertrauen zu
1) legati a latere. — 2) Fiesco aus Genua. — 3) Ferner den Cardinaldiafon
Franciscus vom Titel St. Luciae in Silice. Die Vollmacht für die fünf Kardinäle ift
am 22. Juni 1311 ausgeftelft. — 4) Dies geſchah bereits in einem päpftlichen Erlaß vom
19. Juni
1311
126 Viertes Buch).
der ihm eigenen Mannhaftigfett aufihwingen und ohne Unterlaß
Körper und Geift anfpannen; fie aber und ihre Amtsbrüder ſeien
ausichlieglih dazu vorausgefandt, um ihn zu unterftügen und zu
fürdern durch weltliche und geiftlihe Hilfsmittel; er möge nur um
fih Schauen nnd verlangen, jo würden fie das Berlangte im weis
teften Umfang erfüllen. Dean bat demgemäß die beiden, ſich nach
Brescia zu begeben. Sofort machten fie fih auf und fchidten
Boten, die um eine Unterredung anhalten jollten, voraus. ALS fie
in die Stadt einzogen, holte die ganze Bevölkerung, nad) dem
Range aufgeftellt, fie ein, indem alle beftändig mit lauter Stimme
und unter Jubelgeſchrei ausriefen: „Es lebe die Kirche, unfere
Mutter, e8 lebe, e8 lebe der Herr Papft und die heiligen Väter,
die Cardinäle!“ Unter den größten EChrenbezeigungen führte man
die Cardinäle auf das Rathhaus, wo vor Dichtgedrängter Verſamm—
fung der Biſchof von Oſtia, nachdem er Stillſchweigen geboten, das
Zeichen des Kreuzes machte und jo anhob:
„D du Gemeinde von Brescia, allezeit Gott und der hoch—
heiligen Kirche ergeben, welch' ein blinder und hartnädiger Irrthum
hat dich von dem mahren Heilspfade deiner Mutter, der Kirche,
entfernt, daß du den, welcher im Namen des Herren fommt, den
gejegneten Sohn eben dieſer Kirche, Heinrich, den König der Römer
und fünftigen Kaiſer, verachteſt und dic) wider den Willen des all-
mächtigen Gottes und gegen die Boten Des allerheiligften Papſtes
Clemens auflehnft, Unfelige? Wißt ihr denn nicht, daß der Sohn
Gottes ſelbſt geantwortet und geboten hat: gebet dem Kaifer, was
des Kaiſers ıft )!? D ihr Thoren, ihr Unfeligen, die ihr jchon
durch menschliches und göttliche Strafgericht verurtheilt fein! Was
it das für eine Blindheit, was für ein Unheil, das euch befallen
bat? Wollt ihr fortfahren, einer der beiden Leuchten, welche der
Welt gejett find, zu widerftehen, hier auf dieſem Felfen ringsum
eingejchlofjen in einem fteinernen Bau, den Gott jelbft mit himm-
liſchem Strafgericht, wie einft Sodom und Gomorra, zertrümmern
1) Evang. Luck 20 V. 25.
A
J
Ankunft der vom Bapfte geiandten Carvinäle beim König x. 1927
wird! Machet euch auf, unjelige Schaar von Ungläubigen, werft ısı1
euch demüthig in Sad und Aſche dem gebemeveieten Könige zu
Füßen und beweint eure Vergehen, fo werden wir im Einklang
mit dem Willen Gottes und der Dreieinigfeit ſowie unſeres hei—
ligſten Vaters, des Papftes Clemens, uns für euch verwenden, daß
er euch verzeihe und, ob ihr es gleich nicht verdient habt, mit fünig-
licher Milde auf euch herabſchaue!“
Nach diefen Worten Jette fi) der Biſchof; e8 erhob fich aber
Pinus de Bernacis aus Cremona, der damals der Vorſteher oder
Podefta von Brescia war, ein Mann von großer Beredfamteit
und klugem Sinne, ſchon an der Schwelle des Greiſenalters ftehend,
bat um Erlaubniß zu reden und fol dann im Auftrage der Be-
völferung folgendermaßen geſprochen haben:
„Kein menjchliches Weſen fann, dur jo viele und fo ge—
wichtige Stellen der Schrift und durch fichtbare Zeichen belehrt,
leugnen, daß die höchſte Gewalt auf Erden dem Petrus, dem Felfen
der Kirche, und feinen Nachfolgern überlafen worden ift, ſowie
au, daß dasjenige Amt, welches ganz beſonders weltlichen Cha-
rakters iſt und welches wir das des Kaiferd, von dem Namen des
gefammten Amtes jelbft !), nennen, mit göttlicher Gewährung die
Welt beherrſcht; aber e8 wird ebenjowenig jemand leugnen, daß
das Papftthum ſich allein jo viele göttliche Herrlichkeit vorbehalten
hat, daß es den, welchen der irdiſche Nichter ungerecht verdammt,
niht auch für ſchuldig erachtet; vernichtet Doch die Kirche ſelbſt
Könige der Erde, die unbillig richten, und ftraft fie mit gebühren-
der Züchtigung. Daß aber unferem mwürbigiten Papfte Clemens
diefer gottloje Mann, ver fih den Namen des Auguftus anmaft,
unbekannt ift, jehen wir deutlich; er, der nicht ein Kaiſer, jondern
ein Räuber ift, der alle Städte der Lombardei zu Grunde richtet,
der die Spaltung Friedrichs erneuert, die Parteien der Guelfen
und Ghibellinen wieder ind Leben xuft, die Guelfen ins Exil führt,
die Ghibellinen erhöht, wie daraus deutlich hervorgeht daß im
1) imperator (Kaifer) von imperare herichen.
1311
128 Viertes Bud).
Mailand, Parma, Verona, Mantua, Trevifo und den übrigen
Städten Tyrannen erftanden find zum Verderben der Bevölferung
und der unglüdlihen Bürger, welche feit lange vom heimifchen
Herde ausgeſchloſſen find, ja von denen viele, aus der Vaterftadt
verbannt, den heimiſchen Herd nie gejehen haben. Und worauf
anders ift er emfig bedacht al8 auf Erprefjung von Geld? Stets
bedürftig und leerer Kaffe ſaugt er mit nie verlöfchendem Gold—
durft Die untermorfenen Gemeinden aus. Und, bei Gott, mie ift
der Unmenſch mit und verfahren, die wir ftetS bereit maren Die
Stadt in feine Gewalt zu geben, auf die Bedingung hin daß fie
dem Reiche diene, einen Königlichen Vikar entgegennehme und Ab-
gaben zahle? Dies erachtet er wahrlich für nichts und verlangt
unſer Berderben, unferen qualoollen Tod, unfer Blut. Damit will
die wüthende Beftie ſich fättigen, diefe Mauern aber, melde ver
hochheiligen römiſchen Kirche einen Stützpunkt bieten, niederreißen!
Wohin jind jene Beinamen unferer hehren Kaifer, „der Gerechte”,
„Der Fromme“, gefommen? Wohin ift ihre Frömmigkeit ent-
Ihwunden? Ihr aber, ihr Brüder des apoftolifchen Ordens Petri,
habt ihr diefer Behaufung Frieden gebracht, den ſtets zu befür-
worten eure Sache ift, wie unſer Heiland bezeugte, da er gen Him-
mel fuhr? Wir wünfchen es, wir bitten und beſchwören euch:
öffnet und, die wir, wenn wir überhaupt etwas werfehen haben,
venmüthig zurüdfehren, den Schos des Oberhirten unſeres Glau—
bens und unferer Hoffnung, auf daß wir nicht verfchlungen mer-
den und der brüllende Yöme und nicht pade und unfere Seelen
verderbe! Seid der verirrten troftlofen Heerde gnädig. Wenn
ihr das auf Antrieb des lebendigen Gottes thun werdet, jo wollen
wir euch und unjere Mutter, die hochheilige Kirche, von der wir
nie unjere Herzen losreißen werden, in brünftiger Verehrung an=
beten. Wenn aber nicht: jo fteht und doch noch zuerſt irdiſche,
endlih aber himmlische Speife und Erguidung zur Verfügung.
Irdiſche Speife haben wir von jetzt an noch für ein halbes Jahr;
wenn die verzehrt fein wird, jo werden wir niederes Gethier und
anderes, mas nicht eigentlich zum Eſſen beftimmt ift, vorziehen;
Ankunft der vom Papfte gefandten Cardinäle beim König x. 129
ichlieglih werden wir uns vom Fleiſch und vom Blute unferer
Kinder und Frauen und aller deren, die nicht zum Kriegsdienft
tauglich find, nähren. Und wenn wir etwa feindliche Beute erjagen,
jo werben die riefigen Yeiber der Sueven und Vandalen und der
anderen Deutſchen unfere Erholung und Stärfung bilden, bi8 unfer
Chriftus ein Ende machen wird, deſſen in Bälde bevorftehendes
Urtheil gegen den trogigen und graufamen König, wmeldes ihr
nebft allem Fleiſch ſchleunigſt ſehen werdet, wir erwarten.”
Ueber diefe Worte entjett, hoben die Cardinäle die Verſamm—
lung auf, ließen ſich aber dur die Scheuern und Vorrathskam—
mern der Brescianer, mo Korn, Wein und alled was zum Lebens-
unterhalt zu dienen pflegt, aufgefpeichert war, führen. Nur trosige
und drohende Worte vernahmen fie überall und fehrten wenig zu=
frieden zurüd, um dem König zu melden, was fie gejehen und ge—
hört. Hochſinnig ließ ſich dieſer dur die Schmähungen der Bres-
cianer nicht aus der Faſſung bringen, doch verfanf er in tiefe Ge—
danfen, und indem er äußerlich Hoffnung, die er faum noch hegte,
zur Schau trägt,
„Zwingt er den Kummer den bittern im Herzen‘ 1).
Beſonders quälte ihn der Gedanke, daß e8 nothwendig jein werde,
Die Bresctaner härter zu behandeln, als ſich mit feiner frommen
Sinnesart vertragen wollte. Denn er jah ein, Daß, wenn er ges
zwungen wirde ſich auf Bedingungen einzulaffen, dann der Ein—
fluß feiner Majeftät derartig geſchwächt und vermindert fein würde,
daß Alle, die ſich noch nicht unterworfen, ihm trogen würden,
da fie ihn verachten und feine Strafen nicht mehr fürchten würden.
Es war ihm nämlich ſehr wohl befannt, daß die Einwohner von
Tuscten und Romandiola bis faft nad) Rom hin die Belagerung
von Brescia mit gefpanntefter Aufmerkſamkeit verfolgten, jo daß
fi) vorausfehen ließ, daß, falls es ihm hier nicht glücen würde,
Die Verwegenheit jener fich bis zu trogiger Verachtung jeiner Macht
und Perfon fteigern würde, ja daß jelbft die Lombarden, welche be—
1) Birg. Aen 1, 209.
Geſchichtſchreiber. Lfrg. 67. Leben Heinrichs VII. 9
131
>
130 Viertes Buch.
reits den Naden gebeugt, es bereuen würden, ſich gleih anfangs,
geriffermaßen übereilt und unüberlegt, unterworfen zu haben und |
fich vielleicht gelegentlich ein Beiſpiel daran nehmen und den Hals
aus dem Joche zurüdziehen würden. Auch vermehrte noch der
Umftand, daß das Heer, vom Hunger und Mangel aufs äußerfte
bedrängt, fich faum nod) zufammenhalten ließ, die Verlegenheit des
Königs, und zwar um jo mehr, ald er gemwärtigen mußte, daß Die
Fortjegung der Belagerung, welche jetzt ſchon mit Mühe aufrecht:
erhalten wurde, unmöglid) werden würde, wenn bei vorjchreitender
Sahreszeit der Sonnenſchein nachlaſſen und Regengüſſe ſich einjtellen
würden. Bon folden Schwierigkeiten umringt, konnte der König
bet fich jelbft faum zu einem heilſamen, troftbringenden Entſchluß
gelangen. Die Königin aber, in tiefen Schmerz verjenft, bemeinte
den Tod ihres Schwagers und der vielen Edlen, welche theils Der
Krieg, theild das tödtlihe Klima hinweggerafft hatte; zugleich em—
pfand fie tief den Kummer des geliebten Gatten und die bitteren
Dualen und Aenafte feines edlen Herzens. Nur die Ausftattung
von Altären, unaufhörliche gottesvienftlihe Uebungen, nächtliche Ge—
bete und Gelübde vermochten den Schmerz beider einigermaßen zu
Yindern und zu verſcheuchen. Wie allen Fürften und Völkern be-
fannt ward, dauerte die Abhaltung von Mefjen vom Tagesanbruch
bis tief in die dritte Stunde des Tages hinein!) nnd die früh:
zeitig beginnenden Bespern ?) hielten den Hof bis zum Abend be-
ihäftigt, fo daß Die zwiſchen diefen Berrichtungen liegende Zeit
faum ausreichte, die Mahlzeiten einzunehmen und fich zu berathen.
Das war das Yeben des Königspaares, das kaiſerliche Freuden!
2. Ueberjendung der EChrengejdhenfe der Pa-=
dDuaner an den König. Im Berlauf diefer Dinge will id
auch folgenden bemerfenswerthen Vorgang nicht verihweigen, zum
Beweiſe, daß oft das unbedeutendfte Ereignts das menſchliche Herz
ſei e8 freudig oder jchmerzlic zu berühren vermag. Aus Padua
nämlid) führte man vor das Angeficht des Königs acht Streitrofie,
1) Bon der Primzeit bi zur Tertia, etwa von 5 bezw. 6 Uhr Morgens bis 8 bezw.
I Ahr. — 2) Die Vesper beginnt etwa um 4 bezw. 5 Uhr Nachmittags.
Abgewieſener Angriff der Deutichen auf Brescia. 131
mit rothem Schmud aufgeputst, von jo ftattlichem Anfehen, ſolchem
Ebenmaß und folder Schönheit, daß die Natur unter unjerem
Himmelsſtrich nicht leicht eine gleihe Zahl von jo tadellojer Be—
Ichaffenheit hervorbringt, alle etwa fünfjährig. Vier von ihnen
wurden als Ehrengefchenfe der Gemeinde von Padua dem Könige
dargebracht, zwei dem erlauchten Grafen Ameus von Savoyen und
die beiden anderen dem ehrenfeften Grafen Guido von Flandern.
Der König empfing das Gefchenf mit heiterem Antlis, äußerte feine
Freude darüber und vertheilte die There ſofort an feine Erften.
Auch, der von Savoyen und der von Flandern empfingen die Ihrigen
freudig und ließen den Paduanern, den Spenvern eined fo koſt—
baren Gejhentes, ihren wärmften Dank vermelden. Und an dieſem
Tage wurde die heitere Laune des gefammten Heeres, welches her—
beilief um die Gaben zu ſchauen, durd den Anblid der prächtigen
Thiere wiederhergeftellt.
3. Abgemiejener Angriff der Deutjhen auf
Brescia. Der König aber, um nichts weniger auf das Nächſt—
liegende bedacht, beſchloß, durch einen Angriff auf das neben der
Stadtmauer errichtete Berglager am nächften Tage in aller Frühe
das Glück auf die Probe zu ftellen. Noch in der Dämmerung
ordnete er daher die Schlahthaufen des Fußvolkes und die Ab-
theilungen feiner Neiterei, als wolle er die ganze Stadt angreifen,
Damit die Belagerten nicht zur Entjegung des Lagers herbeieilen
jollten; die Schleuderer aber und die leicht bewaffneten Fußtruppen,
von denen die Genuefen etwa 1500 geftellt hatten, und die übrigen,
welche mit Balıften, Schleudermafhinen und den beim Sturme be=
nutzten Mafchinen jeder Art vertraut waren, ordnet er zur Be—
ftürmung des Lagers ſchon am Abend vorher und führt am näch—
ften Morgen in aller Frühe unter den Schmettern der Zinfen und
Trompeten das gefammte Heer um die Mauern herum. Durch)
den Lärm erichredt, eilen die Brescianer auf die Zinnen und deden
ringsum die Mauern, fchiefen zur Vertheivigung des Lagers die
übliche Beſatzung, die aber aus befonders Friegstüchtigen Truppen
beſtand, aus, und jeder nimmt feinen Pla ein und rüftet fic zum
9*
1311
1311
132 Diertes Bud).
Streite. Die angreifenden Franzoſen und Deutihen und die ge=
jonderten Colonnen der Tuscier und Lombarden rüden mit den
Schutdächern und den übrigen Kriegsmaſchinen an die Außeren
Gräben des Lagers und die auf allen Seiten fteil abfallenden Felſen
heran. Die Städter ließen fie, voll Vertrauen ouf die Schwierig-
feiten des Terrains, beranfommen, verhielten fid) ruhig und ver-
bargen fi) hinter den Dämmen und Wällen. Dann erft erhebt
fi von beiden Seiten das Kampfgeihre. Man kämpft mit Wurf-
Ipiegen, Pfählen, Steinen und Pfeilen hier wie dort, aber in Folge
des Schutzes, den die natürliche Beichaffenheit ihres Standpunftes
ihnen verlieh, hatten die Belagerten die Oberhand und Fonnten den
Angreifern erheblichen Schaden zufügen, namentlich tödteten die Stein=
maffen, welche fie von oben herabichleuderten, ſchon allein durch
den Stoß. Auf beiden Seiten fließt Blut, doch waren die Ver—
(ufte ungleich und größer auf Seite der Deutjchen und ihrer Bun—
desgenoſſen, deren Leiber dem Hagel der feindlichen Geſchoſſe preis—
gegeben waren!). Die Schlacht dauerte vom Tagesanbruch bis
zum Mittag zu beiderfeitiger Ermüdung, bis endlich die Deutſchen
und die Bundesgenoſſen, nachdem viele von ihnen und befonders
von den leichtbewaffneten Genuefen getödtet oder verwundet worden
waren, erſchöpft vom Kampfe abliefen. So behaupteten vie Städter
ihr Lager, aber nicht ohne ſchwere und fchmerzliche Verlufte. Nach
Abbruch des Treffens verließ der König das Schlachtfeld und führte
die Truppen und die Hilfsvölker in das Lager zurück, von denen,
die auf den Mauern ftanden, durd; niedrige Schimpfreden verhöhnt.
Die Brescianer beglückwünſchten ſich unter einander und gaben
ıhre Freude durch Fackelbeleuchtung in der nächften Nacht und auf
jegliche Art und Weife fund. Die Cardinäle aber eilten an dem—
jelben Tage nad) Cremona, damit man fie nicht des Zuſchauens
beim Blutbade bezichtige. Der ehrwürdige Placentiner Octobonus
dagegen, der Patriard) von Aquileja, welcher im Lager des Königs
1) Dies dürfte jedenfall$ der Sinn der im Tert bis zur Sinnlofigfeit verderbten
Stelle jein. Bielleiht ift zu lejen fit caedes sed impar et ob (fiir impatientia) Ger-
manorum sociorumque corpora grandines sudesque exeipientia major.
Die Padıraner erhalten einen Bikar. 133
verweilte, begab fi in den nächſten Tagen, nachdem er mit Mühe ısıı
Heinrich Erlaubnis erlangt hatte, nach Brescia, vwerhandelte Lange
und viel mit den Einwohnern und mahnte fie, ſich dem milden
und gerechten Fürſten zu überliefen und ihre Vergehen nicht nod)
zu mehren, indem er zugleid verſprach fich für ihr Leben zu ver—
wenden; doch vergeudete er nutzlos jene Zeit. Inzwiſchen bevief
der König, entichlojjener als bisher, die Fürften des Hofes zur
Berathung und legte ihnen die Frage vor, was zu thun fer, um
jene Breöctaner auszurotten, welche die Erwartungen der ganzen
Welt hinhielten. Nachdem ſich die meiften über diefen Punft ge—
Außert und denſelben in eingehender Berathung näher erörtert hatten,
wurde verfündet: auf daß die Widerſpänſtigkeit diefer einen Stadt
nicht länger den Fortgang jo großer Dinge vwerzögere, ſoll Graf
Ameus von Savoyen, als Graf der Lombardiihen Provinz, zu
den fünfzehnhundert Kriegern, welche ihm ſchon vorher angemwiefen
worden waren, noch dreiszehntaufend Mann Fußtruppen und zwei—
taufend Mann zur Bedienung der Belagerungsmaschinen von Seiten
der Gemeinden der Lombardei und der Mark von Trevifo, die den
ihr nad Maßgabe ihrer Mittel zufommenden Theil ftellen fol,
erhalten und mit diefer Zahl, Die man zur Bezwingung und Un-
terdrückung des zähen Widerftandes von Brescia für genügend halten
durfte, die Belagerung leiten. Diefer Befehl des Königs erging
an die ſämmtlichen Gemeinden der Lombardei und der Trevifani-
ſchen Mark, mit der Weiſung, jede möge zunächſt zur Feſtſtellung
des Maßftabes der Vertheilung einen Abgeordneten entjenden.
4. Die Baduaner erhalten einen Bifar. m die
jen Tagen, nämlidy am 28. September, ernannte der König aussept.2s
der Zahl von vieren, melde ihm gemäß der won ihm den Ba:
duanern gewährten Rechte von dieſen vorgeſchlagen wurden, den
Gerardus de Henzola!) aus Parma zum Bifar, der am fetge-
festen Tage jeinen Einzug in Padua hielt und dort aufgenommen
wurde. Doch machte ſich in Folge der ungewohnten Verwandlung
1) Enzola, Städtchen im Gebiet von Parma.
1311
122 Viertes Bud).
des Podeſid in einen kaiſerlichen Vikar und einiger Ceremonien bei
der Eidegleiftung, welche die alten Gebräuche in manchen Bunften
umgeftalteten, eine Bewegung unter dem Volke beinerfbar, welches
fih unmwillig und mißtrauiſch bezeigte; indeß ließ es fich durch die
Borftellungen der Erſten und Bornehmen, welche erklärten, e8 müffe
jo fein, beihwichtigen?!) und gehorchte ebenfalls. Gleichzeitig fand
fi bei ihnen Biſchof Aymo von Genf ein, des Königs Fürft und
Bertrauter, der den Paduanern fein volles Wohlwollen zumandte ;
er war vom Könige gefandt worden, um den Zuftand des Staates
mit der Ehre des Königs und dem allgemeinen Frieden in Ein-
Hang zu bringen, auch lenkte er die Bürger waderen Sinnes auf
den Weg, fih die Liebe des Königs zu erwerben und fich ohne
Zwiſtigkeiten zu einen; ferner juchte ev auf Befehl des Königs zu
verhüten, daß zwiichen den Paduanern und PVicentinern in gegen=
jeitigen Netbungen nicht die Saat der Zwietracht von neuem auf-
gehe, indem er, mit den erforderlichen Vollmachten durch Königliche
Erlafje ausgerüftet, darauf drang, daß den Geboten des Königs
gemäß die Güter der Paduaner, die ſich innerhalb des Bicentinifchen
Gebietes befanden, den Eigenthümern zurücgeftellt würden und daß
die Bicentiner den Fluß Badjilio, den fie abgeleitet hatten, wieder
in jein altes Flußbett und durch das Gebiet der Paduaner leite-
ten ?2). Diefer Biſchoff von Genf war ein Mann von großer
Milde, jo daß e8 ihm gelang, Menjchen jeder Art, jo aud den
Paduanern, Liebe zu ihm ſelbſt wie zu dem König einzuflößen ;
jein Antlig war heiter, für jeden hatte er ein freundliches Wort
und ftet8 war er bemüht, das, mas er verfproden, auch auszu=
führen; auch bei dieſen Gefchäften machte er fih in Padua jehr
beliebt und Hinterließ ein gutes Andenfen für alle Zeiten. Da
indeſſen das Verhältnis zwilchen Padua und Bicenza doch noch
ein geipanntes blieb, fo nahın Aymo den Albertinus Mufjatus ala
a
& 1 er ,
= — A TR
1) Statt neque tamen reconeiliati ift wohl zu lefen neque tamen non recon-
eiliati — 2) Der Bacchiglione, der in den Zrientiner Alpen entipringt, durchfließt ſo—
wohl Picenza als Padua und ergieft fi in die Etſch nahe bei der Ausmündung
derjelben. |
Veftartige Seuche. 135
Geſandten der Gemeinde von Padua an das Hoflager mit fich
und empfahl ihn dort dem König, indem er fic) zugleich für die
Ergebenheit und Treue der Paduaner verbürgte; ehe aber noch
diefe Angelegenheit zu Ende gebracht war, erfranfte er und ließ
fi der Genefung halber aus dem Lager fortichaffen, um ſich nad)
Genf zu begeben, ftarb jedoch ſchon bei Iporegia!),
5. Peftartige Seuche. Aber hier muß ich von der vom
hohen Himmel herabgefandien Peft reden, die ſeit Menfchengedenfen
nicht ihres gleichen gehabt hat; ſei es, daß fie als eine Plage des
zornigen Gottes nad feinem Rathſchluß dem menfchlichen Geſchlecht
nach Verbienft zuerkannt wurde, oder daß die von Anfang an außer—
halb des Yagers unbeerdigt Tiegenden Pferbeleichen fie verurſachten,
welche, in der Fäulnis begriffen, unter dem Einfluß des mit hef-
tigen Regenſchauern abwechjelnden Sonnenbrandes (wie dies der
Charakter der herbftlihen Witterung ift) die Puft mit Krankheits—
feimen geſchwängert hatten: genug, bald ergriff die Seuche die
Menſchen, Drang in die innerjten Theile des Körpers ein und er—
mies ſich als jo todbringend, daß ſich für die Angeflecten fein
Heilmittel finden ließ; und fo ſchnell ſchlich fich Died Uebel ein,
daß alle von ihr DBefallenen nod im Lager zu Grunde gingen.
Ohne Unterlag raffte die Seuche Franzofen und Deutjche hinmeg,
die dad unmäßige Schlingen von Speifen der Anftefung um fo
mehr ?) ausſetzte. Bon den Führern der Deutichen und Franzofen
ftarben einundfiebenzig?), wie aus dem Verzeichnis der Mannſchaf—
ten erjehen wurde; von den mit Lanzen bewaffneten Reitern fieben-
taujendundfiebenhundert, vom niederen Volfe eine unzählige Menge.
Es gab feinen geweihten Ort für die Beftattungen, auch fehlte e8
an Zeit und Gelegenheit irgendwelche Exequien abzuhalten; viel-
mehr murden jede Nacht eine große Anzahl von Leihen an abge:
legene Stellen außerhalb des Lagers gebracht und, den Thieren des
Feldes ausgejett, dort gelafien. Ein Theil der Leichen ward aud)
2) D. i. Sorea. — 2) nämlih im Bergleih mit den mäfigeren Sidländern. —
3) So richtig eine der Handidriften Muratori's; die andern leſen 4070 (quatuor millia
et septuaginta, g
fan
311
136 Viertes Bud.
1311 im Lager ſelbſt in den Gräben, die die Aeder der Bresctaner von
einander abgrenzen, untergebracht, indem man fie an den Böſchun—
gen der Ufer aufichichtete, bis der Graben vollftändig ausgefüllt
war. Manche, die die Leichen ihrer Genofjen mühfelig im Erd—
boden begruben, lagen wenig fpäter jelbft als Leichen unbegraben
auf den Feldern. Dod blieben aud die Lombarden von diefem
Verderben nicht verschont, obwohl ihnen ihr mäßigeres und enthalt-
jameres Leben dabei zu ftatten fam. Biele Edle verließen fliehend
dad Lager, wurden aber, während fie fid) aufe Sänften zur Hei—
math Schaffen ließen, unterwegs won der Seuche ereilt und nur
wenige entfamen ihr; unter den letteren war Herzog Leopold von
Defterreih, der nad Venedig eilte und von dort, den Illyriſchen
Meerbufen durhfahrend, nach Deutſchland gelangte. Aber die Peſt
verbreitete fih auch in die Stadt Brescia und ergriff hier Peute
jedes Alters und Geſchlechts, namentlich aber ſolche, welche ſchon
durch Mangel und die hereinbredhende Hungersnoth geſchwächt waren.
Die Ueberlebenden aber wurden durch das Bild des Todes vor
ihren Augen erichredt. Denn da e8 ihnen an gemeihten Orten,
den jogenannten Cimeterten, fehlte, jo wurden die Leichen auf den
öffentlichen Wegen beerdigt. Sp herrichte innerhalb und außerhalb
der Stadt überall Wehklagen und Trauer der Ueberlebenden, wäh—
rend die grimme Wuth des tödtlichen Krieges nicht nachließ, ſon—
dern faſt täglich Niedermegelungen, Verwundungen, Plünderungen
und Feindjeligfeiten jeder Art rings um die Mauern ftattfanden.
6. Brescia ergiebt ſich dem König. Unter diejen
Drangfalen begab fich Lucas de Flesco aus hochberühmtem genue=
ſiſchen Haufe, ein Cardinal der römischen Kirche, von welchem ſchon
oben die Rede war!), welcher bet den Italienern größter Ver:
ehrung und ausnehmenden Einfluffes genoß, im Hinblid auf die
Leiden des Königs wie der belagerten Brescianer, in die Stadt
Brescta, entweder mit ausdrüdlicher Billigung oder wenigftens ohne
Wiverjprud des Königs, und nahm e8 auf fi, wie ich glaube,
’
1) f. 0. Rap. 1.
nen >
Brescia ergiebt ſich dem König. 137
die Sache zu Ende zu bringen, indem er die Bredctaner Dazu zu
vermögen fuchte, fi) dem zu fügen, was er nad) feinem eigenen
Ermefjen verfügen würde. Endlich willigten die Belagerten ein,
doch baten fie um ihr Leben und bevangen ſich aus, daß ihre Stadt
nicht zerftört werde und ihre Verfaſſung unangetaftet bleibe. Der
Gardinal eilte ind Lager und beftirmte den König, die ſchon bis
zum äußerſten geführte Belagerung aufzuheben und ſich der Un—
glüclichen in der Stadt zu erbarmen, zumal da die Zeit der Krö—
nung, die nicht länger zu verfchteben fer, nahe. Auf den Kath)
feiner Fürften ftimmte der König dem Cardinal bei, verſprach oder
gelobte zwar öffentlich nichts, doch erflärte er, er werde dem Gar-
dinal hierin zu Gefallen fein, ſoweit e8 feinem eigenen Ermeſſen
nad der föniglichen Würde zieme. Die durch die Menge verbrei-
teten Gerüchte berichteten freilich anderd, denn von jenen Dingen
wußte das gemeine Volk ſchlechterdings nichts, Tagte vielmehr, es
feten insgeheim fürmliche Verträge abgefchlofien, daß nämlich die
Mauern ftehen bleiben und nur an. dem Theile eingerifjen werden
jollten, wo einige Deutſche auf den Zinnen mit dem Strang hin
gerichtet worden waren !), und dieſes Stück mar nicht länger als
ein Baliftenwurf reicht; ferner folle der König einige aus den Vor—
ftehern oder Angejehenften mit fi) führen, aber niemanden an Gü—
tern oder Bürgerrecht fränfen. Dies wurde zwar in Folge deſſen,
wa3 nachher geſchah, von der Umgebung des Königs geleugnet, Doc)
ftellte fi) wenigftens ſoviel als wahr heraus, daß der Cardinal
Mehreren gegenüber fich beklagt hat, der König fer nicht in allen
Stüden feinen Verſprechungen nahgefommen. Eben hierüber klag—
ten die Brescianer, doch beſchwerten fie fich unter ſich nicht ſowohl
über den König, als vielmehr über den Cardinal. — Nach Ber:
einbarung des Abkommens alſo werden dem Grafen Ameus von
Savoyen, Guido von Flandern und den übrigen Fürften des fünig-
lichen Heeres die Thore geöffnet, und Alle, welche nod mit dem
König im Lager verharrten, zogen ein; viele der Lombarden hatten
1) Bgl. Bud 3 Kap. 7.
1311
Be Viertes Bud).
nämlich unter dem Druf des Mangeld oder durd Krankheit ge-
zwungen bereit8 das Lager verlaffen. Der König jelbft aber 309,
um jeine großmächtige Erhabenheit Allen um fo veutlicher zum
Bemuftjein zu bringen, nebft der Königin nur über die Trümmer
der niedergeriffenen Mauer in die Stadt ein, geleitet von den Bres-
cianern, welche früher vertrieben gemejen waren, jetst aber Olivenzweige
in den Händen trugen und den Sieg des Königs laut jubelnd priefen.
Dann aber überwies Heinrich alsbald die gefammten Mauern feinen
Schaaren zur Zerftörung und ließ mit den Trümmern die Gräben
ausfüllen.
7. Mari des Königs gegendie Örenzeder Lom—
bardei. Nach einem Aufenthalt von wenigen Tagen verließ Der
König Brescia unter Mitnahme von fiebenzig Bürgern und wandte
fi) nad) Cremona, nachdem er noch, um die Angelegenheiten ver
Lombarder endgültig zu ordnen — damit er nämlid um fo eher
zur Krönung nad Kom gelange —, den unterworfenen Gemeinden
den Befehl hatte zugehen laffen, je drei oder vier aus ihren an-
gejehenften Bürgern auszuwählen, die ſich an einem gemiffen Tage
in Pavia, wohin er eine allgemeine Berfammlung ausfchrieb, bei
ihm einfinden jollten,
8. Ereigniffe in Cremona. Bon Cremona aus, wo
Heinrich etwa zwei Tage verweilte, fandte er Briefe an die unter
worfenen Gemeinden, um deren Häupter zu berufen, welche ıhm
zur Krönung folgen follten, indem er in den einzelnen Briefen die⸗
jenigen nannte, deren Anweſenheit bei feiner Krönung er wünſchte.
Dann ordnete er, jo meit es ın jo furzer Zeit möglih war und
die Umftände es zuließen, die Angelegenheiten Cremonas: unter
anderem befahl er auf die Bitten der Königin hin, die dur) dag
Wehklagen der ihre Hilfe ehrerbietig und demüthig anrufenden
Frauen gerührt war, die Gefangenen, welche noch in Rimenengum,
Caſtrum Yeoni und den übrigen Orten feftgehalten wurden ?),
frei zu laſſen, ging aber dann nad) Piacenza, noch ehe wegen
- f
kn A *
1) VBgl. oben Buch 3 Kap. 4.
Ereigniffe in Piacenza. 139
plötzlich entftandener Streitigkeiten zwiſchen den Cremoneſen die An—
gelegenheit ins Reine gebracht war, und beließ die Gefangenen in
ihrer Haft.
9. Ereigniffe in Pincenza. Die Einwohner von Pia-
cenza gingen dem König etwa zwei Miglien weit !) außerhalb ihrer
Mauern entgegen, fielen zum Fußkuß vor ihm nieder, überreichten
die Schlüffel und überließen fih und alles Ihrige feinen Anord-
nungen. Zugleich klagten fie Albertus Scotus ?) der Gewaltthätig—
feit und Tyrannei wegen, die er lange gegen feine VBaterftadt wider
alles Recht ausgeübt habe, an und verficherten, daß die Stadt feine
Ruhe haben könne, folange er ſich in ihr befinde. Der König zog
ein und ließ fich die Anfichten der Bürger näher darlegen, ſah aber
bald, daß, wenn er auf einer weiteren Augeinanderfegung hierüber
beftände, gar leicht größerer Zwieſpalt entftehen und daß die Sache
feineswegs über das Knie gebrochen werben fünne; jo begnügte ex
fi), den Petrus de Meſa aus Verona als Vikar einzuſetzen und
309 dann ab. Albertus Scotus aber, der in der Hoffnung in Pia—
cenza eingefegt zu werben, dem König bis zur Grenze des Gebietes
der Stadt gefolgt war und ſich num in jenen Erwartungen ges
täuscht jah, fuchte die Burgen feiner Genofjen und Getreuen auf
und überzog furz darauf Piacenza mit Krieg.
10. Berfammlung um den König in Pavia. Von
Piacenza aus gelangte der König nad) Pavia, wo er der von ihm
angefagten Berfammlung halber die Abgeoroneten der Yombarden
zum feftgejetten Termin beveit3 vorfand, und die noch abwejenden
faft fieben Tage lang erwartete 3). ES waren dort Geſandte von
1) Eine Miglie beträgt etwa 1500 Mir. — 2) Diefer hatte fich ſchon 1290 in Pia—
cenza zur Gemwaltherrihaft aufgeſchwungen, war 1305 geftürzt worden, aber ſchon 1309
wieder in den Befit der Macht gelangt. Damals war er zwar aufs neue aus Piacenza
vertrieben, hielt fih aber in der Umgegend und beunruhigte die Stadt. — 3) Der vor=
liegende Tert lautet ubi et coneilii causa Longobardorum legatos jam ibidem pro die
statuta invenit absentes, per dies paene septem praestolatus; aber ſchon bei
Muratori finden wir die Vermuthung des Pignorius, daß das Komma vor absentes zu
fegen fei. Da freilich die Zeit Hierzu faum auszureichen feheint, fünnte man ändern
praestolatos; dann wären e8 die vor dem König eingetroffenen Abgeordneten, welche ge=
wartet hatten.
1311
140 Viertes Buch.
Cherium !), Iporegia, Novara, Vercelli, Como, Mailand, Pavia,
Bergamo, Piacenza, Brescia, Modena, Reggio, Parma, Cremona,
Lodi, Mantua, Verona, Vicenza und Padua?). Auf Befehl und
Berufung des Königs kamen die Abgeordneten im Palaſte desſelben
zuſammen und nahmen vor dem Throne Platz. Sie wurden dar—
auf einzeln aufgerufen zum Zuhören, ftanden auf und hörten in
aufmerffamem Schweigen die Rede an, welche, ſich erhebend, Io:
hannes de Cancellariis aus Genua, des Königs Hofrichter, ihnen
mit Genehmigung desſelben vortrug. Der König, führte er aus,
habe in jeinem Beftreben, der Lombardei den Frieden und Ruhe
zu bringen und zu fichern, viel Widerwärtiges erfahren und habe
nicht nur auf Ertheilung guten Rathes und frievlihe Bemühungen
bedacht fein, ſondern auch mit den Waffen in der Hand Fämpfen
und feine und der Seinen Fähigkeiten und Vermögen insgeſammt
auf das äußerſte anſpannen müfjen; dennoch habe er nicht vermocht,
den Haß der Bürger unter fi und das alte Parteigetriebe jomeit
auszurotten, daß es nicht vielmehr zum größten Theil fortbeftehe.
Zu gelegener Zeit und am rechten Orte müfje e8 daher durch ae=
eignete Heilmittel bejeitigt werden; jett jedoch ſei die Zeit feines
Aufbruchs nah Tuscia gefommen; anderen italienischen Völkern,
am Meer und inmitten des Landes, die ihn bereit8 erwarteten,
müſſe er fi) darjtellen und feinen Beſuch ſchenken, ſowie die Krö—
nung, welche der Papſt angeordnet, ind Werk fegen. Hierzu nun
bedürfe ex des Rathes feiner anweſenden Getreuen, und zwar folle
ein jeder von ihnen fein Gutachten im Namen der betreffenden Ge—
meinde ihm jchriftlich einveihen. Der König werde e8 ſich dann
angelegen fein laſſen, insgeheim die Anjicht eines jeden möglichit
ſchnell zu prüfen und je nad) dem Urtheil feiner Fürften und Be—
rather zur Ausführung zu bringen.
Nach diefem Vortrag hielt noch der Cardinal von Dftia, wel:
er neben dem König thronte, eine mahnende Rede an die Ge—
1) Ehieri. — 2) Der Tert erwähnt hier Padua nicht, doch wird unten ausdrücklich
gejagt, daß dieje Stadt ebenfall3 vertreten war.
EEE En
Verſammlung um den König in Favia. 141
fandten, welche darauf verabſchiedet wurden und auseinander gingen, 1311
nachdem ihnen eine Frift von drei Tagen zur Erfüllung des Ver—
langens des Königs gegeben worden war. Als viele Frift ver:
ftrihen war, trat die Berfammlung aufs neue zufammen und die
Abgeordneten überreichten ihre Gutachten verfiegelt dem Kanzler.
Die Vertreter von Padua, von Liebe zum Baterlande und Begei—
flerung für die Freiheit getrieben, Liegen ſich weder Durch Rückſicht
auf irgend jemandes Wünfche, nod) etwa durd Geld abhalten, dem
König lediglich den Rath zu geben, er möge nicht eher von Dannen
ziehen, bis er die Provinzen in Ruhe verſetzt, die Feindſeligkeiten
bejeitigt, die Tyrannen in den Städten ihrer Throne beraubt, die
Berbannten dem heimifchen Herde wieder zugeführt, über die Ge—
meinden Auswärtige von erprobter Zuverläffigfett gelegt habe !);
auch jolle er die Bevölkerung überall nad ihren gerechten Geſetzen
und Gewohnheiten leben laſſen; das fomme einem erlaudhten und
gottesfürchtigen Könige zu und jo werde Alles einen glüdlichen Ver—
lauf nehmen. Handle er aber anderd, jo werde er, das möge ev
wohl merfen, bald vernehmen, daß, ſobald er den Rüden gewendet
habe, Gemeinden gegen Gemeinven, Städtchen gegen Städtchen, Ein-
zelne gegen Einzelne zu Mifhandlungen, Mordthaten, Plünderungen,
Brandftiftungen und allen verderblichen Feindfeligfeiten ſich voll
Leidenſchaft anjchifen würden; dadurd) aber werde zum alten Haß
neuer hinzufommen und Verbrechen im Innern der Gemeinden eine
Stätte finden, der König aber felbft, welcher in jeinen erjten Ver—
fündigungen und feinen großen Verſprechungen ſich aller Welt für
unparteitih 2) habe ausgeben Lafjen, allgemein ald eine Geißel Gottes
gelten ?). Ueberdies möge Heinrich anordnen, daß die Privilegien,
welche er den Paduanern unter feinem königlichen Siegel in Betreff
der Rückgabe der Ländereien und Gewäſſer ertheilt, deren Ausfüh-
1) Daß zu den höchſten Poften in den Städten Einheimische ernannt wurden, verbot
meift die Eiferfucht der Familien und Parteien, namentlich der Podefta wurde in den
italifhen Städten faſt durhgängig aus Nichteinheimifchen genommen. — 2) Statt quem
partiarium im Text ift zu lefen qui impartiarium,. — 3) Für promulgata sit wohl befjer
promulganda sit zu Iefen.
1423 Viertes Bud.
rung aber er von Tag zu Tage verihob, genau beobachtet wür-
den; durch ſolche Beiſpiele würden die Unterthanen zur Verehrung
und Ergebenheit gegen die königliche Majeftät herangezogen. — An
demfelben Orte, wo man vor drei Tagen Sitzung gehalten, zeigte &)
fi) der König abermals auf hohem Throne und Tieß durch den
nämlichen Johannes von Genua verfünden: Er habe über die Rath
ſchläge der anmejenden Getreuen lebhafte Freude empfunden, da er
aus denfelben erfehen, daß er von ihnen geliebt werde. Das merbe
er ftet3 im innerften Herzen bewahren und deſſen allezeit mit be=
Tonderer Freude gedenken, und er ftatte ihnen feinen Danf für ihre
Zuneigung zu ihm ab. Um das aber zu vollbringen, was in der
Lombardei noch zu thun ſei, obmohl ed wichtige Sachen und ihre
Erledigung ſehr wünſchenswerth fer, fehle e8 ihm für den Augen-
blick an Zeit, da er fich gezwungen jehe, feinen Marſch fortzu=
ſetzen; ſobald e8 indeß nur feine Zeit erlaube, werde er mit größtem
Nachdruck die Verbeſſerung der Zuftände der Lombardei in die
Hand nehmen.
Als ihnen diefe Antwort ertheilt wurde, da warfen fich, weil
ein jeder merfen fonnte, daß der König an jofortigen Aufbruch vente,
die Verbannten, welche in Folge des Widerftrebend mächtiger Geg—
ner noch nicht zurücgeführt worden waren, bis jetzt aber die Hoff:
nung nicht aufgegeben hatten, vor dem Seſſel des Königs zu Boden
und beklagten mit großem Wortſchwall ihr Geſchick; unter ihnen
befanden fich von hervorragenden Männern Manfred de Beccarıa
aus Pavia, Antonius di Fifiraga aus Lodi und Guilelminus de
Rubeis aus Parma, außerdem viele von geringerem Range. Ihr
Yärmendes Gefchrei aber verlegte nicht nur die Ohren des Königs,
fondern auch die der Umftehenden.
11. Der König berührt auf dem Marſche nad)
Genua Tortona. Der König antwortete ihnen eingehend voller
Leutfeligkeit und Güte; endlich verließ er den Saal, jpeifte etwa
um die neunte Stunde!) und verließ dann Pavia, indem er die
1) Etwa um 2 oder 3 Uhr Nachmittags.
Der König berührt auf dem Marjche nach Genua Tortona. 143
Straße nah Tortona einihlug. Antonius de Fifiraga folgte ihm
bis nad Tortona; Dann aber ließ er feine thörichte Hoffnung fah—
ven und fehrte nach Pavia zurüd; auf dem Rückwege jedod ward
er von den Bauern von Bogaria, einem paveſiſchen Dorfe, welche
die Partei des Manfred de Beccaria hielten, umftellt, aufgehoben
und dort ind Gefängniß geworfen; alſo erging es ihm jchlecht, da
das Unglück es jo wollte.
1511
Fünftes Bud).
1. Zuftände in Genua, Parteiungen und Ber-
ſöhnungen. Nachdem er die Lombardei in diefen Wirren ver-
(afjen hatte, überfchritt der König ohne Verzug die Hügel von
Gabium!) und ftieg dann nad, Genua hinab. Der Abt, (ein
Dlebejer, der nad) Yandesfitte der Vorfteher des Volkes ift) mit
dem Podeſtaà und den Bornehnften des Staates ſowie Die ganze
Bevölferung famen, gleichgefleidet, mit den Feftgemändern angethan,
etwa fünf Miglten weit dem Herricher entgegen und empfingen den-
jelben, der unter einem glänzenden purpurfarbigen Baldachin feinen
Einzug bielt, während die Königin in derſelben Weife geehrt ihm
folgte, mit böchfter Freude. Im biſchöflichen Palaft, dem Die Ge—
meinde ihm angewiejen, ftieg er ab. Diefe Stadt, von der Zwie—
tracht zwiſchen den Parteien der Guelfen und Ghibellinen entzündet
und lange unter mamnigfachen Wechfelfällen hin- und hergemorfen,
befand ſich damals unter der Herrſchaft der Ghibellinen oder der
fatferlihen Partei (denn dieſe beiden Ausprüde befagen das näm—
liche), da die Guelfen, obwohl zahlreicher und mohlhabender, unter=
legen waren, jei e8 in Folge ihrer Läffigfeit oder weil es die
Dinge nun einmal fo mit fid) bradyten. Die Führer diefer herr-
ſchenden kaiſerlichen Partei gehörten zwei rivalifierenden Familien an,
nämlicy den Auria ?) und Spinola. Das Haupt der YAuria war
I)». i Gavi. — 2) D. i. Doria.
Zuftände in Genua, Parteiungen und Verſöhnung. 145
Barnabas!), der Spinola Opieinus?). Die Nebenbuhlerichaft
diejer beiden Männer hatte das Gemeinwefen um nichts weniger
als vorher die Kämpfe zwiſchen den Guelfen und Ghibellinen in
verderbliche Zwietracht geftürzt, indem Barnabas den Opteinuß, der die
Führerfhaft des Volfes erlangt, mit Hilfe der berbeigerufenen
Guelfen aus der Stadt vertrieben und auf die Anhänglichkeit dev
höheren Stände 3), denen jener verhaßt war, geftüßt, die Vor—
ftandichaft und das Ruder des Staates in die Hand genommen hatte,
In Volge hiervon war Opteinus dem König bis nad Aftı ent=
gegengeeilt, wo man ihm Gehör geſchenkt und Ausſicht auf Rück—
fehr in die Vaterftadt gemacht hatte. Die Parteien nun, von Haß
entzündet, beftürmten das Ohr des Königs wetteifernd Durch öffent—
liche Anſprachen und heimliche Einflüfterungen. Die Partei des
Barnabas nämlich beſchuldigte den Opicinus, daß er lange die
Stadt als Gemaltherricher in unerträglicher Weile bevrüct habe,
bi8 er vertrieben worden fer; dann aber habe er hochverrätheriicher
Weiſe mit den Streitkräften des Königs Karl) oder Roberts, deſſen
Erftgeborenen 5), die Pflanzftädte und abhängigen Orte Genua's
verbrannt und die Stadt felbft in die äußerſte Gefahr geftürzt,
ſomit habe er die Stadt, vornehm wie gering verletst und, was
weit fluchwürdiger jei, auch die Königliche Majeſtät jelbft, va er
fi) mit König Karl und deſſen Partei zu enger Freundſchaft
verbündet habe. Auch klagten fie den Markgrafen von Mont—
ferrat 6), Opicinus' Eidam an, daß er mit feinen Mitteln
dem Schwiegervater zu Genua's Verderben beigeftanden habe.
Andererfeit machten Opicinus und die Seinen e8 dem Con—
radus de Auria und Barnabas zum Vorwurf, daß fie fi) mit
den Guelfen zu einer der ghibelliniichen over Faiferlichen
Partei widerwärtigen und ſchädlichen Gemeinſchaft herbeigelafien,
und daß fie ihn und die Seinen, geftütt auf die Hülfe der Flis—
catı, Grimaldi und Salvatici — Dies nämlich, waren Namen anderer
1) D. i. Bernabd. — 2) D. i. Obizzo. — 3) populus major. — 4) Karl II. von
Neapel, + 1309. — 5) Robert war Karls zweiter Sohn; der ältefte, Karl Martell, Prä—
tendent von Ungarn, war mit Sinterlaffung eines Sohnes Karl Robert (Carobert) vor
dem Vater geftorben. — 6) Teodoro aus dem griehifchen Kaiferhaufe der Palaeologen.
Geſchichtſchreiber. Lfg. 67. Leben Heinrichs VII. 10
1311
146 Fünftes Bud).
1311 vornehmen Familien!) — aus der eigenen Baterftadt verbannt und
das Bolt von Genua dermaßen gefnechtet hätten, Daß es zu Yande
und zu Wafjer unter Ihimpflihen Joche geihmachtet und jeglicher
Vorzüge, welche Das Baterland früher gewährt, verluftig gegangen
ſei. Mit folden und ähnlichen Klagen angegangen, verſchob Der
König feinen Marſch über Genua hinaus, welchen er in fürzerer
Frift anzutreten geplant hatte, um dieſe Verhältnifie zu ordnen und
wenn aud feine dauernde Cinigfeit, doch wenigſtens einftweilen
gleihjam einen zeitweiligen Zuftand der Ruhe herbeizuführen. Als”
Ausgangspunkt hierfür befeitigte er den Podefta, der der Eitte gemäß
die höchſte Obrigkeit des Staates war, und nahm die Yeitung und
Lenkung deſſelben jelbft in die Hand2); dem Volksabt, der nur E
feinen Namen fahren lafjen mußte, entzog er die Yeibwache und
jegte einen Bilar?) ein. Er zwang Volk und ©emeinde zu einer
Beifteuer von fehszigtaufend Gulden und nahm für ſich felbft die
gefammte Macht zu richten, zu ftrafen, zu verurtheilen und freis
zufprechen in Anſpruch. Zugleich war er eifrig darauf bedacht
der Entzweiung unter den Bürgern, abzuhelfen. Bald rief er die
Auria, bald die Spinola zu ſich, um mit ihnen zu berathen, wor ”
beit ihm der Graf von Savoyen, ein Mann von ausnehmender I
Tüchtigfeit und Klugheit, gute Dienfte leiſtete; namentlich aber ©
war ihnen der Cardinal von Oſtia, die Hoffnung aller =
Shibellinen, der felbft für das Haupt diefer Partei zumal in”
Toskana galt, behilflih. Er war aus Prato, einem Dorfe nahe ”
Florenz, von niederer Herkunft, aber von großer Umfiht und
Weisheit. Nach feinem Rath wurde faft Alles betrieben. So kam
man endlich nad langen Unterhandlungen zu Vereinbarungen und ”
zur Feſtſetzung beftummter Friedensbedingungen zwilden den Bars”
teten, jo zwar, daß der König die Ehrenämter der Republik und 3
die fonftigen Posten zwiſchen ihnen theilte.
1) Dieje Familien, namentlich die beiden erftgenannten, die Fieshi und Grimaldi, ©
waren die Häupter der Guelfen Genua’s. — 2) Freiwillig übertrugen die Gemuejen dem
König die Signorie über Genua für einen Zeitraum von zwanzig Jahren. — 3) Den =
nahmalS fo berühmten Uguccione della Faggiuola, den hervorragenditen Ghibellinen F
Toskana's.
Der König empfängt Nachrichten iiber Unruhen in der Lombardei. 147
2. Der König empfängt Nachrichten über Un—
ruhen in der Lombardei. Inzwiſchen empfing der König
Beſtätigung der Nachrichten, melde von der Lombardei her ſchon
früher zu feinen Ohren gedrungen waren, daß nämlich Gibertus
de Corrigia von Parma mit Tusciern und Lombarden fih in
eine Verſchwörung eingelaffen habe, daß Ehebündniſſe zwilchen den
Familien Guido's della Turre und des Grafen Philippo de Lan—
gusco vollzogen worden ſeien, daß die Marfgrafen Cavalcaboe !)
mit Schaaren der Tuscier, Bolognefen und Yombarden im Ein—
verſtändnis mit dem vorerwähnten Gibert bereits den Vikar und
die Bürger von Gremona befriegten, daß ferner in Piacenza
neue Beitrebungen gegen den König ſich geltend machten. Zum
Schub von Cremona ſei Galaaz der ältefte Sohn des Maphäus
Vicecomes, des Vifars von Mailand 2), Ichleunigft herbeigeeilt. In
Brescia bereite fi) heimlih im Innerften der Stadt jelbft eine
Erhebung gegen die Mazier vor; dieſe ihrerſeits aber hätten Vor:
fehrungen hiergegen getroffen, die Befatung, welche in Bergamo ge-
legen, nebft dem königlichen Statthalter von Bergamo in Brescia
aufgenommen, mehrere Häupter der Verſchwörung getöptet und alle
gemeinen Bürger von der Partei derfelben aus der Stadt ge=
trieben. Um dieſelbe Zeit hätten die bereit8 erwähnten Mearf-
grafen, geftügt auf Gibertus de Eorrigta, mit den Verbannten von
Cremona von Caſalis Major?) aus, wo fie mehrere Tage lang
die Ihrigen zufammengezogen, die Feindfeligfeiten gegen die Stadt
mit großem Nachdruck eingeleitet, wären in dieſelbe eingevrungen
und hätten, nachdem fie den Vikar Goffredus de BVercellenfibus
aus Piftofa und den ſchon genannten Galaaz befiegt und im die
Flucht geichlagen, mehrere getödtet oder gefangengenonmen, Cre—
mona gewonnen. In Aſti, DVercelli und den übrigen Gemeinden
1) Ein Eremanefifhes Geſchlecht; den Markgrafentitel führten die Cavalcabo von
Viadana (PVitelliana), einer ihrer Befigungen. — 2) Nach der Befiegung des Torrianifchen
Aufitandes in Mailand vom Febr. 1311 hatte der König, was Muffato übergeht, auch
die Häupter der viscontiihen Partei aus der Stadt entfernt; aber ſchon zu Pavia,
Oſtern 1311, erfhien Maffeo wieder am Hof des Königs, fand freundliche Aufnahme
und ward am 18. Juli zum Reichsvikar von Mailand ernannt. — 3) Caſale Maggiore.
10 *
131i
—1312
148 Fünftes Bud).
iR der Lombardei aber jeien die Häupter der Guelfen — empor⸗
gekommen und wütheten gegen die Ghibellinen, ihr Unternehmen
aber werde von Philipp von Savoyen, Fürſten von Lacedämon,
dem Vikar von Pavia!), mit günſtigen Augen betrachtet, während
der vorgenannte Graf Philippo de Yangusco ihnen mit Rath und
That beiftehe. Endlich ſei Albuinus della Ecala an der Seuche,
welche ihn vor Brescia befallen, zu Verona geftorben ?); in Folge
hiervon müfje Canis grandis fein Bruder, der fih noch zu Genua
im Gefolge des Königs befand, fi) jo jchnell wie möglich nah
Berona begeben auf daß ihm nichts Schlimmes begegne, da er R
nämlich dem Bolt und den Edlen der Guelfiſchen Partei verhaft
war, namentlich) aber weil er fi; den Haß der Paduaner zuge
zogen hatte.
3. Ernennung eines Borftehers der Lombardei. ”
Obwohl die Nachricht won diefen unruhigen Auftritten in der Yom=
bardei den König nicht wenig überrafchte und erjchredte, jo war
er darum dod in feinem königlichen und Faiferlihen Sinn um
nichts weniger auf das, was ihm zu thun oblag, mit Eifer bes
dacht. Er beftellte den Werner von Homburg ?), einen tapferen ”
Kitter, zum Borfteher der Lombardiſchen Provinz, ertheilte ihm
namentlich die Befugnis alle dort entftehenden Kriege zu über
wachen und fandte ihn mit einer jo großen Schaar von franzöfiichen ”
Kittern, als er aufbringen Eonnte, wohlgerüftet in die Lombardei.
Werner wandte fi) zunächft nach Piacenza, wo man argwöhnte
daß eine Empörung im Anzuge fei; doc) wollten ihm die Bürger
nur erlauben mit hundert Leuten einzuziehen und Liegen ihm der
geftalt die Wahl ſich damit zu begnügen oder wieder abzuziehen,
anders als auf Diefe Bedingung hin wollten fie ihm den Einzug
1) Neffe des Amadeus; durch feine Verbindung mit der Erbtochter eines der Fürften
des ſ. g. lateinifchen Kaiſerthums hatte er den Titel eines Fürften von Achaja Morea
und Lacedämon an fein Haus gebradt. Ihn Hatte König Heinrich bei feinem Aufbruch)
aus der Lombardei zum Statthalter iiber Pavia Novara und Bercelli beftellt. — 2) Al
buino ftarb erft einige Tage nad) Cane's Ankunft in Verona. — 3) Im Text Guar-
nerius de Ocmborc genannt*
Tod der Königin. 149
nicht geftatten; fie jähen nämlich, erklärten fie, daß überall die 1311
töniglihen Statthalter die Guelfen niederhielten, die Ghibellinen *
dagegen begünſtigten; dieſen Parteiunterſchied wollten ſie ſich durch—
aus nicht gefallen laſſen, da ſie, um ſich vor Schaden zu hüten,
ſich entſchloſſen hätten gemeinſam, Guelfen und Ghibellinen, ein—
trächtig mit einander zu leben, im übrigen aber dem königlichen
Statthalter gehorſam zu ſein. Boll Unwillen über dieſe Bedingung
faßte Werner dieſelbe als eine Abwerfung auf, wandte fich umd
fehrte zum König zurüd.
4. Tod der Königin. In eben diefen Tagen zeigte die
Natur, welche alles zu Grunde richtet und dem menschlichen Geifte
oder dem menjhlichen Nachdenken nicht geftattet fich ihr zur er—
ziehen, ihr Amt beftändiger Veränderung an der erlauchteften und
gütigften Königin Margaretha. Dieſe nämlich, welche, wie die ge-
ſchickteſten Aerzte behaupteten, vor Brescia in Folge der verdorbenen
Luft von der Seuche erfaßt worden war und jeitdem an einem
Ichleichenden Uebel litt, wurde nad einer Krankheit von ſechs
Tagen — o Jammer! — dem Leben entriffen, zu Genua im
Palaft der Erben des Benedikt Zacharias, in dem Vorort Bes
fagnum im öftlihen Theile am Meere. Shre Leiche, nad) könig—
licher Sitte in Purpur gehüllt, mit goldener Krone auf dem Haupte,
wurde unter unglaublic) zahlreichen Yeichengefolge nach dem Klofter
der Minderbrüder gebracht und dort unter den üblichen Yeichen-
feierlichfeiten im Chor der Kirche an der Seite des Altars bei-
gejegt in bleierneim Sarcophag, der indeß weder vermauert noch
dur haltbares Gold verichloffen ward, da, wie man glaubte und
das Gerücht befagte, er feiner Zeit von Dort wieder entfernt und
nad Deutichland gebracht werden jollte. Der Tag diefer erhabenen
Gedächtnisfeier war der Fefttag der heiligen Jungfrau Yucta im Der. 13.
Jahre unferes Herren dreizehnhundert und elf. Der hehre König
ertrug ihren Tod mit männliher Würde und vergoß öffentlich feine
Thräne, obwohl e8 weder überliefert wird noch überhaupt glaublich
ift, daß vor dieſer Ehe jemald ein Baar gefunden worden, welches
einander in jo inniger Liebe zugethan geweſen wäre.
1311
150 Fünftes Bud).
5. Gefandtihaft der Pifaner. Während der König
fi) in Genua aufhielt, famen, ihn zu begrüßen, als Geſandte vier
undzwanzig wornehme Pilaner, deren Haupt und Führer Graf
Facius war, der Sohn jenes Grafen Gerardus von Pila!),
welcher — denn die Erinnerung an jenes fchredlice Ereignis
(wenn es gleich einer entlegenen Zeit angehört) ift noch keineswegs
geſchwunden —, in der Feldſchlacht befiegt und mit Conradin von
Staufen dem alamannifhen Könige?) von Carl, dem damaligen
Könige von Yerufalem und Sicilien, zu gleiher Todesſtrafe ver-
dammt, jein Leben geendet hatte?). Dieje Gejandten warfen ſich,
in fichtbarem Entzücken über den Anblid der faiferlichen Majeftät,
den fie, wie fie werficherten, ſchon lange erwartet und erjehnt hätten,
bis zu Thränen gerührt, dem König zu Füßen und trugen ihm
in längerer würdiger Rede, wie es der Gegenftand erforderte, ihr
Anliegen vor:
Jetzt endlich, riefen fie aus, habe Gott ſich der Welt, welcher
die Sonne entzogen geweſen, und des Menjchengeichlechts, welches
in jeinen Sorgen faft erlegen fer, erinnert und ſich ihrer erbarınt
zum Troſt der unterdrüften Völker, die das Licht der Kaiſer—
herrlichkeit exjehnen, welches nöthig jet zur Vernichtung und zur
gebührenden Vertreibung der Ungerechten.. Dies zu erreichen, biete
mit Gottes Willen die Welt fi. dar. Er möge daher, baten fie,
zu ihnen fommen, gleichwie zum Haufe und zur Brautfammer des
Königthums, wo er umfafjende Sorgfalt und auserlejene Treue
finden werde; alles gehöre ihm, Dort finde er einen Drt geeignet
zur Erholung und zur Vorbereitung jeiner weiteren Unternehmungen ;
‚von Pıla aus hindere ihn weder zu Yande nod zur See irgend
etwas mit der Schaar der Getreuen, welche er bet ihnen jammeln
fönne, nad) Rom zu gelangen; hier jolle er jene Truppen zuſammen—
ziehen, zu deren Pflege und Rüftung jegliche Vorkehrungen getroffen
jeien. Unter andern boten fie ihm zum Gejchenf ven Apparat
1) Gerardo Donoratico. — 2) „cum Conradino de Stoph Alemannorum rege.* —
3) Wie immer jo hatte auch bei dem Unternehmen Conradins Pija feine Anhänglichkeit
an das Kaiſerthum und das Gefchleht der Staufer glänzend bethätigt.
Gefandtichaft des Königs Robert von Apulien. 151
eines Zeltlagers, welches zehntaufend Soldaten mit ihren Zelten a
aufnehmen fonnte. Gefommen ſei, erklärten fie weiter, die Zeit
der Gerechtigkeit, die Zeit der Vergeltung für die verabſcheuungs—
würdigen Verächter des Kaiſerthums, die Zeit der Nüdführung
der Verbannten zum heimifchen Herde, die Zeit des Frohſinns und
des Friedens für diejenigen, welche das Kaiſerthum ſcheuen und
verehren.
Ihnen entgegnete der König voll Güte und Leutfeligfeit, in
furzer Rede, wie e8 jeine Gewohnheit war, er freue fid) über ihr
Erjcheinen und, was fie berichtet, habe er fich fehr zw Herzen ge—
nommen. Um ihretwillen und im Intereſſe feiner übrigen Ge—
tveuen ſei er gefommen; ihnen Glück und Friede zu bringen, fei
er mit äußerſter Anftrengung bemüht, ſoviel fein gebrechlicher,
fterblicher Yeib auszuhalten im Stande ſei; ihm fei e8 Herzensfache,
allen Befennern Chrifti, joweit er vermöge, Ruhe und Frieden zu
verſchaffen. Durch diefe Antwort getröftet und erfreut, blieben die
Gelandten am Hoflager und hielten ihre vier Galeren, ihre übrigen
Fahrzeuge und die Laftihiffe mit ihrer Ausrüftung unter großen
Roften im Hafen von Genua zurüd.
6. Geſandtſchaftdes Königs Robertvon Apulien.
Inzwiſchen kam Riciardus Gambateſa, ein Vertrauter des Königs
von Apulien, nebſt einem Gefährten nad) Genua, ward unter großer
Spannung der Fürften eingeführt und Hatte Yängere Au—
dienzen bei dem König. Der Gegenftand diefer Verhandlungen
ward geheim gehalten und blieb den Volke gänzlich unbefannt ;
aus Gerüchten aber, Vermuthungen und allerhand Anhaltspuntten
fam fo viel zu Tage, daß es fih um Ehebündniſſe des römiſchen
Königs ſelbſt und feiner Töchter mit König Nobert, deſſen Brüdern
und Neffen handle; doc jollten dem Zuſtandekommen diefer Dinge
von beiden Seiten verichtedene Hinderungsgründe entgegenftehen,
unter andern der Umftand daß König Robert für den einen jeiner
Brüder die Senatorwürde !) von Nom, für den andern das PVifariat
1) Der Senator war in diefer Epoche der höchſte Beamte der Stadt Ron.
152 Fünftes Bud.
131 von Tuscien erbat, was der römiſche König für umbillig hielt, 7
ER feinen und des Reichs Getreuen gegenüber, welche dann beftändig
im Exil bleiben würden, während er doc hauptſächlich um ihret-
willen nad) Italien gefommen fer; überhaupt werde e8 kaum mög-
lich fein, hierdurch bei dem bitteren Haß der gegen einander in
heller Wuth entbrannten Parteren irgend welche Linderung zu
Ihaffen. Während man nod hierüber am Hofe verhandelte, fiehe,
da erfuhr man durch Boten, die aus Kom zu Stephanus Colonna,
der fi) gerade am Hoflager befand, kamen, eine überrajchende
Neuigfeit, nämlih: Johann, der Bruder König Noberts, ſei mit
jtarfer Heeresmacht in Nom eingedrungen, um ben Palajt des
Cenatord und die ganze Stadt im voraus zu bejegen und jo den
Einzug des römiſchen Königs zu hindern. Che man aber die Be—
deutung diefes Schrittes Elar erkannte, faßten einige denjelben zum
guten auf und verbreiteten, Johann ſei nur aus Freundihaft für
den römischen König und zur Ehrenbezeugung demſelben entgegen-
gefommen, da er vermuthet hätte, jener würde dort eher erjcheinen.
Nachdem aber lange Zeit diefe Auffaflung von Mund zu Munde
gegangen und noch von denen, welche fie verbreiteten, wie e8 häufig
zu geben pflegt, mannichfache willfürliche Zufäge und Ermeiterungen
erfahren hatte, verſchwand dieſe angeblihe Willfährigfeit oder
Freundichaft, wie thatfählih, Jo audh im Gerüchte. Denn jener
war, wie feine Handlungen erwiefen, nah Rom gefommen, um die
Stadt gegen den König aufzumiegeln. Mit allen Machtmitteln,
über melde fie verfügen konnte, flügte den Prinzen die erlauchte
und mächtige Familie der Urſini, fer e8 aus Feindſchaft gegen die
Colonna!) melde, wie e8 hieß, den König nach der Stadt ge
leiten wollten, fer e8 auch aus Anhänglichkeit an die Guelftiche
Sade, welche fie auch jonft nad Kräften begünftigt und gefördert
hatten. ALS dieſes am Hofe fund ward, verſchwand Riciardus
Gambateſa eines Tages um die Dämmerung mit feinem Vier:
ruderer, den er zur Abfahrt fertig gemacht hatte, aus dem Hafen
1) Ueber die Orſini und Colonna vgl, die Einleitung ©. 6.
Gejandtihaft des Königs nad) Nom. 153
von Genua, ohne Wiſſen des Königs, und kehrte nach Apulien So
zurüd. j
7. Geſandtſchaft des Königs nad Rom. Belorgt
hieß der König den erlauchten Ludwig von Savoyen, der Damals
von den Römern zum Senator berufen worden wart), eine
Galeere rüften und auf welchem Wege er könne nad) Rom vor=
dringen. Der Senator ward mehrere Tage in Piſa durch Stürme
zurüd gehalten; endlich, als Diele fich gelegt hatten, fuhr er nadı
der Maritima, erholte ſich dort in den Burgen des Grafen von
Santa Flora einige Zeit und eilte endlih unter Genehmigung
und Leitung dev Colonna zur Stadt, wo er im Lateran feinen
Sit nahm. Eiligſt Tieß er dann aud zu feinem Schutze den
Stephanus Colonna mit den Seinen fommen. Jede Partei be:
feftigte nun einige Theile von Rom, in den Quartieren wo fie
herrſchte, mit Schanzen und Feſtungswerken und verjah fie mit
Allen, was zum Kriege und zur Belagerung dient. Der Auf
aber warb immer lauter durch die Gemeinden Italiens bin, daß
das römische Volk und zwar ganz beſonders das niedere Volf die
Ankunft des römischen Königs erſehne und davon Vortheil für
ſich erhoffe. Diefe Spaltung von Nom erfüllte die Völker von
Italien, Gallıen und aller Länder, ſoweit der Name des Neichs
anerkannt wird, mit mannichfaltigen Hoffnungen und Befürchtungen.
8. Geſandtſchaft des Königs von Sicilien an
das Hoflager. Um dieſe Zeit landete in Genua der edle
Galvagnus Lancia ?), der Rath und Admiral König Friedrichs
von GSicilten?), nebft Gefolge mit zwei Galeeren, als Gejanbter
des eben erwähnten Friedrichs. Don König Heinrich freundlich
empfangen, begrüßte er diefen im Auftrage feines Königs und be=
Ihenkte ihn mit einem filbernen Tih*von erheblichem Gewicht
und anderen föniglihen Ehrengeſchenken. Wozu jonft aber er ge—
fommen war, erfuhr am ganzen Hoflager niemand, mit Ausnahme
weniger in das Geheimnis gezogenen Bertrauten des Königs, doch
1) Er hatte fich einige Zeit in Rom behauptet, war dann aber von dort aus zum
König nad Brescia gefommen. — 2) Galvagno Lancia. — 3) Regierte jeit 1296.
154 Fünftes Buch.
SE ward in den Wirthöftuben und auf den Straßen vielerler darüber
erzählt. Einige meinten, fie jeien gefommen, um für ihren Herrn
die Anerkennung als König von Sicilien zu erbitten und den
Stand der Dinge, die Yage und die Machtverhältnifje des römischen
Königs zu erfunden. Andere meinten, e8 gelte ein Bündnis beider
Herricher wider Die Könige von Franfreih und Apulien. Die
fetstere Anficht indeß verſchwand jchnell wieder und nad) wenigen
Tagen beftieg Galvagnus mit Wilfen und Erlaubnis des Königs
jeine Galeeren und fehrte nad Sicilien zurüd.
9. Ereigniljfe in Genua. Während nun der König
dergeftalt Genua in Befit hatte und dort Hof hielt, ſandte die
Gemeinde von Florenz mit den verbündeten Gemeinden Toskana's,
nämlich von Siena, Perufium, Civitas Caftelli ), Yucca und anderen
Drten im Berein mit dem guelfiichen Bologna den Dego?)
Marihall König Roberts, mit ungefähr vierhundert Dann Sold—
teuppen nad) Earzanım?) im Gebiet von Lucca unter den Feld-
zeichen Roberts und der Guelfenpartei, damit der römiſche König
dort feinen Durchweg fände; zugleich gelobten fie einander eidlich
nicht zu Heinrich abzufallen jondern vielmehr alle Ohibellinen
niederzumachen. Hierdurch erſchreckt, wenngleich in feiner Stand-
haftigfeit nicht erjchüttert, Tieß der König von jeinen Fürften,
Grafen Ameus von Savoyen, Grafen Robert von Flandern,
dem Erzbiſchof von Trier feinem Kanzler, dem Biſchof von Trient,
dem Biſchof von Lüttich, dem Heeresmarſchall Heinrid) von Flandern
(denn diefe waren von allen ihm übrig geblieben) ſowie aud von
den Cardinälen, namentlich dem von Oſtia (der Biſchof von Alba
nämlich war inzwiſchen in der Gegend von Yucca einer Krankheit
erlegen) mit Rath und That unterftügt, den Muth nicht finfen und
hielt fi jo gut es gingsaufreht. Aber die Genuefen hatte er
durch die Auflage von jechzigtaufend Goldgulden in jo hohem Grade
beſchwert, daß er feine Hoffnung hatte weitere Summen von ihnen
erheben zu fünnen; ja, fie hatten als feine und der Seinigen Be—
1) D. i. Eitta di Eaftello. — 2) Diego della Ratta. — 3) Sarzana öftlih von
Spezzia, an der von tort nad Fucca und Pifa führenden Küftenftraße.
Ereigniffe in Genua. 155
dürfniffe anwuchſen, plößlic begonnen die Lieferungen einzuftellen,
ſodaß der König arm und erjhöpft in feiner Bedrängnis und Ohn—
macht den Sold feinen Truppen zu zahlen aufjchteben und die—
jelben mit eitlen, trügerifchen Hoffnungen hinhalten mußte. Und
ſchon wurden die Seinen ihrer Schulden wegen von den Genueſen
gemahnt und laute Klage erhoben, nicht nur hinter dein Rücken
des Königs, jondern in feiner Gegenwart und vor feinen Ohren.
Daraus entftand denn bald aud) Unmwillen wider den König felbft
beim geringen Volke wie auch bei den befjeren Ständen. Ueber:
haupt lagen ſchwerwiegende Momente vor, welche leicht zur Unzu—
friedenheit und zum Aufruhr führen fonnten. Immer häufiger
wurde die allgemeine Klage, welche man in der ganzen Stadt
laut und öffentlich zu erheben wagte: Genua fei von jeher eine
Freiftadt geweſen, fie habe die Herrihaft Friderichs von Staufen
abgemwiefen und fogar fi mit ihm gemefjen?); jest aber habe fie
blindlings den Hals unter das Joch gebeugt ohne Krieg und ohne
daß e8 ihr zum Schut und Vortheil gereiche; fie fet jetzt entartet,
ihre Ordnungen ſeien gelöft, ihre ſtädtiſche Verfafjung und ihre
Volksbeſchlüſſe ferien aufgehoben und abgeſchafft; Volk und Vor—
nehme verdienten ihre Augen zu verlieren, dafür daß fie ſich jenem
‚gebunden überliefert und wie Sklaven und Peibeigene gehandelt
hätten. Das Gewicht diefer Klagen wurde noch dadurch verſtärkt,
daß ſich die Genueſen aller Handelsvortheile beraubt ſahen, daß
ihnen, die wie die Fiſche auf dem Meere ihren Unterhalt ſuchen,
jest ihre Schifffahrt entzogen und jeder Erwerb abgejchnitten war,
da wegen dieſes unfeligen Kriegs Fein Waarenaustaufch mit den
Kaufleuten der Lombardei, Tosfanas, Siciliens und bejonders mit
denen von Alexandria und den Bewohnern der Infeln des mittel-
ländiſchen Meeres ftatt fand ?). Dies alle war für das Volk
1) Befanntlih führte Genua jahrelang Kriege mit Friedrich II. Der bedeutendite
Geaner des letzteren, Papft Innocenz IV., ftammte aus dem genuefiihen Gefchledhte der
Fieschi; die Genuefen waren es auch, welche diefem im Jahre 1244 die Flucht von Rom
nad) Lyon ermöglichten, wo der Papft im folgenden Sahre fein großes Concil abhielt
und die Abſetzung Kaifer Friedrihs ausſprach. — 2) Dies ift offenbar der Sinn der
Stelle. Der Tert ift verderbt.
1312
156 Fünftes Bud).
von Genua durchaus unerträglih. Von Tag zu Tag ward das
Murren lauter und allgemeiner, dem König felbft blieb das
Schelten nicht verborgen und oft vernahn er im Vorzimmer das
Drängen und Yärmen der Gläubiger, welche für die von ihnen
gelieferten Waaren Bezahlung verlangten. Rathlos wie er dieſen
Misftänden abhelfen jolle, jandte der König, als er wahrnahm
daß die aufgeregte Menge ihm gefährlic zu werden anfing, den
Biſchof von Lüttich und den Marihall Heinrich von Flandern
plöglih nah Pia, um von den befreundeten und getreuen Pifanern
Hülfe in dieſer Nothlage zu heifhen. Das Hoflager war damals
ungewöhnlich leer, durch Todesfälle verödet, da wiele, welche bisher
verſchont geblieben waren, nun in Genua an der Seuche, melde
fie Schon lange in fich getragen und genährt hatten, zu Grunde
gingen. Bemerkenswerth ıft Dabei das folgende. Eben diele
nämlich, die noch in Genua erkrankten, ſteckten die Genuejen derart
an, Daß troß des überaus gefunden Klimas des Landſtriches und
einer durchaus günftigen Witterung eine ſeit Menfchengedenfen un—
erhörte Sterblichkeit in Folge der anſteckenden Seuche, welche auch
die Bürger ergriff und eine unglaublide Menge hinmegrafite,
eintrat. Unter Theilnahme des Biſchofs mit der Geiftlichfeit und,
von großen Volksſchaaren geleitet, wurden die Körper Johannes
de8 Täufer und anderer Heiligen unter Abfingung von geiftlichen
Liedern und lauter Anrufung durch die Stadt getragen, um Gott
zu befänftigen und die jo tödtlihe Krankheit zu fühnen. Der
Hof war, wie ſchon erwähnt, verödet und zwar nicht nur in Folge
der zahlreichen Todesfälle; fondern aud von den Abgeordneten,
welche mit Nennung ihres Namens berufen waren um den König
zur Kaiſerkrönung zu geleiten ?), erſchienen nur wenige; die meiften
fauften die Verpflihtung mit Geld ab, andere verharrten in Gering=
ſchätzung des füniglichen Befehls und offener Empörung. Aus der
Zahl der lombardiſchen Großen erſchien nur Lucchinus, ein jüngerer
Sohn des Maphäus Vicecomes von Mailand, mit wenigen Keitern
und den Abgeoroneten der Gemeinde von Mailand.
1) Vgl. oben Bud. 4 Kap. 8.
Kückehr der Gefandten Padua's mit füniglicyen Privilegien &. 157
10. Rückkehr der Geſandten Padua's mit fönig-
lien Privilegien, und Tert derfelben. Unter den Ab-
geordneten der übrigen Gemeinden befanden fich aud vier Paduaner,
die Richter Rolandus de Blazivla, Jacobus de Alvarotis, Johannes
Henricus de Capitevaccä und der Late!) Albertinus Muffatus.
Diefe waren, dem Befehle des Königs gehorſam, erjchtenen, glaubten
aber, wie die übrigen, daß der Aufbrud nah Rom jchneller er—
folgen werde und baten, nachdem fie etwa hundert Tage in Genua
1312
ftillgelegen hatten, endlich der Sache überbrüffig und durch die |
großen Koften des langen Aufenthalt8 in Genua beſchwert, um Er—
laubnis fich zu entfernen. Lange Zeit blieben ihre Bitten frucht-
08; ja fie hätten den König überhaupt wohl kaum geneigt ge=
funden ihre Bitte zu gewähren, wenn nicht Albertinus Mufjatus,
den der König ganz befonders hochſchätzte, dieſem mit Anführung
der dringendften und gewichtigften Gründe darüber Vorftellungen
gemacht hätte: ihm und jeinen Genofjen fünne nämlich wegen der
Gefährdung der Wege ſeitens der Gemeinde von Padua fein Geld
für ihren Unterhalt überfandt werben und fie befänden fich daher
in einer jo bebrängten Lage, daß fie geradezu gezwungen ſeien
zurüdzufehren; zur Krönung indeß würden fie vechtzeitig wieder
ericheinen. Der König ertheilte ihm hierauf zwar nicht ausdrüd-
li) die Erlaubnis, verweigerte fie aber auch nicht. So fehrten
die Paduaner, mit einem föniglichen Erlaß in Betreff der Ableitung
des Fluſſes Bachilio und der Paduaniſchen Befizungen in Vicenza
und deſſen Gebiet, die die Vicentiner noch zurüchielten, verjehen,
nach Padua zurüd.
Der Wortlaut des füniglichen Erlaſſes oder Privilegs iſt der
folgende:
„Wir Heinrich von Gottes Gnaden römiſcher König, zu allen
Zeiten Mehrer des Reichs, entbieten den Vikaren unjerer Städte
Padua und Bicenza, welche jest find oder zur Zeit fern werben,
und allen Getreuen des römiſchen Reichs und allen und jeven
1) Laie (laieus) bedeutet hier einen folchen, der den juriftifhen Doctorgrad nicht er=
worben hat.
1312
158 . Fünftes Bud).
unferer Vikaren und Beamten, zu welchen diefer Brief gelangen
wird, unferen lieben Getreuen, unſere Gunft und alles Gute.
— Nachdem wir, wie es fic) für unſere Majeftät geziemt, Sorge
getragen hatten, die Urfachen der Entzmeiungen und Srrungen,
welche zwiſchen unferen Getreuen den Pabuanern und den Bicen-
tinern und ihren Gemeinden und einzelnen Perjonen gefährliche
Verwicklungen hervorrufen fonnten, mit emfiger Sorgfalt aus dem
Wege zu räumen und friedlidy beizulegen, und im Betreff ver
Güter, Rechte und des unbeweglichen Befites der Paduaner, in
der Stadt und dem Gebiete von PVicenza und umgefehrt der Güter,
Rechte und des unbemeglichen Beſitzes der PVicentiner in der Stadt
oder dem Gebiet von Padua, ſowie im Betreff des Waſſers oder
Fluſſes Bachilio für gut erachtet hatten, beiden Theilen gewiſſe
Privilegien zu gewähren, zu deren Ausführung wir den ehrwür—
digen Aymo, Biſchof von Genf, unferen Fürften und Hetmlichen,
dorthin zu fenden geruht hatten, welcher dafelbft eine Unterfugung
anftellte und eine Entſcheidung traf, wie diefelbe in öffentlichen
Urkunden, welche er darüber aufnehmen ließ, vollftändig enthalten
ift, welche Privilegien und Entfcheidungen aber, wie und von Seite
der Paduaner mitgetheilt wird, nicht, wie es unſere Abficht war
und noch ift, thatfählih nad) Maßgabe ihres Wortlautes und
ihrer Faſſung ins Leben getreten und zur Ausführung gelangt
find: jo haben wir beichloffen, in dem Wunjche daß jene Privi
legten und Gewährungen, gleihwie wir fie qegeben und fie auf-
zufegen und zu verfiegeln befohlen haben, durchaus und unverlegt
beachtet werben, den weiſen Mann Baſſianus de Guaziis Yehrer
der Nechte und Johannes de Caſtione, unſeres Palaftes Auditoren,
unfere lieben Bertrauten und Näthe, in die Gegend und Dertlichkeit
der Gebiete von Padua und Bicenza ſogleich zu jenden, denen wir
nach wohlerwogenem Rathe unferer Richter und Rechtskundigen
hiermit laut diejes Briefes den Auftrag ertheilen, daß fie Die wor=
genannten Privilegien, als gerechte, wernünftige, dem echte ent=
Iprechende, und die oben erwähnte Entjheidung erfüllen und zur
Ausführung bringen, wie fie gejchrieben find, ohne Abbruch und
Rückkehr Der Gefandten Padua's mit fönigl. Privilegien ꝛc. 159
zu voller Wirkung Wir befehlen denfelben, dag jie an emen
zwilchen den Städten Padua und Vicenza gelegenen, beiden Theilen
gleich bequemen Ort oder anderswo in jener Gegend, mo die Par-
teien fiher und bequem zufammentreffen fünnen, nad) ihrem Er—
meſſen fich begeben, und dorthin alle und jegliche Paduaner und
Bieentiner berufen, welche behaupten oder behaupten werben, fie
jeien in dem Zeitraum, von welchem im den genannten Privilegien
die Rede ift, an ihren Gütern Rechten und ihrem unbeweglichen
Beſitz verfürzt worden, um dort von den einzelnen ihre Titel und
Anſprüche in Betreff diefer Güter, Rechte und dieſes unbeweglichen
Beſitzes und der Rechte und Güter, welche fie, mie fie behaupten
oder zeigen wollen, in dem Zeitraum, von weldem in den vor=
genannten Privilegien die Rede ift, befeffen und innegehabt haben,
und deren fie in demſelben Zeitraum, wie fie nachweiſen wollen,
beraubt worden jeien, entgegenzunehmen. Und nachdem fie in
Betreff eben diefer Güter, Rechte und Befisungen, ſobald man
ihnen über viefelben den genügenvden Beweis geliefert haben wird,
die Wahrheit herausgefunden haben werden, jo jollen fie, befehlen
wir, Die richtigen Befiger auf Grund unferer Autorität in den
freien und unbeichränften Beſitz jegen und einführen und alle ohne
weiteres auf den ehemaligen Stand, wie e8 früher war, zurüd-
bringen. In allen dieſen vorgenannten Dingen und allem, mas
fi) Daraus ergiebt, verleihen wir denjelben volle und uneingefchränfte
Macht, Entſcheidung und Gewalt, indem wir von jeglichen feters
lichen Formeln, welche das Recht vorschreibt, dabei abſehen. Wir
wollen aber, daß die genannten Bafjtanus und Johannes in allem
Vorgenannten und in Betreff alles Vorgenannten und in allem,
was fi Daraus ergiebt, vorgehen können und mögen ohne chrift-
liches Verfahren, einfach, kurz, ohne Umftände und Formen des
gewöhnlichen gerichtlihen Berfahrens, auf jede Art und Weile, wie
ſie am beften und ſchnellſten zur Ausführung alles Borgenannten
zu Gunften der Beraubten gelangen zu fünnen glauben, und daß
fie alle Widerfprechenden Ungehorjamen und Rebellen ftrafen und
züchtigen, fie verurtheilen, ihnen Strafen auferlegen und fie um
1312
1312
San. 27
160 Fünftes Bud. Rückkehr der Gefandten Padua's ꝛc.
Geld büßen fünnen, ganz wie e8 ihnen am beften jcheint. Euch
aber und einem jeden von euch befehlen wir, daß ihr in allem Bor:
genannten, gleichwie die genannten Baſſianus und Johannes es
eud) jagen werben, in der Ausführung aller diefer Beftimmungen
ihnen gehorcht und eifrig darauf bedacht ſeid ihnen zu gehorchen.
Wir übertragen aber venfelben in allem Vorgenannten und allem,
was ſich daraus ergiebt, unfere Vertretung, mit Verwerfung jeg-
licher Entſchuldigungen, Ausflüchte, Hinderungsverfuhe und Be—
rufungen, jodaß fie beide, oder, falls einer von ihnen der Ausführung
dieſer Dinge nicht beimohnen kann, der andere fie nichts deſto
weniger zur Ausführung bringen fann. Auch wollen wir daß bei
den vorgedachten Wiederherftellungen einem jeden jein Recht durchaus
in vollem Umfang gewahrt bleibe, ſodaß durch dieſelben feiner
verfürzt werde — Gegeben zu Genua am 27. Januar im
Sabre des Herrn 1312, unjere8 Reiches aber im vierten Jahre.“
Sechſtes Bud).
1. Berbandlungen des Paduaniſchen Genateß 12
nad der Rückkehr der Öefandten. ALS die Gejanbten
mit dieſem königlichen Erlaß in Padua eintrafen, berichteten fie
zuerft den acht Weilen, welche an der Spite des Staates ftehen,
mit Hinzuziehung der übrigen maßgebenden Gewalten der Stadt,
was fie am SHoflager ausgerichtet; dann aber ward der große
Kath der taufend Mitglieder berufen, denen Albertinus Muſſatus
einen eingehenden Bericht abftattete, in welchen er fich über ven
Stand der Angelegenheiten des Königs verbreitete und die all
gemeine Sachlage, die Bewegungen in ganz Italien und deren Fort—
Ihritte zur Kenntnis des Rathes brachte. Als er ſich nieder—
gelaſſen hatte, äußerten ſich die Mitglieder dieſer Behörde in
ſtürmiſchen Reden verſchiedener Richtung. Die Mehrzahl nämlich
wollte unter allen Umſtänden, ſoviel ſie dazu thun konnte, Ruhe
und Frieden haben; zu Umwälzungen und Neuerungen waren ſie
durchaus nicht geneigt, ja der Gedanke daran erfüllte ſie mit
Grauſen. Aber eine nicht geringe Anzahl ſah einen jähen Sturz
des Königs als nahe bevorſtehend und wahrſcheinlich an und ver—
ſtieg ſich kühn zu dem anmaßenden Gedanken der Empörung. Unter
ſolchen Umſtänden ward an dieſem Tage die Entſcheidung über
eine Sache von ſo großer Wichtigkeit noch hinausgeſchoben. Schon
am folgenden Tage aber erfuhr man aus Briefen, welche Canie-
Gejchichtichreiber. Lig. 67. Leben Heinrichs VII. 11
1312
162 Sechſtes Bud).
grandis von Verona der Gemeinde von Padua jandte, eine uner—
wartete, kaum glaubliche Nachricht, daß nämlid eben diefer Canis
aus königlicher Machtvolltommenheit zum Vikar der Stadt Bicenza
ernannt worden fer; und alsbald mifchte das Gerücht dem Wahren
Falſches bei, dag nämlich der König jenen unbilliger Weiſe nicht
nur über Verona !), fondern au über Padua, Trevijo und Beltre
gejetst habe. Diefe Nachricht, von größter Bedeutung für Padua,
erregte allgemeines Entfegen; meitere Gerüchte famen hinzu, um
durch neue Scredniffe die Gemüther auf das tiefite zu erregen;
wenig Gutes und Liebes glaubte man ferner von dem König er=
warten zu dürfen, da, wie man es anjah, die Bosheit defjelben
durch die That deutlich bewiefen wurde. Auf das Toben und
Drängen des Volks ward jogleich der große Nath berufen und
demfelben die Frage vorgelegt, was man in einer jo gefährdeten
Lage zu thun habe. Aus der Zahl der Geſandten erhob ſich,
durch jenes gefahrdrohende Ereignis nicht wenig erjchüttert, Der
Richter Rolandus de Plaziola, betrat, Allen fichtbar, die hobe
Rednerbühne des Verſammlungsſaales und ſprach folgendermaßen:
„Unter Gottes Führung aus jenem Hoflager entfommen, wo
Furcht und Schreden felbft die Macht der Sprache gebrochen hatten,
und zum vaterländifchen Herde und eurem Holden Anblid zurüd-
gefehrt, ihr meine Mitbürger, will ich frei und zuverſichtlich reden
und den Mund wieder aufthun, nachdem ich faft hundert Tage
ſtillſchweigend an mir habe vorüberziehen lafjen und ftumm ges
blieben bin. Ich habe diefen König und fein Weſen fennen gelernt,
aber es verdrießt mich ihn gejehen zu haben, der, wenn mid)
nicht alles täufcht, der Welt nur zum Verderben bejcheert worden
ft. Sa meine leiblichen Augen haben jenes Antlit; gejehen, welches
der Trieb des Herzens zu jchauen ſich weigerte. Und wer möchte
fih) darüber wundern, ihr Bürger? Sah id) doch denjenigen,
deſſen Fortichritt jelbft die Elemente nicht wollen, dem die Erbe
ihre Früchte verfagt, in deſſen pefterfüllter Nähe die Scholle und
1) Wohl beifer Vicenza zu lejen.
Berhandlungen des Paduaniſchen Senats z. 163
das Neis ihre Fruchtbarkeit verlieren, und jelbft die Luft verpeftet
‚ den lebenden Weſen den Athem benimmt und ihr Leben erftict,
das Feuer aber die Wohnungen der Menjchen und alle mas der
‚ Erdboden trägt verzehrt! Städte habe ich gefehen, kurz zuvor nod)
| in voller Blüthe, jett ihrer Bürger beraubt und in Trümmern,
' Dörfer verödet, dem wuchernden Unfraut preisgegeben. Und
während das gemeine Volk dem Hunger erliegt, verfommen jelbft
die Bornehmen durch Mangel. O Schande, Lombardien, das fo
| fruchtbare Land, Liegt jetst unbebaut als wäre es eine waldbedeckte
Bildnis. Und wer find heutzutage die Bewohner der berühmten
‚ Städte? Die alten Tyrannen find es, welche jest den Namen von
Reichsvikaren angenommen haben; diefe verichlingen alles, was von
‚ der Lombardei noch vorhanden ift. Aber felbft hierüber geht der
allgemeine Verfall noch hinaus: ſchon hat er auch Genua wie ein
gefräßiges Feuer ergriffen. Genua, fage ich, ihr Bürger, fonft
ſtark durch Reichthümer, Männer und jegliches Gut, habe ich zuerft
noch in feiner Pracht gefehen, drei Tage fpäter aber aller Pracht
' bar; ja, Genua war prächtig, prächtig durch die heitere Zufrieden:
heit der Bürger, welche in ihrer Stadt ein Bild des Glüdes
ſelbſt zu haben jchienen. Jetzt aber habe ich dieſe aller Pracht
bat gejchaut, und verwandelt war das Antlig aller Bürger, Die
jonft dort in freier Gemeinfchaft lebten; verwandelt aud ihr Sinn,
‚ der das Vaterland freiwillig der Gewaltherrichaft preisgegeben hat.
‚ Stellt euch einmal vor, daß uns diefer unjer VBorfteher genommen
‚ und durch irgend einen unbekannten Menjchen erjetst würde; daß
eure Volfsbeichlüffe, ihr Bürger, vernichtet und aufgehoben würden
| mit der gefammten Berfaffung; daß hier diefer Senat aufgelöft,
eure ZTribunen, die ihr Gaftaldionen nennt, mit Schimpf und
Schande mweggejagt würden: Alſo ift e8 den Genueſen ergangen,
alſo ift dort der Podefta verfchwunden und der eine, welcher Das
Schwert führte, der Volksabt, der Erhalter der-Unabhängigfeit der
Gemeinde, ift ſeines Amtes entſetzt; alfo find dort die alten volks—
thümlihen Ordnungen und guten Gewohnheiten, wie fie von Ans
fang an beftanden, durch einander geworfen. Was war die Folge?
17%
1312
1312
164 Sechſtes Bud.
Zu ſpät, vergebens ſahen die Bürger diefe veränderte Gejtaltung
ihrer Yebensbedingungen, beweinten unter ſich ihre Verluſte, Elagten
jih der Unbedachtſamkeit an, daß fie zwar Friedrich, den Kaiſer,
ehemals von ihrem Gebiet zurücdgeworfen, diefen Heinrich dagegen
ven Waffenloſen, eingelafien hätten. Vergeblich aber find dieſe
Klagen. Entnervt haben fie das Joch auf fich genommen und
dem füniglihen Schatze jechzigtaufend Goldgulven geſteuert. Doch
wenden wir und von dem traurigen Loos jener Bürger weg! Ueber
den König will ich euch folgendes jagen: Was ift e8 denn eigent-
lich, was ihn furchtbar macht? Iſt er nicht von Gottes Geikel
getroffen und von allen Mitteln entblößt? Zmeihundert Ritter
jind ihm übrig geblieben, mit zweihundert, mit kaum zweihundert
bedroht er die Welt mit Verderben. Und diefe zweihundert, welche
ſchon ein halbes Jahr ihrer Löhnung harren und an allem Noth—
wendigen Mangel leiden, beginnen bereit8 dem König auffällig zu
werden. Sch habe gefehen, wie Menjchen aus der Hefe des Volkes
an der Thür ſeines Gemaches lärmend Bezahlung heiſchten für
das, was fie ihm dargeliehen zu feinen Schwelgereien und Gelagen,
während er, der an den gewühnlichiten Bedürfniſſen Mangel litt,
ſich ftellen mußte, al8 habe er nichts gehört, weder für fich felbit
noch für Andere Rath zu Schaffen wußte, und fi; nicht ſcheute die
höchſten und einflußreichften Aemter aller Art zu verfaufen. Hat
er ſich etwa geſcheut, die Genofjenichaft von Padua und PVicenza,
welche in beſtem Einvernehmen mit einander lebten, aufzulöjen und
jenen nichtswürdigen Canis in PVicenza, gleihjam vor den Thoren
unferer blühenden Stadt, zum Bilar einzufegen? Nein, er hat fid)
nicht gejcheut, Tondern dies fogar im vollen Eimverftändnis mit
jeinen Parteigängern gethan, auf daß diefer Canis euch unter
jeine Gewaltherrihaft beuge und den Bürgerfrieg zwiſchen den
nächſten Nachbarn, im Innerften unferer Stadt entzünde. O, ges
denkt Doc des entjelichen Unglücks unferer Väter, welches felbit zu
erzählen jchauderhaft ift! Denkt jenes Satansjohnes Eecerinus de
Romano, den der verbrecdherifche Vorgänger dieſes Heinrid von
Lützelburg, Friedrich, als feinen Diener lediglich zu Mord und
Verhandlungen des Baduanifchen Senates :c. 165
Gewaltthaten hier unter dem trügertfchen Namen eines Reichsvikars
einfeßte. O Sammer! wie jehr habt ihr nöthig, die Erinnerung
hieran feftzubalten, welcher Sorgfalt bedarf ed, um das, was von
Padua noch übrig ift, zu retten! Hier aber jeht ihr, Mitbürger,
Spuren, die denen des Eccerinus gar ähnlich find, wenn ihr euch
nur das Leben und die Sitten dieſes Canis von jeinev Kindheit
an vergegenwärtigen wollt. Wahrhaftig, er ift noch blutdürftiger
ald jener Eccerinus! Doch ic) jchweige Davon, wie er, jchon
reiferen Alters, mit dem Blute der Seinen feine Hände befledt
hat), und wie er fiherlih aud euer nicht ſchonen wird, die ihr
ihm ftet3 verhaßt und zumider waret, er, der dort geboren, Dort
erzogen worden, wo die noch lebende Erinnerung das Grab von
elftaufend eurer Väter, die gemeinfam eines gemaltfamen Todes
ftarben 2), nicht vergefjen hat. Doc, o, wie groß, wie überwältigend
ift die Menge deffen, woran ihr eud) erinnern müßt! — Ich aber
wende mic) dazu, meinen Rath zu geben, wie ihr am nützlichſten
handeln werdet: Ich ftimme dafür daß ihr dem Könige den Ge—
horſam auffagt, mit den Widerftehenden im gleicher Weiſe mider-
fteht, mit den Feindlichen ihm feindlich jeiet, daß ihr die Adler
von den öffentlichen Gebäuden und euren Wohnhäufern entfernt,
eure Mauern, Beften und eure abhängigen Orte zur Vertheibigung
wie zum Kampfe rüftet, daß ihr euer Leben für die Freiheit jeder
Gefahr ausfeget! Dir aber, Gerardus — mit diefen Worten wandte
er fi) an den Reichsvikar?), rathe ich, wenn anders du auf dein
Beſtes bedacht bift, das Vikariat niederzulegen und den holden und
gerechten Beruf und Namen unſeres Podeſta wieder auf dich zu
nehmen, um auf ein halbes Jahr in Freiheit unfer Gemeinweſen
zu leiten, und dies ohne Verzug und in aufrichtiger Gefinnung zu
beſchwören. Willſt du das nicht, fo tritt zurück; den dir zufommen-
den Gehalt jolft du erhalten, wir aber haben an Rodulfus de
Saneto Miniato einen trefflihen Mann in Bereitichaft, den ich auf
1) Davon ift nichts befannt. — 2) Ezzelinus nahm einjt 11000 Paduaner mit ſich
fort, die mit wenigen Ausnahmen in den Kerfern von Berona umfamen. Nad) anderen
ſoll er diefelben gar haben verbrennen laſſen. — 3) Gherardo d' Enzola f. o. Buch 4 Rap. 4.
—
10
I
>
x
1512 den freien glücjeligen Sit des Podefta zu berufen und zu erheben
vorichlage. ,
ALS er geendet, erſcholl der Senat von lauten, einmüthigem
Rufe, dies alles müſſe man annehmen. Da aber erhob ſich Yang-
jam Albertinus Muffatus, ein anderer aus der Zahl der Gefandten,
und nachdem ev trot des Getümmels, in Folge der Achtung, in
der er fand, und des Vertrauens, welches ihm feine waderen
Thaten eingebracht, ſich Gehör verſchafft, begann er endlich folgen-
dermaßen: |
„Wohl mag, ihr Bürger, bei einer jo vollftändigen Ueberein—
ftimmung eurer Anfichten meine Vermegenheit wahnwitzig und eigen-
finnig erjcheinen, wenn ich e8 wage, eure Gedanken, welche, durch
die Rede des Rolandus ftark beeinflußt, eine beftimmte Richtung
genommen haben, anderswohin zu Ienfen, oder wenigſtens euch zu
vathen, die auf alle Fälle heikle und ſchwierige Angelegenheit mit
größerer Mäßigung anzugreifen. Scheut euch nicht, mich zu hören,
den ihr einftmals beveutet nicht gehört zu haben!); laßt die Ver—
nunft Die entzündete Begierde wirkſam überwinden. Ich will nicht
leugnen, daß der König ſchlecht berathen war, als er diefen Canis
über Bicenza fette, aber der König hatte wahrhaftig feine Ahnung
davon, von welcher Tragweite für Padua dieſes Vikariat ift, welche
Spaltungen und Gefahren e8 für uns heraufbeſchwört! Oder läßt
fich in diefer Angelegenheit etmas Wahreres behaupten, als daß der
König mit jeinem Beſitz das gethan hat, wozu er volle Befugnik
hatte? Sicherlich läßt fich dies nicht Keugnen. Hier aber kommt
es darauf an, zu beiprechen, was uns zu thun übrig bleibt. Ro—
landus bat, um euch zum Abfall zu bewegen, dargelegt, der König -
jet mittello8, verlafjen, feinem eigenen Kriegsvolke verhaßt. Ich
gebe zu, daß es fich fo verhält, ſtimme ven Ausführungen bei,
aber ich geftehe nicht zu, daß er dem Unglüd erlegen ſei und daß
feine Umftände fo zerrüttet feien, daß er nicht wieder das Haupt
erheben könne. Wenn nämlich feine Hilflofigfeit euch ermuthigt, fo
166 Sechſtes Buch.
1) Sy. Bud 2 Kap. 75 Buch 3 Kap. 1. 6.
Berhandlungen des Paduantihen Senats x. 167
‚mögen feine Hilfsmittel, wenn er überhaupt noch ſolche beſitzt, euch
vorfihtig und bejonnen machen. Unterftütst und begünftigt ihn
nicht die römische Kirhe? Das wird euch felbft Rolandus bezeu-
gen, der mit feinen eigenen Augen vier Cardinäle zu ferner Seite
figen jah, welche auf Befehl des Papftes ihn mit allen Kräften
unterftütten. Wenn ferner auch, wie wir vernommen haben, bie
Könige von Frankreich und Apulien über ein Ehebündnig mit dem
römischen Könige nody nicht übereingefommen find, jo “haben jie
doch nicht verfhmäht, fih auf Verhandlungen darüber einzulafien.
Denn wofern nur der König jenen die füniglichen Gaben, welche
fie erbitten, verleihen will, nämlich dem franzöfiihen Könige das
Reich von Arelat und den Yauf ver Rhone bis zu den Grenzen
Alemanniens, dem Könige Robert von Apulien aber das Vikariat
von Tuscien und Lombardien: fteht ihm dann nicht der Weg nach
Rom offen? In Rom aber wird ihm die höchfte Krone zu Theil
werden. Was dann, wenn der König, zu deſſen Erbe jene Ge-
biete nicht gehörten, ihnen zu Willen iſt? er, dem dies ficherlich
erlaubt ift, auf daß er durch die Kraft feines Geiſtes die Gewalt-
that abwehre; er, der in der Macht feiner Katferhoheit thronend,
wie e8 dem Kaiſer ziemt, fich erholen und fräftigen wird? Un—
möglich kann Rolandus bemeifen, ihr Bürger, daß diefer König jo
mittellos, jo niedergedrückt jei, wie er behauptet, da ihn die Partei
der Ohibellinen als ihre Sonne betrachtet und felbft Parteien im
Schooſe der Guelfenftädte ſich insgeheim nach ihm jehnen. Stets
wird jein Name drohend über eurem Haupte ſchweben, jo lange
er athmet, jo lange die Völker jehen werben, daß ein König, ein
Kaiſer der Römer lebe. Wollt ihr ein Verfahren einfchlagen, wel-
ches gerecht und wirkſam ift und allen Anforderungen des Rechts
und der Billigfeit entfpriht? Beruft euch nicht darauf, daß Ro—
landus zur Empörung gegen den König räth, nod) zeigt euch felbit,
wenn auch nur mit Worten, der Empörung geneigt; heißet Den
föniglihen Erlaf und die Erlaubniß gut, die ver Gemeinde von
Padua hinfichtlich der Nückleitung des Bacchilio in das paduaniſche
Flußbett gewährt worden ift; macht euch daran, die Velten und
1312
: 132
%
168 Sechſtes Bud.
Güter, welche im Diftrift von PVicenza liegen, wie der König ges
boten hat, wieder an euch zu nehmen, kurz, gehorchet dem König
Durhaus, wie wenn er der gerechtefte Herricher wäre. Was wird
nun die Folge fein, ihr Bürger? Sicherlich merben jener Canis
und die hartnädigen, feindfeligen Vicentiner nicht gehorchen, denn
wenn fie jenen euch entzogenen Beſitz zurüdgeben, mer fann dann
eurer Macht widerftehen, die ihr, der eine hier, der andere dort,
Burgen und Beften durch die Grafſchaft von Vicenza zertreut be=
figet? Sogar im Schoofe der Stadt jelbft wird eure Macht vorwal⸗
ten! Werden eud nun aber eure Forderungen gegen den Befehl
des Königs verweigert, jo bringt gerechte Klage an den Herrſcher,
redet vor ihm, und inzwilchen jpannt eure Kräfte, auf die ihr jo
ſehr vertraut, an, um im Namen des heiligen Reichs den Fluß zu
öffnen und eure Grundftüde einzunehmen. Thut das unter dem
Schild des Rechtes, was Rolandus euch der königlichen Majeftät
zum Trotz zu thun räth. Was aber hat e8 auf fi, Diefem un—
jeren Reichsvicar, wenn wir ihm die gleiche Macht, diefelbe Stel-
lung an der Spite unferes Staates belafjen, einen anderen Namen,
den des Podefta, beizulegen? Was joll ed heißen, die Adler ab-
zureigen? Waderes und Fluges Handeln zieht den Worten vor; laßt
ung auf Thaten bedacht fein, nicht auf windige Schauftellungen !
Haltet ftetd das Recht in Ehren, auch unter einem ungevechten
Herrſcher, denn das Recht ıft beftändig und ewig, der König ver-
änderlih und fterblid und ſchwindet dahin mie die Blumen des
Frühlings. Mein Antrag geht alfo dahin: der königlichen Maje—
ftät zu gehorhen, mit Wort und Werk auf die Ausführung ber
Gebote des Königs bedacht zu ſein; dann wird nicht nur jener
Canis, euer Bedränger und Feind, abgewehrt, jondern der Ent:
ſcheid des Königs ſelbſt, wenn er der Gerechtigkeit nicht entipricht,
wird ſich in jeiner trügerifchen Unbilligkeit herausftellen.“
Einige der Bürger, namentlich ſolche veiferen Alter, wurden
durch dieſe Worte umgeftimmt; mande, die ein beſſeres Einfehen
hatten, gingen unihlüffig im Saale hin und her und meinten,
man jolle den entjcheidenden Beſchluß nicht jo jchnell faflen, man
Empörung Paduas. 169
möge ihn einige Tage ausſetzen, bis der weitere Verlauf der Dinge
zeigen werde, was man zur thun habe. Aber die meiften erklärten
laut, fie ftimmten dem Rathe des Rolandus bei. Als man daher
zur Abſtimmung ſchritt und die Bleifugeln in die Urnen warf,
wurde jein Antrag mit nahezu zwei Dritteln der Stimmen an-
genommen.
2. Empörung Paduas. Sobald das Volk, noch vor
Aufhebung der Sitzung des Senates, das Reſultat der Abftimmung
erfuhr, zerftörte e8 im Eifer des Aufftandes die hoch oben am
Giebel des Gemeindehaufes befindlichen gemalten Adler, vertheilte
jih dann eilig über die Quartiere der Stadt und vernichtete in
gleicher Weile Die an den Thoren und an Privathäufern ange—
braten Adler unter lauten Schmähungen. Alsbald begannen nun
die Feindjeligfeiten mit Vicenza, Brände, Verheerungen, Plünde-
rungen, NRäubereten und mas immer die Wuth wider die Feinde
an die Hand zu geben vermag.
3. Eroberung von Mota. Im Gebiete von Vicenza,
gegen Padua zu, befaßen zwei der Vornehmen Padua Beften, die
zum Widerftand gerüftet waren, nämlich Demetrius de Comitibus 1)
Mota nahe Montegarba ?2) und Martinus Canis Camifanım ?).
Canisgrandis griff mit den Kriegsſchaaren von Bicenza und Ve—
rona Mota an, ließ Erde und Holzwerf zur Ausfüllung der Grä—
ben ſowie Schleuderer und leichtes Fußvolk kommen und zwang
Mota, welches Demetrius in feiner Schlaffheit unvertheidigt ließ,
zur Uebergabe, nahm Demetrius jelbft gefangen und tödtete mehrere
Söldner, melde die Paduaner zur Beſatzung der Veſte gelandt
hatten. Von da führte er die Truppen in Schlachtordnung und
zum Sturm gerüftet gegen Camiſanum und griff den Ort an,
mußte aber, von Martinus Canis fühn zurückgeſchlagen, mit einem
Berluft von mehreren Todten und Verwundeten abziehen.
| 4. Canisgrandis befeftigt Montegarda. Zugleich
befeftigte Sanis die Burg von Montegarda dur Feſtungswerke
1) De’ Conti. — 2) 3. Montegalda, am Bachhiglione im VBicentinifhen nahe der
paduanifchen Grenze. — 3) Camifano PBicentino, öftlid) von PVicenza, nahe der Orenze-
1312
1312
170 Sechſtes Bud).
und einen Wall und jandte eine Kriegerichaar dorthin, um die
Ländereien der Paduaner zu verheeren. Die Angriffe der in diefe
Warte gelegten Beſatzung aber erftredten fich bis in die Vorftädte
Paduas; bald durch Räubereien, bald durch Metzeleien oder durd
Brände thaten ſie ihre Feindſchaft kund, nahmen nicht wenige ge—
fangen, ſchleppten dieſelben auf ihre Veſte und entließen ſie nur
gegen ein Löſegeld, welches jene unter den Qualen der Mißhand—
lungen und Schläge, die ſie zu erdulden hatten, anboten. Auch
die Feuersbrünſte, welche zwiſchen den beiden Städten von räube—
riſchem Geſindel oder von Söldnern, die bald hier, bald dort auf—
tauchten, angelegt wurden, hatten weder Maß noch Ziel, bi8 jchließ-
lich, bis auf fünf Stadien !) an die Städte heran, fein Stein auf
dem anderen blieb und die Bewohner des Landes fi) in die Städte
ſelbſt flüchteten.
5. Berheerung der Ländereien der Beronefen.
Nicht zufrieden damit, das Gebiet von Vicenza zu verheeren, durch—
zogen die Paduaner in Schlachtorbnung unter dem Grafen Binci-
guerra ?), dem fie den DOberbefehl in Montagnana 3) übertragen
hatten mit dem Auftrage die Feinde zu befriegen, von Montag-
nana aus die Kolonien Veronas und brannten ſämmtliche Gebäude
und alles, was über dem Erdboden aufgebaut war, nieder, näm—
fh St. Zenonis, Minerbium, Prelfiana ) und andere Orte dies:
ſeits des Alpo °) bis nad) der Hafenftadt von Lignagium ©) hin und
diefe jelbft mit Ausnahme eines größeren Gebäudes, durch mel-
ches die Brüde gededt wurde. Und jo herrichte in Padua überall
friegerifher Lärm und Waffengeklirr, Vicenza aber hatte Misge-
Ihre jeder Art zu erdulden, nämlich vor allem eine überaus grau=
jame Herrichaft. Denn da die Bürger der Guelfenpartei, welche
von Canis beargwöhnt wurden, fich nicht ficher fühlten, jo war man
1) Ein Stadion (griechiſches Längenmaß) beträgt gegen 200 Meter. — 2) Vgl. ob.
Bud 2 Kap. 7. — 3) Hauptvefte im Südweſten des paduaniichen Gebietes, nicht weit
von der veronefiihen Grenze. — 4) j. ©. Zenone, Minerbe, Preſſana. — 5) Alpone,
nördlicher Nebenfluß der Etſch. — 6) D. i. Legnago, Hauptvefte an der Etſch.
Kampf der Bicentiner bei Quarteſolum. 171
allgemein von Furcht und Schreden befallen, als, während die ıs12
Dinge Ichon einem gewaltjamen Ausbruch entgegenveiften, folgendes
Ereignis eintrat.
6. Kampf der Bicentiner bei Quartefolum. Da
die Paduaner aus verjchtedenen Anzeichen muthmaßten, daß bie
Bicentiner die Aenderung der Berfafjung ihrer Stadt!) als un—
bejonnen bereuten, verftiegen fie ji) zu der Hoffnung, daß, wenn
fie fih unter Entfaltung anſehnlicher Heeresmacht Vicenza nähern
und die Wieverherftellung des alten Verhältnifjes oder die Anbah-
nung annehmbarerer Zuftände und milde Ausübung der Herrichaft
veriprächen, auch Verzeihung wegen alles Borgefallenen zugeftänden,
jene in Anbetracht ihrer jo offenfundig bedrängten LXage vielleicht
in freiwilliger Erhebung ihr Joch abwerfen und fich und die Stadt
ihnen überliefern würden. Durch dieſe Hoffnung verleitet, führten
fie ihre Truppen gerades Weges gegen Vicenza bis zur Brüde
von Quarteſolum, unter der die Ticina dahinfließt?). Da indeß
der Wartthurm auf der Brüde Widerftand Leiftete und ihren Marſch
aufhielt‘, ihnen aber, um auf die rechte Seite des Fluſſes zu ge-
langen, fein anderer Weg offenftand, jo führten fie ihre Schanren
ſtromaufwärts auf ein nahegelegenes Feld zurüd; zugleich Tandten
fie nad) dem wohlermogenen Kath ihrer Führer eine Schaar leichter
Truppen auf Kundſchaft, ob Mannjchaften der Vicentiner ausgerückt
ſeien. Die Kundſchafter mußten drei Miglien von der Stabt ent=
fernt den Fluß mitteld einer ſchmalen, abichüffigen Furt paffiren.
AS fie nun — es waren von Auswärtigen Beltramus Gulielmt
und Bernardus Cerviani, Führer der Katalanen ?) mit einigen ber
ihrigen dabei; von den Paduanern Canis, Sublimanus de Ru—
bei8*), Johannes Cavalerius de Canibus und Jacobus de Ter-
1) Nämlich den Abfall von Padua. — 2) Die Teſina ift ein von Norden fommender
Nebenfluß des Bacchiglione. An ihr Liegt Duartefolo, und zwar an dem Punkte, wa
die Straße von Padua nad) Vicenza den Fluß überſchreitet. — 3) So bezeichnete mar
die Spanischen Hilfsſchaaren, welche die arragonifchen Herrfcher von Sicilien im Kampfe
-gegen die Anjou's in Neapel unterftigt hatten, nad dem Friedensichluß von 1302 aber
entlaffen, fi von den Gemeinden Italiens vielfach als Söldner anwerben liefen. —
4) Sulimano de’ Roifi.
ty
172 Sechſtes Bud).
gula, endlich Bonincontrus de Bravis aus dev Zahl der Ber-
bannten Vicenzas — durch den Fluß gegangen, jenjeit8 etwa eine
Miglie weit vorgerüdt waren und fi) in dem Gau von Quarte—
folum befanden, da erblidten fie die Streitmacht von DVicenza,
welche ihnen unter den Banner des Reiches, dem der Gemeinde
von Bicenza und dem Feldzeichen der della Scala entgegenrüdte,
in zwei Schlachthaufen, deren vorderſter fid) aus den jog. Ferito-
ven!) zufammenfeste und ungefähr hundertundfünfzig Mann ftarf
war, während der zweite, größere, in einer Entfernung von etwa
dreihundert Schritt folgte. Die oben erwähnten leichten Truppen
der Paduaner ftürzten ſich jählings wider den Befehl des Podeſtà
in aufgelöften Reihen in den ungleichen Kampf und begannen, wäh-
vend von beiden Seiten das Kriegsgeſchrei erſcholl, das Treffen,
welches mit den Schwertern ausgefochten wurde. Die Bicentiner
des erſten Schlachthaufens, jet e8 in dem Glauben daß überlegene
Truppenmafjen der Paduaner in der Nähe jeien, die jofort ein=
aveifen würden, oder meil es vielleicht das Kriegsglüd jo mit fid)
brachte, ergriffen erjchredt die Flucht, fielen auf ihr zweites Treffen
zurüd und brachten dafjelbe in Verwirrung. Sie ſelbſt blieben
faſt ſämmtlich im Kampfe, das zweite größere Treffen aber ward
in die Flucht geichlagen. Unter den Erichlagenen befanden ſich
Graf Bannı de Bagnacavallo, Canis' Bannerträger, der in dieſem
Treffen das fünigliche Feldzeichen, den Reichsadler, trug, Mafius de
Seanabicis, der das Feldzeihen der Scala führte, und eine große
Zahl Soldtruppen; an Bicentinern fielen Corradus Vivario, Tri
virolus de Trivixolis, Gherardus de Protis, der Cohn des Bu-
gamas, Hieronymus de Meontebello, Nicolaus de Luscis, Montorius
Mascarelli, Petrus de Mora der Notar. Unter den Gefangenen
befand fi) Albertus 2) der Sohn des Marhabrunus de Vivario
(der Vater, im Kampfe zu Boden geworfen, floh in das Duntel
des nächſten Haines nnd gelangte von dort durch die Gunft des
1) Etwa „Zodtichläger” zu deutih. — 2) Der Name ift bei Muffato ausgefallen,
läßt fi) aber aus der Chronif des Ferreto von Picenza (Muratori Seriptt. rerum
Italic. IX, 1126 B) ergänzen.
Einnahme und Verheerung von Maroftica. 173
Glückes, freilich waffenlos und verwundet, endlich nach Vicenza
zurüd), ferner Guidonus Nantor und etwa zwanzig andere. Ca—
nisgrandis aber, der die Schuld an dieſer Niederlage den Partei—
umtrieben der Guelfen von Vicenza beimaß, ließ die Thore Ichliepen,
viele gefangen nehmen, der peinlichen Trage unterwerfen und die
meiſten enthaupten, einige aufhängen, noch andere behielt ev im
Gefängnis und legte ihnen Gelpftrafen auf, die fih aber aud in
Todesſtrafen umwandeln fonnten, indem fie namlich), falls fie bis
zu einem beftimmten Tage das Geld nicht gezahlt hätten, ven Tod
erleiden jollten. Alle, die nicht erjchtenen, ſondern ſich flüchteten,
erklärte ev für Feinde des Reichs und nahm ihre Güter in Be-
Ihlag. Dies alles geihah im April des Jahres unferes Herren
Jeſu Chriſti dreizehnhundertundzwölf.
7. Einnahme und Verheerung von Maroftica.
Um diejelbe Zeit führten die Paduaner ihre Hauptmacht wohl aus—
gerüftet gegen Maroftica !), Iegten ſich Davor und erjtürmten ben
Drt, das heißt den offenen Flecken mit allem Zubehör, töbteten
oder fingen die Einwohner, führten alle Nahrungsmittel fort und
brannten ſämmtliche Gebäude nieder; die Burg von Maroftica ver-
ſuchten fie zwei Tage Yang zu ftürmen, Tiegen fie dann aber un—
befiegt zurüd, damit der durch längeren Aufenthalt erforderte Auf-
wand nicht den Werth ihres Sieges überfteige. Während fie aber
nod vor Maroſtica lagerten, entjandten fie inzwijchen eine Abthei-
lung über das Landgebiet der Bicentiner hin und plünderten und
verheerten Tienä Breccantium Maxo, Sclavo ?), furz, die ganze
Ebene wie auch alle Anfiedlungen in den Thälern, am Fuß der
Berge, ja, in den Bergen jelbft. Nachdem fie jo aud den Weg,
welcher ihnen den Rückzug von Balfianım nad Padua durch das
Gebiet der Vicentiner ficherte, gejäubert und gleichſam ausgebrannt
hatten, zündeten fie ihr Lager an und fehrten zurüd. Die Ein-
wohner von Balfianım aber hatten auf Veranlaffung des Mar-
1) 2-3 Miglien weitlih von Baſſano. — 2) j. Thiene, Breganze, Mafon Vigentino
und Schiavon, alle in der Ebene zwiſchen der Brenta und den Quellflüſſen des Bacchig—
Tione nördlich von Vicenza gelegen.
—
x
fur‘
Apr.
174 Sechſtes Bud).
1312 ſilius Polafrirana, der dort als Podeſta im Namen der Paduaner
vejidirte, Die Tefte von Angranım erftürınt und die vicentinifche
Belatung getödtet oder gefangen genommen.
8. Berheerung der Ländereien der Paduaner
durch Canisgrandis. Während aber dies bei Maroſtica ge
Ihah, madte Canisgrandis mit den Truppen von Bicenza und
Berona gerades Weges einen Angriff auf die Landgüter der Pa—
duaner nnd brannte nieder, was noch von Arlefica übrig war, ſo—
wie Rubanum und Meftrinum!), während die Paduaner, welche
die Stadt bewachten, durch das Gerüdt, dag Canis Willens jet,
einen Angriff auf die Thore der Stadt jelbft zu unternehmen, auf
das Höchfte erichredt wurden. Bald nachher eilte Canis wiederum
mit den Bürgern, mit Truppen und Söldnern und einer Hülfs-
ſchaar der Mantuaner ?) aus dem Gebiete von Verona jchleunigft
herbei, plünderte und verbrannte den ganzen Flecken Montagnana
mit den zugehörigen Orten rings um die Vefte, welche Riciardus,
der Sohn des Grafen Vineiguerra von Verona, vertheidigte.e Um
jeinem Einfall zu begegnen, eilten Paduanifche Truppen herbei, ver:
jtärften die Beſatzung in der Veſte und zogen dann nad) Efte ?), von
wo aus fie, nach Entlafjung der Söldner, Nicolaus de Lucio zur
Berheerung von Noventa ?), einem von Bicenza abhängigen Orte,
abfandten und jelbft nach Padua zurüdmarjchirten. Am folgenden
Morgen, noch ehe e8 hell wurde, griff Nicolaus, der die Bauern
von Pedevenda 5) aufgeboten, feine Söldner aber behalten hatte,
Noventa an, zwang den Ort zur Uebergabe, brannte ihn nieder,
plünderte ıhn und zog von dannen. Canisgrandis, außer Stande
bei der großen Machtentfaltung der Paduaner ſich zu behaupten,
ſandte eilends Boten zu Werner von Homburg, dem Borfteher der
Yombardei, mit der Bitte, ihn mit Keichstruppen aus den dem
römiſchen Kinige gehorfamen Städten der Lombardei zu unterftüßen.
1) Arlefega, Meftrino, Rubano, an der Straße von Picenza nad) Padua, letzteres
noch etwa 4 Miglien von Padua entfernt. — 2) Mantua blieb unter Pafjarino de’
Buonacoſſi der ghibellinifhen Sade treu; val. ob. Buch) 3 Rap. 2. — 3) Eſte Ateftino
am Südrande der euganeifhen Hügel. — 4) Im äuferften Süden des vicentinifchen
Gebietes. — 5) Diefer Name fcheint die Gegend der Euganeen zu bezeichnen.
Ber,
Das Heer Werner des Vorſtehers der Yombardet ıc. 175
9. Das Heer Werner, Des Vorſtehers der Lom—
bardei, in den paduanifhen Ländereien. Schleunigft
eilte Werner mit königlichen Truppen und den Contingenten von
neun Städten nad Bicenza, von dort mit Fuhrwerfen, welche alles
trugen, was bei einem Feldzuge von Nugen ift, in die Gefilde am
Fuße des Monte Garda, und ſchlug bei Mota ein Lager auf.
Hier ordnete und gliederte er fchnell feine Schaaren und unter-
nahm einen verheerenden Zug in das paduaniſche Gebiet, brannte
die Städte Rovolonum und Covonum) nieder, übernachtete im
Lager und zog, nachdem er diefe Verheerungen in anderthalb Tagen
zu Wege gebracht hatte, wieder ab. Diejer Truppen beraubt
(denn ein jedes Kontingent fehrte Des Krieges gegen die Guelfen
der Lombardei halber in jeine Stadt heim), verzweifelte Canis an
jeiner Macht und gab die Burg Montegarda, welche die Paduaner,
die ſchon ihre Belagerungsmafchnen dazu in Bereitſchaft hatten,
zu berennen im Begriffe ftanden ?), auf, nachdem er fie niederge-
brannt hatte,
10. Zug der Paduaner ins Picentinifhe Die
Paduaner ihverjeitS nahmen die erlauchten Männer Franciseus,
den Markgrafen von Efte, ihren Mitbürger ?), und Vecelus de
Camino, den Gebieter von Trevifo, Feltre und Belluno (diefer
nämli war feinem früher erwähnten Bruder Riciardus, welcher
gerade um dieſe Zeit durch einen unbekannten, bäueriſch gefleiveten
Mann mitteld einer Art Sichel, wie fie die Bauern haben, ſchänd—
lich ermordet worden war, nachgefolgt und hatte die alte Genoſſen—
Ihaft mit Padua erneuert) zu Hilfe und zogen dann mit ihrem
Hauptheere gerades Wegs in die Felder der Bicentiner, ſchlugen
bei der jchon oben erwähnten Brüde bei Quartefolum ihr Lager
1) Rovolone und Zovon, im Nordweiten der Euganeen. — 2) Die Lesart der Hand—
ſchriften ex qua Paduani abscessuri erant giebt offenbar feinen Sinn; man wird lejen
müffen ad quam ... accessuri erant oder Ähnliches. — 3) Francesco, Bruder des
1308 gejtorbenen Azzo VIII von Ferrara, hatte im Kampf gegen deffen natürlihen Sohn
Fresco die Curie zu Hilfe gerufen, deren Truppen fi) Ferrara’s bemädtigten, ohne in—
deß die Herridhaft der Stadt dem Francesco zu überlaffen. Deſſen Ausgang ſ. u.
Bud 8 Kap. 8.
176 Sechſtes Bud.
2 auf, ordneten die Reihen des leichten Fußvolkes, hinter denen die
Schlachthaufen der Vollgerüfteten aufgeftellt wurden, und jchieften
eine Abtheilung voraus, die die Saaten, Weinberge und Pflan-
zungen verheeren jollten. Nachdem fie alles, was ſich auf dem
Erdboden befand, vernichtet hatten bis nahe an die Stadt heran
und bis zu dem unüberwindlichen Wall, welcher nebit dem überaus
breiten Graben die Vorftädte deckte und ringsum mit Yanzenträ=
gern und Schleuderern bedeckt und mit Feſtungswerken verjehen war,
machten fie Halt. Die Borausgefandten — unter ihnen von vor=
nehmen Paduanern Tijo de Campo Sancti Petri, Nicolaus de
Lucio, Jacobus de Carraria, Pantaleo de Buzzacarinid und ber
Plebejer Albertinus Mufjatus; von Treviſanern Rambaldus Graf
von Kollealto, Biaquinus und Tolbertus de Camino, Odoricus de
Cuchania — zogen inzwiſchen Kundſchaft ein, und nachdem fie von
dem, was fi) ihren Augen dargeboten Hatte, dem Podefta von
Padua Gherardus de Henzola und den genannten Bundeögenofjen
Markgrafen Franciscus von Eſte und Vecelus Bericht erftattet
hatten, beichloß man, fich auf die Belagerung feineswegs einzulafien,
da der Ort durch Natur und Menſchenhand überaus befeftigt war,
der Kampf aber bei fo bedeutenden Streitkräften der Gegner (Ca—
nis jelbft nämlich befand ſich mit etwa achthundert Yanzen tragen-
den Reitern und ungefähr viertaufend Fußſoldaten in der Stadt,
um dieſelbe zu ſchützen) tollfühn und unangebract jein würde. So
machte man abermals fehrt und z0g in das Lager zurüd, wo man
faft drei Tage überlegte, auf welche Weiſe man die Feinde ſchädigen
und verderben fünne, dann aber, ohne etwas auszurichten, aufbrad).
11. Zwiefahes Treffen bei Yongare Che man
aber aufbrach, geſchah es, daß Bauern, die mit Haden und Aexten
bewehrt, ſich in großer Zahl zur Verheerung des feindlichen Grund—
beſitzes aufgemacht hatten und bis zur Brüde von Longare!) ge
fommen waren, hier unverſehens mit einigen jungen Yeuten aus
1) j. Zongane, 4—5 Miglien füdlih von PVicenza, nicht zu verwechſeln mit einent
anderen Longare, welches nur halb fo weit von Vicenza entfernt ift, vol. unten Buch 7
Kap. 10.
Ziwiefaches Treffen bei Longare. 177
Padua, welche um Beute zu machen beritten herumfchweiften, zu:
fammentrafen; unter lauten Gejchrei wagte e8 der unbewaffnete
Haufe, auf den Thurm, der die erfte feindliche Verfchanzung
dedte, einen Angriff zu machen, ohne daß die Beſatzung, fei
es aus Liſt, ſei es überrajcht, Widerftand leiſtete. Allerdings warnte
Benadurius!) aus Parma, einer von den Unterbefehlshabern des
Podeſta von Padua, der die Zerftörer und Plünderer anführte, mit
lauter Stimme, fie möchten eilends zurückkehren und ihr unfinniges
Unternehmen aufgeben; als er aber mit jolden Vorftellungen nichts
ausrichtete und Lange Zeit fein Gehör fand, ſprengte ev jelbit wegen
der gefährlichen Lage der Seinen mit feinem Gefolge und den
übrigen Berittenen zur Brüde. Da aber fiel aus den Thoren
des Thurmes eine Kriegerihaar plöglih auf die vorderſten Fuß—
ganger und die Bauern aus, vernichtete fie und richtete unter ihnen,
Die fich gegenfeitig am Entkommen hinderten, ein großes Blutbad
an. Ein Theil ertranf auch im Fluſſe, unter ihnen Benadurius
jelbft; von den Berittenen aus Padua, die auf der Brüde hielten,
fand Trondus de Capite Vaccä entweder dur Exrtrinfen oder im
Kampfe den Tod; in Gefangenihaft fielen Bartholomäus a Pa-
latto, ein vertriebener Veroneſe, und Johannes Antoni de Andrea;
die übrigen wurden in die Flucht geichlagen. Als das Heer der
Paduaner dies erfuhr, jandte der Podefta Gherardus de Henzola
alsbald Beltramus Gultelmus und Lancer de Dpicengid aus Piſa
mit Söldnern zu Hilfe, denen ſich freiwillig die fampfesmuthigen
Jünglinge aus Padua anfchlofien. Unterwegs famen ihnen ſchreiend
Fliehende und Verfolger entgegen; in der Schaar der erfteren riefen
viele der oben erwähnten Paduaner, unter die Verfolger gemifcht,
mit den Siegen zugleih: „Scala lebe hoch“, damit letztere in
Betreff ihrer Zugehörigkeit ivregeleitet würden und vom Morden
ablegen. Durch den Anprall des Beltramus und der Seinen aber
wandte ſich das Glück; die Schaar der Veroneſen trat jogleich den
Rückzug an, verfolgt von den Paduanern und den genannten Bel-
1) Benadufio.
Geſchichtſchreiber. Lig. 67. Leben Heinrichs VIL. 12
1312
1312
178 Sechſtes Bud).
tramus und Lancea, die viele von ihnen tödteten. Hier fiel Ma—
thaus, ein Luckhefifcher Nitter, der die goldenen Zierden des Kitter-
thums trug, Panceta aus Rovolo, der Sohn des verftorbenen
Bartholomäus de SchinelliS aus der Zahl der verbannten Edlen
Paduas (dieſe gehörten zu Canis vertrauteften Genofjen) und noch
etwa fünfundzwanzig von den Berittenen; von den Fußtruppen er—
tranfen viele tin Fluſſe. Die Sieger aber, Beltramus und feine
Gefährten, Liegen nicht ab, jondern verfolgten fie bis zur Brüde
jelbft, mober fie noch viele im Rücken verwundeten. !
Das Heer der Paduaner, welches, wie e8 den Führern ſchien,
bei Duartefolum nichts ausrichtete !), brach wieder auf und ge—
langte auf Umwegen und unter Bermüftungen der Gegend bis zum
Städtchen Longare diesjeit ?) des Bacchiglione, wo e8 auf Anord—
nung derer, die das Lager abzufteden hatten, Halt machte. Diefer
Stelle gegenüber ſprang, wie oben erwähnt), das Ufer fteil vor,
und eben hier hatten die Vicentiner, um die Paduaner zu ſchä—
digen, den Lauf des Fluſſes aus dem gewohnten Bett abgelenft 9).
Zugleidy hatten fie an der Stelle, wo fie den Fluß geftaut, höl—
zerne Thürme und ftarfe Schugwehren errichtet. Hierhin eilte
Canis ungefäumt mit feiner ganzen Mannſchaft, indem er nur die
Beſatzung von Vicenza zurückließ, ficherte die Schanze durch ein-
gelegte Beſatzungen und traf feine Maßregeln jo geihidt, daß die
Paduaner, welche feine Möglichkeit jahen, ſich des Bacchilio zu
bemächtigen, aufbrachen und ftromabwärts bis in die Gegend Ca—
ftenerium ?) gegenüber marſchirten. Canis folgte ihnen jofort mit
jeinen Truppen, nahm jenjeits Stellung und zog, mit Ausnahme
der Bejatuugen, alle verfügbare Mannſchaft und was jonft zum
Kriege taugt an fih. ine Zeitlang blieben die Paduaner ftehen,
1) Bal. ob. ven Schluß des vorhergehenden Kapitels. — 2) Longare jelbft liegt jen—
jeit3 (d. i. ſüdlich) des Bachhiglione; der Autor will jagen, daß die Paduaner gegenüber
von Longare am nördlichen oder Yinfen Ufer des Fluffes Stellung nahmen. — 3) Su
unferen Texte geſchieht diefes Umftandes vorher feine Erwähnung. — 4) Nämlih in
einen anderen (weftlichen) Arm, der früher von den Paduanern verftopft worden war. —
5) Wohl Eaftagnero, welches heutzutage alferdingS mindeitens eine halbe Meile vom
Bachiglione entfernt Tiegt.
Berichiedene Zufammenftöße zwifchen den Paduanern ꝛc. 179
in der Hoffnung, daß ſich ihnen Ausficht bieten würde, auf das
andere Ufer zu gelangen. Canis aber, der Schanzen aufgeworfen
und hohe Feftungsthürme, jogenannte Bitifrede, zur Bekämpfung
der Gegner erbaut hatte, durchſtach ſtromaufwärts das Ufer und
überſchwemmte die Straße, welche zwifchen dem Flußbett und den
umliegenden Feldern dahinläuft, mit dem Waſſer des Fluſſes, jo
daß die Paduaner, um fid) vor den Aluthen zu retten, jchleunigft
von dannen eilen mußten. So vereitelte ev ihre Hoffnung, über
den Fluß zu kommen, und trieb fie hinweg.
12. Befeftigung von Montegarda durd) die Pa—
. duarer. Lange Zeit blieben die Paduaner unſchlüſſig, was fie
unter diefen Umftänden thun follten. Da fie nun bereit3 alle
Saaten öftlih) von den Mauern von Vicenza, joweit der Bacchilio
nicht die Stadt umgiebt, bis zum Gebiet won Padua hin verheert
hatten, jo konnten fie, joweit fie jahen, nichts anderes Zweckmäßiges
thun, als die Befeftigung von Montegarda wiederherftellen und
dur) eine Beſatzung von Neitern und Fußtruppen decken, zum
Schu der paduanischen Grenze und zur Beläftigung und Verhee—
rung des Diſtrikts von Vicenza bis zu den Thoren der Stadt
jelbft, Hauptjächlich aber des Terraind zwilchen der Tieina und
dem eigenen Gebiete. Died ward alfo beichlofien, das Lager bei
Montegarda jelbft aufgeichlagen und dort eine ftarfe, durch eine
Beſatzung gedeckte, Befeftigung angelegt.
13. Berjhiedene Zuſammenſtöße zwiſchen den
Paduanern, Beronejen und Bicentinern. Um aber
inzwilchen die Zeit nicht unthätig verftreichen zu laſſen, ſchickten
die Paduaner ihre Soldtruppen mit ihren Führern, insbefondere
dem Catalanen Bernardus Cerviani nebft der Schaar des erkrankten
Catalanen Beltramus Gulielmi, ferner dem Piſaner Lancia de
Opicengis und Burgarutius de Sartiglano, im ganzen etwa zwei—
Hundert und fünfzig Mann ftark, nad der Nordfeite von Vicenza.
Diefe zogen durch Camiſanum und Villa Quinti!), machten Einz
1) Jetzt Kamifano Bigentino (f. 0.) und Quinto Digenting, letzteres öftlich von;
Vicenza jenfeit3 der Tefina, das andere fitdlicher-
12*
1312
1312
180 Sechſtes Buch.
fälle ind Gebiet der übrigen abhängigen Gemeinden von Pede—
mons ) und führten von dort erlefene Beute an beweglichen Gütern,
Thieren und Menfchen, die man mit Stricken aneinander band, mit
fih fort. Etwa achtzig Menjchen wurden gefangen genommen.
Dann marichterten fie nad) Balfianum, jammelten fi dort und
traten, mit Zurüdlaffung der Beute dafelbft, den Nüdzug an.
un geihah es, dar Ganis, welcher um diejelbe Zeit mit etwa
zweihundert Mann aus Bicenza aufgebrochen war, einige leichte
Truppen entjandte, um von der Weide aufgegriffene Stuten nad
Camiſanum zu führen. Ueber diefe Schaar fielen Bernardus, Lancia
und Burgarutius her und verfolgten fie faft zwei Miglien weit
in aufgelöften Reihen, allen voran Bernardus felbft nur mit
Lanze und Schild bewaffnet. Unvermuthet aber ftieß er, des Weges
unfundig, auf die Schaaren Canis' felbft und wurde ſofort burd-
bohrt. Lancia aber und Burgarutius, welche ihm folgten und
ihon nahe daran waren in das gleiche Verderben zu ftürzen, ent=
deften in Folge des Wieherns der Pferde der Gegner die Nähe
derjelben und ergriffen mit Hinterlafjung der mitgeführten Feld—
zeichen, welche ſomit den Siegern verblieben und nad) Vicenza ge—
bracht wurden, beim Anfturm der Feinde die Flucht. So wurden
nur zwei Gatalanen, die Begleiter des Bernardus, getüdtet, Die
übrigen zogen ſich zu ihrem Heere zurüd. Zur Vergeltung aber
verließ auf Weifung des Grafen PVinciguerra von Berona der
edle Biaquinus de Camino mit den Vornehmen von Trevifo und
unter Führung des Nicolaus de Lucio, dem die Wege befannt
waren, bei Nacht heimlich mit etwa vierhundert Yanzenträgern Das
Yager und begab ſich auf Schleichmegen nad) Montagnana. Dort
ipeiften fie und rückten dann nebft fünfhundert Leichtbewaffneten in
die Ländereien der Beronefen hinaus und gegen die Feſte Cologna ?)
hin, indem fie in kleineren Abtheilungen, wie die Gelegenheit fi
1) Nach einer Angabe des Rolandinus von Padua (Muratori SS. Rer. Ital. VII,
1. 3 c. 8) jcheint diefer Ausdruck fpeziell die Ebene im Often des vicentiniihen Gebiets,
die Gegend von Baſſano zu bezeichnen. — 2) j. Cologna Beneta, im Dften de3 vero- |
neſiſchen Gebietes.
Verſchiedene Zufammenftöße zwijchen den Paduanern x. 181
darbot, gedeckt vorgingen. Um aber die Städter defto mehr zum
Ausfall zu verleiten, jandten fie einige leichte Truppen voraus.
In der That fetten fich die Bewohner von Cologna arglos, etwa
fünfzig Reiter und dreihundert Fußſoldaten ftarf, nad) der er—
wähnten Gegend zu in Bewegung. Als fie nun von der Stadt
jo weit entfernt waren, daß der Rüdzug nicht ohne Schwierigkeit
bewerfftelligt werden fonnte, entfalteten Biaquinus und Graf Vinci—
guerra mit der größeren Abtheilung ihre Feldzeichen und ftürmten
auf fie ein. Auf beiden Seiten ericholl das Kriegsgeſchrei; die
Beronejen aber, umgangen, vom Rüdzug abgejchnitten, ohne zu
wiffen mohin fie ſich wenden jollten, den Schmwertern der Feinde
preißgegeben, fielen faft ſämmtlich; eine erhebliche Anzahl gelangte
zwar bi8 an die Gräben der Stadt, fand aber in denjelben den
Tod t) und nur wenige jchlichen fich über die Wälle in die Stadt
durch. Die Reiter hatten einen Verluft von fünfundzwanzig Todten
oder Gefangenen, während der Reſt die Flucht durch den Fluß?)
bewerfftelligte. Im ganzen wurden etwa hundert gefangen ges
nommen und unter die Sieger vertheilt. Am näcften Tage famen
die vorerwähnten Edlen mit vier erbeuteten Feldzeichen der Della
Scala im Lager an. Nach diefen Erfolgen fehrte das Heer der
Paduaner, nachdem es noch Die Befeftigung von Montegarda durd)
eine Beſatzung gefichert hatte, nach Padua zurüd, und zwar am
29. Juui im Jahre unjered Herrn Jeſu Chriſti 1312. In diefem
Heere der Paduaner waren zwölfhundert Berittene aus dem Bürger—
aufgebot der Stadt; fiebenhundert Yanzenreiter, welche die Edlen
und Wohlhabenden in Gemeinſchaft geftellt hatten, und ſechshundert
Schildträger; die Bauernreiterei zählte etwa taufend Stuten von
der Art, welche die Lombarden Bertolaten nennen; ferner waren
es dreihundert berittene Söldner, und an Fußvolf, das in der Stadt
und den Vorftädten ausgehoben war, fünftaufend vierhundert Mann,
aus den Unterthanenorten aber jechstaufend und neunhundert (un—
gerechnet die Beſatzungen in der Stadt und den abhängigen Ges
1) Statt assumtis ift wohl consumtis zu leſen. — 2) Nämlich den Fiume Nuovo,
der mittels verfchiedener Kanäle mit der Etfch in Verbindung fteht.
1312
Juni29
1512
Suli 6
182 Sechſtes Bud).
meinden), da man aus jeder Familie wenigſtens einen, entmeber
zum Roßdienſt oder als Fußloldaten in das Heer eingeftellt hatte.
Laftwagen, zu deren jedem zwei Bauern als Fuhrleute gehörten,
zählte man dreitaufend zweihundert. Mit Becelus von Treviſo
famen ferner taufend Mann zu Pferde, darunter vierhundert von
den Bornehmen und Keichen geftellt, zweihundert mit Yanzen be-
waffnet, die übrigen Schilöträger; ferner die bäueriſchen Lanzen—
reiter mit fiebzig Stuten, und fechshundert Fußſoldaten mit Yanzen
von ungehenerer Länge; endlich dreihundert Laſtwagen. Markgraf
Francescus von Efte und Ankona aber hatte fiebzig Keiter, darunter
fünfzig mit Lanzen, Hundert Fußfoldaten und zwölf Schleuder-
maſchinen mit Bolzen von ungeheurer Dide.
14. Tod des Tiſo de Campo Sancti Petri. Nach
der Auflöfung dieſes Heeres ftarb in Padua, von der Ruhr be—
fallen, die Blüthe und die höchfte Zierde der Mark Trevifo, Tiſo de
Campo Sancti Petri, der Sohn des weiland Tiſo Magnus, am
ſechſten Juli. Die Paduaner begingen die Todtenfeier in ſolchem
Schmerz und folder Trauer, als wenn ihr Gemeinweſen verwaift
und ohne Hoffnung wäre fid) ferner zu behaupten. Nach dem
Begängnis aber tröftete fie der Anblid des dem Zünglingsalter
entgegenreifenden Enkels, welcher den im väterlichen Haufe alt üb-
hen Namen Gulielmus trug, und der Gattin des Tifo, Die, ob-
wohl bereit8 im vorgerücdten Alter, noch guter Hoffnung war, und
dev Muth Fehrte ihnen zurüd, während ihre Redner das Lob des
Berblichenen fündeten.
Da wir nunmehr die durch das Eingreifen unjered Königs
in der Lombardei hervorgerufenen Unruhen eingehender darlegen
müffen, möge e8 und nicht verdrießen die von der Bewegung er—
faßten Städte und Gegenden, und die Thaten, welche dort vollführt
wurden, zu betrachten, ehe wir dem Fluge des Cäſar gen Rom
folgen, und die faiferliche Majeftät möge e8 uns nachſehen, daß wir,
da die Entwicklung der Ereigniffe e8 verlangt, unferen Nachen erſt
gleichſam durch Binnengewäfjer lenken, um dann mit um fo weiter
Tod des Tiſo de Campo Sancti Petri. 183
ausgebreiteten Segeln und in um fo fräftigerem Anſturm die
Wogen des Tyrrheniſchen Meeres zu durchſchneiden.
Als Lombardei bezeichnet unfer Zeitalter dasjenige Gebiet,
welches im Nordweſten die gallifchen Gebirge und die Alpenländer,
wie Sabaudia, Bortiniacum ?), Gebenna 2) und die benachbarten
Länder, deren alte Einwohner Allobrogen ?) genannt wurden, be-
grenzen, im Oſten das adriatiſche oder venetianiſche Meer, im
Südweſten die luniſchen Alpen, deren Joche fi von Genua aus
bis an das Gebiet won Bologna heran erftreden; im Nordoften
bilden die Tridentiner Berge und die Küſtenlandſchaft von Aquileja
Die Grenze. Das jo umvahınte Land theilten unfere Vorfahren
in zwei Landftreden ein, Aemilia *) und Liguria, obwohl nach der
Bezeichnung der Alten außerdem nod von der Etſch an, welche
Berona durchſchneidet, die Trevifaniihe Mark einen Namen für
fi) hatte, während in der Gegenwart jene Mark nach allgemeinen
Sprachgebrauch in Italien unter den Namen der Lombardei mit
beariffen ift.
1) j. Faucigny, ein Theil von Savoyen (an der Arve). — 2) d. i. Genf. —
3) Galfiihe Völkerſchaft, zwifchen Siere Rhone Genferjee und graifchen Alpen jehhaft. —
4) Nach) der Via Aemilia, die von Ariminum (Rimini) nad) Aquileja führte. Webrigens
fommt der Name für das Land im Alterthum noch nicht vor. Der Autor bezeichnet hier
die öftlihe Hälfte der Lombardei als Aemilia, die weftliche als Ligurien, welcher Name
eigentlih nur dem Kititenftrich zukam.
1312
Siebentes Bud.
1. Uneinigkeit zwiſchen dem Fürften von Achaja
und den Vornehmen der Lombardei. — Fürft Philipp
von Lacedämon hatte, als der König die Yombardei verließ, unter=
ftügt von Graf Philippe de Yangusco aus Pavia, Simon de Colum=
biano aus Bercelli und Gulielmotus Bruradus aus Novara, die ſich
von ihm das befte verſprachen, das PVicariat von Pavia Vercellt
und Novara vom König erbeten und erhalten, nachdem er der
föniglichen Kammer dreiundzwanzigtaufend Gulden als Steuer
jener Städte und als ihren Beitrag zur Förderung der Krönung
gezahlt, welche Summe die vorerwähnten Philippp Simon und
Gulielmotus zu einem beftimmten Termin dem Fürften zurüd=
zuerftatten verjpradyen. Der Fürft aber hatte die Verwaltung jener
Städte in der Abficht übernommen, die genannten Vornehmen zu
begünftigen und zu fördern. Denn fie waren e8 eigentlich, vie
den Staat Ienkten, nur daß dem Fürften der Name des Gtatt-
halters blieb und jegliche Ehvenbezeigung geleiftet wurde, und die,
wie vor der Ankunft des Königs, jo auch jest, Die unbeſchränkte
Herrihaft ausübten. Während nun die Zeit verging und der
König, der Piſa bereits Hinter fich gelaffen hatte, gegen Rom eilte,
da verſuchten Graf Philippe, Simon und Gulielmotus, jei e8 aus
Trotz, weil die Entfernung des Königs fie übermüthig machte, ſei
es megen der Armuth des Volfes, welches durch anhaltende Mis—
Uneinigfeit zwijchen dem Fürſten von Achaja ꝛc. 185
ernten herabgefommen war, unter allerhand windigen Vorwänden
die ausbedungene Erftattung des Geldes hinzuziehen, während das
eigene Vermögen des Fürften nicht hinreichte um nur die noth-
wendige Leibwache beizubehalten. Verdruß und Widerwillen er-
faßten den hochſinnigen Fürften, als er, dem es, wie er glaubte,
zufam den Gebietern zu befehlen und von ihnen ausgezeichnet zu
werben, fich won denjenigen gering geichätt Jah, welche er aus Be—
drüfung und Verachtung erhoben hatte. Dazu fam, dag Maphäus
Vicecomes, der Statthalter von Mailand, der von grimmem Haß
wider jene Edlen bejeelt war, dem Fürften im Ohre lag und dem—
jelben vworredete, man müſſe fie in ihren Liften und Schändlich—
feiten paden und niederhalten. Die unabläffigen Einflüfterungen
des Vicecomes machten endlich, wie man glaubte, auf Philipp Ein-
druck, der, ihren Trug mit gleihem Trug zu rächen, Ricciardinus,
den älteften Sohn des Philippo von Langusco, und den Simon
de Columbiano, die ihn geleiteten, ald er nad Turin ging um
dafelbft feine Hochzeit mit der Tochter des Delphin zu fetern, ges
fangen bei ſich behielt, und exflärte, fie würden in feinem oder
ſeines Vetters Gewahrſam bleiben bis fie ſich Losfaufen würden ;
außerdem drohte er ihnen noch weitere und verſchärfte Strafen an.
Simon de Columbiano Faufte fih nach einigen Tagen gegen die
vom Fürften beliebte Summe los, Ricciardinus jedoch blieb einft-
meilen im Kerker. Maphäus Vicecomes aber, der auf die Unter:
nehmungen und Beflrebungen feiner Gegner ftet3 ein wachſames
Auge hatte und erkannte, daß die Feindſchaft zwifchen dem Fürften
und jenen Edlen, die er hatte fommen jehen, ihm zum Nuten
ausichlagen würde, rief die Markgrafen von Montferrat und von
Saluzzo herbei und ſandte fein Heer unter Oberbefehl jeines
älteften Sohnes Galaaz in das Landgebiet von Pavia und zwar
in die überaus fruchtbare Landſchaft Lomelina!), zu einer Zeit
ale ſchon das Frühforn der Ernte entgegenreifte, die Mailänder
verheerten und verwüfteten die Aeder und Niederlafjungen mit ven
1) 2. i. Lomellino weitlih von Pavia, wo die Grafen von Zangusco ihre haupt
ſächlichſten Befitungen hatten.
1312
186 Siebentes Bud).
Saaten und Weinbergen und plünderten alle unvertheidigten Schlöffer.
Schließlich wurde ihnen jelbit das Schloß Mortara von der Be:
ſatzung, die der Fürft von Lacedamon dort gehalten hatte, über-
liefert, und als man dann ein Standlager vor dem überaus feiten
Saarlatum !) aufihlug, ergab ſich die Beſatzung, welche dort für
Graf Philipps Tag, vom Hunger bezwungen, an Galaaz. Graf
Philippo dagegen rücte mit den Paveſen, Aſteſanen und Alefjandrinern
ſowie mit dem Senefchall König Roberts, der in Alba befehligte,
zu ſpät und ohne Erfolg nad) Lomelina und umlagerte darin
Gaarlatum, um diefen Ort zurüdzuerobern. Nachdem aber das
Lager ſchon aufgejchlagen war, geſchah es, daß die von Alefjandria,
durch anhaltende Dürre und Hungersnoth im höchſten Grade be—
drängt, in der Unmöglichkeit fi) länger zu halten ihr Lager an=
zündeten und Damit das ganze Heer zwangen, Gaarlatum aufzu=
geben und fich zurückzuziehen.
2. Zod des Sulielmus Gavalcabos bei Sun=
<inum. Zu derſelben Zeit ftritten auch im Herzen der Lombardet
in den einzelnen Gemeinweſen die verjchtedenen Parteien, hier die
Guelfen, dort die Ghibellinen, in unabläffigen Kämpfen wider ein=
ander. Guibertus de Corrigia, Guido della Turre und Gulielmus
Cavalcabos rüdten ſammt ihrem guelfiidem Anhang und ver
Partei des Venturinus und Anderer von Suneinum mit Reiterei
und Fußvolf dorthin, nahmen die Stadt, deren Einwohner ſich
ergaben, und tödteten die Rebellen, welche der ghibelliniichen Partei
anbingen; die Burg aber gewannen fie nicht, da die Bertheidiger,
welche fih nur gegen Zuficherung des Lebens ergeben wollten, fein
Gehör fanden. Gulielmus Cavalcabos ließ daher, in der Abficht
die Burg zu erftürmen, aus Cremona zmweihundert Mann Fußvolk
fommen. Als dieſe bereitd in der Nähe von Suneinum waren,
ftiegen jie auf Werner von Homburg den Borfteher der Lombardei,
der mit den Truppen von Mailand und Bergamo und einer fünig-
lichen Schaar zum Entſatz von Suncinum heranrüdte, und wurden
1) D. i. Garlasco an der Etraße von Mortara nad) Pavia,
— —
Lech
Beleitigung des Fanus de Drifimo, Vifars von Lodi. 187
von denjelben niedergeworfen und in die Flucht geichlagen. Als ıs12
Gulielmus Cavalcabos die Niederlage der Seinen vernahm, führte
er jeine Truppen fofort gegen Werner ind Feld und lieferte dem—
jelben ein unentſchiedenes Treffen. Bmeimal wurde dem Gultelmus
das Pferd, auf welchem er jaß, unter dem Leibe erichoffen und er
zu Boden geftredt, doch beitieg er ein anderes, gab aber das
Zeichen zum Rückzug und eilte wieder nad) Suncinum. Als er
dort ankam, fielen die Städter, welche in der Burg maren, aus
und fügten ihm vielen Schaden zu, während Werner ſich in Die
Stadt warf und den Gegner im Rüden faßte. So umſchloſſen
ftürzte Gulielmus abermals mit jeinem Pferde, welches nieder—
gemacht wurde, und ward unter großen Berluften der Seinen ge=
fangen genommen und zu Werner geführt. Als dieſer ihn erkannt
und auf Befragen auch jeinen Namen erfahren hatte, jagte er:
„Du wirft in Zukunft meder auf einem Ochlen nod auf einem
Pferde reiten 1), riß ihm feinen Helm ab, zerichmetterte ihm mit
der Keule, die er trug, das Haupt und tödtete ihn. Damals fielen
von Gulielmus’ Lanzenreitern etwa fünfzig, ſechszig wurden ge-
fangen genommen; vom Fußvolk fielen zweihundert, in Gefangen-
Ihaft geriethen Hundert; die übrigen gelangten fliehend nad) Cremona.
Allgemeines Entjegen ergriff die Cremoneſen, die ganze Stadt ward
in Trauer und Klage verjenkt, und faum hielten fie die Hoffnung
aufrecht fi) behaupten zu fünnen. Zu Mailand aber und in allen
Städten Lombardiens, in denen die Ghibellinen am Ruder waren,
herrſchte Jubel und Freue.
3. Bejeitigung des Fanus de Drifimo, Bifars
von Lodi. Während in Lodi Fanus de Drifimo an Stelle des
römischen Königs die Gerechtſame des heiligen Reichs wahrnahm,
bewirkten die Umtriebe der Partei der Summariva und beionders
des Antonius de Fiſiratico eine Ummwälzung, durch welche die
Partei der PViftarini, die von Alters her ghibelliniſch geweſen war,
aus der Stadt getrieben ward, und jchloffen ſich dem Guibertus
1) Anfpielung auf den Namen Capvalcabo von cavalcare reiten und bove = Ochs.
188 Siebentes Bud).
> de Corrigia Guido della Turre und den übrigen Guelfen an. ALS
dies aber Werner von Homburg der Vorſteher erfuhr, ftellte er
eine Unterfuhung an, warf den erwähnten Fanus jelbft ind Ge—
fängnis, übertrug der Partei der Viſtarini die Leitung in Lodi und
demüthigte und verjagte ſämmtliche Summariva.
4. Unruhen in PBiacenza. Die Herrihaft über Pia-
cenza hatte der König, ehe er die Lombardei verließ, in die Hände
ver Ghibellinen gelegt, Albertus Scotus aber nicht zurüdgeführt *).
Diefer nun bemächtigte fich ſofort ver Beften Arquadum und
Slorenzola ?2) und befriegte Die Stadt, bis er ſchließlich feine Rück—
fehr durchſetzte. Aber Guibertus de Corrigia und Guido della
Turre eilten mit den Schaaren der Cremoneſen Brescianen und
Parmeſanen und der Bertriebenen von Reggio nad) Piacenza und
jegten die Guelfen, deren Partei ſich ſchon vorher organifiert hatte,
in den Beſitz der Stadt.
5. Bergamo verharrt in der Treue gegen den
König. Die Stadt Bergamo, unter Bailardinus de Nogarolis
von Berona als Vikar für den römifchen König, verharrte mit
Ausihliegung der Guelfen auf der Seite des Maphäus Vicecomes,
ver Mailänder, Beronefen und der iibrigen Getreuen ded Reiche.
6. Afti fällt von König Heinrich zu König Robert
von Apulien ab. Die Ajtefanen aber vertrieben unter dem
Einfluß der vornehmen Guelfen den Reichsvikar und fielen vom
römiſchen König zu König Robert und deſſen Marichall, der in
Alba befehligte, ab.
Sp ftritten die Lombarden geipalten und von Barteiwuth und
Kriegseifer entzündet in wechjelnden Kämpfen wider einander mit
Feuer und’ Schwert in erbittertem Ringen. Zur Partei des römi—
ſchen Königs hielten fih Turin Novara und Bercelli, wo Philipp
von Savoyen, der Fürſt von Adaja, Vikar war, Mailand, Ber-
game, Como, Bredcta, Verona, Bicenza, Mantua, Modena, Lodi,
Piacenza. Dagegen befannten ſich zur guelfiſchen Partei, welche
1) ©. 0. Bud 4 Kap. 9. — 2) j. Caſtell Arquato und Fiorenzuola, Tetteres an der -
Strafe von Piacenza nad) Parma, erfteres jüdlih davon.
Niederlage der Ghibellinen von Modena. 189
fic) als die der heiligen Kirche bezeichnete, Alba, Aftı, Aleſſandria,
Pavia, Parma, Reggio, Eremona, Padua, Trevifo.
7. Niederlage der Ghibellinen von Modena.
In Modena vertrieb Franciscus della Mirandula, der des Vikariats
mwaltete, die Einflußreicheren unter den Guelfen und ließ fie für
Staatöfeinde erklären. Dieje aber hielten fih in den Yandftäbten
und befriegten die Stadt unter beftändigen Angriffen. Sehr will
fommen war den vertriebenen Meodenefen die Unterftügung, welche
fie bei den Guelfen Bologna’8 fanden. Auf deren Hilfe geftütt,
verheerten fie die Yändereien von Modena bis nahe an die Stadt
jelbft heran, ſodaß viele, gleich als wenn fie belagert wäre, jo ſehr
dur) Hunger und Mangel litt, daß Das Loos der Berbannten er-
träglicher erjchten al8 das der Bürger. Während nun, bet Diejer
Bedrängnis der Stadt, die erwähnten VBerbannten und Hilfstruppen
der Bolognejen ausrüdten, um Bazzavora, ein zwei Miglien von
der Stadt entfernte8 Dorf, niederzubrennen, führte Der Reichsvikar
Franciscus jeine Truppen heraus und machte mit den Edlen, ven
Bürgerjoldaten und den Sölonern, welche die Bejagung von Modena
bilveten, einen Angriff auf jene. Es entipann fid) ein blutiges
Treffen, welches faft zwei Stunden währt. Aber da das Geſchick
und das Glück des Krieges, deſſen Ausgang ſich dev Berechnung
der Sterblichen entzieht, ven Vertriebenen den Steg zumies, jo er:
griffen Die Bürger die Flucht, "während unter großen Verluſten der
Seinen Franciseus in Gefangenſchaft gerieth. Es fielen aber
von namhaften Männern folgende: Prendiparte der Sohn des
Vikars, Thomafinus de Gorzano, Johannes und Übertus de Tredo,
Nicolaus de Alcardid, Iohannes Zacagnus und etwa hundert und
fünfzig aus den Bürgern und dem niederen Volfe von Modena,
während etwa Hundert zu Gefangenen gemacht wurden. Die
übrigen flohen nad der Stadt zurüd und gelangten mit genauer
Noth in die Thore. Dies geſchah im Jahre unfered Herrn Jeſu
Chrifti 1312 am 8. Juli. Der Schreden der Einwohner von
Modena aber kannte fein Maß, auf den Plätzen und in den Gaſſen
durch die ganze Stadt bin wernahm man das Heulen dev Weiber,
Juli 8
190 Siebentes Bud).
1512 das Wimmern der Kinder, das furchtſame Jammern Elagender
Greiſe; fat gebrach e8 ihnen an Beſonnenheit die Stadt zu ver-
theidigen und an Kräften die Thore zu ſchließen; erſt nachdem fie
wiederholt an die benachbarten Vikare Canis Grandis von Verona
und Pallarinus von Mantua, endlich aud an den von Mailand
Maphäus Vicecomes und die übrigen Anhänger des Reichs Briefe 5
gefandt Hatten, mit der Bitte ihnen in ihrem Unglüd zu Hilfe zu
fommen, richteten fie fi) wieder auf, wenn auch mit ſchwindenden
Kräften und der Verzweiflung nahe. Die Sieger aber fehrten mit
ihrer Beute und den Gefangenen nad Caſtrum Sarioli !) zurüd
und fandten die erbeuteten Feldzeichen nebft dem königlichen Banner
zum Zeichen ihres Sieges nad) Bologna, mit dem Bemerfen, jegt
jet die Zeit gefommen, um Modena zu gewinnen, wenn anders
die Bolognefen mit ihren Truppen zur Belagerung herbeieilen
würden. Dieſe erichtenen fampfgerüftet mit Neiterei und Fußvolk |
und brachten auch Material zur Ausfülung dev Gräben von
Modena mit, ſchlugen ein feftes Lager auf und machten fi) mit |
Maſchinen und jeder Art von Belagerungsgeſchütz an die Berennung
der Stadt. Auf gegneriicher Seite aber eilten unverbroffen Canis
und Paſſarinus de Bonacofi8 mit den Schaaren der DVeronefen
und Mantuaner und mit Soldtruppen zum Schub der Keichötreuen
|
nach Modena. ALS die Paduaner von der Niederlage der Mode-
nefen vernahmen, fielen fie eilend® mit einer Reiterſchaar und
ftarfem Fußvolk, um Canis von Modena zurüdzurufen, werheerend
in das Gebiet von Verona ein, verwüfteten alle mit Feuer und
Schwert, nahmen die die Veſte Cologna umgebenden Dörfer ein,
verbrannten diefelben und fehrten dann nad) Padua zurüd.
8. Aergerliher Streit zwifhen dem Borfteher
der Lombardei und dem Fürften von Achaja. Als um
diefelbe Zeit Werner von Homburg der Vorſteher dev Lombardei,
die Markgrafen von Meontferrat, Balatronus der Sohn Des
Maphäus Vicecomes und mehrere Andere in Bercelli zu einer Be—
1) j. Saſſuo o an der Sechia, füdlich von Modena.
Hergerlicher Streit zwiichen dem Borfteher der Lombardei x. 191
rathung über die Mafregeln, welche man im Intereſſe des Reichs 1312
zu ergreifen habe, zufammengetreten waren, führte ein plötlich
entftandener Streit zwiſchen ihnen zu argerlichen Auftritten. Der
Dorfteher nämlich verlangte von dem Fürften Philipp von Achaja
das Schloß bei der Marienkirche, welches im Herzen von Bercelli
gelegen ift, mit dem Bemerken, daß es dem Glanze und dev Würde
der kaiſerlichen Majeſtät befjer entipreche, wenn er, als DVorfteher
der Provinz, in einem vornehmeren und prächtigeren Gebäude feinen
Aufenthalt nehme. Dev Fürft dagegen, der jenes Schloß inne
hatte, hielt ihm vor, daß er felbft in der Stadt das Reichsvikariat
verwalte und außerdem für feine eigene Perſon hier Einfluß befite,
und fügte Hinzu, daß er zur Zeit dieſes Vikariat von dem König
um ſchweres Geld erfauft habe: daher befige er e8 jest ohne Ein—
ſchränkung und fer damit begnadigt und betraut worden. ALS der
Wortwechjel immer hitziger wurde, rief endlich der Vorfteher wuth—
entbrannt zum Kampfe auf, ftürzte fid) auf den Fürften, der be
ritten war, umflammerte jeinen Nacken mit der Hand und zerrte
ihn, obwohl er ſich fträubte, nebft dem Pferde mit gewaltigem Griff
nad) den Paläſten der Tizones !), wo er jelbft in befeftigter Burg
feinen Sig genommen hatte. Aymo de Ajperomonte aber, einer
der umftehenden Nitter des Fürften, riß feinen Dolch aus ber
Scheide, ſtürmte auf den Borfteher ein und brachte demfelben mit
großer Wucht eine Wunde in der Seite bei; hierdurch aufgehalten
und beläftigt mußte Werner den Fürften loslaſſen. Bald miſchten
ſich Deutjche unter die Franzojen und es begann ein Handgemenge,
bis der Vorſteher verwundet fid) zu den nächſten Häufern der
Tizones zurüczog, während der Yürft, der eine Wunde an ber
rechten Hand erhalten hatte, zu den Paläften der Advocati?) ent-
floh; mehrere feiner Leute aber wurden auf offenem Plage er—
ichlagen. Dieſe Auftritte hatten unmittelbar weitere Zwiftigfeiten
inmitten der Kaiſerlichen zur Folge, und neue Händel brachen aus.
Beide Theile zogen ihre Anhänger von allen Seiten in Bercelli
1) Häupter der Ghibellinen in Bercelli. — 2) D. i. der Familie des Simone de
Eolubiano f. o.
192 Siebentes Bud). | e:
Philippo mit den Pavejen und anderen verbündeten Lombarden
Partei nahm, ſchloß fih Maphäus Vicecomes mit den Seinen und
den Keichötreuen Werner an. Es fam daher aufs neue in Vercelli
zu Feindſeligkeiten und ärgerlichen Auftritten, Die immer meitere
Kreife in Mitleivenihaft zogen. Um ven fchmählichen Streit ab-
zuurtheilen, vief der Fürft endlich jeinen Bruder den Erzbiſchof
von Lyon t), feinen Schwager den Delphin Guido und den Herrn
de Pulchrolivo herbei, aus freien Stüden aber erſchien die Gräfin
von Savoyen, die Gattin Ameus des Großen. Man trat zus
jammen und war ın KRüdficht auf den König eifrig bedacht einen
Frieden zu Stande zu bringen. Man vereinbarte ſich denn auch
über beftimmte Bedingungen und machte aus, daß beide Gegner
aus Vercelli, deſſen Bifariat jedoch und ungejchmälerte Herrichaft
dem Fürften blieb, weichen, und daß ferner, dem Gebot des Königs
gehorfam, achtzehn der Angejehenften aus den Tizoned und zwölf
aus den Advocati Bercelli meiden follten; erfteren möge der Vor:
fteher, letzteren der Fürft nad) Belieben Aufenthaltsorte anweiſen.
In Folge dieſes Ausſpruchs ging der Fürft nach Turin, der Vor-
fteher nad) Lodi.
9. Graf Philippo von Langusco nimmt Bercelli
ein. AS die Dinge in Bercelli jo lagen, eilte Graf Philippe,
durch die Kurzfichtigkeit der Gegner herbeigelodt und voll Freude,
weil er ſehr wohl erkannte, daß durch jene Friedensbedingungen
die Macht der Tizones gebrochen ſei, mit den Pavejen und feinen
übrigen lombardiſchen Freunden, jo raſch er fonnte, gegen Vercelli,
von mo die fremden Truppen inzwilchen entfernt worden waren,
heran und ftürzte fi, von dem Biſchof, von Simon de Columbiano
und defjen Anhang in die Stadt eingelaffen, auf die Partei ver
Tizoned, nahm unter vielem Morden und Plündern die Stadt
ein, zerftörte die Paläfte uud Burgen der Tizones und oronete
alle8 in feinem Intereffe und dem der Adeocati an, im Jahre
Juli unjere8 Herren Jeſu Chrifti 1312, im Monat Juli.
1) Peter von Savoyen, 1308—1332.
1312 zuſammen: während, wie es hieß, gegen den Vorfteher aud Graf i
R
Die Paduaner verheeren das Gebirge Berica x. 193
10. Die Baduaner verheeren das Öebirge Berica,
eröffnen den Bachilio wieder und nehmen Pojana.
Inzwischen wurde die Treviſaniſche Mark und bejonderd die Stadt
Padua, welche durch die unabläffigen Feindſeligkeiten des Canis
Grandis beläftigt und durch die Zurückhaltung des Bacchilio, deſſen
Waſſer ſie zur täglichen Nothdurft gebrauchte, in unerträglicher
Weiſe geſchädigt wurde, unter dem Druck der Nothwendigkeit ge—
zwungen, immer energiſcher gegen die Feinde vorzugehen. Nachdem
man, wie oben erzählt wurde), ohne Nutzen und Erfolg verſucht
hatte, ven Flußübergang zu gewinnen, rückten endlich, nicht lange
darauf, als eines Tages, um den 22. Juli 2), einige der Kund—
Ihafter, welche den Lauf des Fluſſes zu beobachten Hatten, die
Meldung braten, daß die Brüde, welche fi) dei Nartum, einem
Dorfe am Fuß der bericiichen Berge befindet, unbewacht fer und
wiederhergeftellt werben fünne, die Streitmaht Padua's und die
Bürger fchleunigft in finfterer Nacht, mit Brettern und jeglichen
Zimmergeräth verjehen, aus, machten beim erften Tagesgrauen am
Ufer des Bacchilio halt, befeftigten geräufchlos auf den im Grunde
des Flußbettes eingerammten Pfeilern der ehemaligen Brücke Balten,
legten Bretter darüber und gelangten jo auf das jenfeitige Ufer.
Dann aber marjchierten fie unter Trompetengejchmetter und Yautem
Subel ungehindert mit den Truppen und den fämmtlichen Ab—
theilungen der Bürger auf Vicenza zu, bis fie, die übrigen Land-
ftädte unverjehrt hinter fich laſſend, nach dem Dorfe Longare ge
langten, wo fi ein ſtark befeftigtes Caftell befand, welches bie
Vicentiner über der Stelle, wo fie ven Fluß abgeipftrt, errichtet
hatten; Doch fanden fie dieſes Caſtell von feiner Beſatzung, melche
fih in das Gebirge geflüchtet hatte, verlaſſen. Nachdem die
Paduaner dafjelbe bejest und Kundſchafter worausgejandt hatten,
rüdte das gejammte Heer in Schlachtordnung bis zu dem Dorf
1) Buh 6 Kap. 13. — 2) Man wird beffer mit einer Handſchrift circa X
Augusti Kalendas leſen, al3, wie die iibrigen haben, circa Augusti Kalendas, meil, wie
der Schluß des Kapitels Lehrt, die Heimkehr des paduaniihen Heeres, melches längere
Zeit draußen geblieben war, noch im Juli erfolgte.
Geſchichtſchreiber. Lig. 67. Leben Heinrichs VII. 13
1312
Juli 22
194 Siebentes Bud).
Longare?), zwei Miglien von Vicenza, vor, machte dort halt, da
man erft die Kundichafter erwarten wollte und Thiere und Menjchen
einer Ruheſtunde zur Erholung von der Hite und Arbeit bedurften,
weil bereits der größte?) Theil des Tages verftrihen war und
man ja auch die ganze vworausgehende Nacht wachend zugebracht
hatte. Als die Späher, melde, vorausgefandt um zu jchauen, ob
fid) von der Stadt her Bewegungen wahrnehmen ließen, etwa fünfzig
Keiter von Canis' Kriegsvolf, die ihnen entgegengefommen waren,
theils zerſtreut Hatten, theils gefangen hevbeibrachten, zurücfehrten,
ichlugen die Söldner in Longare?), die Paduaner in Euftoza en
Lager auf. Alsbald Tieß ver Podefta auf Grund eines Raths—
beichlufjes anlagen und verkünden, daß man den Vicentinern, jofern
fie nur wollten, Genoſſenſchaft und beftändige Freundſchaft mit den
Paduanern gewähre und geftatte, ſowie Berzeihung für alle Un—
bilden, doch müßten fie fi dem Einfluß des Tyrannen Canis
gänzlich entziehen. Inzwiſchen ftand man zmei Tage lang von
jeglicher Feindfeligfeit und Verheerung ab. Aber die Bicentiner
liegen fich auf diefe Verfündigung nicht ein, ſei e8 weil fie nichts
davon hielten oder, was wahrjcheinlicher ift, weil der Verluſt ihrer
Freiheit fie hinderte, und alsbald zerftreuten fi die Paduaner,
um durd) Nieverbrennen und Berheeren jenen nad Kräften Schaden
zu thun. Die unglüdlichen Bauern im ganzen Umfreis ded Ges
birges die — ah! — zu Feindfeligkeiten und übler Behandlung
feinerlei Anlaß gegeben hatten, wurden gefangen genommen, ihre
Dfivengärten und fonftigen Pflanzungen niedergehauen, die Häufer
ſämmtlich in Brand gefteft und, auf daß nur das Andenken diejer
Dörfer, deren man nicht weniger als fieben und zwanzig zählte,
auf die Nachwelt fomme, wurde alles was das bericiiche Gebirge
an Gebäuden über der Erde trug, von dem erften ſüdlichſten Hügel,
wo das nächftgelegene Dorf Orianum *) heit, an bis zu ben
Fakca
1) Diejes zweite Longare liegt in geringer Entfernung vom Bacdhiglione, an deffen
rechtem Nebenfluß Debba. — 2) Tert: septima diei pars, offenbar finnlos; vielleicht
maxima zu lejen. — 3) Hier feheint wieder das erfte Longare gemeint zu fein, welches
ganz in der Nähe von Eoftozza gelegen ift. — 4) j. Orgiani.
Die Paduaner verheeren das Gebirge Berica ıc. 195
Borftädten von Bicenza hin, auf beiden Seiten des Gebirges nebit
der von demſelben eingefchlofjenen Thalſchlucht von Grancona, vom
Feuer verzehrt, der Hausrat) aber und Geräthichaften jeder Art
von Staatswegen wie aud) von den einzelnen Bürgern nad) Padua
gebracht.
Auf daß ich aber die Beſchreibung einer bemerkenswerthen
Begebenheit, die wohl werth iſt aufgezeichnet zu werden, nicht
übergehe, erzähle ich folgendes: Bei dem Dorf Cuſtoja befindet ſich
eine Bergſpalte und im Innern eine gewaltige Höhle, von wo der
Ausgang nach der einen Seite durch dreifache, nach der anderen
Seite durch einfache Kreuzungspunkte führt, ſodaß Unkundige
den Rückweg aus dieſem Schlupfwinkel nimmer finden. Die Breite
des Spaltes beträgt eine Miglie, und
„Eiskalt ſtrömet hindurch der Hauch unabläſſigen Windes!“
Wenn wir einer alten Sage glauben wollen, welche im
Munde der Bauern fortlebt, ſo gruben römiſche Sträflinge, die
zu den Bergwerken verurtheilt waren, dieſen Ort aus, und von
dieſen hier einſt in Haft befindlichen!) Sträflingen ſoll auch der
Name Euftoja, wie der Ort noch heute heißt, — was dafjelbe ift wie
Euftodia 2) — ftammen. Aber, du Liebe zum Befit, wie viel Sorge
und Unruhe bereiteft du den Menfchen! die Mehrzahl der Ein-
wohner nämlich hatte fich in dieſen grauenhaften düfteren Ort, im
Bertrauen auf den Schuß, welchen er gewährt, mit all ihrem Hab
und Gut und mit ihren Angehörigen von jeglihem Alter und Ge-
ſchlecht eingefchloffen. Am Eingang hatten fie mit Hilfe von Werg,
Reiſig und anderen leicht brennbaren Gegenftänden einen Holsftoß
aufgethürmt, und denfelben mit Waller beiprengt, welches ein in
der Nähe befindlicher natürlicher Duell darbot; die aus dem
Innern fommenden Winde trieben nun einen fo dichten Rauch nach).
auswärts, daß wer ſich draußen befand, nit im Stande mar
beranzufommen. Durch dieſe bewunderungsmwürdige Beranftaltung
in Staunen verjett, überlegten die Paduaner drei Tage lang, was
1) Custoditi, von custodire bewachen. — 2) custodia, Haft, Bewachung.
13°
1512
196 Siebentes Bud).
man anwenden jolle um jene herauszutreiben ; endlich famen einige
erfahrene und verftändige Leute auf den Gedanken, eine fefte Mauer
aus Gement und Ziegeln zu erbauen und mit derjelben die Mün—
dung Der unterivdilchen Gewölbe zu verftopfen. Dies geichah.
Sofort legten ſich die Winde, die Yuft ward ausgefchloffen und bet
großer Kälteentwidelung tröpfelte das Wafjer von den Wänden
hernieder. Der Ausihluß der Yebenselemente brachte die Drinnen
befindlichen Menfchen dem Tode nahe, fchreiend baten fie um ihr
Leben und ergaben fich.
Nachdem die Paduaner dieſes vollbracht hatten, leiteten jie
ichließlich den Bachilio in fein altes Bett zurüd und zerjtörten die
Werke, das Caſtell mit jeinen Befeftigungen, welche die Vicentiner
zuvor mit unſäglicher Mühe erbaut hatten.
Als eben Ddafjelbe paduanifche Heer durch die Bergzüge von
Alonte !) ftridy, um die Dörfer niederzubrennen, und in der Gegend
von Leonium ?) Rauch erblidte, als wenn das Städtchen ſelbſt in
Tlammen ftände, richtete e8 feinen Marſch dorthin und machte
unter Geſchrei einen Angriff. Einige der Einwohner, welche die
Partei des Grafen von St. Bonifacio 3) hielten, hatten auf deſſen
Antrieb Feuer an die Stadt gelegt, damit die Belatung der Burg
von Schreden ergriffen dieſelbe den Paduanern überliefern ſollte.
Bon beiden Seiten erſcholl lautes Kampfgeichrei und es entipann
fich ein Higiges Treffen. In die Burg nämlich hatte Canis, dem
die Einwohner von Leonicum verdächtig waren, Veronejen eingelegt, 4
um den Ort zu jchügen, die Eingeborenen beider Parteien aber
gezwungen, die Nacht außerhalb der Burg zuzubringen. Nachdem
nun aber die Paduaner die Befeftigungen umzingelt hatten, be-
jtieg, während der Podeſta von Padua im Süden fein Banner
aufitecte, Graf Binciguerra von St. Bonifacio mit den Söldnern die ° |
Anhöhe von St. Termus im Norden und behauptete diefen Platz.
Der Kampf war jett allgemein; aber da die Veronefen Die Burg
1) Nahe dem oben genannten Orgiano. — 2) Lonigo, im äußerſten Südweſt der
Monti Berici. — 3) D. i. der oben mehrfach erwähnte VBinciquerra von Verona, der
Gegner des Canis.
an ie a A hr
|
Die Paduraner verheeren das Gebirge Berica. 197
mannhaft vertheivigten, jo wurde nichts erreicht, als daß drei
Biertel der Stadt abbrannten. Erſt bei Sonnenuntergang
ſammelten die Paduaner ihre Schaaren und fehrten noch an dem—
jelben Tage nad) Orianum in ihr Yager zurüd. Diejenigen Ein-
wohner von Leonicum aber, welche dem erwähnten Grafen an-
hingen, gaben fich verloren, wenn fie die Ankunft des mißtrauifchen
Canis abmwarteten und kamen daher mit ihren Angehörigen jeg-
lihen Alters und Gejchleht3 zum Grafen Vinciguerra. —
Die Paduaner richteten, nachdem fie die Bericiichen Berge
verheert und ihr Lager in Brand geſteckt hatten, ihren Weg auf
Bojana 1), einen überaus feften, durch zwei Gräben und eine ftarf
befeftigte Burg gededten Ort, und griffen venjelben an. Dieſer
Drt trennte das Gebiet der Paduaner von dem der Picentiner
und Veronejen und war den Bauern dieſes Grenzgebietes ehr
(äftig, weil hier, als in einem ficheren Schlupfwintel, ſich räuberiſches
gewaltthätiges Gefindel aufhielt, welches alle Umwohner unabläffig
durch Beute- und Raubzüge heimſuchte. Und fo oft die Paduaner
verfucht hatten hier in das Gebiet der Beronefen und Bicentiner
einzudringen, hatte dieſer Drt ihnen die Möglichkeit dazu be-
nommen. Unter Borausfendung des leichten Kriegsvolkes und des
Troſſes griffen fie mit ihrer ganzen übrigen Macht den Ort unter
lautem Gejchrei in plötzlichem Anfturm an und umringten ihn auf
allen Seiten. Die Einwohner Tleifteten lange Wiverftand und
brachten den Angreifern durch Steinwürfe und zahlreiche Pfeil-
ſchüſſe viele Wunden bei, blieben aber auch jelbft nicht verfchont.
Endlich, als es ſchon Abend wurde Iegten die Paduaner auf Kath
des Albertinus Muffatus, welchem gerade das 2008 zugefallen war
das Feldzeichen de8 Quartier der Mühlenbrüde zu führen, lange
Balken über die beiden Gräben, öffneten ſich unter ermuthigenden
. Zurufen in heißem Ningen den Weg mit dem Schwert und brachten
das Feldzeichen über die Gräben. Durd den gemaltigen An=
1) Pojana di Sranfion, nördlich von der Straße von Padua an Berona, zwiſchen
Camiſano Vigentino und Arlefega.
1312
1312 fturm erſchreckt und aus der Faſſung gebracht, wichen die Ber
Juli
198 Siebentes Buch.
lagerten zurück, legten ſchnell Feuer an die Häuſer, gaben ihre
Aufſtellung in der Stadt preis und ftürzten in die Burg. Da
drangen aud die übrigen Abtheilungen des Bürgerheered ein und
verfolgten die Städter bi8 an die Burg. Am anderen Tage
warfen die Paduaner, zur Belagerung der Burg entjchloffen, Keifig
Flechtwerk und dergleichen mehr in die Gräben um dieſelben auszu-
füllen, und griffen dann an. Unter Steinwürfen der Schleuderma-
Ihnen, unter Schmähreden, Gezänk und Getümmel wurde den ganzen
Tag über geſtritten; erſt als der Abend fie zwang, fehrten die Paduaner,
nachdem fie die Gräben, deren Waſſer ſchon in Folge der erften Ein
ſchüttungen ausgetrodnet war, zur Hälfte ausgefüllt hatten, zu ihrem
Lager zurüd. In derjelben Nacht aber verließen die Befehlshaber
der Beſatzung, jeder Hoffnung beraubt, da Canisgrandis nichts
that außer daß er ihnen Briefe mit vielen Verſprechungen Tandte,
die Burg, verriethen ihre Soldtruppen und die übrige Wachtmann-
ſchaft und flohen heimlich) zu Canis. Die Soldtruppen aber und
die Uebrigen, welche bei der Beſatzung verblieben waren, vertrugen
ih Früh am Morgen mit den Paduanern, die ihnen geftatteten
am Leben ungefränft auszurüden, und entfamen, im ganzen brei-
hundert Perfonen beiderlei Geſchlechts. Die Burg ward jofort
verbrannt, die Beute theild für den Staat in Anfprud) genommen,
theil® den Flammen preiögegeben. Unter Yautem Jubel und vielen
Glückwünſchen kehrten darauf die Paduaner heim, im Jahre unferes
Herrn Jeſu Chrifti 1312, im Monat Juli.
11. Ganisgrandis verbrennt Curtarodulum.
Während aber das Heer der Paduaner noch bei Pojana Ing, rüdte
Canisgrandis mit etwa fünfhundert Neitern und taufend Fuße
joldaten werheerend in das Gebiet von Padua ein, nahm Gurtare-
dulum, eine reiche Yandftadt, mit Sturm, verheerte alles mit Feuer
und Schwert und ließ die Pandleute über die Klinge fpringen. Als
er aber im Abmarſch begriffen war, näherten ſich ihm Vecelus de
Camino, der gerade zur Unterftägung der Paduaner herbeigeeilt
war, Paganus della Turre der Biſchof von Padua und Gual-
Berheerung Bicentinifcher Colonien in Pedemons. 199
pertinus Mufjatus t) der Abt von St. Yuftina, die, wie es hieß,
Eurtarodulum zu Hülfe ausgerüdt waren. Erſchreckt ließ Canis
jeine Beute im Stich und fam fliehend nad) Bicenza.
12. Berheerung Bicentinifher Colonien in
Pedemond Sofort beſchloſſen die Paduaner Canis, der, wie
fie merkten, ihnen nicht gewachlen war, zu verfolgen. Nachdem fie
ſich erholt hatten, rüdten fie um dieſelbe Zeit, Anfang Auguft,
nebft dem trefflichen Vecelus de Camino, ihrem Mitbürger und
Bundesgenofjen, mit großer Streitmacht abermals in das Gebiet
von Vicenza, führten ihr Heer und den begleitenden Troß durch Den
Pag von Sanfredulum in die reihe Landſchaft und ſchlugen ihr
Lager in Sandricum?) und Lupia auf, da fie ihr Heer wegen
feiner Stärke theilen mußten. Am näcften Morgen legten jie
diefe Orte in Aſche, verbrannten und braden die Burg von
Monticulus de Precaleino ?) mit allen Nebengebäuden, fchlugen
ihr Lager bei Villa Verla *) auf, und act Tage lang fand das
Beutemachen und Bermwüften fein Ende. Bon den der Stadt be-
nachbarten vicentinifchen Velten der das Thal von Drifinum ?) ein-
ſchließenden Gebirgsfetten an, weftlich das Thal von Logevre 6) ent—
lang von Ecledum”) bis ing Gebiet von Baſſianum hinein blieb
nichts in Pedemons übrig, jondern alles fiel dem Feuer und dem
Schwerte zum Opfer und die ganze Einmohnerfchaft wurde ge-
fangen und befiegt, ſoweit die Gipfel der Berge ihnen nicht Nettung
gewährten. Kaum vermochte ſelbſt Cantsgrandis die Vorftädte
zu vertheidigen, als die Paduaner ihre Schlachtreihen unter dem
Schall der Zinfen und Trompeten an die Wälle heranführten, die—
jelben angriffen uud Canis ſelbſt durch Schmähungen und Schimpf-
reden zum Kampfe herausforberten. Von dort zogen fie Durch die
meite Ebene nad Citadella und fehrten dann im Monat Sep-
tember vefjelben Jahres nad) Pabua zurüd.
1) Der Bruder des Verfaſſers. — 2) j. Sondrigo, links vom Aftino; Lupia wenig
ſüdlicher. — 3) j. Montechio Precalcino, am rechten Ufer des Aftino. — 4) Weftlih von
Montechio Precalcino. — 5) j. Triffino am Ayno. — 6) Andere Handſchriften leſen
Legoure. Die Oertlichkeit ift auf den Karten nicht ausfindig zu machen. — 7) D. i.
Schio, an der Stelle, wo die Strafe von Picenza nad) Rovereto das Gebirge betritt.
1312
Aug.
Sept
1312
März
April
Achtes Bud).
Die Nadywelt welche diefe Zeilen liest, möge meiner Bitte
die Verzeihung nicht verjagen, wenn ich im Folgenden die Thaten
unjere8 Kaiſers, welche fich meiner eigenen Beobachtung entziehen,
weniger genau darftellen werde, obwohl id e8 an Eifer nicht habe
fehlen laſſen, um mit Hilfe von Boten und durch Berichte von
Freunden und Fremden Nachrichten einzuziehen. Deswegen möge
wenigſtens die Gewiſſenhaftigkeit, mit der ich eifrig darauf bedacht
war die Wahrheit zu ergründen, einige Anerkennung finden. Habe
ich "aber Vorwürfe verdient, fo habe ich Lieber mich wegen Aus-
lafjungen, al8 wegen unlauterer Berichte tadeln laſſen wollen.
1. Der König verläßt Genua; fein Aufenthalt
in Piſa. Nachdem der König mit ftattlicher Flotte Genua ver=
laſſen hatte, mußte ev wegen eines gewaltigen Sturmes gegen vierzig
Tage!) in Portus Beneris ?) liegen bleiben; von dort gelangte
er nah Piſa, wo durch die von allen Seiten herbeiftrömenden
Toskaner, Romandiolen und die übrigen, welche unter den Namen
der Weißen ?) und der Shibellinen der Sache des Kaiſerthums
in Italien anhingen, jein Hoflager anfchwoll. Zwei Monate hin=
durd, März und April, des Jahres nach der Geburt des Herrn
1312, blieb der König in Piſa und verhandelte und erprobte
1) Da Seinrih am 16. Febr. Genua verließ und am 6. März bereits in Pifa ein=
traf, jo hielt ihn der Sturm nicht vierzig, fondern höchſtens achtzehn Tage auf. —
2) j. Porto Benere, an der Riviera di Levante. — 3) Pal. unten Kap. 8 fowie die Ein—
leitung. — 4) BiS zum 23. April 1312.
;
4
N NR WAREN BR FE HEEENE
Einzug des Königs in die Stadt. 201
innerhalb dieſes Zeitraumes vielerlei, in Piſa jelbft wie auch
außerhalb diefer Stadt, namentlich im Innern von Nom und an
ven Küften. Nachdem er aber, jomeit ex e8 vermochte, das Nöthige
vollbracht hatte, eilte er, wegen der Lage der Parteien im Nom
mit den weitgehendften Hoffnungen erfüllt, in aller Stille mit ges
vinger Begleitung, Tag und Nacht marjchterend, über Plombinum
und durd die Maritima nach PViterbium, wo er am erften Mat
bei Sonnenuntergang ankam und von dem Präfeften von Nom!)
und dem Grafen von Anguillaria freudig aufgenommen ward Die
Cardinäle mit den übrigen Begleitern folgten ihm, durch die große
Schnelligkeit und die Beſchwerden des Weges ermattet. Damit er
dann den fogenannten Pond Molis?) welchen, wie der König ers
fahren, Johann, der Bruder König Nobertd von Apulien zu be=
jegen beichlofien hatte, jelbft vorwegnähme, machte er einen nächt=
lichen Eilmarſch und jandte, ohne den Pandulfus de Sabellis,
welchen er vorausgefchit hatte, um mit dem erwähnten Johann
über einen Vergleich zu verhandeln, abzuwarten, ohne Aufenthalt
jobald er an die Stadt herangefommen war, eine Abtherlung
feiner Truppen über den Pond Molis in die Stadt. Aus einem
hölzernen Thurme jedoch der ſeitwärts der Brüde errichtet war,
dem fogenannten Tripizo, wurden die Truppen mit Pfeilichüfien
überſchüttet 3) und viele Pferde ſowie einige Menſchen bei der Ueber-
Ihreitung der Brücke getödtet.
2. Einzug des Königs in die Stadt. Inzwiſchen
zog der König an einen gevedten Ort außerhalb der Stadt und
traf in Gemeinjchaft mit den Columna in der Stadt zu einem
angemefjeneren Einzug Vorbereitungen, da er es hochſinnig durchaus
nit über fi) gewann, feinen Einzug in der Stille zu bewerf-
ftelligen, ſich vielmehr erforderlichen Falls mit dem Schwerte
1) Manfredo del Vico. — 2) j. Ponte molle; der urjprünglide Name ift Pons
Mulvius. Die Brücke liegt an der Via Flaminina, nördlid) vor der Stadt. — 3) Näm—
lid von den Truppen der Orfini, welche mit dem Prinzen Sohann vereinigt, Trastevere
ſowie die Leoftadt mit der Petersfiche und der Engelsburg, außerdem die bebölfertiten
Quartiere am Yinfen Ufer des Tiber beherrfchten; die Gegenpartei der Colonna und der
faiferlihe Anhang behauptete ſich dagegen in den ſüdlichen und öftlihen Stadttheilen-
1312
Mai ©
202 Achtes Buch,
1312 den Weg zubahnen entfehloffen war. Während er nun vom Sonnabend
Mais den ſechſten Mat bis zum folgenden Sonntag fi hier aufhielt,
Mai 7 famen am frühen Morgen des genannten Sonntags unter Boran-
tritt der Columna Schaaren der Nümer mit einer unzähligen
Menge Bolfes, namlich won der Partei des Kaiſerthums, aus der
Stadt unter lauten Freudenbezeigungen ihm entgegen, führten ihn
unter dem Geſang der Geiftlichkeit durd) die von den Columna
behaupteten Straßen und wieſen ihm den päpftlihen Palaft des
Lateran ?) zur Wohnung an. Seine Vertrauten und Genofjen deutſcher
und franzöfiiher Zunge zählten damals nod etwa fiebenhundert
Lanzen ?); von den Weißen Tusciens und den Ghibellinen folgten
ihm dreihundert Neiter; ferner gaben ihm der Graf von Sancta
Flora mit Hundertundfünfzig, der Graf von Anguillaria, der
Schwiegerfohn des Stephanus de Columna, mit hundert, Corradus
von Antiodhta ?) mit fünfzig Reiſigen das Geleit. Als fih nun
der König in Rom ſah, war er geſonnen alles zu werfuchen, ehe
er ſich mit König Robert von Apulien in offnen Krieg einlieke,
und juchte deſſen Geſinnung zu erforichen, obwohl er bereit nad)
Apulien zu dem Könige felbft Johann von Juſtiga und einen
Predigermönch vorausgelandt hatte, mit dem Auftrag Nobert jolle
dem römiſchen Könige zum Empfang der Krone behilflich fein und
nichts Feindliches unternehmen und planen. Und da ſowohl die alte
Sitte als auch die Beftimmungen der Urkunden des Bapftes es mit
fi) brachten und verlangten, daß die Krönung in der Kirche der
Apoftelfürften Petrus und Paulus ftattfinde, jo ließ der” König
die Häupter des alten und erlaudten Geſchlechtes der Urſini
darum angehen und erſuchen. Die Boten des Herrichers aber
berichteten, daß fie troß lange fortgejegter Bemühungen nichts
erreiht hätten außer dem Beſcheid: Alles hänge Lediglich vom
Willen König Roberts ab, diefer habe hierüber zu entſcheiden, ob
1) Im Südoſten der Stadt. — 2) In Genua war der König dur Herzog Rudolf
von Baiern, welcher aus Deutichland fommend zu ihm ftieß, verftärft worden. — 3) Ein
Nachkomme Kaifer Friedrichs II. und deſſen Nebengemahlin Mathilde von Antiodhien.
Erſtürmung des Tripizo. 203
er wolle, ob er nicht wolle; an ihn möchten fie fich Daher wenden ;
fie jelbft hätten über Das, was jene erbäten, nicht zu verfügen.
3. Erftürmung des Tripizo. Der Schmad) eingedenf,
welche er beim Paſſieren des Tripizo erlitten, befahl der König den
Thurm zu erobern, umlagerte denjelben und Tegte rings herum
feine Poften, die, mit Schleudermajchinen und anderen Vorrichtungen
die dazır dienen Eonnten das Vorwerk, welches aus Holz war, zu
zerftören, verjehen waren. Nachdem er die Beſatzung des Lebens
verfihert hatte, ergab ſich ihm die Vefte am Tage vor Pfingiten,
als ſchon der Abend fich niederſenkte. Und als fid) auf einer freten
Fläche nahe dem Tripizo einige Truppen König Noberts, die der
Beſatzung zu Hilfe kommen wollten, zeigten, entjpann ſich Jofort
ein Gefecht, welchem die Dunkelheit ein Ende machte, nachdem von
jever Seite etwa zehn Mann geblieben waren. Am nächften Tage
fam Jordanus de Columna mit zmweihundertundfünfzig Mann aus
Anagni, Todi und Spoleto dem König zu Hilfe. Um dieſelbe
Zeit kehrten auch die Gejandten des römiſchen Königs, welde in
Apulien bei König Robert geweſen waren, mit Antworten an Prinz
Sohann und die Urfint zurüd. Man überbrachte dem König den
Beſcheid, der dahin lautete, daß Robert entſchloſſen ſei den Er—
wartungen der Treuen Tusciens und der vielgeliebten Lombarden
zu entſprechen, da dies ihr Gehorſam und ihre Verdienſte um ihn
und ſeine Vorgänger erforderten. Vielleicht aber würden, falls
König Philipp von Frankreich geneigt und einverſtanden ſei und
man auch die Zuſtimmung des Papſtes erlangen könne, Ehever—
träge die Gegenſätze abſchwächen und die Kämpfe, welche aller
Wahrſcheinlichkeit nach in Italien bevorſtänden, beilegen, wenn man
nämlich die Tochter des römiſchen Königs dem älteſten Sohne des
erwähnten Robert übergebe und denſelben als Heinrichs Schwieger—
john. dann zum Vikar von Lombardien und Tuscien von Reichs—
wegen beftelle. Dem gegenüber ließ es fich der römiſche König
angelegen fein, die ihm treuen Tuscier und Yombarden, durch deren
Unterſtützung und Ergebenheit und unter deren Führung er große
Thaten vollführt und von den Alpen her den Marſch bi Rom
1312
Mai 13
Mai 14
204 Achtes Buch.
> bewerkſtelligt hatte, zu beſtimmen und zu ermuthigen, daß fie F
allem was der Krieg mit ſich bringen möchte, unverzagt entgegen
traten. Sein nächſter Vorſatz aber war, die Befeftigungen der °
Stadt zu gewinnen und bei Zeiten fefte Punkte einzunehmen, da
er nicht anders dachte als dag, wenn er fih in Kom, dem Haupt
der Welt und dem Mittelpunfte des römiſchen Kaiſerthums, ber
haupte, Die übrigen Lande gleihlam als Glieder ihrem Haupte
folgen würden.
4. Der König lädt die römifhen Großen zum
Mahl und fordert die Auslieferung ihrer Beften.
Auf Antrieb der Seinen und befonderd der Columna berief der
König daher, unter dem Vorwand ein Gaftmahl mit den Römern
begehen zu wollen, die Edlen ohne Untericdied zum Mahl. Viele
von den Angefehenen erjchtenen voller Heiterkeit und Zuverficht,
unter ihnen Annibaldus de Annibaldis, Johannes de Sabello und
Thebaldus de Campofloris, welche, mit den Urfini verſchwägert,
fich bisher dem König nicht angefchloffen, ſondern feine Ankunft zu
verhindern gewünjcht hatten und bei den Unternehmungen feiner
Gegner betheiligt gewejen waren. Der König zeigte fich ihnen und
den Übrigen Gäften, und hatte für jeden ein freundliches Wort;
endlich aber, als das Mahl beendet, die Broden gefammelt und
die Tische entfernt waren, trat er zwifchen die Römer und redete
folgendermaßen:
„Nicht fehlt e8 mir an gutem, vernünftigem Grunde, in
einem Momente von jo großer Tragweite zu euch zu fprechen,
Quiriten, aber fat benimmt mir Staunen und Berwunderung Die
Sprache, wenn id) mir überlege, was mid) aus der hehren Königs—
burg hierhin nad) Italien geführt hat. Denn was war e8 anders
als der Wunſch, das Kaiſerthum, deſſen man ſchon entmöhnt ift,
zu neuem Ölanze zu erheben, auf daß der von den Barbaren faum
noch gefannte Römer der Welt fein Gebot verfünde unter dem
Schild und Namen der faiferlihen Majeftät! Was anders er-
baten häufige Briefe, was anderes eilende Boten gar oftmals, als E
daß ich meinen geliebten Senat, mein römiſches Volk bejuchen,
Der König lädt die römischen Großen zum Mahl ıc. 205
unter feinem Jubel auf das Capitol ziehen follte? Komme ich
als ein gewaltthätiger Einpringling, daß ich von der Schwelle des
Apofteld Petrus zurüdgewiefen werde? Drei Cardinäle, welche der
gütigfte 1), heiligſte Papft von feiner Seite mir geſandt, führe ich
als Zeugen mit mir. Ste find mir Führer und Boten, fie find
die Vollzieher der Gefege, der Vorſchriften des Kanon und der
taiferlichen Verfügungen. An euch wende ich mich alfo, zu euch
vede ih, Quiriten. Bin ich, obwohl geladen, vergebens gekommen,
der Welt zum Geſpött? Ich will in der Traulichfeit dieſes Mah—
les erfahren, welche Wünſche euch bejeelen, was euve geheimen Ab-
fichten find, auf weſſen Unterftügung ich mich verlafjen kann: Dies
erkläre und jage mir jeder einzelne gerade heraus!“
Nach einer ſolchen, kurzen und bündigen Anſprache beftete er
den Bli auf ven Boden und blieb in drohender Haltung ftehen.
Der erlaudte Stephanus de Columna aber beeilte ſich, ſich und
die Seinigen mit Hab und Gut dem Könige zur Verfügung zu
jtellen und versprach, fich allen Geboten defjelben zu unterwerfen,
ſoweit er vermöchte, und jelbft den Tod nicht zu jcheuen, wenn ein
böſes Geſchick venjelben verlangen ſollte. Nicolaus de Comite 2)
erklärte dagegen, er habe als Ehrenſchmuck den Nittergürtel von
König Karl, dem Vater Roberts, empfangen, weswegen ex fich
feft worgefegt Habe, gegen denſelben und gegen deſſen Nachkommen
nicht im Felde zu ftehen ?). Annibaldus wiederum ſowie Thebal-
dus de Campofloris erboten ſich zum Gehorfam gegen die Befehle
des römiſchen Königs in allen Fällen und: jelbft wider alle ihre
Verwandten, jedoch machten fie einzelne Ausnahmen. Der König
ließ diefe Ausnahmen nicht gelten, nahm vielmehr Anftoß daran
und befahl, daß die Erklärungen aller Umftehenden jehriftlich nie—
dergejegt würden. Endlich erlaubte er dem Stephanus und deſſen
Anhang nad) Stellung von Geiſeln fich zu entfernen, die übrigen
1) Clementissimus, Anfpielung auf den Namen des Papftes. — 2) de’ Conti. —
3) Die Ertheilung der Ritterwiirde begründete ein gewiſſes Pietätsverhältnis des Em—
pfängers zum Berleiher diefer Auszeichnung; hier muß dafjelbe allerdings wohl nur al?
Borwand oder Entfhuldigung herhalten.
1312
Mai 21
Mai 22
Mai 25
206 Achtes Bud).
nahm er fejt und behielt fie von einander getrennt bei fi, zwang
den Annibaldus, die Thürme der Milizien!) und feine übrigen
Burgen, den Thurm von Sanct Marcus und das Eoloffeum 2),
ihm auszuliefern uud befahl auch dem Johannes de Sabello, ſo
jehr derſelbe ſich fträubte, die Befeftigungen, melde feine Quar—
tiere 3) und die Umgegend beherrfchten, zu verftärfen, damit diefe
Bollwerke den Urfini den Weg zum Capitol, welches diefelben da—
mals noch innehatten, ſowie zu den Milizien, dem Markusthurme
und dem Colofjeum abjchnitten. Denn durch das Quartier der Sa—
belt führte der Weg zu diefen Feftungen %). Alles geihah, wie
der König befohlen hatte. Um diefelbe Zeit, nämlich am 21. Mai,
murde in der Gegend des Haufes des Stadtfanzlers 5), eines Par-
teigängers der Urfint, von Seiten der Königlichen heftig geftritten,
mober mehrere auf beiven Seiten getöbtet und gefangen genommen
wurden, unter den letteren Pietrus Malabranca, der Neffe des
Kanzlers jelbit, der den Truppen des Baternherzogs in die Hände
fiel. Am nächſten Tage entipann fich ein noch bedeutenderes Treffen
nahe den Quartieren des Riciardus Petri de Annibaldis 6), wobei
viele ihr Leben verloren oder verwundet wurden, während die Ur-
fint bis an die nächſtgelegenen Paläfte der Colonna vordrangen.
An Diefem Tage fiel der Graf von Biferno mit vielen Genoffen
ın Gefangenſchaft, jeine Häufer aber nebft deren Befeftigungsthurm
wurden auf Befehl des Königs zerftört und gänzlid) nievergebrannt.
Am 25. Mat aber, das Heißt am achten wor den Kalenden des
Juni ?), ergab ſich das Capitol, von jeglicher Unterftügung feitens
der Urfint abgejchnitten, dem Künig.
1) Hier nahm der König felbft in der Folge feine Wohnung. — 2) Alle drei Beften
in der Nähe des Capitols. — 3) Das Quartier der Savelli lag im Weften der Stadt
Trastevere gegenüber, zwiſchen Aventin und Capitolin. — 4) Nämlid von dem feind-
lichen Zrastevere aus. — 5) Im Biertel der Minerva am Fuß des Capitols. —
6) Rizzardo di Pietro degli Annibaldeshi. — 7) Der römische Kalender, nach welchem
Muffato mit Vorliebe die Tages-Daten ausdrict, zählt bekanntlich die Tage nad
ihrem Abjtand von den drei Hauptabihnitten des Monats, den Kalenden Nonen und
Iden. Hier giebt Muffato die doppelte Datirung vigesimo maji die, octavo seilicet
Kalendas junii, von welchen Angaben natiirlih eine falſch fein muß, und zwar ift dies
ohne Zmeifel die erfte, da oben im Kapitel fchon von dem 21. Mai (XII Kal. junii) die
Rede war.
Tod des Biſchofs von Lüttich ꝛc. 307
5. Zod des Biſchofs von Lüttich und mehrerer 1312
Fürften des Königs in der Stadt. In der Folge bramı-
ten die Parteien nad) größeren Thaten und auf beiden Geiten
wuchs Die Erbitterung. Durch die Erfolge der vorhergehenden
Tage aufgeftachelt, machten daher die Schaaren des römiſchen Kö—
nigs, deren Verwegenhett zugenommen hatte, am 26. Mai!) einen Mai 26
Angriff auf die Verſchanzungen des Laurenzius Johannis Statit,
als die Sonne fid) bereit3 der dritten Stunde näherte). Diejer
Johannis, ein edler Römer, war für die Partei der Urſini über-
aus thätig. Er eilte zur DVertheidigung der Schanzen herbei, fiel
aber gleich im Beginn des Kampfes tödtlicd verwundet zu Boden;
die Befeftigungen wurden durchbrochen und die Steger ergofjen fich
über die Quartiere der Urfini, wo auch der Palaft des erlauchten
Gentilis de Urfinis ftand, welchen die Deutichen, Franzojen und
die übrigen Kriegsvölker des Cäfar unter vielem Morden gänzlich
ausplünderten und verheerten. Die Häupter der Gegenparter, Jo—
hann, der Bruder König Robert, mit den Römern und Toska—
nern, waren um bdiefelbe Zeit in der Engelöburg zu einer Bera-
thung zufammengetreten. Als fie aber das dumpfe Geräuſch der
einftürzenden Häufer und das Kampfgeichrei vernahmen, griffen fie
jofort zu den Waffen, führten ihre Schaaren geraded Weges in
das von den Gegnern eingenommene Quartier und machten auf
die Deutjchen, welche auf Beute bedacht waren und, ebenfo wie die
Franzoſen und die übrigen, bereits im Webermuthe des Siege -
glaubten, daß fie ſich Alles erlauben dürften, einen Angriff. Da
erlitten die Königlichen im Gemetzel große Verlufte und mußten
fi) zur Flucht menden, von den Gegnern, die unabläfjig auf die
Fliehenden einhieben, verfolgt. Einige wurden, dur ihren Raub
beichwert, noch inmitten des feindlichen Stadttheils getödtet. So
wurden die Freunde und Helfer des Cäſar an jenem Tage zer=
ftreut und bis zu den Quartieren der Columna zurüdgemworfen.
Auf den Straßen fand man hundertundfünfzig Yeichen, unter den—
1) Der Tert hat fälſchlich VII Kal. julias, ftatt VII Kal. junias. — 2) Etwa
um 9 Uhr Vormittags.
DD
208 Achtes Bud.
jelben den hocherlauchten !) Biſchof von Yüttih, des Grafen von
Bar Bruder, Peter von Savoyen, einen Bruder des Senatord Lud—
wig, den Abt von Weißenburg ?2), Robert von Flandern 3) umd
mehrere andere hochadlige Männer aus der Umgebung des Königs,
Deutſche wie auch Bundesgenofjen Lateinischen Blutes. Das Ban—
ner des Königs, das von Savoyen und das von Flandern fielen
den Gegnern in die Hände und murben als Schauftüde in das
befreundete Florenz gefandt. AS Nicolaus de Bonfignoribus aus
Siena, melcher damals als Stellvertreter des Grafen Ludwig von
Savoyen jeinen Sit auf dem Capitol genommen hatte, von dieſem
Treffen erfuhr, ließ er, zornentbrannt und glühend von Kampfes-
luft, von allen Kirchthürmen herab zum Kampfe blaſen und berief
das römische Volk durch den Heroldsruf; und fofort erſcholl die
Stadt überall von Waffengeflivr, von Geheul und Gefchrei und
von dem Geräufch der einftürzenden Häufer, während die Bewaff-
neten in hellen Haufen bei den Schanzen aufeinander trafen. Und
an diefem Tage kamen im offenen Kampfe der PBarteien politiiche
Feindſchaft und Familienhaß gleihmäßig zum Austrag.
6. Abnahme der Macht des Königs in der Stadt.
Während der Sieg fi mehr und mehr auf die Seite der Urfini
neigte und das Gerücht dies in die Deffentlichkeit brachte, ließen
die Anhänger des Königs und die Eiferer für die Küönigähoheit,
von Ueberdruß ergriffen, ermattet, verwundet, ab und fehrten in
‚ihre Wohnungen beim, nachdem bei den Kämpfen in den Straßen
und Winkeln der Stadt viele getödtet und fogar Stephanus Co-
lumna am Schienbein ſchwer verwundet worden war. Don nun
an wagten fi) die Füniglichen Truppen, niedergejchlagen und un-
geordnet, nicht mehr zu den Schanzen vor und verzweifelten daran,
jemals wieder zu SKräften zu kommen; auch verminderte der Tod
des Biſchofs von Lüttih) und der erlaudten Ylandrer die Macht
des Königs nicht wenig, da deren Anhang ſich entmuthigt zerftreute.
1) superillustrissimus. — 2) Mufjato nennt ihn abbas de Nuneimbore. — 3) Falſch!
Vergl. Dönniges Kritik der Quellen fir die Gefchichte Heinrichs VII. des Luremburgers
(Berlin 1841) ©. 54,
Abnahme der Macht des Königs in der Stadt. 2309
Nur der Bräfeft der Stadt, die Grafen von Anguillaria und
Sancta Flora, wenngleich auch fie durch den Kampf gelitten hatten,
blieben, während die Mannjchaften aus Spoleto Todi Narni und
die übrigen dem römiſchen König ergebenen Kriegsvölker nebft der
Mannſchaft des Corradus von Antiochia ſich in ihre Heimath zer=
fireuten. Während der König fid) in folder Noth und Bedräng—
nis befand, kamen ihm aud aus Piſa, wohin er fi mit dem
Auftrag gewandt Hatte, ihm zu erjprießlicher Unterftügung fünf-
hundert Bogenfhügen zur See nad) Nom zu Ichaffen, ſchlimme
Nachrichten zu, des Inhalts, daß, als jene bereits zu dem genannten
Zweck mit jieben Galeeren von Portus Pifanus aus unter dem
Befehl des Admirals Vani Mascha unter Segel gegangen jeien,
Raynerius de Grimaldis, der Admiral König Aoberts von Apulien,
der durch vorausgefandte Späher über das pifanifche Unternehmen
unterrichtet worden, nad) ſchleuniger Fahrt jene Galeeren, die fich
deffen nicht verſahen, angegriffen und zerftreut, von der Bemannung
viele im Kampfe getödtet, die übrigen mit den Schiffen und den
geſammten Bogenjchüsen zu jenem König nad) Neapel gebradit
habe. Als der Cäſar feine Macht dahinfchwinden Jah und wahr:
nahm wie der unfterblihe Gott und das Gejchie ſelbſt dergeftalt
ihn beugten, bejchloß er, in fich jelbft verjunfen, in edler Negung,
da e8 ihm an Zeit gebrach fich der Stadt zu bemächtigen und
feine zwingende Nothwendigkeit dazu für ihn vorhanden war, ſein
Augenmerk nur auf die Krönung zu richten und die Jonjtigen hohen
und niederen Ehren ein andere8 Mal entgegen zu nehmen, da er
die Hoffnung, daß befjere und glüdlichere Tage wiederfehren und
Gott ihm wieder günftig fein würde, im Herzen nicht aufgab,
jondern vielmehr mit Sicherheit erwartete daß ihm einft wieder
Erfolge zu Theil werden würden. Er fandte daher Boten zu
Iohann, dem Bruder Roberts, und zu den Urfint mit der Bitte,
fie mödten ihm die Kirche des Apoftelfürften einräumen, damit er
dort der päpftlichen Verfügung gemäß, welche jene Kirche zu der
Feier im Voraus beftimmt habe, die Krone empfange. Doc) erreichte
er durch diefe Mäßigung den Feinden gegenüber feinen Wunſch nicht,
Geſchichtſchreiber. Lg. 67. Leben Heinrihs VII. 14
1312
310 Achtes Bud.
2 da er die Antwort erhielt, daS hänge von der Zuſtimmung König
Kobertd ab. Diefe Zuftimmung aber erwartete er lange vergebens
und fonnte diejelbe auf keine Weife erlangen, obwohl er wiederholt
zu König Robert Geſandte, Geiftliche wie Weltliche abſchickte. Von
Kobert aber kam feine andere Antwort, als: man möge ihn er=
warten und bis dahın alle8 und jedes verjchieben. Er veriprad
dann freilich immer aufs neue, Tag für Tag fich eilends auf den
Weg zu machen, hielt aber nie die angegebenen Friften inne und
machte durch dieſe Zögerung jelbft die Tuscier und die Guelfen
Italiens nicht nur überdrüffig und unmuthig, Jondern hielt fie auch
durch vielverheißende, trügeriſche Vorſpiegelungen hin, ſodaß fie ihn
träge und läſſig ſchalten und den Namen des weibiſchen Fürften,
Kobert, in „König Berta” ) wandelten und ihn jo gemeiniglich
ſchmähten. Andere freilich urtheilten abweichend. Manche freuten
aus, das Königreich Apulien fer in fich felbft gefpalten und merbe
durch Die Umtriebe zahlreicher Parteiungen erjchüttert, e8 gebe dort
eine große Zahl von Männern, die dem Namen und der Herr-
ihaft des Reichs wol Eifer zugethan feien; die Franzoſen dagegen
ſeien den Apulien faum weniger ald den Siciliern verhaßt; der
eine wünjche dies, der andere jenes, ja, im Verborgenen preije man
verftohlen die Thaten des ehemaligen Kaiſers Friedrich 2). Des-
halb wage der umfichtige König nicht Apulien zu verlafien, und «8
genüge ihm völlig, jofern er nur dem Cäſar furchtbar erjcheine, fich
in feinem Reiche zu halten. Außerdem müſſe er große Beforgnis
vor Friedrih, dem Beherricher Siciliens, hegen, der fid) niemald
den Wünſchen der Franzoſen geneigt zeige, und, wie man wilje,
fi) mit dem römiſchen König durch ein gewaltige Bündnis ver
eint babe. Dieſes und anderes habe König Robert jo lange ab-
gehalten nah Rom zu kommen.
7. Berhandlungen in Betreff der Krönung in
Rom und die Krönung jelbft. Nach diefen Verſuchen ftand
1) Mit Anfpielung auf den italienifhen Ausdruck dar la berta, berteggiare, jeman—⸗
den zum beften haben. — 2) Friedrich II, der bekanntlich feinen unteritaliihen Staaten
feine Sorgfalt in befonderem Maße angedeihen Tief.
Berhandlungen in Betreff der Krönung in Rom x. 211
der Kaiſer von jenem Vorſatze ab und verlangte von ten Car—
dinälen, daß fie ihn im Lateran krönen follten. Als jene behaup-
teten, es jet Unrecht von der Satzung und den Erlaſſen des Papftes
abzugeben, und ſowohl den Wortlaut der Briefe als auch die alt:
hergebrachte Sitte!) für fi anführten, erwiderte der König feiner-
jeits, das Gejeg müfje der Noth weichen und die Macht ver ge-
heiligten Seftfegungen der Macht der Thatſachen nachgeben, da e8
an ihm nicht liege, der vielmehr al3 ein Sendling des Papſtes
gen Rom gezogen jet um hier die Kaiferfrone zu empfangen; fie
möchten daher die wahre und gerechte Sache fördern; e8 fünne ja
auch nicht zweifelhaft jein, daß der Papft binterdrein die vollzogene
Handlung billigen und beftätigen würde, auch wenn bei der Aus:
führung eines fo bedeutenden Unternehmens irgend etwas Anftößiges
mit untergelaufen fein jollte. ALS aber die Cardinäle ihm nicht
zuftimmten, berief der König das römiſche Volk, foweit dasſelbe
jeine Partei hielt, zur Verſammlung, feste demfelben die Schmwierig-
feiten der Sachlage auseinander und bat, ihm zu rathen, mas er
thun ſolle. Auf diefe Weife erlangte der König einen Volksbeſchluß,
der dahin Yautete, die Cardinäle follten auf die Bitte und den
Rath des römijchen Gemeinweſens ihm die Krone ertheilen; wei—
gerten fie fi, jo jollten fie Durch die Tribunen und das römiſche
Volk gezwungen werden. Als die Cardinäle immer noch wider:
jtrebten, wurben die Römer erbittert und entbrannten gegen jene;
da, als ſchon die Wuth des Volkes zum Ausbruch gefommen
war, theilten die Cardinäle dem König, der in den Milizten refidirte,
mit, fie hätten dem Papfte über den Thatbeſtand berichtet und er—
warteten bi8 zum erften Juli die Antwort; die faiferlihe Majeftät
aber möge den Erwägungen und Einrichtungen der hochheiligen
Kirche ſich in Geduld fügen, jo werde alles aufs beſte ausfallen.
Beionnen beruhigte fid) der König und gab ſich mit ihren Worten
zufrieden, beichwichtigte aud) das verfammelte Volk und entließ es.
Da aber inzwiichen den zahlreihen Mannſchaften die Mittel aus-
1) Bis dahin hatten die Kaiferfrönungen ohne Ausnahme zu St. Peter ftatt-
gefunden.
14*
1312
212 Achtes Bud).
1312 gingen und auch der königliche Schag erſchöpft war, jo legte der
König eine Steuer auf die Römer; doch erregte ſchon der Erlaß
dieſes Edikts das ungeftüme DVolf, ohne daß es weiterer Auf:
wiegelung bedurfte, zu aufrühreriichem Benehmen, und der Befehl
blieb wirkungslos; allein die Juden, die an beiden Ufern des
Jun. 2s Tiber wohnten, gehorchten. ALS daher die Vigilie des Feſtes des
Apoftelfürften 2) heranfam, begab fich der König früh Morgens
vom Balafte der Milizien aus mit großem Gefolge auf ven
Sun. 29 Aventin 2); von dort 309 er, jobald der folgende Tag, der Feſttag
jelbft, anbrady, von den Bürgern und den Fürften feines Anhangs
geleitet, in den Yateran, wo eine feierliche Meſſe ftattfand, nad)
welcher die Cardinäle, nämlich der Legat?) und Lucas de Flisco,
doch mit der Erflärung, daß fie ed nicht freiwillig thäten, jondern
gezwungen dem Drängen des Volkes und des Königs nachgäben,
auf das Haupt des letzteren die goldene Krone ſetzten unter dem
Jubel der Geiftlichkeit und der Römer, welche mit lauter Stimme
dem erhabenen Katjer Heinrich, allezeit Mehrer des Reichs, Leben
und Sieg wünſchten. Darauf führte man den Kaiſer nad) dem
Aventin zurück, zum bereitftehenden feftlihen Schmaufe mit den
Edlen und dem Volke, im Jahre unfere8 Herren Jeſu Chriſti 1312,
Sun.29 am 29. Juni. %). Aber das jo feftliche und herrliche Mahl ver:
lief nicht ohne Beläftigungen durch die Widerſacher. Auf die Spige
des Aventin nämlich hatten dieſe Schleuderer und Schügen gejandt,
welche die um den Thronſeſſel gelagerten durch ihre Pfeile beun-
rubigten, Jodaß man, nachdem einige Berwundungen erfolgt waren,
fi) gezwungen ſah, jene Zuflucht zu fichereren Räumen unter Der
Dedung fefter Mauern zu nehmen. Auch Shmähten jene und höhnten
den König unter lautem Gejchrei, diefer aber kümmerte ſich hoch—
finnig nicht im Geringften um ihr Gebahren und ließ fein Zeichen
von Unruhe bliden.
1) D. h. des Peter-Paulstages, 29. Juni; mit Bigilie bezeichnete man den Tag vor
einem Fefte; es ift alfo der 28. Juni gemeint. — 2) Im Südoſten der Stadt auf dem
linfen Tiberufer. — 3) D. i. der Cardinal von Oſtia. — 4) Statt Kal. Julii ift wohl
beffer zu leſen III Kal. Julii.
Der Kaijer verläßt Rom umd zieht nach Tivoli. 2313
Inzwiſchen gelang es ven vorerwähnten Annibaldus und
Johannes de Sabellis, welche der Kaiſer in Haft behalten hatte,
durch die Nachläſſigkeit der Wächter aus ihrem Gewahrſam zu
entkommen, heimlich aus dem Palaſt auf die Straße zu gelangen
und durch die Vororte der Stadt ihre Burgen, welche etwa zwei
Miglien von Rom entfernt waren, zu erreichen. Sofort nahmen
ſie eine große Zahl der dem Kaiſer feindlichen Ritter König Roberts
in dieſe Burgen auf und eröffneten die Feindſeligkeiten gegen den
Kaiſer. Dergeſtalt begannen ſie Plünderung, Raub und Brand und
jegliche Feindſeligket an den Thoren Rom's ſelbſt, und, auf daß
kein Uebel, welches herbeizuführen in ihrer Macht ſtand, fehle,
ſtauten fie einen dem Tiber zuſtrömenden Fluß !), aus dem das
Heer des Kaiſers ſich mit Waller verjorgte, und zerftörten die
Mühlen, melde das den Truppen zugeführte Getreide mahlten.
Wenn die Kaiſerlichen aber fich zum Tiber wandten, um dorther
das Waller zu nehmen, jo trieben die Schüten König Roberts fie
von den Zugängen zum Fluſſe fort.
8. Der Kaiſerverläßt Romundziehtnad Tivoli.
In diefer Bedrängnis vermochte fich der Kaifer kaum in der Stadt
zu erhalten, da ihm die Lebensmittel entzogen waren. Um aber
für feinen Abzug einen ehrenvollen und haltbaren Vorwand zu
haben, beichloß er die erwähnten Edlen zur Rechenschaft zu ziehen,
um fie, falls fie fich nicht ftellten, in aller Form Rechtens für
Hochverräther erklären zu laſſen. Unter dem Scheine, die Wider:
Ipenftigen befriegen zu wollen, gedachte er dann die Stadt zu räumen.
Er traf alſo alle Vorbereitungen, um mit bewaffneter Macht ihre
Burgen anzugreifen und ſchlug dann, ohne Wilfen der Gegner,
den Weg nad) Tibur ?) ein. Diefe Stadt iſt etwa achtzehn Miglien
von Rom entfernt. Dem römiſchen Gemeinwejen unterthänig, ftand
fie auf Seite der Columna und war dem Kaijer zugethan. Diejer
1) Die Marana (oder Maranella), die, bei Grotta Ferrata entfpringend, fi in zwei
Arne theilt, deren einer in den Teverone, der andere nahe bei Rom in den Tiber mün—
det. — 2) j. Tivoli am Teverone (Anio) öftlih von Rom.
1312
214 Achtes Bud.
2 ließ in Rom eine Befasung von dreifundert Kittern unter einem
Oberbefehlshaber t) zurüd, um die Ufer, Straßen und Verfhanzungen
der Columna zu befehirmen, machte die Paläfte des Annibaldus
und 28 Johannes de Sabello nebft dem Mareusthurme dem
Boden gleich, verließ bei Sonnenaufgang Nom und wandte fich
Zuti 20 gerades Weges nach Tibur. Died gefhah am 20. Juli. Als er
Suli
dort etwa bier Tage verweilt hatte, verließen ihn von den Fürften
jeiner Umgebung der Herzog von Baiern, der Delphin von Vienna,
defjen Bruder Hugo, und der Herr von Fortiniacum mit etwa vier
hundert Rittern, durd) die allgemeine Nothlage jowie durch Mangel
bewogen, mit Erlaubnis des Kaiſers und mit Geleitöbriefen ver-
jehen, welche ihnen Johann, der Bruder König Roberts gefällig
ausgeftellt hatte, und zogen in fchnellen und weiten Tagesmärichen
nad) DViterbo ?). Hierdurch geſchwächt, hielt fi) das Hoflager in
den Mauern von Tibur, jo gut e8 eben ging, mit nur noch etwa
neunhundert Kittern. Zu Johann dagegen, dem Bruder König
Koberts, ftrömten überallher aus Toskana, Bologna, Apulien und
den Ländern des Patrimontum Schaaren von Rittern und Fuß—
wolf nad) Rom herbei, wo bereit8 etwa dreitauſend Ritter nebft
zahllofem Fußvolk verfammelt waren. Nicht weniger Sorge be -
veiteten die erwähnten Annibaldus und Johannes dem Kaifer, dem
fie unaufhörlih Schaden zufügten, indem fie bis zu den Thoren
von Tibur vordrangen und den römiſchen König mit Schimpfreden
zum Kampfe herauszuloden ſuchten. — Um diejelbe Zeit, gegen
Ende des Juli, brachte man dem Legaten ein Schreiben des Papftes,
des Inhalts, daß ſowohl der Kaiſer als König Robert mit allen
Truppen Rom verlaffen follten, worauf, wenn alles friedlich bei=
gelegt ei, der Papft jelbft nad) Rom kommen wolle. Died wurde
durch Herolde in Kom und Tibur laut auögerufen. Der Kaifer
aber, mit allen feinen Truppen in Tibur eingeengt und geſchwächt,
ohne Hoffnung Nom zu gewinnen, richtete fein Augenmerk auf
1) Heinrich) von Flandern; auf dem Capitol blieb Johann von Sapigney, ebenfalls
ein Flanderer, zurüd. — 2) Von hier fehrten fie dann nad) Deutichland zurück.
Der Kaifer verläßt Rom umd zieht nad) Tivoli. 215
andere Unternehmungen, von denen er ſich größere Erfolge veriprad).
Er beſchloß nämlich auf den Kath und das Drängen ver Bor:
nehmen Etruriend, welche eine alteingewurzelte Sehnſucht trieb ihre
Heimath wieder aufzuſuchen und zu betreten, in befreundete Gegen—
den zurüdzufehren, in der Erwägung, dag, falls günftigere Ereig-
nifje ihm Toskana gewännen, dort, gleihlam im Mittelpunfte
Italiens in der pafjendften Lage, der künftige Kaiſerſitz des Yandes
fein ſollte. Da er wußte, daß in diefer Provinz Florenz, welches
von feinem Zuftand jeinen Namen empfangen zu haben jchien !),
den übrigen Städten und Ortichaften wegen feiner ungemeinen
Größe überlegen und gleihjam das Haupt Toskana's fer, jo waren
mande Gründe vorhanden, die e8 ihm wünjchenswerth ericheinen
ließen diefe Stadt zu unterwerfen, ein Plan, welcher einem könig—
lichen Sinne wohl verlodend ericheinen konnte. Auch fehlte es
nicht an Umftänden, welche einem jolcyen Unternehmen Erfolg zu
verheigen ſchienen. Es gab hier uralte Anhänger der Ghibellinen-
partei, die das Kaiſerthum wie ein himmliſches Zeichen verehrten ;
e8 gab Hier Weiße, eine erft neuerdings aufgefommene Parteı,
welche, aus den Guelfen erwachlen und urfprünglich deren Factions—
genofien, in Folge innerer Zwieſpalte ſich von ihnen getrennt
hatte und, mit den Ghibellinen vereint, die Guelfen auf jede Art
bis zur Vernichtung befämpfte. Von ihnen war freilich ein großer
Theil aus der Stadt verjagt worden ?). Den Namen der Weißen
hatten fie urfprünglich von den Einwohnern von Piltoja erhalten,
welche die Guelfen Schwarze ſchimpften; dieſe Bezeichnungen aber
verbreiteten fich durch Italien und famen zu allgemeinerer Geltung?).
Diefe Factionen hingen dem Kaiſer und dem Reiche an, und Jo hatten
in den Städten die Parteiungen und Spaltungen zugenommen und
alle Verhältniffe zerſetzt. Denn wie überall im Leben der Staaten,
jo gingen auch hier ſolche Parteiumtriebe von der einflußlojen
Menge aus und richteten fic) gegen die Mächtigen; hierauf zielt
1) Florentia von florere blühen. — 2) Pal. die Einleitung. — 3) Wenigitens in
Toskana.
je
312
1312
216 Achtes Bud).
der allgemein menſchliche Trieb ab, der den Untergeordneten den
Wunſch nad Ummälzungen eingiebt. Außerdem wurden diejenigen,
deren Angehörige in der Verbannung ſchmachteten, von der Natur
jelbft gedrängt, von den Banden des Blutes aufgeftachelt und auf-
ſäſſig gemacht, fintemal ein Jeder die Rückkehr der Seinigen in
die Heimath wünſcht. Der Kaifer aber ſah fehr mohl ein, daß
wenn er erſt Tuscien gewonnen, die Lombarden nicht in der Lage
jein würden ſich feiner zu erwehren, weil hier feine Anhänger die
mächtigen Städte größtentheil® befaßen, und daß ihm dann von
Tibur bis zu den Thoren von Deutfchland der Weg offen ftehen
werde.
Um diefe Zeit herrſchte in Ferrara, ſeitdem die Venetianer,
melde nad) dem Tode des herrlichen Markgrafen Azzo von Eite
das Land eingenommen, vertrieben waren !), Dalmafius, ein Mann
von Catalaniſcher Herkunft, als Präfeft des Papſtes Clemens.
Diefer war urfprünglich ein Kriegshäuptling, ein überaus Eriegerifcher
Mann, der von vielen Italifern Sold genommen und fein Leben
um Waffenhandwerk hingebracht hatte. In Ferrara lebte auch als
Privatmann der erlauchte Markgraf Franeiscus, ein Bruder Azzo's,
auf den nach defien Tode die Erbanfprüche des väterlichen Haufes
übergegangen waren, und der insgeheim nad der Vorjteherwürde
und der Herrihaft von Ferrara trachtete. So braden zwiſchen
ven beiden Mishelligkeiten aus, und die Eiferfucht, lange kaum be—
merft, ward allmählich von Tag zu Tage hitiger. Endlich nahm
Dalmafius die Gelegenheit wahr, da Zeit und Ort günftig waren,
vertheilte nach wohl überlegtem Plane, als Franciscus in den
Wald auf die Jagd gezogen war, Beſatzungen der Catalanen in
der Stadt, berief Mdobrandinus, den Bruder des Franciscus, und
defien fonftige Anhänger angeblich zu einer Berathung über Staats-
angelegenheiten und hielt fie, um ungeftört das Werf vollbrin-
gen zu können, in Gewahrſam bis zu der Stunde, im ber
man Franciscus zurück erwartete. Als nun bet Sonnenunter-
1) Durch Cardinal Arnald von Pelagrıra, 1309; vgl. ob. Buch 1 Kap. 9.
I
Ermordung des Franz von Eite. 21T
gang diefer mit geringer Begleitung von der Jagd kam, unbe 1312
waffnet, nur daß der Sitte gemäß das Schwert an feiner Seite
hing, meldete man ihm, daß es in der Stadt verdächtig ſei, und
warnte ihn diefelbe zu betreten. Doc ließ Franciseus ſich nicht
einfhüchtern, ſondern verficherte, er habe nicht Böſes verſchuldet
und es Liege fein Grund vor, weöwegen er nicht zuperfichtlich und
unbeirrt einherziehen fünnte. Als er heranfam, ftand das Löwen—
thor offen; ſobald er jedoch eingeritten war, wurde er von dem
Bruder des Dalmafius ſelbſt und deſſen Catalanen umzingelt und
umdrängt. Viele behaupten, man habe im Anfang nur davan ge=
dacht ihn gefangen zu nehmen und ihn nur erfchlagen, weil er die
Hand an den Schwertariff gelegt und die Abficht kundgegeben hätte,
feine Kraft zu gebrauchen und fid) zu vertheidigen, Andere verfichern
dagegen, feine Ermordung fer von vornherein beichloffen gemefen.
Genug, von Lanzen und Dolcftihen- durchbohrt, ſank er jofort zu
Boden. D Schande! ein Mann von jo großer Tüchtigfeit und
aus einem jo herrlichen Haufe! Lange lag der edle Leichnam nadt,
jedem Schimpf ausgelegt, im Kothe, in der eigenen Vaterſtadt,
unbeerdigt, bis einige fromme Leute ſich vorwagten und, nachdem
fie Erlaubnis eingeholt, die Leihe zur Beftattung hinwegführten,
ohne das Gefolge leidtragender Angehörigen. Diefe That, die man
bier jah und von der fi der Auf verbreitete, galt überall in der
Lombardei, in Tosfana und der Mark Trevifo für gar graufam
und verrucht, ſchändlich erjchten der Mord, melchen ein Fremder
vollbracht, dem es wohl am wenigften angeftanden hätte fich ein
fo freies Verbregen zu Schulden kommen zu laſſen. Andere Liegen
fi) dagegen abweichend vernehmen, daß e3 jenem nicht an Grund
gefehlt habe eine Jolche Unthat zu planen und zu vollbringen ; fie
erzählten nämlid in den Wirthöftuben, Franciscus habe heimlich
ven Plan verfolgt den Dalmafius durch feine Trabanten umbringen
zu lafjen, dieſe aber jeien ergriffen und zum Qode verurtheilt
worden, nachdem fie überführt geftanden hätten; ſelbſt dem Papſt
jet das nicht verborgen geblieben und er habe daher feinen Haß
auf Franciscus geworfen. Diefer aber habe ſich um dieſelbe Zeit aber—
918 Achtes Bud.
1312 mals mit feinen Anhängern auf Umtriebe wider Dalmafius in
Ferrara gingelafien und ſomit nur das erlitten, was er jenem
zugeracht. Dies und Anderes wurde in mancherlei Abweichungen
in den Nahbarländern verbreitet und mit vielem fabelhaften Ge—
ſchwätz ausgeftattet. Wer die Sache verftändig beurtheilt, wird
daher jagen müffen, daß ſich nicht ficher ausmachen läßt, wo hier
die Wahrheit Liegt.
Neuntes Bud).
1. Der Kaifer verläßt Tibur und betritt Tu8= ısı2
cien. Nachdem der Kaifer, im Begriff Tuscten mit Krieg zu
überziehen, deswegen vielerlei Erwägungen angeftellt und alles
reiflih überlegt hatte, z0g er jeine Truppen aus Nom herbei,
ordnete fie und verließ dann ohne Aufenthalt Tibur. Bon dort
gelangte er auf weitem, beſchwerlichem Wege nad BViterbo t) und
fiel jodann in das Gebiet von Perugia ein. Da er im voraus
wußte, daß diefe Stadt ihm und den Seinen feindlid) jet, jo er:
laubte er, unter Vermeidung der feften Plätze, den Seinen das
Yandgebiet zu verheeren und ging mit großem Nachdruck vor, um
die übrigen Tuscier in Schreden zu ſetzen, indem er wie em
Raſender mit dem Schwerte dreinſchlug, und fich kämpfend den
Weg bahnte. Ia, die Wuth der Franzofen und Deutjchen ver—
ſchonte nicht die eigenen Anhänger, indem fie ſelbſt die Schlöſſer
und Befitungen der Grafen von Marzano, obwohl diejelben der
Sache des Kaiſers ergeben waren, Ihädigten und beläftigten: ohne
Unterfchted fiel alles dem Feuer und Schwert zum Opfer. So
309 der Raifer unter Berheerungen und Ausjchreitungen feiner
Truppen nad Arezzo, wo er wie ein Bräutigam in feinem Braut-
gemach aufgenommen und von der gefammten Menge der Ghibellinen
1) Zuvor jedoch berüihrte Heinrich nochmals Rom.
1312
220 Neuntes Bud.
freudig eingeholt ward. Während ſchon rings umher die Guelfen
der Nachbarſtädte zitterten, mied er jeden Verzug und ließ, indem
er jofort mit der Ausübung der kaiſerlichen Gewalt den Anfang
machte, König Robert von Apulien durch ein Edict auf einen be—
ftimmten Tag vorladen, unter Feſtſetzung einer Strafe, falls er
nicht erſcheinen werde).
2. Der Kaiſer verheert das Gebiet von Ylorenz
und rüdt in die Nähe der Stadt. Eilends Tieß der Kaiſer
die Adler aufheben, entfaltete die Oriflamme?) und rüdte in das
Gebiet von Florenz vor, mo er die Häufer ausplündern und nieder—
brennen ließ und alsbald die Burg von Mond VBardius?) fo
Ihnell, daß die Einwohner fich faum hinein flüchten und in Schut
begeben Eonnten, einſchloß. Die Beſatzung aber, durch fein uner-
wartete Erfcheinen in jähen Schreden verſetzt und durch die plöß-
liche Umlagerung feitens eines fo ftarfen und mächtigen Feindes,
der fich bereits anfchicte die Burg zu ftürmen, außer Faſſung ge—
bracht, hatte faum jo viel Geiftesgegenwart, um vechtzeitig zur
Berathung zufammen zu treten. Ueberdies war man bier über
das, was zu Florenz in diefer Gefahr geihah oder geplant wurde,
völlig in Ungewißheit, da von dorther feine zuverläjfige Nachricht
in die Burg gelangte, nad) der man fi) hätte richten fünnen. Unter
diefen Umftänden erbat die überraſchte und verwirrte Beſatzung,
welche auch der Stärfe der Feſtungswerke nicht traute, Sicherheit
für eben und Gut, und überlieferte daraufhin gegen den Anfang
Spt.15 de8 September 1312, die Burg dem Kater, welcher nach dieſem
Erfolg wieder aufbrad und die Burg St. Johannis *) angriff, die
fi) ihm, nachdem die fatjerlich gefinnte Partei unter den Einwohnern
die Beſatzung verrathen hatte, auf der Stelle ergab. Man nahm
hier vierzig Catalaniſche Keiter und jehszig Mann Yußtruppen
1) Bielmehr erflärte Heinrih, daß er, falls Nobert nicht erfcheine, dem Verfahren
gegen ihn feinen Lauf Laffen werde. — 2) Diejes Wort bezeichnet urjprünglich das Ban
ner des Klofter8 St. Denis bei Paris, welches die franzöfifhen Könige zu führen pfleg=
ten; hier ift iiberhaupt das Föniglihe Banner gemeint. — 3) Montevardi, im S.D. von
Florenz, aus welcher Richtung der von Arezzo fommende Kaijer heranzog. — a) San
Giovanni am Arno, etwa 3 Miglien unterhalb Montevardhi gelegen.
*
Der Kaifer verheert das Gebiet von Florenz x. 331
gefangen. Die beunruhigende Kunde von diefen großen Erfolgen
des Kaiſers erregte in Florenz zugleih Staunen und Entjegen.
Jedoch benugten die Bürger die ihnen noch bleibende Zeit, um
ihre Streitkräfte durch Aushebungen aus dem niederen Volke zu
ergänzen und dieſelben zu oronen, und eilten dann dem Kaijer
entgegen. Bei Ancıja!) machten fie Halt, um bier, ehe fie fid
auf eine Schlacht einließen, ihre Vereinigung mit den Contingenten
der zur Hilfe entbotenen Verbündeten aus Lucca, Siena und den
übrigen Guelfenftädten zu bemwerfftelligen. Der Kaiſer aber, ſei e8
in der Hoffnung auf innere Parteiungen in Florenz, oder in der
Erwartung durch Handftreih die Stadt gewinnen zu fönnen,
ſowie auch feinerjeitS von dem Wunfche befeelt, eine Schlacht zu
vermeiden, brach auf und marſchirte auf Florenz zu, um in der
Entfernung von einer Miglie von den Borftädten Halt zu machen
- und ein Lager aufzufchlagen 2). Sofort fehrten jedoch auch bie
Florentiner, durch dieſe gefahroolle Veränderung der Lage in
Schrecken und Beftürzung verfett, in Eilmärſchen zurüd, Beide
Parteien fuchten nun, fid) zu verftärfen. Zugleich aber war der
Kaiſer darauf bedacht, durch Verheerung der Aeder und Zerftörung
aller Gebäude rings um die Mauern die Leute in der Stadt, melde
ſich auf nichts dergleichen gefaßt gemacht hatten, zu erjchreden und
mit Entjegen zu erfüllen; die Florentiner bewährten jedoch in
diefer Bedrängnis eine trefflihe, mannhafte und muthige Haltung
ſowie die toskaniſche Verſchlagenheit, forgten für alles, waren auf
ihrer Hut, entboten die auswärtigen Freunde, waren geſchäftig,
machten die Runde um die Mauern, verftärkten Die Befeftigungen
und ſchloſſen ſich unter einander durch neue Vereinbarungen und
Cheberedungen feiter zujammen. Ya, was in Friedenszeiten in
Florenz ſchier unglaublich geweſen wäre, ein Volksbeſchluß ſchlug,
- um Gemaltthaten vorzubeugen, die vom Bolfe gegen die Bornehmen
angeftvengten Proceſſe nieder und widerrief die Erlaſſe der tribuni-
1) Sneifa am Arno oberhalb Florenz, etwa 7—8 Miglien unterhalb ©. Giovanni. —
2) Bei der unten erwähnten Abtei von ©. Salvi am rechten Arnoufer öftlih von Flo—
renz, welche jett einen Theil der öftlihen Vorſtadt von Florenz bildet.
1312
222 Neuntes Buch.
eiſchen Gewalt.) AS man aber außerhalb Florenz vernahm,
dag der Kaiſer gegen diefe Stadt hevanziehe und nähere Kunde
hiervon die Städte Tusciens durchflog und aud nad) Bologna ges
langte, da war der Eifer, mit dem die Behörden wie aud bie
Einzelnen rüfteten, jo groß wie nie zuvor. Gemeinſam befeelte alle
das ſtürmiſche Verlangen, diefen, der ihnen nicht als Kaiſer oder
römiſcher König, ſondern als Feind des Menjchengefchlechtes erſchien,
zu verjagen, ihn nicht nur von Tusciens Örenzen zu entfernen,
fondern ihn zu Lande und zu Waſſer zu vernichten. Ohne Säumen
eilten ferner aus Lucca Stena Perugia Città di Caſtello Volterra
San Gimignano?) Colle Piſtoja Bologna, aus der Nomandiola
und den abhängigen Orten Reitergeſchwader und Fußtruppen herbei,
ſodaß die Mauern von Florenz diefe Maſſen faum in ficy zu
halten vermochten. Nur fleine Bejagungen blieben zum Schub
der einzelnen Ortſchaften zurüd. Der Kaifer rief jett feine weit -
umberfchweifenden Truppen vom Sengen und Brennen ab, bradite
fie insgefammt in einem Lager unter, welches ev mit Gräben um-
gab, und ſchob feine Verſchanzungen bis dicht an die Vorſtädte
vor, ſodaß das Waffengeklirr und das Wiehern der Pferde in die
Stadt Hinübertönte. Vom Klofter von ©. Salvi an erjtredten
fich ſomit die kaiſerlichen Verſchanzungen bis faſt an die legten
Häufer von Florenz heran; weder Mufellum?) noch Scarparta *)
noch ein anderer Zugang zur Stadt von Oſten und Norden >) her
war unbefegt und fonnte benutst werden, der Stadt Verſtärkungen
zuzuführen. Um dieſe Zeit erlitt aber der Anhang des Katjers
eine neue Niederlage. Die Pifaner nämlich führten, in der Ab:
fiht die Florentiner zu befeinden, ihr Heer gegen eine Florenz
gehörende Burg in der Nähe von Pifa und umlagerten dieſelbe,
1) In dem vollftändig demofratifchen Florenz waren fonft die Adeligen manden Un—
bilden jeitens des Volkes ausgejegt. — 2) Dafür lieft eine Handidhrift San Miniato, —
3) j. Barberino di Mugello an der Straße von Florenz nad) Bologna. — 4) Wenig
dftlih von Barberino. — 5) So glaube ih für „Süden“ (meridies) leſen zu müſſen,
denn das Lager des Kaifers umfpannte, wie die angegebenen Orte und die Berichte an—
derer Quellen zeigen, die Stadt im Often und Norden; der Süden jedodh, die Gegend
jenfeit de3 Arno, war unbejegt.
Der Kaiſer verheert das Gebiet von Florenz ꝛc. 293
um einen Theil der Truppen von Slovenz abzuziehen oder um die
genannte Burg zu breden und dann San Miniato !) anzugreifen
und jo die vereinten Kräfte der Florentiner abzulenken und zu ver:
mindern. Der florentiniihe Marſchall Dego ?) aber brach mit
etwa taufend vollgerüfteten Keitern und eben foviel Fußvolk bet
Nacht auf und fiel no vor Tagesanbruch gänzlich unerwartet
über das Lager der Piſaner her. Ueberrafcht konnten diefe kaum
zu den Waffen greifen umd eine große Zahl von ihnen wurde noch
in den Zelten erichlagen, die übrigen wandten fi ohne Wider-
ſtand zur Flucht. Die Verwirrung der Berittenen war freilich,
geringer: fie entflohen ſchnell in die Pifa benachbarten Landſtädte.
Die Sieger aber richteten ein großes Blutbad an und hieben jeden
nieder, den fie erreichen Eonnten. Alle nämlich hatten fich mit
Preisgebung des Lagers zur Flucht gemandt und nur fliehend wurden
fie erichlagen. Es fielen an dieſem Tage ſechshundert Piſaner und
‚ etwa ebenjo viele geriethen in Gefangenſchaft. Bahnen, königliche
Feldzeihen und viel Kriegsgeräth nebft den Zelten und dem Stand-
lager, welches von erheblihem Werthe war, wurden nad) Florenz
gebracht. Und um diefelbe Zeit, nämlich um den Anfang Oftober,
ſenkte fich kurz vor Tagesanbruch 3) von der Abendſeite nordwärts
unter der Deichjel des Dchjentreiber8 *) ein den Künigen unheil-
verheigendes Zeichen durch die Luft abwärts, nämlich ein feurig
glühender Comet, welcher mit gemaltigem Glanze das Angeficht der
Erde erleuchtete, aber in etwa anderthalb Stunden verbrannt und
aufgezehrt wurde. Sein flammender Körper war gebogen und lief
weitwärtd in einen langen Schmweif aus, mit gewundener und nad
oben gekrümmter Spite. Nach der anderen Seite mar er breiter,
der nach Nordweſt gemandte Schmweif aber kürzer. Inzwiſchen
fiherten die Florentiner, um fernere Beutezüge des Faiferlichen
Kriegsvolfes zu verhindern und demſelben auch die Berprovian-
1) Im Südweſten von Florenz; etwa gleihweit von diefer Stadt wie von Pifa
entfernt. — 2) Diego della Ratta f. o. — 3) ante Luciferum. — 4) Bootes, der Ochſen—
treiber, der Führer des großen Wagens, auch Arctophylar (Bärenhiter) genannt, Stern-
bild in der Nähe des großen Bären.
1312
77
Okt.
1312
—
224 Neuntes Buch.
tirung aus dem Gebiet von Arezzo unmöglich zu machen, die Burg
von Fefulä!) und die Kirche von San Miniato in Monte?) ſowie
die am Hügel von Kipolis ?) belegenen Burgen der Söhne des
Petrus Benincafa durch Beſatzungen, beobachteten von diefen Punkten
aus das Faiferliche Heer und Liegen ſich mit den umherjchweifenden
Truppen defjelben häufig in ungeftüme Gefechte ein. Mande von
diefen find des Aufzeichnend nicht unwerth. Brancharolus von
Eugubium *), ein piſaniſcher Söldnerführer, war verheerend in die
Fandereien von DVolterra eingefallen. Auf ihn traf Belaqua de
Bicecomitibus, welcher gerade mit einer Reiterſchaar und einigem
leichtbewaffnetem Fußvolk zum Schute dieſer Yändereien auszog, er=
ſchlug in ungleihem Kampfe den überrafchten Brancharolus, welcher
weniger Truppen zählte, und warf die Seinen in die Flucht, wobei
dreiundneunzig (darunter vierunddreißig DBerittene) fielen und zwei—
undfünfzig Ohibellinen gefangen genommen und nad) Florenz ges
. bracht murden. Faft gleichzeitig hiermit, um den erſten Dftober,
braten die florentiniihen Söldner hundertundfünfzig Laften Ge:
treide, welche von Arezzo unter einer Bedeckung von zmweihundert
Mann herbeigeführt wurden, auf, nachdem fie jene Mannſchaft
zeriprengt, dreiundſiebenzig gefangen und jechzig getödtet hatten,
Bernardinus de Polenta ferner zog mit achthundert Berittenen
und zweitaufend Fußgängern das Thal des Arno aufwärts und
griff Die won einer faiferlihen Beſatzung beſchützte Feſtung Leccium ?)
an, welche fich beim erften Angriff dem Bernardinus ergab und
fofort von den Florentinern befeftigt wurde, um Truppen und Zu—
fuhr den Weg zum Lager des Kaiſers zu verlegen. Bernardinus
führte feine Truppen jodann ohne Verzug gen Ancifa, griff das—
jelbe an, gewann durch freiwillige Ergebung den Thurm des
Bandinellus, welcher auf der Brüde von Ancifa errichtet mar, und
befeftigte denjelben als Schugwehr wider die Veſte. Dod blieb
er dort nicht Liegen, ſondern eilte in der Naht nad Gangare—
1) Fiefole, nördlic) von Florenz. — 2) Eine Heine Strede füdlidy von Florenz. —
3) 3: Bagno a Ripoli füdöftlid von Florenz. — 4) D. i. Gubbio. — 5) Leccio, ein
Paar Miglien ftromabmwärt3 von Inciſa.
Rückzug des Kaiſers aus der Nähe von Florenz cc. 225
tum ), wo er, von den Grafen von Salvattcum und von Batıfole, den
Angejehenften in diefem Theil des Thales, begünftigt, ſich mit feinen
Keitern und Fußtruppen einjchloß, um die hier vworbeiführende
Strafe zu beherrihen, damit hier dem Kaifer feine Hilfstruppen
heranzögen. Durch diefe Angriffe wurden die Wege zum Raifer
auf allen Seiten gejperrt, mit Ausnahme des Weges durch die
cafentiniiche Landſchaft?), welcher ſchließlich den einzigen Zugang
bot. Denn auch die Engen und Hügel von Mufellum hatten die
Slorentiner dur die Wiedereinnahme von Burgium, welches dem
Reihe anhing, gefihert. Dazu fam noch, daß ein unermwarteter,
jehr widerwärtiger Unfall die Kaiſerlichen betraf. Als nämlih um
diejelbe Zeit ?) Neiter und Fußvolk wie gewöhnlich zum Arno ges
zogen waren, trat in Folge nächtliher Regengüſſe eine plötzliche
Ueberſchwemmung ein, welche ihnen den Rückweg zum Lager ab—
ſchnitt. Während fie nun hin und ber eilten und vergebens nad)
Furten ſuchten, Tiefen die Florentiner, von ihrem Unfall unter=
richtet, Schnell herbei und befesten die Furten. Sp ward ein großer
Theil von jenen erichlagen; Andere verunglüdten in den Fluthen,
noch Andere hatten fic in die Mühlen geflüchtet, welche dort für
das fatjerliche Heer arbeiteten und zufällig von der Ueberſchwemmung
verihont geblieben waren, und verbrannten nebft dieſen Mühlen
in Häglicher Weile, ſodaß dieſer traurige Unfall im Ganzen drei-
hundert Menſchen das Leben Eoftete.
3. RüdzugdesKaijersausderNiähevon Florenz
und Berwüftung der Landſchaft. Unter vem Drud folder
und anderer Drangjale beſchloß der Kaiſer, als bereitS die Ver-
proviantierung unterbrochen und zum Eſſen fein Fleiſch von jolchen
Thieren, die man unter gewöhnlichen Umftänden zu verzehren pflegt,
mehr vorhanden war, ſodaß fih die Truppen bereits von
Pferden und Yaftthieren nähren mußten, das Heer auf Das andere
1) Gangheroto, Name eines (jett zerftörten) Caſtells im oberen Arnothal und Be—
zeichnung der Umgegend. — 2) Cassentino (ager Casentinus) ift eine fleine Landſchaft
am oberen Arno, deren wichtigſte Orte Camaldoli und Valombrofa find. — 3) Der
Zert hat in VI eas Kalendas. Ob daS foviel heißen ſoll als ante diem VI Kalendas
[Oct.], wage ich nicht zu entjcheiden.
Geſchichtſchreiber. Lig. 67. Leben Heinrich VII. 15
1312
1312
Nov. 1
226 Neuntes Buch.
Ufer des Arno zu führen. Nachdem er, damit ihn auf dem Marſche
fein Unfall treffe, insgeheim Alles vorbereitet und feine Schlacht:
haufen neu georonet hatte, brach er plötzlich ohne Hörnerſchall auf
und bewerfitelligte noch vor Tagesanbruch am erften November !)
den Flußübergang, ohne von den Feinden irgend welche Verfolgung
zu erleiden. Bon dort marjchierte er das Thal der Ema ?) ab-
wärts 3) bis zum Pond Arıs*) und machte, als es inzwilchen Tag
wurde, Drei Miglien von der Stadt entfernt Halt. In früher
Morgenftunde erfuhr man in Florenz von der Bewegung des
Gegners; und als das Gerücht auf den Gaſſen, auf den Plätzen
und in den PVerfammlungshäufern immer weiter verbreitet ward,
erſcholl plöglih überall der Auf: Zu den Waffen! Die Führer
riefen Durch wiederholte Glodenfignale die Truppen auf den Markt
zufammen und hingen die Sturmfahne aus, doch konnten fie erſt,
als es vollends Tag geworden war, die Schaaren geordnet aus
den Thoren führen. Das gemeine Volt aber wie aud) Die Truppen
ließen mannigfache Klagen laut werben und bejchuldigten die Führer
der Feigheit oder gar des DVerrathes, daß fie entweder ohne es zu
wifjen oder vielleicht gar mit Vorwiſſen verbvecheriicher Weile den
Kaiſer To hätten entfommen laſſen. Schon am geftrigen Tage habe
man die deutlichten Zeichen des beworftehenden Aufbruch wahr—
genommen; dieſer jei daher nicht jomohl durch Nachläſſigkeit er—
mögliht worden, als vielmehr durch Begünftigung des Kaiſers—
Solches mannigfaltige Gerede verhinderte das Volk beinahe die
Schlachthaufen zu formiren. Endlich aber ſchlug man mit ges
jammter Macht die Richtung ein, in welcher, wie man wahrge—
nommen, der Kaiſer abgezogen war. Als man nad Margarita,
anderthalb Miglien von der Stadt, gelangt war, wurde das Heer
1) Der Kaifer jelbft giebt in einem Schreiben an Pifa für feinen Aufbrud den
31. Dft. an. — 2) Diefer Fluß mündet bei Galuzzo in den Greve, welcher faft unmit-
telbar unterhalb Florenz dem Arno von Süden zuftrömt. — 3) Der Kaifer nahm alfo
feinen Marſch zuerft ſüdwärts, bis er die Ema etwa an der Stelle erreichte, wo fie ſich
nad Weiten wendet, um dem Greve zuzuftrömen, jodann folgte er ihrem Laufe ebenfalls
in weſtlicher Richtung bis zu ihrer Miindung. — 4) Ponte dell!’ Asfe, Brücke iiber den
Greve.
Rückzug des Kaifers aus der Nähe von Florenz x. 2237
zufammengezogen und Späher vorauögefandt, um den Mari und
die Haltung des Kaiſers zu erfunden. Diefe meldeten nachdem fie
ausgefhaut zurüd, ver Kaiſer ftehe, zur Feldſchlacht bereit, am
Pond Arxis mit jechszehnhundert Berittenen und achttauſend Mann
Fußvolk. Sie fügten hinzu, daß weit und breit zwei Miglien in
der Runde die Burgen und Häufer der Florentiner in hellen
Flammen ftünden. Dies war dem florentinifchen Heere nicht mehr
unbefannt, da dichte Kauchwolfen und zum Himmel jchlagende
Flammen es jedem verfündigten. Die muthoolle Haltung des
Kaiſers dämpfte den prahleriichen Kampfeseifer der Florentiner und
ihrer Berbündeten in dem Grade, daß fie, obwohl es bei ihrer
dreifachen Uebermacht an Reiterei und der unzähligen Menge ihres
Fußvolks auf dev Hand lag, daß der Katjer ihnen nicht die Stange
halten konnte, voll Schred es nicht über fich gewannen in die Ebene
hinabzufteigen, und fie fiherlih ganz aus der Faſſung gebracht
worden wären, wenn die Natur der Gegend e8 dem Raifer ver-
ftattet hätte zur Schlacht anzurüden. Anftatt deſſen jedoch 309 ſich
der Kaiſer mit feinem Heere ein wenig zurüd, marjchterte das
Emathal aufwärts weiter und ſchlug drei Miglien von der Stadt,
da wo e8 Santa Maria in Paneta !) heißt, fein Lager abermals
auf. Hier verweilte er, indem er die Gelegenheit zur Erholung
und Stärfung benuste, einen Tag mit der darauf folgenden Nacht
und berieth mit feinen Fürften, wie und wo er die Florentiner
am empfindlichjten ſchädigen könne. Dann brach er auf und brannte
von Porticus ?) bis Marzalta ?) im ganzen Vallis Gravıs +) und
von Zurris?) bis Duadrantula ©) weiter von Baldepeta ”) bis
St. Romulus®) und nicht minder bei Mond Spertuli?), Billa
1) Wohl daS jegige Impruneta, zwiſchen Ema und Pefa, etwa 4 Migl. von Flo—
renz. — 2) Klojter nahe Galluzzo. — 3) Marcialla, im Bald’ Elſa öftlich von dieſem
Fluſſe, nördlich von Barberino. — 4) Bal di Greve. Greve linker Nebenfluß des Arno
mündet wenig unterhalb Florenz. — 5) Gemeint ift wohl der Ort Torre am PVirginio,
Nebenfluß des Peſa. — 6) Ouarantola, im Bal di Peſa. — 7) Soll wohl Bal di Peſa
heißen. Der Peja ift der nächte größere Nebenfluß, den der Arno nah dem Greve von
Iint3 aufnimmt. — 8) Ein San Romolo liegt zwiſchen Greve und Peja, wenig jitdlich
bom Arno. — 9) Montefpertoli zwiſchen Peja und Eljfa.
1} in"
1312
1312
228 Neuntes Bud).
Pogna und in dem Landdiſtrikt von St. Yazarıs?), alle Dörfer
und Flecken, welche nicht durch Befeftigungen geſchützt waren, nieder.
4. Lager des Kaijers bei San Caſciano. Endlich
gelangte der Kaifer, der jedem zu behalten erlaubte was er er
deutet, ohne Widerftand ſeitens der machtlofen Ummohner nad
dem Flecken Caſcianum, etwa fieben Miglien von Florenz ?). Hier
ließ er feine Schaaren ſich erholen und an der fetten Beute fich
nad Luſt bereichern und ſchickte dann durch die Berge wie auch
über die Ebene hin feine Abtheilungen aus, während ringsum
Alles von den flüchtenden Einwohnern verlaffen war. Nichts that
den Sengen Einhalt und die überall heroorbrechenden Flammen
gewährten den befiegten Florentinern ein trauriges Schaufpiel.
Dieſer Tag ſchien fih für den Katfer froh zu geftalten, doch wor
Sonnenuntergang nod tauchte Das unbeftändige Gefchie die Rollen.
Als nämlic eine Abtheilung verbannter Florentiner nebft Ghi—
bellinen 3) und Weißen von Arezzo und Deutichen, durch die legten
Erfolge verleitet, bejonders auch auf Anregung ded Vanni Barbaro:
dus und der Söhne des Sclata de Albizo *) fid) verheerend Florenz
genähert und bei dem Kreuze von St. Gadium, zwei Miglien von
der Stadt, das Aolerbanner entfaltet hatte, ftieß fie auf eine Ab-
theilung Späher, die aus der Stadt famen, um zu erfunden, wo
der Kaiſer Halt gemacht hätte. Sofort trafen die Schaaren in
aufgelöften Gliedern auf einander und es entjpann ſich ein blutiges
Handgemenge, doch wurden die Verbannten, melde durch das uns
verhoffte Zufammentreffen in Schreden gerathen maren, da toll-
fühne Berwegenheit fie verleitet hatte ſich weiter vorzumagen als
die im Kriege gebotene Vorficht geftattet, unter großen Verluſten
in die Flucht getrieben. Bon Lanzenreitern fielen etwa Hundert,
während fünfzig in Gefangenſchaft geriethen, darunter eine große
Zahl Edler, welche fpäter um hohes Löfegeld von den Giegern
zurüdgefauft wurden. Einer von ihnen aber, Griffus de Lignaria,
1) Diefe beiden Orte nahe Marcialla. — 2) Im Süden von Florenz, zwifchen Greve
und Peſa — 3) Wohl fo zu Iefen für Guelfis, was der Tert bietet. — 4) Schiatta de’
Albizzi.
Lager des Kaijers bei San Caſciano. 229
welcher, der peinlichen Frage unterworfen, eine Verſchwörung ver= 1312
vieth, vermitteld deren er, wie er befannte, innerhalb und aufer-
halb der Stadt mit einer großen Reihe von Bürgern und Bauern
einen Aufftand zu Gunften des Kaiferd zu Wege zu bringen be-
müht war, wurde, an den Schweif eines Eſels gebunden, zum
Galgen geſchleppt und aufgehängt. — Sobald num die Floventiner
erfundet hatten, daß der Kaiſer feine Truppen bei Caſcianum
zufammengezogen und ſich dort gelagert habe, ſandten fie voll Eifer
den Carrocius, einen Catalanen, mit Soldtruppen und einer floren=
tiniſchen Abtheilung aus dem Quartier jenſeits des Arno ſowie
mit Hilfstruppen aus Siena nad dem Valdelſa um die Burgen
und Flecken diefer Gegend zu fichern, mit dem Auftrage, wie e8
Die Natur der Gegend erfordere, an alle wichtigen Punkte Be-
jagungen zu legen. AS fie nun auf dem Marche nach ihrem
Beftimmungsort durd) Kundihafter in Erfahrung gebracht hatten,
Daß der Kaiſer am folgenden Tage mit feinen Schaaren die Be—
ſtürmung von Podium Bonict!) verfuchen wolle, kamen fie ihm
zuvor und brannten den Ort vollftändig nieder, nachdem jie alles
bewegliche Gut, ſoviel fie konnten, in ihr Lager gebracht hatten.
Während dergeftalt die Gegner einander immer größeren Schaden
zufügten und der unerbittliche Krieg Alles in Wuth und Ber:
nihtungsluft umgewandelt zu haben ſchien, erhielt man in Florenz
die Nachricht, daß bereitö der Graf Novellus, der Schwager König
Roberts von Apulien, Thomas de Marzano und Gibertus de
Santillo Graf von Nomaniola mit fünfhundert Reitern nad)
Siena gelangt feren, um fofort nad) Florenz aufzubrechen. Als
Dies zur allgemeinen Kenntnis fam, forberten die Genofjenihaften
des DVolfes 2) erhöhten Muthes, während auch Die Bürger jhon
von dem leidenſchaftlichen Wunjche bejeelt waren unter allen Um:
fanden eine Entſcheidungsſchlacht mit dem Kaiſer herbeizuführen,
ſtürmiſch daß der Senat zufammentrete und die Schlacht nicht
| 1) Poggibonfi an der oberen Elja an dem Punkte, wo die Straßen Florenz-Siena
und Pija-Siena zufammentreffen. — 2) plebejae societates, es find wohl die Zünfte ges
meint, die iu Florenz befanntlich eine große politiihe Bedeutung hatten.
1312
230 Neuntes Bud).
länger verjchoben werde, als bis man durch die Hilfsichaaren des
Königs von Apulien feine Macht verftärft habe und nad Heran—
ziehung derjenigen, welche in der Umgegend ftreiften T), mit wer=
einten Kräften fampfen fünne. Der Senat trat zujammen und
Ihloß ſich einftimmig diefer Anſicht an. Inzwiſchen hatte der
Raifer in Caſcianum Meberfiuß an Lebensmitteln jeder Art,
alle Borräthe ftanden ihm in üppigfter Fülle zu Gebote, nur
Tieferten die Quellen wegen der regenlofen Jahreszeit nicht Waſſer
genug. Zwar reichten fie für den Bedarf der Menfchen aus, die
Thiere aber fanden in den ausgetrockneten Flußbetten fein Waſſer,
welches vielmehr unter großen Gefahren aus den entlegenen Thälern
von Gantum?), Granı83), Ultrarnum ), Barberinumd) und
St. Donatus in Podio ©) (fo nämlich heißen jene Gebirgsthäler)
dem Lager zugeführt merden mußte. Um diejelbe Zeit unterwarfen
ſich florentiniſche Edle aus den Familien der Gerardini, Caval-
cantes, Jan-Donati und jehr viele andere, deren Yandereien, Burgen
und Beſitzungen dem Kaiſer bereitS in die Hände gefallen maren,
diefem und vereinigten ſich mit den Verbannten und Weißen zur
äußerſten Bekämpfung der Stadt und zum Verderben der Bürger
in derfelben. Und damals gerieth die viele Jahre in hödhfter
Blüthe ftehende Stadt, deren Würde und Großmächtigfert, welche
in gleihem Maße wie das Selbftgefühl der Bürger geftiegen war,
die übrigen Gemeinden gleichſam als dienende ftreng in Abhängigfeit
und Gehorfam erhielt und melde die Völker Galliens, Germanienz,
Liguriens, Illyriens, Apuliens, Siciliens, Aragoniens, Hilpaniens
und der geſammte latiniſche Name als Haupt Italiens verehrten,
durch dieſe plötzliche Bedrängnis ind Wanken, gleichſam in Folge
ihrer eigenen Schwere, indem Diejenigen einander mistrauten und
fi fpalteten, die einft mit einander gleichen Ruhmes voll auf gel
meinjame Erfolge geftüst emporgefommen waren. O menſchliche
1) Dies fcheint der Sinn der Stelle zu fein; der Tert ift hier offenbar arg corrumslT°
pirt. — 2) Chianti ift die Landichaft, in der die Gebiete von Florenz Arezzo und Siena
zufammenftoßen. — 3) Greve an der Duelle des gleihnamigen Fluffes. — 4) Muffato
Ultranensis, wohl die Gegend jenfeit (öftlih) des Arno (Oltr' Arno). — 5) Zwiſchen
San Caſcianum und Poggibonfi. — 6) San Donato in Poggio nahe der oberen Peſa—
Lager des Kaiſers bei San Caſciano. 231
Natur, o unfeliges Geſchick! Wo ift (menn id) jo reden darf) dein 1312
Glück von geftern? Did jelbft fürchteſt du, in dir ſelbſt wanfft
du; mistrauiſch gegen dich ſelbſt wagft du jogar den Mauern kaum
zu trauen und hältft dich in ihnen nicht für fiher. Du fürchteſt
den deutjchen Feind, den du jo oft gering geachtet, jegt da er dich
aus nächfter Nähe bebroht, während du bisher die leichtfinnigen
Gemüther der Deinen, welche jede erwünſchte Nachricht gläubig
hinnehmen, an Freuden und Ergöglichfeiten großgezogen haft. Doch
ihäme did) deshalb nicht, die bu, des Kommenden unfundig, fo
lange ſchmeichelnd vom Glücke umkoſt warft. Das ift eben das
Spiel des Geſchicks! Und, bei Gott! eine beſſere jelbit als du
brauchte ſich eines ſolchen Gegners nicht zu ſchämen. Denn, ſchau
bin, wer ift e8? Der Kaiſer! Und was für ein Kaifer? Der
Held des Weltkreifes! — So ſprach Mancher in feiner Bedrängnis
zu ſich, wenn in den Hallen und Fäden Schmähungen und Schimpf=
reden ertönten. Schon mäfigte man“ fich jedoch in den Aeußerungen
über den kurz zuvor noch unverhüllt vwerabjchenten König. Bei
alledem waren die Florentiner noch ungebrochen in ihrer Kraft
und zur VBerfühnung um fo weniger geneigt, als fie den Zorn des
ſchon beleibigten Königs und die Rückkehr der Berbannten fürditeten.
So trieb der äußerſte Nothftand, der feinen anderen Weg der
Rettung aufwies, fie an, für die Aufrechterhaltung der überlieferten
Zuftände Alles aufzumenden. Auf den Kampf allein jegten fie
ihre Hoffnung, mit dem Schwerte meinten fie die Entſcheidung
herbeiführen und durch die That erproben zu müffen, welcher Theil
für die gevechtere Sache ftreite. — Auf der anderen Seite, im
Lager des Kaifers, zeigten die ehemals aus der Stadt Berbannten
ſich in ihren Aeußerungen nicht minder erregt, doch waren fie im
Bemußtjein der biäherigen glänzenden Erfolge fühner und aus-
ſchweifender; auch hatten fie noch dringendere Gründe, die Ent—
ſcheidungsſchlacht herbeizumünfchen, denn dies war die legte, nie
wieder einzubringende Gelegenheit, die Gott und das Geichtd ihnen
gewährte, die Vaterftadt zur gewinnen und an den heimijchen Herd
zurüdzufehren; dieſes eine Ereignis mußte über ihr ganzes Gejchid
232 Keuntes Bud).
1319 entſcheiden; fein anderer Weg ftand ihnen offen; ſchlug es ihnen
jetst fehl, jo war das fernere Leben eine Laft für fie und der Tod,
wenn fie ihn jest fanden, lediglich das Ende ihrer Leiden. Dazu
Ihäumten fie in der Begierde alte und neue Unbilven zu räden
und klagten jchon bitter, daß der Kampf immer nod) verzögert
werde. — Aud in den übrigen Gemeinweſen Italiens waren die _
Erregung, das leidenſchaftliche Treiben und die Zudungen nit
geringer. Alle richteten ihr Augenmerk auf Florenz, als ob hier
auch für fie die Entſcheidung fallen würde, und verftärften inzwiſchen
auf jede Weife, die ſich ihnen darbot, ihre Partei, ſchickten von
Staatswegen wie auch im Namen Einzelner Gefandtihaften, erbaten
Hilfe und machten Verſprechungen. Indem nämlich ein Jeder
glaubte, daß bei den Ereignifjen von Florenz fein eigenes Intereſſe
mit ind Spiel fomme, mar er bemüht, fein Möglichftes zu thun,
damit der Ausgang des Kampfes zum Vortheil der Partei gereiche,
ver feine Wünfche und Gebete galten. Mannigfach dem verjchte-
denen Parteiftandpunft entfprechend waren die Gelübde, die zum
Himmel ftiegen. Denn die allgemeine, überall verbreitete Anficht
unterwarf es feinem Zmeifel mehr, daß das Geſchick der Welt jett
auf das Zünglein der Mage geftellt ſei: werde der Würfel Des
Geſchicks jet dem Kaiſer den Steg zuweilen, jo werde dieſem die
Weltherrichaft zufallen. —
Inzwiſchen zog Das gefammte Heer der Pijaner, mit großen
Laften an Kleidung, Häuten, Gefchofien, Waffen und Kriegsgeräth
aller Art beladen, nach Yegolis, einem florentinifhen Dorfe!), in
der augenfcheinlichen Abficht, die Katferlichen zu verproviantteren und
zugleich den Florentinern einen Schred einzujagen und deren Auf-
merkſamkeit vom Katfer ab und auf fich zu Ienfen. Als jie num
Nov.20 um den 20. November von dort aus dem Kaifer ihre Vorräthe
nad St. Caſcianum gebracht hatten und mit gegen fünfhundert,
mit großer Beute, welche das Zaiferliche Kriegsvolk in den Dörfern
und Feldern der Florentiner gemacht, beladenen Eſeln, geleitet von
1) Set zur Provincia di Pisa gehörig. Legoli liegt im Flußgebiet der nicht weit
oberhalb Pija’3 von Süden her in den Arno mindenden Era.
%-
Lager des Kaiſers bei San Caſciano. 233
einem: flandrifhen Kriegsoberften, einem Ritter des Grafen von ı312
Flandern, nebſt einer deutſchen Abtheilung des kaiſerlichen Heeres,
etwa Hundert und fünfzig Flandrern, zweihundert Bertttenen und
ſechsſshundert Mann Fußtruppen und Yeichtbewaffneten aus Piſa,
heimzogen, wurden fie von Carrocius, dem Führer der Catalanen,
und Zecla!) de Friscobaldi8 mit Truppen der Bundesgenofjen
von Florenz, welche in Caſtrum Florentinum?) als Beſatzung lagen,
im Ganzen hundert und zwanzig Berittenen und dreihundert Fuß—
gängern, mit großer Wucht angegriffen und die Pifaner ſofort ın
die Flucht geichlagen. Der Flandrer aber mit der füniglichen
Schaar nahm den Kampf auf, und unter heftigem Zuſammenſtoß
wurde eine fir beide Theile blutige Schlacht geliefert. Nachdem
man im Anprall gegen einander die Lanzen zerbrocden, focht man
im Getümmel des Handgemenges mit den Schwertern. Faſt andert-
halb Stunden dauerte der entjetliche Kampf. Endlich brachte es
das Kriegsglück mit fich, daß dem Flandrer das Pferd, auf welchem
er ritt, erftochen wurde und er ſelbſt jäh zu Boden ftürzte In
Folge hiervon wurden die Königlichen in blutigem Gemegel nieder—
gemacht; der Anführer fiel Yebend mit dreißig Nittern, feinen Ge—
nofien, in Gefangenschaft, die übrigen wurden erſchlagen. Mit
ihrer Gefangennahme aber hörte das Blutvergiegen nicht auf. Denn
die Steger machten auf die zerftreuten Pifaner, welche flüchtig und
voll Schreden durch die Gefilde iriten, Jagd; und da, um das
Map ihrer Beftürzung voll zu machen, nun aud) aus St. Mintate °),
Caſtrum Florentinum und den umliegenden Dörfern die Bauern
über fie herfielen, wurden fie faft ohne Ausnahme gefangen oder
erſchlagen. Eine fette Beute von fünfhundert Laſten wurde ihnen
entrifjen und nad Caſtrum Florentinum und in die übrigen Städte
gebracht, wie gerade ein Jeder dies oder jenes aufgegriffen hatte.
Fünf Feldzeihen nebft dem flandrifchen Banner wurden als Tro—
phäen nach Florenz gebracht und im Palaft der Prioren aufgehängt;
gleichzeitig ward aucd zum großen Jubel der Einwohner der Anz
1) D. i. Tegahin. — 2) D. i. Caſtel Fiorentino an der Elſa. — 3) D. i. Sam—
miniato.
234 Neuntes Buch. Lager des Kaifer bei San Caſciano.
führer mit den übrigen Gefangenen dorthin gebracht. Won den
Florentinern aber und der übrigen Mannſchaft des Carroccus
waren fünfundzwanzig getöbtet, Carroccius jelbft mit etwa vierzig
anderen ſchwer verwundet.
Diefen glüdlichen Erfolg, der fich ihnen dergeſtalt darbot,
bejchlofjen der Rath und die Führer der Guelfen von Florenz,
welche fich von Gott und dem Glücke begünftigt Jahen, auszubeuten und
von allen Seiten die verbündeten Gemeinden zum letzten Entſcheidungs⸗
fampfe herbeizurufen, nämlich die Aufforderung ergehen zu laſſen,
Daß jede Gemeinde die Truppenzahl, zu der fie fich vorher erboten,
nad) Florenz jende, Stena nämlich achthundert Berittene, fünftaufend
Fußgänger; Lucca achthundert Berittene, zehntaufend!) Fußgänger;
Bologna vierhundert zu Roß, zmweitaufend 2) zu Fuß; Perugia
fünfhundert zu Roß, zweitaufend zu Fuß; Eitta di Caftello fiebzig
zu Roß, fünfhundert zu Fuß; Gubbio von jeder Art hundert, die
Romandiola dreihundert Berittene, viertaufend Mann Fußvolk;
Prato, Piſtoja und Samminiato follten hundert Keiter, taufend
Fußgänger jenden; Florenz jelbft endlich Hatte zmölfhundert Bes
rittene und fünfzehntaufend Mann Fußvolk zu ftellen.
1) So die meiften Handſchriften; eine aber Yieft zweitaufend, eine andere fünfzehn-
taufend. — 2) Nach einer Handſchrift viertaufend.
Zehntes Buch.
1. Wunderzeihen. Trevifo wird ite
Ende dieſes Jahres, nämlich am 14. December, wurde die geſammte Der. 14
Menfchheit durch eine wunderbare Mondfinfternt® erichredt, bei
melher der Mond eine blutrothe Farbe annahm, ein Umftand,
welcher, wie die Wahrjager urtheilten, Blutvergießen anfündigen
jollte. Folgendes aber wurde für jchreklih und überaus wunder—
bar gehalten, daß dieſe bluthrothe Farbe den Mond, der kurz nach
der Morgendämmerung aufging, von Norden ber überſchattete, ihn
allmählich vollftändig bevedte und ihn bis zur dritten Stunde des
Tages, volle vier Stunden hindurch, bevedt hielt. —
Während nun der Kaiſer bei San Caſciano Yagerte, fam e8
in der Treviſaniſchen Mark zu neuen Bewegungen. Vecelus de
Camino nämlih, auf welden, als auf den jüngeren Sohn des
verftorbenen Gherardus, nad) dem jähen Tode feine Bruders
Richard, wovon oben die Rede war!), die Herrichaft über die Stadt
Trevifo übergegangen war, hatte den Vertrag, welchen fein Bruder
mit dem Kaifer eingegangen war, gelöft und ſich mit Padua vers
bündet, und befriegte als eifriger Guelfe mit den Paduanern zu—
jammen und mit ihnen auf Tod und Leben vereint Canis della
Scala. Bald aber änderte er feinen Vorſatz und begann, nachdem
er die Machtverhältniffe der Paduaner fennen gelernt hatte, dieſe
1) Il. ob. Bud) 6 Kap. 10.
1312
236 Zehntes Bud),
durch läſtige Bitten zu beſchweren und zu bedrängen und allerhand
Ansprüche zu erheben, in der Abficht, feine Forderungen, falls er
jene geneigt finde, immer mehr zu fteigern. So bat er fich zum
Beilpiel die prächtigften Häufer, fowie die Güter der reichften Re—
bellen im ganzen Gebiet aus, indem er äußerte, feine Dienfte wür—
den der Gemeinde weniger zur Yaft fallen, wenn der Solo, welchen
fie allen ihren Truppen gab, für die Seinen wegfiele, infofern als
ihm jene Güter die Mittel zu diefen Ausgaben jelbft Kiefern würden.
Sp drücdend diefe Forderungen auch maren, jo gab doch die Ge—
meinde ihnen gezwungen nad. Hierdurch nur übermüthtger ge—
macht, beſchloß Becelus, in dem Glauben, daß die Paduaner durch
die Gewährung jeiner Forderungen in große Noth gerathen jeien
und daß fie ihm nichts, jo erheblich e8 auch fein möchte, abjchlagen
würden, nad) und nad) in immer umfaffenderem Maße fie auf die
Probe zu ftellen. Er veranlafte nämlid) einige Bürger zu fordern,
dag man ihn zum Kriegscapitän wähle mit der Befugnis, alle
ſoldatiſchen Vergehungen zu beftrafen. Die Paduaner, fügte ev
hinzu, verftänden nicht Disciplin zu halten, und es fünne ihrem
Gemeinweſen einmal den größten Nachtheil bringen, wenn ein Führer
und Lehrer fehle, den fie fürchten und nad dem fie ſich richten
müßten. Sobald die Bürger ſchon voll Bejorgnis für ihre Frei:
heit ihm dies, freilich nur widerwillig, zugeftanden hatten, bemühte
er ſich angelegentlich diejenigen, welche auf die Negierung den
größten Einfluß hatten, durch Verſprechungen an ſich zu ziehen.
Als er hierbei jedoch feinen Erfolg hatte, machte fich fein Ueber—
muth in Drohungen Luft, und er erklärte, da ihm feine Bitten,
die lediglich das Wohl der Bevölkerung von Padua bezwedten, ab-
geihlagen”würden, jo müffe er fire fich felbft forgen. Ihm für
jeine Perſon genüge e8, die Feinde won feinem Gebiete fernzuhalten
und Die Aeder der Trevifaner zu beſchirmen; er hätte beſſer gethan,
dem Kaifer ſich als Nachfolger im Vikariat feines Bruders zu
unterwerfen, anftatt die drei Städte, welche er beherrichte, für eine
einzige aufzuopfern. Aber er ſei es fatt, zu Gunften von Undant-
baren jene hintanzujegen. Durch ſolche Borjpiegelungen und Redens—
MWumderzeichen. Treviſo wird Freiftaat. 337
arten hoffte er zu erreichen, daß die Paduaner eingefhüchtert und
ihre eigene Macht für unzulänglich erachtend, ihm Alles, was er
fordere, in ausgiebigfter Were bewilligen würden, auf welchem
Wege er fih dann zum Herrn der Stadt machen fünnte, Die
Paduaner jedoch, welche bereits merften, was jein Ziel war und
ihn durchſchauten, fingen an, gegen den Verwegenen Abſcheu und
Erbitterung zu fühlen; doch verbargen fie ihren Haß für ben
Augenblid, To lange fie noch jo jehr von Kriegsgefahren umdrängt
waren, und ließen die Sachen gehen. Vecelus ſeinerſeits, der ohne
Säumen die lange gehegten Pläne ins Werk zu jegen wünjchte,
eilte zu feinem Schwager, dem Grafen Heinrich von Görz 9, wel-
her kürzlich durch Verlobung feiner Heinen Tochter mit einem Sohne
des verftorbenen Albuinus della Scala zu Canisgrandis in ver-
wandtichaftliche Beziehungen getreten war, um ſich mit ihm über
allerlei Dinge, die ihm im Sinne lagen, zu beiprechen. Unter
Herzuztehung des Archidiaconus von Aquileja, welcher ald eifriger
Shibelline dem Canis durchaus zugethan war, verhandelte man
nah Entfernung aller jonftigen Zeugen inögeheim. Doch erriethen
die Begleiter de8 Vecelus aus gewiſſen Anzeichen, die ſich bald
bemerkbar machten, nahezu um was es ſich handelte. Der Archi—
diaconus übernahm voll Eifer die Vermittelung zwifchen den beiden
und vereinbarte ſchließlich eine Doppelverlobung, nämlich eines
Sohnes und einer Tochter des Vecelus mit zwei Kindern Albuin’s
unter Zuftimmung von Vecelus und Canis, welche ſich überdies
mit der ihnen anhängenden Bevölkerung zu enger Freundichaft ver:
pflichteten. Nachdem man zur Erfüllung der Verabredungen feite
Zeitpunfte angefest hatte, kehrte Vecelus nach Trevifo zurüd und
war eifrig bedacht, feine Pläne bei günftiger Gelegenheit ind Wert
zu ſetzen. Als er einige wenige feiner VBertrauten um ihren Rath
über Eingehung eines freundfchaftlichen Verhältniffes mit Canis,
wodurch man von aller Kriegögefahr befreit fein und Ruhe und
Sicherheit wiedergeminnen würde, befragt, alle aber aus Furcht
1) Aus einer Nebenlinie des tyroler Grafenhaufes.
1312
238 Zehntes Bud).
1312 wor jenem, der, wie fie behaupteten, gegen die Seinen am grau—
famften fei, ihm abgerathen hatten, hielt er nichts defto weniger an
feinem Vorhaben feft und ſchloß an dem vorausbeftimmten Tage
im Klofter der vierzig Heiligen !), wohn auch der Archidiaconus
mit Boten Canis' fam, ein endgültige Bündnis mit letterem ab.
Durch inftändiges Bitten veranlagte er auch den Caſtellanus, Bifchof
von Trevifo, wider deſſen Willen, anmejend zu fein, damit wo—
möglich die Sache durch deſſen Gegenwart größeres Anſehen erhalte,
ließ denſelben jedoch außer Gehörmweite ftehen und mit Anderen
reden, damit er nicht offen als Zeuge ihrer Verhandlungen auf-
treten fünne. Anfangs war der Bevölkerung von Trevifo die Sache
nicht unlieb, bis man erfuhr, daß Canis grandi® und der Graf
von Görz mit Truppen in der Nähe ftänden, um äufßerften Falls
ihre Zuftimmung zu erzwingen. Aber wie das Geſchick, das heißt
Gottes Fügungen, menjchliche Pläne oftmals zu nichte maden, jo
verbreitete fich bereit8 von den Edlen aus, welche jchon vorher
darum mußten, ein unbeftimmtes Gerücht in das Volk, daß Trevifo
dem Canis in die Hände gejpielt, Volt und Adel ermordet werben
und daß in der Weiſe, wie fürzlich gegen das nun gänzlich zu
Grunde gerichtete Vicenza, auch gegen Trevifo gemüthet werden follte;
ihon jet der Tod unter Qualen aller Art den Einflußreicheren be—
ftimmt. Da aber berief Graf Rambaldus de Collealto unverzagt
den erwähnten Bilchof, den Advocatus Tolbertus und Biaquinus
de Camino, ſowie Andere, Vornehme und Geringe, zu fich, um
mit ihnen über ein gemeinjamed Vorgehen zu berathen. Einmüthig
wurde bier beichloffen, die Pläne jener zu durchkreuzen und auf
jede Art zu hindern, wozu man ſich durch Eidſchwüre verband.
Auch verihob man die Ausführung nicht, Damit die Berzögerung
das Vorhaben nicht wereitele, ſondern feste dafür ſchon den folgen-
Der. 5 den Tag, den 15. December feft. Im der Nacht follte das Volk
quartierweile bearbeitet werden und ber Tagesanbrucd ein Jeder
mit den Waffen in der Hand zum Losichlagen bereit daftehen. In
1) Wohl der Quadraginta milites martyres ?
MWunderzeichen. Treviſo wird Freiftaat. 239
der That brachten fie dies fertig, da man allgemein der drückender
werdenden Gewaltherrſchaft müde und über dieſelbe erbittert war,
und viele Arme hofften, daß die Ummälzung ihnen zu gute fommen
würde, falls es nämlich Gelegenheit zum Plündern gebe. Aller-
dings merkte Vecelus jchon am frühen Morgen, wie die Dinge
lagen, aber e8 fehlte ihm an Macht, die zahlreihen und mächtigen
Gegner zu bezwingen; auch konnte er nicht mehr zurüd, fondern
er mußte entweder den erbitterten und von Außerftem Haß ent-
brannten Bürgern das Feld räumen, oder aber ſich auf einen
Kampf gefaßt machen, wenn er e8 wagte, ſich jehen zu lafjen und
auf die Strafe oder auf den Markt zu treten. Als e8 Morgen
wurde, ließ fich, als verabredetes Zeichen zum Treffen, die Glocke
von der Kirche Sancta Maria Major !) dreimal vernehmen, worauf
die Kathedrale und alle Kirchen der Stadt zu lauten begannen.
Beim Klang diefer Glocken erſchien Rambaldus mit einer Schaar
Bewaffneter auf der Straße vor dem Gerichtöpalafte. Die Söld—
ner des DVecelus, etwa fiebenzig an der Zahl, meiſtens Paduaner,
welche jene Nacht dort die Wache gehabt hatten, drangen gegen
Rambaldus vor, der langfam zurüdwid, da er merkte, daß er mit
den Seinen zu früh erjchtenen fer. Bald aber fahen die Söldner,
wie aus allen Straßen und Gafjen, welche auf den Markt mün-
den, die Schaaren der übrigen Berfchworenen gegen fie heranftürmten
und eilten, vom ‘Plate verdrängt und auseinander gerifien, über
den Fluß, um ſich zu Vecelus zu begeben. Der Paduaner Al—
bertus de Novocaftro, welcher an Stelle des Vecelus als Podeftä
Die Stadt regierte, überließ nad) kurzem vergeblihem Widerftand
den Gerichtöpalaft den Bürgern. DVecelus felbft aber beftieg, ale
er den verzweifelten Stand feiner Angelegenheiten wahrnahm und
feine Truppen fich zuftrömen ſah, ſein Schlachtroß, verließ mit
geringer Begleitung die Stadt und z0g fi auf feine Güter zu
Serravallis zurüd. Sp wurde Trevifo, welches 29?) Jahre unter
1) Santa Maria Maggiore. — 2) Die Zahl fehlt im Tert. Im Jahre 1283 machte
fi Gherardo da Cammino, der Vater Rizzardo’3 und Guecellone’3 zum Herrn von
Treviſo Feltre und Belluno.
1312
240 Zehntes Bud).
1312 der Herrichaft des Geſchlechtes Camino geftanden hatte, im Jahre
Der. 15 unſeres Heren Jeſu Chrifti 1312 am 15. December wieder in
ein freies Gemeinwejen umgewandelt.
2. Aufruhr des Nicolaus de Lucio und Berrath
leines Schloſſes. Aber in eben diefen Tagen wurde Padua
abermals von Unheil im Innern betroffen. In Padua lebte ein
Mann von vornehmer Herkunft, väterlicherjeitd ein Nachfomme der
Maltraverfi, mütterlicherfeitS aus dem Gefchleht der Markgrafen
von Efte, namens Nicolaus de Lucio !), der fich durch feltene Be—
redſamkeit, äußerſte Verichlagenheit, einen hochftrebenden Sinn und
verſchwenderiſche Freigebigfeit auszeichnete. Diefen Tugenden aber
ftanden Eiferfuht und Mißgunſt, melche ihn nie ruhen Liegen, ſo—
wie ein ſchrankenloſer Ehrgeiz gegenüber, dem alle bürgerlichen Ein=
richtungen außer denjenigen, die er jelbjt gejchaffen, ein Greuel
waren. Er fonnte e8 nicht ertragen, daß im Staate ein Bürger
ihm gleichftehe, geſchweige denn mehr Einfluß befige als er. Lob—
preifung eines Andern erſchien ihm als Verkleinerung feiner jelbft.
In Folge diefer Eigenihaften haßte er die guten Patrioten und
war Schmeichlern überaus zugethan. Niemand war brauchbarver
als er, wenn ihn einmal nicht ſowohl ein tugendhafter Trieb, als
vielmehr Gelegenheit und Zufall veranlaßten, ein löbliches Ziel
zu verfolgen; aber aucd niemand konnte mehr ſchaden. Es ift
jeltfam, wie oft er im Senat durch feine Beredſamkeit ausfichts-
[ofen Sachen zum Siege verhalf; ſchon beim Verlaſſen des Rath—
hauſes mißbilligten wohl diejenigen jelbft, die für feine Anficht ges
ftimmt hatten, den von ihnen gefaßten Beſchluß, doch ſchützte fie
die Neue, fo häufig diejelbe ſich auch bei ihnen einftellte, nicht vor
Rückfällen. Obwohl man ihn als unzuverläffig kannte, triumphierte
er doch durch Trug und Lift über die Bemühungen derer, melche
es redlich meinten. Und wie er ſich durch die Ueberlegenheit feines
Geiftes Anhänger erwarb, jo erfaufte er ſolche auch durch Gejchenfe:
die Einen bereicherte er durch Kirchenvorftandichaften, wobei dann
2) D. i. Lozzo.
Aufruhr des Nicolaus de Lucio und Berrath feines Schloffes. 241
mit Hintanfegung aller Religion die gotteödienftlichen Gefälle zu
weltlichen Vortheilen Ichmählic verwandt wurden. Andere erfreute
er durch jährliche Gefchenfe aus feinen eigenen Scheuern und Bor-
räthen, die er hierdurch völlig erichöpfte; noch Andere auf Koften
des Staates; manche aus den Gütern der Berbannten. Da er
Alles vortrefflich zu veranftalten und einzurichten verftand, jo feste
er mit Hilfe diefer jener Anhänger was er immer wünfchte im
Gemeinweſen durch, indem namentlih auch die Yeichtigfeit, mit
welcher er fich überall anzufchmiegen wußte, jenen Unternehmungen
Vorſchub Ieiftete; denn obgleih er ein Wühler mar, jo blieb er
nie ftandhaft bei einer Partei, jondern folgte ſtets derjenigen, welche
vom Glück am meiften begünftigt ſchien; dem Volfe war er wider
die Bornehmen zu Willen, jo lange des Volkes Macht vormog ;
unterlag dasjelbe jedoch, jo war er der rüdjichtslofefte Eiferer im
Berbande des Adels; abwechſelnd ging er mit der jedesmal fiegen-
den Partei, mochte e8 die der Shibellinen oder der Guelfen jein.
Auch den Herrſchern von Verona war er, je nach der Lage der
Dinge, Feind oder Freund. Obwohl ſich jo in feinem Weſen gute
und böje Eigenſchaften mifchten, galt er doch für einen bebeutenden
Menſchen. Auch das äußere Anjehen dieſes merkwürdigen Mannes
will ich zu ſchildern nicht unterlaffen. Er mar blond, von röth—
licher Gefichtsfarbe, glänzenden, beweglichen und vorftehenden Augen,
ſchwellenden Tippen, breiter Bruft, wohlbeleibt mit plumpen Gliedern,
ſtets mit ungejundem Hautausſchlag behaftet, won gedrungener,
kräftiger Geftalt. Sein weites Gewand reichte bis zur Erde, aud)
liebte er e8, vielen Schmuck an fich zu tragen, war in Speile und
Trank ziemlich unmäßig, im Ernſte wie im Scherz anmafend.
Zum Freunde wählte er fich einen Menfchen, der ihm ebenfo in
Anlage und Charakter als in Anfichten und Plänen ähnelte, ven
Antonius de Curtarodolo, mit dem er Alles theilte. Ex bereicherte
denſelben nicht nur, jondern bewohnte das gleiche Haus mit ihm
und theilte, wenn gelegentlid) die Gattin abweſend war, in leiden—
ſchaftlicher Hingabe felbft das Lager mit dem Freunde, wie das
Gerücht beſagte, jo daß Jeder, der ihr Verhältnis beobachtete oder
Geſchichtſchreiber. Lig. 67. Leben Heinrichs VII. 16
1312
1312
242 Zehntes Bud.
auc nur muthmaßte, diefe Hingabe, welche weiter ging als fie
fi) zwiſchen Männern geziemte, verdammen mußte. Wenigftens
fah man fie im Rathsſaale und auf der Straße ſich, Lippe auf
Lippe und Mund auf Mund gepregt, umarmen und weibiſch küſſen
ohne Scham, oft audy bei Gelagen vor den Augen zahlreicher
Bürger. Diefer, zum Verderben der Gemeinde groß gewordene
Mann, zu den Zeiten dieſes unſeres Kaiſers etwa dreißigjährig,
führte damals an Stelle der Herren von Berona in angefehener
Stellung die Herrihaft daſelbſt }). Anfangs, bei den erften Be—
wegungen in der Lombardei, bemühte er fich mit Aufbietung aller
feiner Talente, Albuinus und Canis dem Kaiſer abjpenftig zu
machen. Die Paduaner aber, denen der Kaiſer bereits wohlgefinnt
war und umfaffende Freiheiten verliehen hatte, verführte er, dieſe
zu verſchmähen, und rieth ihnen, jo jehr auch Albertinus Mufjatus
widerftrebte und aufrichtigen Frieden empfahl, auf das entſchiedenſte
fi) aufzulehnen, indem er ſich im großen Kath der Taufend mit
beredten und hochtrabenden Worten dafür ausſprach, man folle die
Thore jchließen und Lieber fich dem Hunger ausjegen und zu
Grunde gehen, al8 dem Kaifer gehorhen. Doch war es ihm hier—
bei, wie ſich Tpäter herausſtellte, durchaus nicht darum zu thun,
das Befte der Baterftadt zu befördern, jondern voll Selbftvertrauen
und der Stellung eines einfachen Bürgers bereit8 überdrüffig, hoffte
er, wenn in den Kriegsgefahren der Staat erjchüttert würde und
in Wanfen geriethe, dann ſelbſt in Padua oder PVicenza, wie e8
das Glück mit ſich brächte, eine um fo glänzendere Rolle zu ſpielen.
Als dann, wie oben geſchildert worden tft, Canisgrandis DVicenza
einnahm, nannte die Stimme des Volkes ihn als Mitjhuldigen
Canis' und aud die Bürger nahmen aus vielen Gründen feine
Mitihuld an. Doch wurde er durch die Entſcheidung der Erften
des Staates aus einem zwiefachen Grunde gegen das Volk, welches
Yaut rief, er ſei des Todes fhuldig, in Schug genommen, einmal
weil die Sache nicht ganz klar war und man ihn nicht etwa ſchuld—
1) d. h. er war Podefta in Verona.
Aufruhr des Nicolaus de Lucio und Verrath feines Schloffes. 243
08 zum Zode oder zur Verbannung verurtheilen wollte, zweitens
aber, damit nicht bei der augenblidlichen Nothlage des Staates,
wo man faum ſich in den Mauern behaupten zu fönnen hoffte,
er als mädhtigfter der Aufftändifhen mit den Feinden vereint zum
Verderben der Stadt beitrag. So erwied man ihm, der faum
noch darauf hoffte, Vertrauen und zog ihn wieder in die Stadt.
Diefen Beſchluß veranlagte Albertinus Muffatus, der hierfür den
Tiſo de Campo Sancti Petri, Yacobus de Sarraria, Öualpertinus
Mufjatus den Abt zu St. Yuftina, und mehrere andere Guelfen
gewann. Dod lieg Nicolaus, der feinen Zorn verbarg, darum
nicht nad, Stadt und Bürger zu umlauern und gab fi Tag und
Naht mit den Seinen und unruhigen Bürgern Verfhmörungsplänen
hin. Bet den Ghibellinen behauptete er dem Kaifer eifrig ergeben
zu jein, den Guelfen jpiegelte er vor, er haſſe denfelben. Und
damit er größeres Bertrauen erlange und um jo leichter Gelegen-
heit finde, die Berfaflung, wie er wünfchte, über den Haufen zu
werfen, ſprach er fih über Canisgrandis in öffentlichen Verſamm—
lungen, im Rathe, vor dem Volke voll Abſcheu aus, ſchmähte auf
ihn, daß er, der eine jo große Wolle fpielte, von ſchmutzigen Del-
händlern abftamme!), daß er graufam und verrucht und feine Herr—
haft unleidlich ſei. Ya, er felbft vieth dazu, daß der Nath be
Ihliege und verfündige, daß derjenige, welcher Canis umbringe,
aus dem Staatsichat eine Belohnung von zehntaufend Goldgulden
nebjt andern umfaljenden Freiheiten und Begünftigungen erhalten
jole. Und gleichzeitig ftand er, wie aus dem, was fich fpäter
ereignete, klar wurde, unabläfjig, Tag und Nacht, indgeheim mit
eben jenem Canis über den Verrath der Stadt vder der unter—
thänigen Orte durch Boten in Verhandlung, mober ihm als Be:
rather und Vermittler Bailardinus de Nogarolis diente, deſſen
Tochter furz zuvor mit Guido, dem Sohne des Nicolaus de Lucio
verlobt worden war, bis er endlich, Größere planend als der
Erfolg ihm ſchließlich gewährte, mit feinen Mitverfhworenen auf
1) Schon im Alterthum galt der Delhandel für ein wenig ehrenvolles Gewerbe.
| 16*
1312
1312
244 Zehntes Bud).
folgende Punkte übereinfam: Er hatte den Becelus de Camino an—
geftiftet, mit Canis Freundſchaft zu ſchließen, damit auch von dieſer
Seite her Padua befriegt würde; doch war dies (mie wir oben
erzählt haben) vergebens geweſen und anders ausgefallen, ald man
gedacht hatte. Werner hatte er den Dalmafius und Galardus,
welche in Ferrara für die römische Kirche befehligten, beftürmt, fich
mit Canis zu verbünden; fie follten, wenn die Dinge in Padua
in Folge der Empörung des Nicolaus ſelbſt zum äußerſten fümen,
der Stadt Krieg ankündigen unter dem Vorwande, daß die Paduaner
im Gebiet von Ferrara einige Orte beſetzt hielten. Dann berieth
er nächtlicher Weile in Venedig mit einigen verbannten paduaniſchen
Shibellinen über die Mittel und Wege, wie man den Verrath bes
ginnen und ins Werf fegen wolle. Jene jollten ihm behilflich
jein und mit Canis vereint durch raſchen Anmarſch die Sache zur
Bollendung bringen. Inzwilhen hatte Antonius de Curtarodolo,
welcher den Verrath auf das eifrigfte worbereitete und für den
Aufftand um jo nüglicher fein konnte, je beliebter er bei den Guelfen
Padua's mar, zeitig feine Maßnahmen ergriffen, die Regierung von
Eſte erbeten und von den Bürgern, die fie ihm vertrauensvoll
darboten, erhalten, um dieſe Stadt bei günftiger Gelegenheit Canis
zu überliefern, wenn der Verlauf der Dinge die Hoffnungen der
Berräther zur Verwirflihung brächte. Mean hatte nämlich ver—
abredet, Daß an einem und demjelben Tage und zu derfelben Stunde
die Burg Lucium, Efte und Mons Silicis) von den herbeigeführ-
ten Feinden eingenommen und die Paduaner dergeſtalt unverſehens
in ihrer näcften Nähe umlagert und bevrängt werden follten.
Inzwiſchen war Nicolaus emfig bemüht, auf Koften der arglojen
Paduaner bei Tag und Nacht Lucium zu befeftigen, zu ummallen,
durch Thürme und Zinnen zu fichern, indem er behauptete, es
gehe das Gerücht, als wolle Canis das Schloß überfallen. Auch
legte ex ſowohl Reifige als aud das Fußvolf, welches die Paduaner
1) Monfelice, eine Hauptvefte des Faduanifchen Gebietes, im Süden der Euganeen;
wenige Miglien weftlich davon Efte Ateftino. Lozzo liegt am Monte Lozzo, einem
mweftlihen Vorberge der Euganeen.
Aufruhr des Nicolaus de Lucio und Verrath feines Schlofjes. 245
aus Beſorgnis vor Canis' Feindfeligfeiten um hoben Solo an—
geworben hatten, in feine Befte, angeblich um diefelbe zu bewachen,
und hielt fie hier zurüd, indem er einer günftigen Gelegenheit zur
Ausführung feiner Pläne harrte. Endlich jedoch begann das Volt
in Badua fi) mit der Sache zu beihäftigen: auf den Straßen, in
den Schenfen redete man darüber, exft leiſe einander ins Ohr,
dann immer vernehmlicher, bis das Gerede auch zu den Ohren
der Senatoren und der Obrigfeiten fam. Es fer doch, jo hieß es
allgemein, geradezu wahnwitzig, einem Menjchen, der die Stadt jo
oft treulo8 hintergangen habe, im Hinblick auf die gewaltige Be—
feitigung jeiner Burg ein jo großes Zutrauen zu fchenfen. Ex,
der immer bereit ſei Unheil zu ftiften, müſſe nnter den obmalten-
den Umftänden auf das ängftlichjte überwacht werden, Damit ex
nicht feine Vergünftigungen freventlich misbrauhe und die Stadt
mit ihrem ganzen Gebiet in die größte Gefahr ſtürze. Diefes
Gerede gelangte dem Biſchof Paganus della Torre, dent Gualper-
tinus Mufjatus Abt von St. Yuftina, und anderen Angejehenen
zu Ohren und wurde von ihnen an den Kath gebradt, um in
nähere Erwägung gezogen zu werden. Die Sache ſchien nicht
grundlos, vielmehr glaubte man fie eingehender erörtern und Vor—
fehrungen treffen zu müſſen. Die Mehrzahl war der Anſicht, man
jolle fi) nicht8 merken laffen und von Staatswegen an Nicolaus
Männer, denen er Dertrauen ſchenke, abſchicken, um ihn zu bewegen,
nad) Padua zu fommen und die Stadt zu berathen, da man alles
nur nach jeinem Rathe anoronen wolle. Albertinus Muffatıre
Dagegen, welcher die Verwegenheit des Nicolaus bereit aus viel-
facher Erfahrung kannte und an deutlihen Anzeichen merkte, daß
Alles für den Verrath vorbereitet ſei, billigte 8 zwar, daß man
jene Männer vorausfende, vieth jedoch, insgeheim während der
Nacht einen Theil der paduaniſchen Bürgerwehr oder der Söldner
mit einer Abtheilung Fußvolk nachzuſchicken, um das Schloß zu
befegen, ehe e8 dem Feinde in die Hände fiele, weiter aber feine
Gewalt gegen Nicolaus anzumenden, ſondern es im fein Belieben
zu ftellen, nach Badua zu fommen oder fih in feinem Schloß auf:
1312
1312
246 Zehntes Bud).
zubalten. Dieſer Rath erfchten der Mehrheit zu hart; man müffe,
meinte man, die Sache milder angreifen und den mächtigen Bürger
zu gewinnen ſuchen, damit er nicht ſeinerſeits, wenn er fich bedrängt
und aller Ausfichten beraubt jehe, ſich von der Gemeinde Iosfage.
Dem entjprechend jandte man den Ritter Marfilius PBolafrirana
und den Nichter Rolandus de Plaziola, die fi) freiwillig dazu
erboten, da fie voll Eifers waren mit jenem die Sache ind Keine
zu bringen, zu ihm. Sie fehrten mit dem Berjprechen des Nico-
laus zurüd, binnen drei Tagen nad Padua zu fommen. Man
Ihidte damals aucd den Zambonetus de Capitevaccae, um die Be—
jagung, welche in Lucium lag, zu befehligen, doch ſandte Nicolaus
dieſen zurüd, nachdem er ihn ſchlau berüdt und abermals gelobt
hatte, nad) Padua zu kommen. Jedoch befand fih Nicolaus in
nicht geringer Berlegenheit, da er wahrnahm, daß der Statthalter
der Lombardei, Werner von Homberg, mit den Contingenten ver
Lombarden, nämlich von Mailand, Bergamo, Crema, Brescia,
Mantua und Verona, denen neben Canis erft Lucium, dann Efte
überliefert werden follte, nod) zügere, und wußte nicht, was er thun
joe. Wenn er nämlich die Abmwerfung der Maske bis zur Ans
funft der Lombarden verſchob, jo drohte ihm, falls die Paduaner
ihm zuvorfamen und ihre Maßregeln trafen, Tod und Berderben,
ohne daß er fich wehren fonnte; entjchloß er ſich dagegen ſchon
jet zur offenen Empörung, jo mußte er bejorgen, in Canis'
Augen ſogleich als Betrüger zu erjcheinen, menn er demfelben näm—
fi anftatt der weitergehenden Hoffnungen, die er ihm gemadıt,
nur Lucium überliefere und den Aufftand mit unzulänglichen Mit—
teln beginne. Da nämlich der Abfall von Efte dadurch vereitelt
worden war, daß die Gemeinde jenes Drtes felbft fid) hundert
paduaniſchen Berittenen zur Bewachung anvertraut hatte, jo konnte
er für den Augenblid jeine Verſprechungen und feine Abfichten
nicht zur Ausführung bringen. Auch waren weder er noch Canis
ohne die lombardiſche Hilfe ftarf genug, um in die weite und be=
völferte Gegend von Efte einzufallen. Unter dem Drud der Um—
ftärde ſandte er daher früher als er vorgehabt hatte, eilends zu
Berheerung von Pedevende ıc. 247
Canis, um denfelben zu bewegen, Söldner zu ihm nad Lucium 1312
zu ſchicken. Diefer ſchickt denn auch, um den unbeftändigen Men—
ichen jchlechterdings zum Verrath zu zwingen und die Paduaner
im Mittelpunkt ihres Gebietes zu jchädigen, jene Söldner und mit
ihnen die paduanifchen Berbannten, welche am Freitag den 23. Des Der. 23
cember im Sahre unferes Heren 1312 bei Tagesanbruch anlangen.
Sobald diefe Truppen in Lucium erjchtenen, warf Nicolaus die
paduaniſche Beſatzung, welche aus zwanzig Berittenen und fünfzig
Mann Fußvolk beftand, ind Gefängnis, aus dem fie jpäter los—
gekauft wurden. — Lucium liegt auf einem Berge, welcher einen
hohen ſpitzen Gipfel hat, unten aber breit ift. Den einzigen Zu:
gang bildet der Weg über Valbona im Weften, vom Vicentiniſchen
her; üblich grenzt, durch einen Sumpf getrennt, das Gebiet von
Eſte; im Often und Norden Liegen Cintum Nufta Venda und die
übrigen pabuanifchen Berge, doch fcheidet ein vom Bacchilio ab-
gezweigter Flußarm !) Lucium von den Bergen. Auf dem fpigen
Gipfel befindet fid) nur ein einfames Wachthaus; auf einem be—
nachbarten Joch aber Liegt die Burg des Nicolaus auf fahlem Fels,
von allen Seiten mit Baftionen verjehen. Als am Morgen die
flatternden Adlerbanner der kaiſerlichen Hoheit und die Leitern, die
Teldzeihen des Canisgrandis 2) auf den Zinnen der Burg er=
Ichienen, ergriffen die Yandleute ringsum die Flucht.
3. Berheerung von Pedevende und Niederlage
der Anhänger des Nicolaus de Lucio. Sobald die Nach—
richt hiervon nach Padua gelangte, eilten die Paduaner ohne Zeit
verluft nad) Ejte und brachen beim erften Grauen des Morgens gegen
Lucium auf. Während fie ſich noch auf dem Marjche dorthin befanden,
nahmen fie in der Luft den Rauch des brennenden Dorfes Arquada
wahr. Die Kriegsichaar Canis' nämlich war, ohne Kunde von
der Ankunft der Paduaner in Efte, unter Anführung des Antonıus
1) Zert: Bacchilionis fAuentum; jedenfalls nicht an den Fluß felbft zu denfen, der
im Norden der Euganeen bleibt, während durch das Thal, welches den Monte Lozzo
vom Hauptftod der Euganeen trennt, einige Flüffe, die mit dem Canalnetz zwischen Etſch,
Bacchilione und Brenta in Verbindung ſtehen, ihren Lauf nehmen. — 2) Scala bedeutet
im deutſchen „Leiter“.
348 Zehntes Bud.
1312 de Gurtarodolo, bereits auf einem Naubzuge unterwegs. Durch
Ben auffteigenden Rauch hiervon benachrichtigt, wandten fich die
Paduaner mit dem Fußvolk von Efte vereint zu den Engpäffen,
durch welche jene zurückkommen mußten, und nahmen hier Stellung.
Al Antonius und Canis' Truppen heranfanıen und wahrnahmen,
daß die Paduaner die Zugänge von der Höhe der Hügel herab
zur Ebene bewachten, jahen fie ihre Niederlage vor Augen, gaben
ſich verloren und flüchteten in regellofer Unordnung und Zerftreuung
mit Preisgebung der Pferde, die Waffen wegwerfend, in die weiten
Wälder, über die jchroffen Klippen und in die Engen der Berge.
Doch war ihre Hoffnung auf Entfommen eitel, denn da fie der
Gegend unfundig waren, jo fielen fie den Paduanern in die Hände,
baten nur um ihr Leben und ergaben fich ohne Widerftand. In
dem hügeligen Terrain wurden viele getödtet, deren Namen man
nicht wußte, da fie ausländische Söldner Canis' waren. Etwa
hundert Berittene mit ihren Waffen und Pferden wurden als Ge—
fangene in Eſte eingebradt. Viele lieferten fi, beim Umherirren
von Kälte und Hunger gepeinigt, freiwillig den Bauern der Dörfer
von Pedevenda in die Hände. Noch andere hielten fich drei Tage
Yang in den Schluchten verborgen, bis fie endlihh von den Bauern
ergriffen wurden. Bon dreihundert Lanzenreitern, welche an jenem
Tage Luctum verließen, und ebenfo viel Fußtruppen fehrten in der
folgenden Nacht zwetundzwanzig zurüd. in Theil, welcher über
die Ebenen von Rovolono zeriprengt worden war, kam vom Glüd
begünftigt nach Ueberſchreitung des Bacchilio nah Bicenza, im
Ganzen hundertundzwei Mann. Antonius de Curtarodolo, welcher
der Wege fundig war, gelangte mit einem Begleiter nad) einem
ichnellen Ritt durch die Hügellandichaft ohne Weg und Steg wieder
nad Lucium, nachdem er den Berfolgern nur mit Mühe entgangen
war. Gegen Abend kehrten die Paduaner voll Siegesfreude mit
Beute und Gefangenen nah Efte zurüd. Nachdem fie dann eiligft
Schleudern und Belagerungsmafchinen aller Art, welche mit Be—
feftigungen verfehen und theil8 zu Lande, theild auf den Wafler
Einfall des Statthalters der Lombardei ꝛc. 349
verwendbar maren ?), erbaut hatten, wandten fie fih in Schlacht—
ordnung gegen Lucium, um dasjelbe zu erobern. Dod während
ihon die Einwohner an der Behauptung der Stadt verzweifelten
und, zu ſchwach zum Widerftande, fich anſchickten in die Wildnis
zurüdzumweichen, brachte es das Gejchi mit fi, daß bei Nacht
eine für Menſchen und Thiere unerträglihe Kälte eintrat und den
Kampf unterbrah. In den nächſten Tagen vernahm man dann
fichere Kunde, daß Werner von Homberg mit lombardiſchen Con—
tingenten zu Canis nad) Verona gefommen je. Beſorgt warfen
die Paduaner rings um die Burg von Eſte einen Wall auf und
befeftigten denſelben durch Gräben, zu melden Arbeiten unter dem
Zwange der Notwendigkeit die Reiter verwandt wurden, die auf
ihren Schultern Schanzzeug, Pfähle und andere Laften heranſchlepp—
ten und jogar auf den Schilden die aus den Gruben audgegrabene
Erde forttrugen. So ward der Drt befeftigt; ſelbſt Borntus de
Samaritanid aus Bologna, ein maderer Ritter, welder damals
Podeſtà von Padua war, fpaltete vor aller Augen mit wuchtigen
Arthieben Das Geftein, damit die übrigen fich ein Beifpiel daran
nähmen und um fo williger and Werf gingen. Zugleich ließ er
von anderen Truppen mit gleicher Emſigkeit Burg und Stadt von
Mons Silicis befeftigen.
4. Einfall des Statthalters der Lombardei
Werner von Homberg in das Gebiet von Padua.
Einnahme des Schloſſes Boccho. Während die Paduaner
mit ſolchen Arbeiten beſchäftigt waren, kam Graf Werner mit
ſeinen Schaaren in Begleitung des Canisgrandis mit vielerlei
Kriegsmaterial, Eſeln und Wagen verſehen, nach Vicenza. Von
dort aus griffen ſie nach ſchnellem Marſche die Feſte des Maſtinus
Canis in Camiſanum an, in welcher ſie die verbannten Edlen von
Vicenza vermutheten, zerſtörten und verbrannten dieſelbe, nachdem
fie fie erſtirmt und die Hüter getödtet oder gefangen genommen
hatten. Die vicentinifchen Edlen dagegen, melde das Haus in
1) machinae et tormenta cum propugnaculis navalibus ac terrestribus.
1312
—1313
250 Zehntes Bud).
— der Nacht verlaſſen hatten, wandten ſich, nachdem ſie die Ort⸗
ſchaften von Pedemons verheerend durchzogen, mit Beute und Ge—
fangenen nach Baſſianum. Bon Camiſanum aus marſchierten der
Graf und Canis nach Montevarda und griffen es an, kehrten
aber unverrichteter Sache nach Vicenza heim. Am nächſten Tage
verließen ſie beſſer ausgerüſtet Vicenza wieder und zogen in Lucium
ein, wo ſich nun die dem Grafen beigegebene deutſche kaiſerliche
Abtheilung und die geſammelten Truppen der reichſstreuen lombar—
diſchen Städte mit dem leichtgerüſteten Fußvolk und denen, welche
die ungeheuren Lanzen handhaben, endlich die kaiſerlichen Provinzial—
truppen zuſammen fanden. Dieſe auserleſenen Schaaren richteten
zuerſt ihre Angriffe gegen die in den Bergen von Pedevenda be—
legenen Ortſchaften, überfielen Cintum!), deſſen Bewachung die
Paduaner fünf und zwanzig Mann Fußvolk als Kundſchaftern an—
vertraut hatten, und zerſtörten das alte Gebäude auf dem Gipfel
des Berges; die Beſatzung ward gefangen oder getödtet. In der
Folge verheerten fie Valle Cornaleda ?) und die ganze Gegend dies—
ſeits des Venda-Berges durch Teuer und Schwert und fehrten dann
wieder nad) Lucium zurüd. Am Tage darauf marjchierten fie in
Keihe und Glied nad) Mond Bocconis ?), wo Nicolaus de Caftro-
n000, welcher aus dem Geſchlecht der Maltraverfi und ein Better
des Nicolaus de Lucio war, eine Burg beſaß. Albertinus, ver
Sohn des Nicolaus, war nicht ftarf genug, um den Anprall aus-
zuhalten und ergab fid) dem Canis mit feiner Mutter und Familie,
die Eäglih in em Haus gebracht wurden, welches ihnen jet
gegneriſch und feindjelig geworden war, während fie einft Darin
geboren und erzogen waren, durch Blutsvermandtichaft dem Ber-
rather verbunden, deſſen Macht fie jet ind Unglüd ſtürzte. Doc
oh! hätte jener, wenn nicht Scham, jo doch wenigſtens Trauer
in feinem Herzen gefühlt, als fein Verrath dergeftalt bereitS gegen
jein eigenes Geſchlecht ſich zu kehren begann und ihm ſchon nad
zwei Tagen ein Haus verheert und in Flammen geſetzt ward, an
1) Einto Euganeo füdöftlih von Lozzo. — 2) Soll vielleicht Balnogaredo fein öſtlich
von 20330. — 3) Boccon nordöftlich von Lozzo.
Herausforderung der Paduaner zur Schlacht ıc. 351
deſſen Aufbau er jelbft mit den Geinen feinen geringen Antheil ! —
gehabt hatte! Nachdem dieſe Burgen verbrannt und verheert waren,
gingen Werner und Canis, obwohl der Verräther ſie aufforderte
ins offene Feld zur Belagerung größerer Städte oder zum Kampfe
mit den Paduanern auszurücken, bedächtig und mit großer Vorſicht
gegen die Paduaner zu Werke, die nichts verſäumten um ſich und
die ihren zu ſchützen, und, falls man ſie herausforderte, bereit
waren mit ihren zahlreichen Truppen die Schlacht anzunehmen.
Daher dünkte es jenen gerathen, das Gebiet von Padua zu ver
laſſen und abzuziehen.
5. Herausforderung der Paduaner zur Schlacht
durh Kanisgrandıs und ihre Antwort. Dod jandte
Canis prahleriſch und um die Kühnheit der Paduaner zu erproben
einen feiner Vertrauten an den Podefta Bornius und die Edlen
mit einem gefiegelten Briefe, um fie zu emem Kampf im offenen
Felde herauszufordern. Bornius, ein tapferer Ritter, berief, mit
Laub geſchmückt, wie zu einem Freudenfeft, die Vornehmen zum
Rathe und ließ den Boten feinen Auftrag ausrichten. Nachdem
diefer entfernt worden war, rieth er in bevedter, muthiger An—
ſprache die Schlacht nicht abzumeifen: der Sieg fei jo gut wie
fiher: zmweitaufend einträchtig gefinnte Lanzenreiter mit glänzen-
den Waffen und fräftigen Pferden auögeftattet, welche ihnen die
eigene Heimath Lieferte, jeien vorhanden; daneben eine zahl-
reihe Bevölkerung; damit folle man die breitaufend Fremden
auf ihren verhungerten Kleppern, welche faum den weiten Marſch
aushielten, aus der Heimath verjagen oder niedermachen. Ohne
Widerſpruch antworteten daher die Bürger, fie nehmen das Treffen an;
Canis jelbft möge ein offenes Feld bezeichnen, auf welches fie, wie
fie freudig beſchworen, hinausziehen wollten. Canis antwortete, ex
werde mit den Seinen am folgenden Tage vor der dritten Stunde
unter Montevarda auf vicentiniſchem Grund und Boden erjcheinen ;
dorthin möchten auch fie fommen, dort werde ex fich mit feinen
Truppen ihnen ftellen. Die Pabuaner, unwillig über den knappen
Termin, der für fie unannehmbar war, ließen ihm durch einen
252 Zehntes Buch. Herausforderung der Paduaner zur Schlacht x.
— mit dem großen Siegel der Gemeinde geſchloſſenen Brief, den ein
adliger Bote aus der Zahl der Genoſſen des Podeſtà überbrachte,
zurückmelden: da ein Theil ihrer Kriegsmacht bei Efte, ein anderer
bet Mons Silicis, größere Mafjen auch in ihrer Stadt und den
abhängigen Ortichaften ſich befänden, jo möge Canis, wenn ev eine
Schlacht wünſche, bis zum dritten Tage warten; an dieſem werde
es ihnen möglich fein auf dem bezeichneten Felde fich zu ftellen.
Canis aber verlachte Died Anerbieten, verließ mit Werner und dem
übrigen Heere Lucium und ging nach Vicenza, von wo er Werner
und die Pombarben nad) Haufe entlieh.
Elftes Sud.
1. Caſuläſſchließt fihdem Kaiſer an. Schon waren 1312
Toscana und Lombardien durch das Kriegselend erjchüttert, durch —
rauchende Trümmer menſchlicher Wohnungen und Verheerung der
Aecker entſtellt. Der erſte Blick offenbarte dem Beſchauer ihr
Elend. Außerhalb ver Mauern der Städte laueyten Tod oder
Gefangenſchaft auf jeden Wanderer; mit Unkraut und Dornen be-
det, waren die Wege faum noch von ödem Wald- oder Sumpf-
land zu unterjcheiden. leid) war das Anjehen aller Diftrifte,
überall erſcholl die Kriegsprommete; in den Städten und Tleden
aber wechſelten ängftlihe Wachen bei Nacht und Waffengeklirr am
Tage mit einander ab, der Kriegsgott allein beherrichte alles Leben
und Treiben.
Um dieſe Zeit riß die Ghibellinenpartet unter den Bürgern
von Gafulae!) dieſe Stadt von Siena los und nahm den fünig-
lichen Marſchall nebft Friedrich von Montefeltro, Ugutio de Fagiola ?)
und fiebenhundert Keifigen in ihre Burg auf. Sofort eilten die
Truppen von Florenz und Siena, durch Hilfsſchaaren König Roberts
verftärft, dorthin und befesten alle Punkte, welche die Zugänge zur
Stadt beherrfchen. Denn da fie wahrnahmen daß des Kaifers
Sinn nur dahin ging fi) mit feinen gefchwächten Truppen im
Lager zu behaupten, jo beichloffen fie von ihm abzulaffen. Als
ih jedoch die Belagerung von Tag zu Tage, länger als fie ge
1) Eafoli im Quellgebiet der Elfa. — 2) Uguccione della Faggiuola.
254 Elftes Bud).
u dacht hatten, hinzog, kehrten fie der Sache überdrüffig nach und
nad heim, gaben ihr erſtes Lager auf und machten die Wege den
königlichen Truppen wieder zugänglid. Diefe nahmen die ihnen
gewährte Möglichkeit wahr, um mit Zurüdlaffung einer Beſatzung
in das kaiſerliche Lager zurüdzufehren, wo fie von dem Raifer und
den Seinen auf das freudigfte aufgenommen murbden.
2. Streitigfeiten in Florenz während Jeiner
Bedrängung durch den Kaifer. In Florenz aber, wo man
des nur noch ſchlaff betriebenen Krieges bereit8 überdrüſſig war,
kam es zu Streitigfeiten. Fulcerius de Calbulis!), der mit Söldnern
aus Romandiola um hoben Sold im Heere der Florentiner ges
dient hatte, geriet) mit Dego, dem Anführer ver Catalanen,
melde ebenfalls von Florenz angeworben waren, in einen Streit,
der von beiden Eeiten immer erbitterter wurde und einen unleid-
lihen Zwieſpalt und die höchſte Gefahr für die Stadt und Die
Guelfen herbeizuführen drohte. Da aber die Florentiner den
Dego Höher ſchätzten und mehr begünftigten, fo verließ Fulcerius
Florenz und marjchierte mit feinen Truppen nad) der Nomandiola
ab. Dies war den Florentinern nicht unlieb; manche vermutheten
nämlich, Fulcerius habe ſich insgeheim mit dem NKaifer eingelafien,
und gaben ihm Schuld, ınehrfac eine Gelegenheit zur Verfolgung
dejjelben unbenutt worübergelaffen zu haben. Ferner fam es in
der Stadt zu umwilligen und drohenden Aeußerungen des Volkes,
welches mit den Bornehmen uneind war; denn das durch den
langen Krieg, welcher Handel und Gewerbe brach legte, erichöpfte
Volk rief, man folle dem Kaifer eine Schlacht Liefern; die Vor—
nehmen dagegen empfahlen die Verſchiebung des Kampfes als ficherer,
fonnten aber die Wuth der tobenden Menge faum von fid) fern=
halten.
3. Der Katjer verläßt St. Cascianum und zieht
nad Podium Bonici. Im Lager des Kaiferd waren die
Zruppen jehr zufammengejchmolzen, weil die Pifaner und die
1) Folcieri da Calboli.
König Robert zeigt Padua an, daß der Papit ıc. 255
übrigen, welche der in Folge des Langen Aufenthalt drohende
Mangel jchredte, nach und nach in andere gefündere und veichere
Drte fortgezogen waren. Dazu fam daß im Lager im Folge der
durch die außerhalb deſſelben hingeworfenen todten Pferde und
durch die enge Zujammendrängung der Menjchen und des Viehes,
verdorbenen Luft eine Seuche ausbrach, welche viele hinmegraffte.
Auch hatte fich in eben diefen Tagen der Carbinal von Oſtia
aus dem Lager entfernt, um ſich zur Curie zu begeben und ven
Papft zu bewegen König Robert von Apulien zur Einftellung der
Veindfeligfeiten gegen den Kaiſer zu veranlajjen, da, wenn die Hilfe
Roberts fortfiele, der Carbinal Tuscien fat jhon für befiegt an-
ſah. — Durch vielerlei Uebelftände beläftigt, ließ der Kaiſer daher
jein feftes Lager in St. Cascianum zerftören und anzünden, brach
am 13. Januar im Jahre unjeres Herren Jeſu Chrift 1313 mit
dem ganzen Heere plöglic auf und gelangte nad) Barbarinum,
von wo er fih am nädften Tage nach Podium Bonici begab.
Hier richtete er nach dem Rath aller feiner Fürften ſich auf dem
Gipfel des Berges ein Winterlager her!). Indem er hier feinen
Aufenthalt nahm, war der Kaiſer im Stande mit gleicher Leichtig-
feit jowohl Siena als Florenz wie auch Lucca mit Krieg zu
überziehen, und, wenn e8 etwa die Lage der Dinge erforbern follte
daß er fih nah Piſa ziehe, jo führte auch dorthin eine direkte
Straße ?).
4. König Robert zeigt Padua an, daß der Papft
ihm die Stadt Ferrara überlafjen hat, nebft Ant-
wort der Paduaner. Um diefe Zeit fam von König Robert
von Apulien ein Brief in Padua an, welcher folgendermaßen lautete:
„Wir Robert von Gottes Gnaden König von Ierufalem und
Sicihien, Herzog von Apulien, Fürft von Capua, Graf von Pro-
vence Folcaquerium ?) und Piemont entbieten den edlen und weiſen
dem Podefta den Anzianen und der Gemeinde von Padua, unferen
geliebten Freunden und Getreuen, Heil und den Gruß aufrichtiger
1) Heinrich nannte die Lagerſtadt Mons imperialis, Kaifersberg. — 2) Bergl. oben
die Anmerkung zu Buch) 9 Kap. 4. — 3) d. i. Forcalquier.
1313
San. 13
I56 Eiftes Bud).
1313 Zuneigung. Die treue Liebe des frommen Vaterd Herren Clemens,
des höchften Priefterd der hochheiligen römischen Kirche, auf ung,
als auf feinen und der Kirche ergebenen Sohn vertrauend, hat die
Stadt Ferrara in beftimmter Weife zu lenken unferer Sorgfalt
übertragen und das Ruder der Verwaltung vderjelben ausdrücklich
in unſere Hände gelegt. Wir aber, obwohl diefer Auftrag uns
beichwerlich ift, da wir augenblidlid mit anderen dringenden An—
gelegenheiten unjerer Herrichaft beichäftigt find, haben dennoch, in
der Erwägung, daß wir die dringenden Gejuche des Herrn Papftes
jelbft nicht von der Hand weiſen und die Dienftleiftungen gegen
unfere heilige Mutter die Kirche nicht beicheiden und geziemend
ausichlagen fünnen, den vorerwähnten Auftrag ſowohl wegen des
glühenden Eifers unjerer Ergebenheit, welche wir gegen die hoch—
heilige römische Kirche hegen, als auch wegen der Zuneigung, die
wir der gedeihlichen Geftaltung eurer Berhältnifie und der eurer
und unjerer andern Freunde entgegenbringen, ehrfurchtsvoll an—
genommen. Daher erjuchen wir und bitten eure Liebe und Freund-
ſchaft, daß ihr im Hinblid auf die Aufrichtigfeit unjerer Gefinnung
den Statthalter der vorgenannten Stadt und unfere übrigen Be-
amten dajelbft, welche gleichjam ein Bild unjerer Gegenwart dar—
ftellen, der heiligen Mutter der römischen Kirche und ung zu Ehren
mit wirfjamer Hilfe und gefälliger Gunſt unterftügen und mit be
reitroilliger Darbietung eurer Heeresmacht, wenn und wie es nöthig
ist, ftärfen möget, auf daß durch unfere Verbindung mit gemein-
jamen Kräften und gleicher Zuneigung die Stadt Ferrara unter
dem Scepter unjerer Herrihaft in der Ruhe eines glüdlichen Zu—
ftande8 wiederaufblühen und auch in Folge davon eure Stadt,
durch nachbarliche Beziehungen damit verfnüpft, in ungetrübten
Glücke verharre; auch find. der vorgenannte Statthalter und Die
Beamten von und ausdrüdlich angewieſen worden, ihrerjeits, was
fie immer zur Beförderung eurer Wohlfahrt thun fünnen, eifrig
1312 und wirfjam zu betreiben. Gegeben zu Neapel am 12. Dezember
Del der 11. Imdiction 1).
1) Indiction bezeichnet befanntlich die Stellung des betr. Jahres in einem funfzehn-
König Robert zeigt Padıra an, daß der Papft ꝛc. 357
Die Antwort Padua's Yautete:
„Dem erlauchten Aobert König von Jeruſalem und Sicilten,
Herzog von Apulien, Fürften von Capua, Grafen von Provence
Folcaquerium und Piemont entbieten Bornius de Samaritanis aus
Bologna der Podefta, die vier Bewahrer der Freiheit und Ver—
fafjung ?), die acht Werfen ver Eredenza, die Anzianen der Gemeinde
und der Bürgerſchaft der Stadt Padua ihre unterthänige und er—
gebene Verehrung. Den Brief der königlichen Majeftät über die
Mebertragung und Entgegennahme ver Berwaltung der Stadt
Ferrara in Folge der wohlbedachten Ueberweiſung derſelben feitens
Des frommen Vaters, des höchftens Priefter8 der hochheiligen
römiſchen Kirche Haben wir empfangen und mit jo inbrünftiger
Freude entgegengenommen, mie wir das, was und gemeldet wird,
als fürberlih für die Macht des Königs und unfere Wohlfahrt
erfennen. Auch können wir nicht zweifeln, daß es nicht nur der
heilige Bater, fondern dag Gott im Himmel jelbft e8 verhängt
und gewollt hat, daß wir als Söhne der hochheiligen römischen
Kirche Durch einen jo erhabenen Sohn verjelben Mutter To fehr
begünftigt werben, daß wir in Gemeinſchaft mit den Seinen
wandeln. Wir haben e8 daher in größter Demuth auf ung ge-
nommen, den Statthalter und die füntglihen Beamten, unfere
Brüder, in der Stadt felbft und überall jonft mit gleicher Liebe
zu ehren, und verſprechen diefelben auch zu unterftügen und ihnen
unter dem Scepter der füniglichen Erhabenheit mit vereinten Kräften
zu dienen ; zugleich jprechen wir dem erlauchten Könige, dem Spender
einer jo reihen Gabe, aus innerfter Erfenntlichfeit des Herzens
unjeren Danf aus und wünjchen ihm Leben und Sieg. Gegeben
am 6. Januar“.
Dergeftalt trat zu großer Erleichterung der Bolognejen,
Paduaner und übrigen Guelfen in Ferrara eine Veränderung ein,
jährigen Cyclus. Das elfte Indictionsjahr, welches hier gemeint ift, ift vom September
1312 bi$ September 1313 zu reinen. — 1) Die Einrichtung diefer Behörde hängt mit
einer um eben dieje Zeit erfolgenden demofratifch-guelfifchen Umgeftaltnng der Berfaffung
zuſammen, deren Mufjato in feinem zweiten, großen Hauptwerfe, den Gestis Italicorum
ib. 2 rubr. 2 (Muratori Rer, Ital. Seriptt. X col. 587) gedenft.
Geſchichtſchreiber. Lig. 67. Leben Heinrichs VII. 17
ar. 6
1313
258 Elftes Bud.
durch welche auch in jenen Gegenden die Partet der Guelfen ge=
jtarkt war.
5. Bernihtung einer föniglihen Abtheilung
bei der Abtei Sponga. Inzwiſchen ereignete e8 fich, daß
einft dreihundert Eſelslaſten Proviant unter dem Geleit einer
föniglichen Abtheilung durch Galegnanım geführt wurden. Durch)
Boten hiervon unterrichtet, hatten Zirimbertusg de Syntilla !) ein
Aragonefe, der Graf der Nomandiola und die florentinifchen
Keifigen, melde in San Giminiano und Colle als Bejagung Lagen,
ſich bei der Abtei Spogna gefammelt und hielten ſich bier ver—
borgen, bis die füniglihe Schaar, etwa zweihundert Berittene und
ebenfo viel Mann Fußvolk ftark, auf dem Rückwege über den Felſen
von Scarna hin gegen Colle ?) hinabzog. Ein Theil der Florentiner
(ag nahe bet der Abtei jelbft im Sinterhalt, ein anderer Theil bei
dem Thore, durd; welches der Weg nad St. Lazarus führt;
die übrige Mannſchaft war auf der Hauptftraße, melde nad Siena
führt, offen aufgeftellt. Die königliche Schaar ſandte ſechs Be—
rittene als Späher vor um die feindlichen Reihen zu bejichtigen
und zu erfunden, was für Leute und wie viele es jeien; da fie
indeß zu weit worgingen und ſich den Rückweg nicht offen hielten,
fo wurden fie von den Florentinern abgeſchnitten und niedergemacht.
Sofort aber fam jegt die fünigliche Abtheilung in die Ebene hinab
und griff an, wurde aber von den in den beiden Hinterhalten
verborgenen Truppen umftellt und dadurch alsbald in Verwirrung
gebracht und vollftändig befiegt und vernichtet. Won den Reiſigen
fielen zwei und fiebenzig; nur wenige entfamen durch die Flucht,
der Reſt mit den Fußtruppen, welche nach Kriegfitte zugleich vor—
gegangen waren um die Tinten jener zu umgeben und zu verftärfen,
geriet) in Gefangenſchaft, von den beutegierigen Teichtbewaffneten
Cataloniſchen Sölonern der Florentiner aufgegriffen. Die Feld—
zeichen brachte man nach Florenz. Bei der fo vernichteten Ab—
theilung befanden ſich Deutſche, Ylanderer und Franzoſen, welche
1) Ghiberto di Santillio. — 2) Colle di Bal d' Elfa, wenige Miglien jitdlid von
Poggibonfi.
König Robert von Apulien entſchließt ſich x. 359
dem König nahe ftanden und an feinem Hofe eine Nolle fpielten, 1313
3. B. Aymo de Braymonte ein Franzoje!), des Kaiſers Better,
und Raynerius Porine aus Caſulä, derſelbe der diefe Stadt dem
Kaifer überliefert hatte. In Gefangenſchaft fiel Teri Paganelli,
einer der römiſchen Grafen; ein Graf von’ Santafiora ward er—
ftochen, ebenfo ein dritter Edler, einer der Fürften des Königs
und aus deilen Verwandtichaft.
6. Tod des Raymundus de Aipello Markgrafen
von Ancona bei Modena. Um dieſelbe Zeit wurde Nah:
mundus de Afpello der Markgraf von Ancona, ein Nepote des
Papſtes Clemens, als er mit großen Schätzen, die er geſammelt,
fid) an die päpftlihe Curie begeben wollte, im Gebiete von Modena
nahe Caſtrum Vetus ?) von Guido de Montecueulo und Franciscus
de Menabovibus aus Ferrara, der damals Borfteher von Modena
wor, und den ghibelliniihen Einwohnern von Modena, welche ſich
zu einem abicheulichen Raubzug verbunden Hatten, getöbtet, das
Gold nebft ven Laftthieren weggeführt, fein Gefolge bis auf den
legten Mann niedergemadt. Die Räuber aber fehrten, um neunzig-
taufend Gulden bereichert, voller Freude nad Modena zurück.
Dies geihah am dreizehnten Februar im Jahre unſeres Herren Febr. 13
1313. Die Bolognejen, voll Schmerz über diefen ungeheueren
Frevel, hoben die Yeiche von der Landftraße auf, brachten fie nach
Bologna und festen fie unter ehrenvollen Leichenfeterlichkeiten und
großem Geleit in einem foftbaren Sarkophage bei.
7. König Robert von Apulien entjcließt ſich,
feinen Bruder nah Tuscien zu jenden. Inzwiſchen ver-
fündeten die Gejandten der tusctihen Guelfenliga Yaut, daß König
Robert von Apulien zu Neapel in Gegenwart aller Fürften feines
Reiches eine Berathung abgehalten und hier die ihm dargebotene
Herrihaft iiber Tuscien angenommen und das fererliche, durch die
Fürſten befräftigte Gelübde gethan habe, ohne Verzug feinen jüngeren
Bruder Petrus Bictoriofus mit hinreichender Truppenmacht aus-
1) de Blamont, ein lothringifcher Ritter. — 2) Caftrovetere.
Li*
260 Eiftes Bud).
1313 gerüftet nad) Tuseien zu enden; zugleih habe er veriprochen daß
er mit diefem Schritte nur den Anfang made die Sache in die
Hand zu nehmen, indem ex felbft nichtS deſto weniger die Kriege
führung in Tuscien auf fih nehmen und dort erfcheinen wolle,
einerlet ob als Führer, oder als Bruder, denn er habe auf die
tusciſchen Brüder und Getreuen fein geringeres Augenmerk als auf
fein Reich Apulien jelbft. Er habe dann dem Petrus befohlen,
ohne jegliche Zögerung Waffen und Geräthe zu beihaffen und die
Schaaren der Fürften und Edlen des Reiches auszurüften. Cine
ähnliche Freude, wie die, welche dieſe Botjchaft bei den Guelfen
von ganz Tuscien fand, entfinnt fi unſer Zeitalter nicht erlebt
zu haben. Es war ald ob nah Sturm und Negenwetter der
Himmel in heiterer Klarheit ftrahle; ſchon glaubte man die deutſche
Peft vertilgt, Schon den Kaifer befiegt. Die allgemeine Betrübnis
wandelte ſich in Frohſinn und Scherz, bei Tage erfcholl Feftesjubel,
bei Nacht aber
„sell erglänzt das fladernde Licht von der Höhe der Thürme.“
8. Der Kaiſer richtet feine Genoffen auf. Auf
der Burg von Podium Bonici reſidirend, trug der Katjer fürft-
lichen Sinnes den Tod der Gefährten, welche bei Spogna gefallen
waren, unterdrücte ftandhaft feinen Schmerz und mahnte in wieder—
holter Rede die Genofjen gutes Muthes zu jein und, da fie jelbft
zu glücklicheren Dingen vom Geſchick aufgefpart ſeien, auf eine
günftige Zufunft zu hoffen; ſobald nur der Frühling das Yaub
wiederbringe, werde auf Antrieb des neuen Schmagers des Herzogs
von Deftereich 1) ganz Deutſchland zu Hilfe fommen; fein ältefter
Sohn, der Böhmenkönig, werde mit Hilfe der Schäße und Kleinodien
des reichften Landes die väterlichen Streitkräfte mehren; ſchon
fammle König Friedrich von Sicilien als Bundesgenofje feine’
1) Der Kaifer hatte damals für fih um die Schweiter der öfterreihiichen Herzöge,
Katharina, Tochter König Albrechts, werben laſſen; eben in Poggibonfi traf ihn die
Nachricht, daß ſeine Werbung von den Brüdern freudig aufgenommen worden war. —
Gleichzeitig befiirwortete König Johann von Böhmen auf einem Reichstage zu Regens—
burg eine nachdrückliche Unterftütung des Kaiſers durch das Reich und bereitete ſich vor,
jelbft nad) Stalien zu ziehen.
|
König Friedrid) von Sicilien jendet den Grafen x. 361
Schaaren; die Italiker aber des kaiſerlichen Anhangs, welche das
Winterlager verlaffen hatten, die Brüder und Genoſſen aus Arezzo
piſa und den übrigen großen und feinen Städten, würden geftärft
mit neugelammelten Mitteln ind Lager zurüdfehren; der Fromme
Vater Clemens aber, der heiligfte Priefter, der fich fein Unter—
nehmen wie ſeinen Augapfel angelegen jein laſſe, werde in heiligen
Mahnungen die Gunft und die Hilfsmittel der Kirche darreichen;
auch fer ihm der unfterblihe Gott gewogen, mit defien Hilfe und
unter deſſen Führung er die Lombarden unterworfen habe und,
bon den Bewohnern der Küfte zu Lande und zur See gefördert,
nah Rom, feinem Nom gefommen ſei, wo er das Capitol und
die Katjerfrone gewonnen habe, welche Krönung überdies bereits
in feierlichen Erlaſſe der Papft gutgeheigen habe; auch jeten dieſe
aufrührerifchen treulojen Tuscter und die Lombarden (wenn es aud)
Dort Rebellen gebe) mit Feuer und Schwert von Gott und ihm
beftraft, vertrieben, verkommen, wie es ſich gezieme daß Die, welche
die Gebote Gotte8 und des geiftlichen und weltlichen Richters auf
Erden verlachten, geftraft und zerjchmettert würden.
9, König Friedrich von GSicilien jendet den
Grafen von Claramonte dem Kaiſer zu Hilfe Durch
ſolche und ähnliche Reden richtet der Hochfinnige Kaifer ven Muth
jener Fürften und Ritter auf. Etwa in denfelben Tagen, am
1313
22. Februar, erfchten im Lager ber ihm der Graf von Claramonte Febr.22
aus Sieilien mit etwa zweihundert Rittern, dreihundert Schleuderern
und zweihundert Laften an Getreide und Leder, welche König Friedrich
von Sicilien ſandte. Inzwifchen vernahm man in Tuscien und
der Lombardei aus Kampanien folgende Nachrichten: Riciardus
Johannis de Cecano habe, von den Ghibellinen Campaniens kräftig
unterftügt, Ceperanum, eine Stadt König Roberts von Apulien,
erobert umd einen hartnädigen Krieg gegen die Guelfen Campaniens
begonnen lediglich in der Abficht die Truppen Roberts nad) Cam-
panten zu ziehen und fie von dem Kampfe gegen den Kaiſer abzu-
lenfen. Gegen ihn aber hätten die Pfalzgrafen, die Nepoten Des
ehemaligen Papſtes Bonifacius VIII. ruhmvollen Angedenfens, mit
1313
Fbr. 12
62 Eiftes Bud).
den vereinten Kräften der Guelfen ihre Truppen nach Ceperanum
geführt, wo es zu einer Feldſchlacht gefommen jet; bier hätten bie
Grafen den Sieg, der taufend Männern das Leben gefoftet habe,
erfochten; denn als die Eroberer der Stadt fich fliehend in dieſelbe
zurückgewandt hätten, ſeien fie bei der jteinernen Brüde, welche
ihnen den einzigen Rückweg bot, ereilt und jählings in den Fluß
geftürzt worden, während zugleid) mit den Befiegten die Schlacht—
haufen der Grafen in die Stadt gedrungen ſeien. In Folge diefer
Schlacht feien die Anhänger der ghibelliniichen Partei unterlegen,
getöptet und ertränft worden, und die ganze Provinz Kampanien
huldige allein dem Namen Roberts, |
10. König Robert von Apulien jendet Don
Srenandus nad Tuscien. Am 12. Februar erfchten in
Tuscien Don Frenandus mit zweihundert berittenen Gatalanen, von
König Aobert vorausgefandt, um dem Kaifer den Weg zu verlegen,
wenn derjelbe fein Lager wechile und fortziehe. Es ſcheint an diefer
Stelle unjerer Erzählung nicht unangebracht, die Herkunft des hocher—
lauten Don Frenandus zu berichten. König Nanfost) (jener gute
König Nanfos von Spanien, welcher durch feine Rührigkeit und feine
Macht unter den Trefflichiten dieſer Welt glänzte und deſſen leuchtende
Tugenden ihm unvergänglichen Ruhm erworben haben) zeugte fünf
Söhne, als erften Don Trenandus, welcher Frau Blanca, die Tochter
König Ludwigs?) von Frankreich, des Vaters des gegenmärtig in
Frankreich regierenden Königs Philipp zur Gattin hatte, der zweite
ift Santius?), welchem der Vater die Infantula von Molina *)
(einer Stadt in Spanien) zur Gattin gab. Mit diefer zeugte”er
‘den Pitetus, welcher jest das ſpaniſche Reich inne hat). Der
dritte ift Don Jannes 6), den man mit der Tochter des Mark:
1) d. i. Mlfons X der Weife König von Caftilien, der von 1252 his 1284 regierte. —
2) d. i. Ludwig IX., der Heilige 7 1270. Philipp IV., welcher zur Zeit da Muffatus
ſchrieb in Frankreich regierte, war übrigens ein Enkel, nit ein Sohn des heiligen Lud-
wig, j. u. — 3) d. i. Sandho IV., 1284—1295 König von Caftilien. — 4) Eine Heine
Herrſchaft mit gleihnamiger Hauptftadt in Neucaftilien nahe der aragonifhen Grenze. —
5) Sancho's Sohn und Nachfolger Fernando IV. ftarb bereit$ 1312; worauf Alfons XL,
defjen zmweijähriger Sohn, König ward. — 6) d. i. Juan.
Geichlehtstafel der Könige von Aragonien und Franfrid. 263
grafen Wilhelm von Montferrat vermählte; deren Sohn ift der 1513
gegenwärtige Herrfher von Galizien. Der vierte, Don Petrus,
nahm die Tochter des Aimericus von Narbonne zum Weibe. Der
fünfte ift der noch minderjährige Yacobus. Jener Don Frenandus
nun, welcher nad) Tuscien geſchickt wurde, ıft der Sohn des Don
Frenandus, des Erftgebornen des Königs Alfons von Spanien und
der Blanka, der Tochter König Ludwigs von Frankreich.
11. Gejhlehtstafel der Könige von Aragonien
und Frankreich. Und weil in unferer Erzählung vielleicht auch
der Könige von Aragonien gedacht werden muß, jo will ih die
Abftammung des gegenwärtigen Geſchlechtes erläutern und meine
Leſer davon in Kenntnis jegen. Don Jacobus König von Ara—
gonien ), derjelbe, deſſen Genie in gewaltigem Kriege das Reich
von Majorica unterwarf ?), hatte drei Söhne Der erfte ıft Don
Petrus, König von Catalonien und Aragonien ?), welcher die Tochter
Manfreds t), des Sohnes des ſchwäbiſchen Friedrich) zur Ge—
mahlin hatte. Mit ihr zeugte er drei Söhne: erftend Don Nanfos,
welcher ihm unmittelbar in feiner Herrſchaft nachfolgte ©) ; zweitens
Don Jacobus ”), welchen die Gegenwart als König fennt, drittens
Don Fridericus, welcher das Königreich Sieilien beherrſcht. Der
zweite Sohn des obenermwähnten Königs Iacobus, des Eroberers
von Majorica, trägt den väterlichen Namen; es ift Don Jacobus,
welcher jetst in ebendemfelben Reiche von Majorica herrſcht, zu-
gleih auch Graf von Auffigno und Herr von Mons Pefulanus ®)
ft. Der dritte Sohn des Yacobus, der Bruder der beiden er-
wähnten, war Erzbiſchof von Toledo ?); dieſer überzog die Sara=
cenen mit gemaltigem Kriege und gewann durch den Tod im Kampfe
gegen fie das ewige Leben. —
Was endlid) die Könige von Frankreich betrifft, fo willen
wir — (um nicht ihre ganze Reihe aufzuzählen) — daß ihr er-
1) Sayme I, regierte 1213—1276. — 2) Die Unterwerfung der Balearen erfolgte in
vierjährigem Kriege 1229—1233. — 3) Pedro III. 1276—1285, der Eroberer Siciliens. —
4) Conſtantia. — 5) d. i. Kaiſer Friedrih I. — 6) Alfons IT. 12855 —1291, —
7) Sayme I. 1291—1327. — 8) d. i. Rouffilon und Montpellier. — 9) Sando II,
fiel 1275.
1313
264 Eiftes Bud).
lauchtes Gejchlecht, welches auf flüchtige Trojaner zurüdgeht, nad
Ausfterben des Mannesftammest) ſich durch Ugo Capeta, einen
Ligurier von geringer Herkunft, welcher der Sohn eines meiblichen
Sprofjes des alten Geſchlechtes mar 2), fortgepflanzt hat. Der
achte König von ihm an gerechnet war Sanct Ludwig, welchen
die heilige Kirche in das Verzeichnis der Heiligen aufgenommen
hat. Diefer Ludwig hatte fünf Söhne: erftens Philipp ?), zweitens
Carl, denfelben, welcher nad der Väter Sitte!) Conradin von
Staufen zum Tode verurtheilted); drittens Graf Philipp von
Atrebas 6), welcher im flandrijchen Kriege fiel; wiertend den Grafen
von LYanzone ); fünftens endlih den Grafen von Claramonte 8).
Philipp, der erftgeborne Sohn des heiligen Ludwig hatte drei Söhne:
Philipp, den gegenwärtigen König von Frankreid) ), und Carl!)
von derielben Mutter, und Ludwig 11) von der zweiten Gattin.
Carl, der zweite Sohn des heiligen Ludwig hatte nur einen Sohn
Carl; dieſer aber zeugte fieben Söhne, als älteften den Erzbiſchof
von Zouloufe 12); jodann Carl Martell, den Bater des gegenwärtigen
Königs von Ungarn?3); Nobert, welcher jest König von Apulien
it 1%); Philipp, Fürften von Tarent, Raimund Belzerius, Johannes
und Petrus Victorioſus. Philipp, der jetzige König von Frankreich,
der Sohn Philipps, hat zum älteften Sohn König Ludwig von
Navarra, den er mit einer Tochter des Herzogd von Burgund 19)
vermählt hat; die Schweſter dieſer Prinzeffin aber ift mit dem
jüngften, dritten Sohne Philipps, Carl, vermählt. Der zweite
Sohn, Philipp, hat eine Tochter des Königs von Britannien zur
Gattin 16).
1) Nämlich der Karolinger, 987. — 2) Hugo Eapet war der Sohn des Hugo
Magnus Grafen von Paris; deffen Mutter ftammte von Karl den Großen ab. —
3) König Philipp II., regierte 1270—1285. — 4) „more majorum“, ein dem römifchen
Altertum entlehnter Ausdrud, welcher auf die Strenge und Rauheit der älteften Zeiten
der römischen Republik hinweiſt. — 5) Hier irrt Muffato; Carl von Anjou war ein
Bruder, nicht ein Sohn Ludwigs IX. — 6) d. i. Artois. — 7) d. i. Alencon. — 8) d. i.
Elermont. — 9) Philipp IV. der Schöne 1285 —1314. — 10) Graf von Valois. —
11) Graf von Evreux, Stammvater der Könige von Navarra. — 12) Ludwig 1296—1297. —
13) Karl Robert. — 14) 1309—1343,. — 15) Margaretha. — 16) Das ift falſch. Lud—
wig X. war mit einer Tochter Herzog Roberts II. von Burgund, Philipp V. und
Karl IV. aber mit zwei Töchtern des Grafen Otto IV. (Othelinus) von der Franche
Spaltungen und unruhige Auftritte in Rom. 2365
Kehren wir endlich zu unferer Erzählung zurüd.
12. Spaltungen und unrubhige Auftritte in
Kom. O Gott! wie überrajchend den Sterblichen vollziehen ſich
die Wandlungen auf diefer Welt, oder, um ein Dichterwort zu
gebrauchen :
„Kundig ift nimmer der Menſch des Geſchicks, des Loſes der Zukunft 1?)
Ja, wahrhaftig, der Menſch fieht die zufünftige Entwidlung
der Dinge nicht voraus! So lächelte das Glück dem Kaiſer und
fein Geſchick jchien eine Wandlung zum Befferen zu nehmen und
ihn (falls es nur nicht ſich tückiſch erwies) zum Gipfel ferner
Kaiſermacht geleiten zu wollen, aber, ſchon im Begriff an's Ziel
zu kommen, brach es zufammen und vwereitelte jede Hoffnung auf
Erreihung des Begehrten ?). Wohlan! Wie in Folge deſſen, mas
oben erzählt wurde, die Dinge in Rom lagen — indem der Kaiſer
die Stadt verlafien und ſich jchlieglih aus freiem Entſchluß nad
Tuscien begeben hatte, König Robert von Apulien aber von den
Bürgern jeiner Partei lange vergebens erwartet wurde — jo
machten die römiſchen Adligen beider PBarteten dem Sriege, welcher
ſich jeßt nur gegen fie jelbft richtete, durch Stilftände ein Ende,
bis Zeit und Bedingungen ſich günftiger geftalten und ihnen neue
Urſachen an die Hand geben würden, um für fid) und die Ihrigen
anderweite Maßregeln zu ergreifen. Sie ftimmten daher ihre Pläne
herab und Tießen es gejchehen, daß Boten zwifchen ihnen bin und
ber gingen, um über ven Frieden zu verhandeln. In der That
hatte die Unterhandlung beijeren Fortgang, als man noch furz
zuvor hätte für möglich halten follen, und führte zur Aenderung
der Sachlage: übereinftimmend zeigten beide Parteien ſich willig
den öffentlichen und perſönlichen Fehden ein Ende zu machen, die
Waffen aus der Hand zu legen, den Frieden herbeizuführen, zwiſchen
Eomte vermählt. — Dieje drei Söhne Philipps IV., Ludwig, Philipp V. und Karl be-
ftiegen nad) einander den franzöfifhen Thron. Mit ihnen erloſch 1328 die Hauptlinie
der Capetinger im Mannsftamme. — 1) Birg. Aen. 10, 501. — 2) Dies fcheint etwa der
Sinn de3 überaus ſchwerfällig gebauten, kaum verftändlichen Paſſus zu fein.
1313
1313
266 Elftes Bud).
den hervorragendften und erlauchteften Familien Eheverbindungen
zu geloben und einzugehen, in friedlich-bürgerlicher Weife mit einan=
der zu leben, endlich je einen Senator von Seite der Urfint und
der Columna zu wählen. Died alle8 wurde in furzem unter
großer Freudigfeit ins Werk geſetzt. Von Seite der Urſini wählte
man Franciseus, Sohn de8 Matthäus a Monte, von Seite der
Columna Iacobus de Sarra!) Joannis de Columna zu Se—
natoren, und jo ward nach den Anorbnungen und Wünjchen der
Adligen das Gemeinweien eingerichtet ?). Das römiſche Volk jedoch
glaubte unter jeder Herrichaft, wie beichaffen dieſelbe auch jein
mochte, knechtiſch bedrückt zu werben; überbrüffig diefer bald durch
Könige, bald durch Adlige herbeigeführten Ummwälzungen und Un—
ruhen, wurde e8 unter mancherlei Klagen aufſäſſig, und ſchon
ichienen die Neigungen und Abfichten des furz zuvor noch in ſich
geipaltenen Volkes, unter dem Einfluß verjchtevener Triebe ums
gewandelt, fid) einmüthtg zufammenzufchliegen. Dieſe Könige, Dieje
Adligen, meinten fie, gingen mit dem Volke, den römischen Bürgern,
nur wie mit ihren Sklaven um; ihre Sorge jet lediglich, die
eigenen Abfichten zu erreichen. Auf der einen Seite habe Kobert
die Römer und Tuscter in Stich gelaffen und mit Verſprechungen
die Zeit Hingezogen; der Kaiſer andererjeitS habe nur die Gelegen-
heit zur Krönung wahrgenommen, um dann die Stadt wieder zu
verlaffen. Auch dieſe ihre Adligen hätten nur für ſich felbft ge—
jorgt und jeien nur auf ihre eigenen Bortheile und Wünfche,
nicht auf die des Volkes bedacht. Das Bolt jelbft müfje fich da—
her ſeines Gemeinweſens annehmen, und e8 fer heutzutage eriprieß-
licher ſich nad) Volksbeſchlüſſen als nad) Gelesen fein Recht zu
geben. Das Anfehen der tribunicifchen Gewalt ſei noch nicht fo
veraltet, daß das mißhandelte Volf ein unerträgliches Joch tragen
und in unmürdiger Unterthänigfeit erliegen ſollte. Mit jolchen
Keven erfüllten fie die Märkte und Gafjen und ſchon ward Die
Bewegung übermädhtig und ihr Gefchrei drang offen zu den Ohren
1) d. i. Sciarra. — 2) Eine der erften Folgen der Annäherung der Gegner war
die Vertreibung des faiferlichen Befehlshabers, Johann von Sapigney, aus Rom.
Spaltungen und umruhige Auftritte in Rom. 367
der Erften der Urfint und Columna. Dieſe beſchickten einander,
unterichätten die Bedeutung des aufrühreriichen Gebahrens des
erregten Volkes zwar feineswegs, glaubten aber nicht nachgeben zu
dürfen, jondern bejchlofjen ſich zu widerjegen. Als jo die Erbitte—
ınng bei den Adligen wie beim Bolfe immer ftärfer gemorden war,
fuchten beide Theile ſich des Capitol zu bemädhtigen. Hierbei kam
es zu einem Zujammenftoß, in welchem der Adel, nachdem die
Maſſen des muthentbrannten Bolfes alle Zugänge zum Capitol
erfüllt hatten, gebrochen und zurüdgeworfen wurde und fi in
jeine Paläſte retten mußte. Das fiegreiche Volk, voller Freude und
durch eine Berfammlung, zu der die Mafjen zufammentraten, nur
noch mehr erregt, einem bewegten ſtürmiſchen Meer gleich, bejetste ſchnell
die Feftungen der Stadt, nämlid, die Engeldburg, die Milizen und
die Tiberinfel, und ſicherte diejelben durch Beſatzungen. Zugleich
wurde beichloffen, einen Einzigen zum oberften Lenfer zu erwählen
(den das römiſche Alterthum Dietator, unſere Zeit aber Capitän
nennt), dem man das ganze öffentliche und private Recht anheim—
gebe und gegen deſſen Ausſpruch auch nur mit einem Worte Bes.
rufung einzulegen unzuläfjig je. Zu diefer Würde wurde fofort
Sacobus der Sohn des Joannis Arloti aus dem Haufe der Ste—
fanisct erhoben und auf das Capitol geführt. Er Jollte alles
anordnen, und was er verfüge, follte vechtsfräftig fein. Jacobus,
ein Mann von ungewöhnlicher Begabung, der die Verwegenheit der
Römer aus Erfahrung kannte, jah voraus, daß man ihn gering
achten werde, wenn er, durch eine fo ausnehmende Gunft des Volkes
emporgehoben, feine Macht weniger zur Geltung bringe, als die,
welche ihn erhoben, hofiten; andererſeits aber erfannte er, Daß,
wenn er ſich den Großen furchtbar mache und fie niederwerfe, das
Bolt, welches in den Städten ſtets den Vorrang der Großen un—
willig erträgt, ſich um fo eifriger und fefter ihm anſchließen würde;
auch mußte ex fehr wohl, daß es dem Volke gefällt, wenn die
Vornehmen, auf welche der große Haufe ſtets eiferfüchtig ıft, vor
Gericht gezogen werden. Mit finfterer Miene und drohenden Ge—
berden nahm er daher den Nichterftuhl ein, ließ die Vornehmen
1313
1313
268 Eiftes Bud).
herbeiholen und diefelben, ſobald fie erſchienen, gefangen nehmen
und in Ketten werfen; nämlich von den Söhnen des Bären (fo
nannte man dieſes Gejchlecht 1) Gentilis Poncelus Urfint, Ponce—
letu8 den Sohn des Matthäus de Monte, Franciscus (denjelben,
den kurz vorher die Adligen zum Senator gewählt hatten, melches
Amt er gezwungen niederlegte); ferner Stephanus de Columna,
defjen Bruder Sarra, Jordanus des Agapıtus Sohn, Johannes und
Petrus de Sabellis, Annibal de Annibalis und eine große Zahl
anderer Glieder der erlauchten Geſchlechter. Kaum ließ fich der
Volkskapitän erbitten diejelben unter vielen Vorfihtsmaßregeln aus
dem Kerker zu entlafen und auf ihre Güter zu verbannen, unter
Androhung der Todesitrafe, wenn fie diefe verließen. Hierbei
aber blieb die herbe Strenge des verwegenen Mannes nicht ftehen,
der (gleihjam um den Branchaleo aus Bologna, welcher die feit
der Gründung der Stadt dur viele Jahrhunderte erhaltenen
Paläſte, Thürme, Tempel und Säulen der Könige und Fürften
zertrümmert hatte, Durch noch Jchredlichere Thaten zu übertreffen 2)
ji) dazu verftieg und fich vermaß, alle hervorragenden Werfe alte
und neue zu zerftöven und den Monzo d. h. den feften Thurm
neben der Marienbrüde nebft dem am gegenüberliegenden Ufer be-
findlihen Brüdenfopf in einem Augenblid der Zerftörungswuth
des Volkes preisgab; hier nämlich bot ſich für die Zukunft ein
Weg über den Tiber zu größeren Entwürfen, und aud für das
Bol ward jo ein Ausweg aus der Stadt gemonnen?). Und ſchon
jollte auf gleiche Weife alles, was Branchaleo noch übergelaffen
hatte, die erhabene Engelsburg, die Bauten der Tiberinfel und
alle Prachtwerke zur Schmad der ehrwirdigen Stadt dem Haß
des Jacobus gegen die Großen, gegen melche er unter Benutzung
1) Bon dem Yateinifchen ursus, der Bär, von welchem Worte man den Namen der
Orfini (Ursini) herleitet. — 2) Brancaleone di Andalo aus Bologna, ein durch Sitten-
ftrenge und Seelengröße ausgezeichneter Mann, der, von 1252 bis an jeinen Tod 1258
Senator der Römer, der Willfürherrfchaft der Adelsfamilien entgegentrat und die Be—
fejtigungen derfelben niederreißen lief. — 3) Es handelte fih auch damals darum, die
Befeitigungen, welche in den Händen des Adels das Volk gefährdet und den freien Ver—
fehr gehemmt hatten, zu bejeitigen. — Die Marienbrücke ift der jegige Ponte Rotto.
Der Kaifer zieht von Podium Bonici nad) Pifa. 369
jedes beliebigen Vorwandes einzufchreiten gedachte, wenn nur erſt 1318
nad Verdrängung des Adels die tribunicische Gewalt in feinen Händen
zur vollen Entfaltung gelangen würde zum Opfer fallen. Auch erfuhr
man daß die Ergreifung der Macht dur ihn und das Volk, und
beſonders die Vertreibung des Adels, dem Kaifer zu gute kommen
jolle; ihn beabfichtige man herbeizurufen und im Triumph auf das
Capitol zu führen, damit er dort vom DVolfe allein die Herrichaft
entgegennehme. Aber das Geſchick und ver Berlauf der Dinge
freuzte diefe Pläne und machte folche Wünſche zu nichte. Die Ge-
ſchlechter nämlich und die Häupter des Adel, deren Verderben
bereits befiegelt zu ſein jchten, wenn fie dem Bolfe Zeit ließen
fih in der Macht zu befeftigen, beſchloſſen, nachdem fie Durch Ver—
traute aus den Plebejern jelbft erkundet hatten, was im Werke
war, insgeheim, Widerftand zu verſuchen, und nachdem fie zur
Beichleunigung der Sache einen der nächſten Tage für das Unter-
nehmen feftgefest hatten, famen fie am. frühen Morgen in die
Stadt und beftürmten mit ihren Schaaren in gemaltigem Anprall
das Capitol. Der Volkskapitän, der vollſtändig ahnungslos über-
raſcht wurde, verſuchte das durch die Stadt zerftreute ebenfalls
nichts ahnende Volk durch Glodenjignale zu ſammeln; vergebens!
man fam ihm zuvor und ein Trupp Söldner nahm ihn gefangen.
Auf Befehl ver Adligen wurde er in das Gefängnis gemorfen.
Das Volk aber, Durch den Tumult in Furcht gejett, hielt ſich in
den Häufern verſteckt und verfuchte nirgends eine Anſammlung.
So zerrann, da ein ungünftiges Geſchick es jo mit fich brachte,
dem Kaiſer jene meitausfehende Hoffnung.
13. Der Kaifer zieht von Podium Bontci nad
Piſa. Da im Lager des Kaiſers bei Podium Bonici eine Seuche
um fich griff, welche mit jehleunigem Tode die Kranfen hinmeg-
raffte, und es auch an Nahrung gebrad),. jo ficherte der Kaiſer
das Klofter und die feften Bauten des Ortes durch eine Beſatzung
und gelangte, nachdem er eilenden Marjches in einem Tage bis
zur Feſte Bezole !) marjchtert war, am nächiten Tage, dem 10 März, März 10
1) d. i. Peccioli an der mittleren Era.
1313
370 Elftes Buch. Der Kaifer zieht von Podium Bonici nad Pifa.
nah Piſa. Diefer Schritt verjegte die italiſchen Völker in große
Erregung und mannichfache Aeuferungen wurden laut. Die Lom—
barden, deren Wünſche freilih aufeinandergingen, ließen hören;
falls es dazu käme daß ver Kaifer in die Lombardei zurückkehre,
jo müßten zwar die Guelfen für fi fürchten; aber auch mande
Shibellinen — und zwar fein geringer Theil derjelben — müßten
beforgen, daß der Kaifer ihnen zur Laſt fallen würde, wenn er,
mittello8 und erfchöpft, fie, die unter den beftindigen Kriegen be—
reits auf das fchmerfte litten, duch dringende Noth gezwungen
mit Auflagen drüden werde. Die Tuscier dagegen jubelten und
gaben fich der feften Hoffnung hin, daß der Kaifer, von Truppen
entblößt befiegt und durch fein eigenes Gewicht zu Boden gezogen,
bei dem verzweifelten Stande feiner Angelegenheiten nach Teutich-
land zurücfehren werde. Andere freilich waren ihrer Furcht noch
nicht enthoben: der Kaiſer, bejorgten fie, habe fid) in das getreue
Pila zurückgezogen, um jegt in der Frühlingszeit neue Kräfte zu
fammeln und die durch Krankheit geſchwächten Genofjen ſich pflegen
zu laſſen; er begeiftere fi) an der glühenden Hoffnung den Krieg
zu erneuern und werde dann Tuscien um jo verberblicher fein,
weil er die Apulier, welche nunmehr vergebens zur Unterſtützung
von Tuscien gekommen ſeien, gleihjfam an der Naſe herum geführt
und der Sache überbrüflig gemacht habe. So äußerten fi) durch
ganz Italien hin die Einen jo, die Andern fo. Die Florentiner,
wie ein von den Nachitellungen des Jagdhundes befreites Wild,
zerftreuten fich über die Orte, melde der Kaiſer beſetzt gehalten
hatte, und nahmen fie, ſobald diefer fie aufgab, wieder ein, mit
Ausnahme von Podium Bonici, welches die Befatung Fräftig bes
hauptete. Denn der Kaifer hatte hier trefflihe Krieger in die
ſtarken Befeftigungen gelegt.
_
Zwölftes Sud.
1. Beabjihtigter Angriff der Paduaner gegen 1313
Lucium; Vormarſch derjelben gegen Leniaticum?)
und das Veroneſiſche Gebiet jenjeits des Athejis2).
Durh die Empörung von Lucium gleihlam im innerften Herzen
getroffen, überdies durch die Nieverbrennung aller Sleden von
Pedevenda verwundet und verlegt, marfchterten die Paduaner, mit
fünftlihen Schöpfungen ihrer Kriedshaumeifter verjehen, nad Eit.
Doch Liegen fie nod immer voll Eifer Belagerungsthirme, Sturm—
böde, Schugdäher, Mauerbrecher und Mafchinen jeder Art zur
Belagerung der Veſte anfertigen und waren entjchloffen, mit
Schleuderern und Pfeilihügen, gedeckt durch ihre zu Waffer und
zu Lande benugbaren Schutdädher, den Ort in diefen Tagen zu
beftürmen. Canis aber jandte unabläffig Beſatzungstruppen aus
Verona und Bicenza jowte Söldner und die paduanischen Ver:
bannten dorthin, um alle Zugänge zu befegen; ex ſelbſt aber blieb
in Bicenza, um die Stadt durd alle Mafregeln, die in feinen
Kräften ftanden, zu fhügen, da er fid) auf die Einwohner wenig
verließ. Weil nun die Anhäufung jo großer Maſſen von Be:
jagungstruppen und die unzugängliche Schroffheit des Ortes den
Paduanern jeden Anfturm unmöglih machte, ſannen diefe darauf,
den Borfichtmaßregeln der Feinde zum Trotz, ihren Angriff un=
vermuthet auf irgend eine andere Stelle zu richten. Sie machten
1) j. Legnago an der Etſch. — 2) Etſch.
272 Zwölftes Bud).
daher kehrt und gelangten nad) eiligem Marie um die Mittags-
zeit nad) der Abtei Vangadicta !). Hier ruhten fie ſich aus, kochten
ab und blieben während des Abends Liegen; nach der dritten Stunde
der Nacht?) jedoch brachen fie auf, und gingen, während fie ihre
Belagerungsmaſchinen auf Schiffen den Athefis aufwärts Ichafften,
jelbft in Reihe und Glied unter Borausfendung von Kundfchaftern
auf der direften Straße nad) Yentatium vor. Bei Sonnenaufgang
ftiegen fie in die Ebene unterhalb diefer Stadt hinab, Tiefen ihre
Zinken und Trompeten jehmettern und zwangen die überrajchten und
erfchreeften Einwohner der Umgegend, ihre außerhalb der Feftungs-
gräben gelegenen Häufer zu verlaffen und fi) in den Schuß ver
Befte zurücdzuziehen. Ningsum wurden dann ohne Zeitwerluft die
Häuſer niedergebrannt und eine ausnehmend reihe Beute, welche
des plötzlichen Ueberfalls wegen nicht hatte in Sicherheit gebracht
werden fünnen, fortgeführt. Außerhalb der Wälle ward nichts
verſchont gelaffen. Dann zerftreuten jie fih, um abtheilungsmeife
die einzelnen Flecken zu plünderm und Alles mit Feuer und Schwert
zu vermüften, von dem überaus wohlhabenden Städtchen Anglaria
aus, wo man fette Beute machte, nebſt den ſüdlich davon gelege-
nen Dörfern, ſowie St. Petri und Billa Bartolommea ?). Mit
der Beute jchleppte man auch die Bauern gebunden herbei und
machte auch auf die Heerden derjelben an Groß- und Kleinvieh,
welche auf den Wiefen zerftreut waren, Jagd. Den ganzen Lauf
des Athefis entlang wurden ferner die Mühlen, melde von der
umliegenden Landſchaft benutzt wurden, niedergebranni oder in den
Fluß geworfen; bei einem Theil derjelben fappte man die Anfer-
taue und führte fie zur Abter*) hinab. Als e8 Abend wurde, fehrten
die Sieger unter Vorausfendung der Beute und der Heerden und
Gefangenen in großer Heiterfeit unter lautem Klange der Zinfen
und Trompeten nad) der Abtei zurüd. Dies geihah am Tage
1) Bangadizza, 11u—2 Miglien ſüdlich von Legnago. — 2) 9 Uhr Abends. — 3) An—
gari 2 Miglien ftromaufwärts von Legnago, ©. Pietro Moruzia weſtlich (an der Straße
nad Mantua), Billa Bartolomea ſüdöſtlich (ſtromabwärts) von Legnago; alle drei auf
dem rechten Etſchufer. — 4) d. i. Spogna.
Empörung des Sublimanus. 273
| der Reinigung Martä, am 2. Februar 1313. Am nädjten Tage Sn
; gingen fie nad Montagnana und braden, nachdem fie die bier a
ftehenden Truppen mit ſich vereinigt hatten, am frühen Morgen
des folgenden Tages auf, um fi) über die Felder der Vicentiner For. 4
zu zerftreuen. Als fie aber mit einander jenſeits der Grenzen Des
paduaniichen Gebietes im Diftrift von Cologna ') marſchirten, wur—
den fie durch Schnee und Kegengüfje zurücgetrieben und wandten
fih wieder nad) Montagnana, ihrem Ausgangspunfte, von wo fie
nod an demfelben Tage nad) Eft heimfehrten. Da überdies die
Ihredlihe Witterung ihnen nicht erlaubte Yuctum zu belagern, ſo
Iparten fie fi ihre Mafchinen und Geräthe für eine gelegenere
Zeit auf und eilten wieder nadı Padua. Canis hielt ſich nod)
immer ſpähend in Bicenza auf, da er auf günftige Nachrichten aus
Lucium wartete; als er fi) aber in diefer Hoffnung betrogen jah
und anftatt deſſen Lediglich von Schäden, welche feine eigenen Ge—
biete erlitten hatten, hörte, ließ er, im höchſten Grade ver-
wundert und befümmert, alle Angriffspläne fallen und blieb in
Bicenza.
2. Empörung des Sublimanus In eben dieſen
Tagen fam es in Padua zu entjeglihen Auftritten. Im Often
der Stadt, in den vom Kriege wenig in Mitleivenfchaft gezogenen
Gebietötheilen lebte ein eben fo veiher als vornehmer Bürger,
Namens Sublimanus de Aubeis ?), welcher fich der ghibellinijchen
Partei angefchlofien hatte, obwohl er aus einer guelfiihen Familie
ftammte. Er war ein verwegener, unbefonnener Menſch, welcher
ſich auf fein Genie verließ und mit der bürgerlichen Berfajjung
und Regierung des Staated nicht einverftanden war. Schon als
Süngling hatte er fih in dem Dorfe Braciolum, jeinem mütter-
lichen Erbe, ein feſtes Schloß erbaut und dieſes nad) und nad)
mit größtem Eifer durd Mauern, Zinnen und breite Gräben
ringsum befeftigt, indem fein Verlangen darauf ausging und er
1) Cologna Beneta im PVeronefifhen, nahe der Grenze der Gebiete von Berona,
PVicenza und Padua. — 2) Sulimano dei Roffi, val. ob. Buch 6 Kap. 6.
Geſchichtſchreiber. Lg. 67. Leben Heinrichs VII. 15
1313
x A Zwölftes Bud).
ſich verwegen anmaßte, fi) Hier nicht nur vor feinen perjünlichen
Feinden zu fchügen, ſondern auch der Stadt fich zu entziehen, wenn
diejelbe durch Kriegsunruhen erjchüttert würde. Als e8 in der
That hierzu fam, weigerte er fi) zu den Auflagen zu Gunften
der dringenden Bedürfniſſe des Gemeinmwejens beizufteuern, ließ es
ruhig geichehen, daß man in der Stadt fein Haus niederriß, hielt
fic) allen Ladungen Trotz bietend auf feinem Yandgute zu Bracio-
(um gleichſam verſteckt und zog auch nicht mit den übrigen wider
die Feinde aus. Als man ihn mehrfach zu Geldbußen verur-
teilte, achtete er Died gering umd ließ fich Die Strafen nichts an-
fechten. Nachdem die Gemeinde es lange verſäumt hatte dieſem
Manne entgegenzutreten, entjchloß man ſich endlich doc auf Antrieb
des Volkes, welches, wie auch die Vornehmen, die Pläne des Wis
derfpenftigen ahnte, gegen ihn einzujchreiten. Die act Erſten,
welche die wichtigften Angelegenheiten des Staates bejorgen t), be
ichlofjen, ihn durch feine Angehörigen zur Stadt zu laden und fi
mit ihm auseinander zu jegen. Sublimanus — einerlet, was ihn
dazu bewog — begab fich in Folge hiervon zur Gualpertinus, dem
Abt des in der Stadt belegenen Kloſters der heil. Yuftina, ver—
pfändete ihm als einem Mitglied des Rathes wie auch al einem
Privatmann fein Wort, daß er der Gemeinde wohlgefinnt jet und
gegen Diejelbe weder etwas geplant noch ind Werk geſetzt habe,
und erklärte fich bereit, ihm feinen bereits erwachjenen Sohn un=
geſäumt zu überliefern, um venjelben zu geigeln und zu tödten,
wofern es fich herausftellen jollte, daß er an Empörung gegen das
Gemeinwesen denke. Er bat indeß und beſchwor den Vater Abt,
ihn gegen feine perfönlichen Feinde in Schug zu nehmen, damit
ihm namentlid) nicht auf das Drängen einiger jein Schloß in
Braciolum zerftört würde. Voller Freude umarmte der Abt den
Sublimanus und deſſen Sohn und führte fie auf Das Rathhaus
zu den Borftehern. Nachdem man fidy hier unter einander ver-
ftändigt hatte, ſchien die Sache beigelegt und Sublimanus eilte
1) Die Savii.
Empörung des Sublimanus. 275
nad) zmweitägigem Verfehr mit feinen Mitbürgern mit Hinterlafjung
feines Sohnes in den Händen des Abtes nad) Braciolum zurüd.
Als aber der Podeſtà Bornius mit feinen Kriegern und den Bür—
gern von der Unternehmung gegen Legnago nad Padua zurücd-
fehrte, erklärte er e8 für unwürdig und unerträglich, daß ein ein=
zelner Bürger unter Stellung von Geiſeln gegen die Sitten und
Einrichtungen der Gemeinde nach feinem eigenen Geſetz lebe und
ließ daher den Sublimanus jofort vorladen, der jedoch Krankheit
vorſchützte. Alsbald ſandte Bornius auf Grund eines Beſchluſſes
der acht Vorſteher, welche. beſorgten daß Sublimanus nad) deu
Vorgang des Nicolaus de Lucio fid) ungeftört zur Empörung vor=
bereiten könne, in der Stille der Nacht gegen Braciolum bie
Mannſchaft des Quartiers Turriſelle aus nebft dem Sohne des
Sublimanus, der in der Abtei als Geiſel zurücdgeblieben war,
und zwei Töchtern defjelben im Alter von fünf und drei Jahren,
um diefelben im Angeficht des Vaters aufzuhängen oder den Speeren
deſſelben entgegenzuwerfen, falls er nicht ſich und ſein Schloß über—
liefere. Wenngleich durch den erſten unerwarteten Anprall über—
raſcht, verharrte Sublimanus dennoch, auf die Bauern von Bra—
ciolum, welche er gewaltſam in ſein Schloß geführt hatte, auf eine
Anzahl von verbannten Paduanern und ſeine Vettern aus dem
Geſchlecht der Piteti (ſo nannte ſich ihre Familie) geſtützt, in ſeinem
Trotz und ließ die paduaniſchen Truppen nicht nur nicht ein, ſon—
dern zwang ſie durch Speerwürfe zum Weichen. Als dies nach
Padua gemeldet wurde, erregte es kein geringes Aufſehen; und
durch Venedig, Vicenza, Verona und die übrigen umliegenden Städte
ging das Gerücht, daß die Paduaner im Herzen ihres Staates
gegen einander in den Waffen ſtänden, ein Gerücht, welches bei
Canisgrandis große Freude hervorrief, da die durch innere Un—
ruhen bedrängten Feinde um ſo leichter und ſicherer zu beſiegen
ſchienen. Bornius ließ ohne Zeitverluſt die Belagerungsmaſchinen
und Material zur Erbauung von Schutzdächern vorausſenden und
eilte dann ſelbſt nach Braciolum. Da begehrte Sublimanus ſchlau
und pfiffig, wie er war, ſich mit ſeinem geiſtlichen Vater dem Abt
18
1313
276 Zwölftes Bud.
1313 von St. Juſtina, feinem Better Zambonetus de Capitevaccae, Mar-
tinus Canis und feinem Schwager Raynaldus Verlatus zu berathen;
als fie heranfamen ließ er die Brüde nieder, trat mit feinen Be—
gleitern, Die in jeinen Plan eingeweiht waren, heran, warf fi)
mit freundlicher Miene dem Abt in die Arme, riß ihn nebft Zam—
bonetus mit fich fort und ließ Hinter fi) die Zugbrüde wieder
aufziehen. Durd den glänzenden Erfolg viefer Lift in Staunen
und Schrecken verjest, brachen die Paduaner in Verwünſchungen
aus, denn fie jahen ſich in Betrübnis verjegt und verhöhnt und
ihre Pläne gefreuzt. Sublimanus Dagegen, voller Zuverficht iiber
feinen Erfolg rief ihnen zu, er werde den Tod feiner Kinder durch
die Ermordung diefer Männer rächen. Obwohl nun die Paduaner
ihre einflußreichften, ihnen wertheften Mitbürger in Lebensgefahr
laben, beichlofien fie doch das Wohl des Staates allen anderen
Erwägungen vorangehen zu lafjen und ließen ihre Mafchinen ſowie
die Reihen des Fußvolkes mit Schleudern und Pfeilen verjehen
zur Meberjchreitung des Grabens vorgehen. Hierdurch erjchredt,
forderte Sublimanus für ſich und die Seinen zu unterhandeln;
andernfalls drohte er in Verzweiflung gebracht den Abt und Zam—
bonetus zum Sühnopfer für feine Kinder den Schwertern und Ge—
ſchoſſen der Paduaner jelbft auszufegen. Bornius und die Führer
der Paduaner traten zur Berathung zufammen; bei der Ueberle—
gung aber, wofür man fi in dieſer Jchredlichen Gefahr entjcheiden
jolle, gingen ihre Anfichten und Reden auseinander. Einerſeits
nämlich ſchien es jchimpflih und zum Schaden der Stadt zu fein,
wenn man die Vermeljenheit des Schändlichen ungeftraft laſſe,
und durch dies Beijpiel falſcher Nachſicht jeden, der verbrecheriſche
Pläne gegen die Kepublif im Schilde führe, ermuthige; anderer—
jeit8 erwog man, daß, wenn man fi) an die Beftürmung des
fteilgelegenen, von tiefen Gräben umgürteten und mit hoben Thür—
men verjehenen Schloſſes und der überragenden Zinnen made,
leiht manche, wie es zu gefchehen pflegt, ihren Tod finden würden;
und daß es auch ein großer Verluſt für den Staat fern würde,
wenn der Abt, defien Umficht und Einfluß denfelben in Krieg und
Empörung des Sublimanıs. 201
Gefahr vertheidigt hatten, und der edle Bürger Zambonetus bet 1313
dem Unternehmen zu Grunde gingen. Es fam hinzu, daß Alber-
tinus Mufjatus, der Bruder des Abtes, bei den Bürgern und
dem Adel überaus beliebt war, obwohl derſelbe laut erklärte, das
Wohl des Staates müfje unter allen Umftänden vorgehen. End—
lich machte man aus, Sublimanus jolle am Leben bleiben und mit
den Seinen abziehen. Nachdem man daraufhin den Abt und
Zambonetus unverjehrt ausgeliefert erhalten hatte und das Schloß
übergeben worden war, zogen bei Sonnenuntergang Bornius und
die übrigen Nitter und Fußtruppen in das Lager ab. Als dann
Ihon bei völliger Dunfelheit Sublimanus durch einen Boten von
Bornius freied ©eleit erbeten hatte, fuchte der vorgenannte Zam-
bonetus um die Erlaubnis nad, ihn zu geleiten, erlangte fie aber
nur injomweit, als Sublimanus damit einverftanden wäre. Als nun
ein vitterlicher Genofje aus der Umgebung des Podefta fi) zu Sub-
limanus begab, jhloß ſich Jambonetus mit einer Schaar Bewaff-
neter an und trat zu Sublimanus, indem er verficherte, er habe
aller Unbilven vergeffen und werde ihm, mit dem ihn das Band
der DVerwandtichaft vereine, nichts deſto weniger zu Willen fein.
Darauf entlieg Sublimanus den Nitter de8 Podeſtà und die Eei-
nen und vertraute ſich und jeine Habe dem Jambonetus und defjen
Begleitern an. Als man nun aus dem Schloffe trat und Su—
blimanus bereit jein Roß beftieg, gab Zambonetus, von wilden
Zorn über die Falſchheit und Hartherzigkeit des Sublimanus er-
griffen, der ihn, als er ſich für fein Leben und Beftes verwandte,
dem Tode hatte ausſetzen wollen, den Mahnungen feiner ihn be-
gleitenden Freunde nad, welche Darauf drangen daß Sublimanus
getödtet würde. So ſank diefer, von vielen Stichen durchbohrt, auf
demjelben Plage zu Boden, wo er den Abt und Zambonetus hin-
tergangen hatte. Sein Leihnam ward von Jambonetus und des:
jen Genoſſen in den Schloßgraben geftürzt. Sp hatte merfwür-
diger Weiſe jener, den man häufig jagen hörte, er werde nirgends
ander als in den Gräben von Bratiolum fein Leben beichliegen,
ſich jelbit jene Todesart beftimmt! Als man dem Bornius un—
1313
278 Zwölftes Bud).
gefäumt die Ermordung des Sublimanus meldete, gerieth er in
die äußerte Beitürzung und Erbitterung und hätte den Mörder
zur Rechenſchaft gezogen, wenn verjelbe jich nicht fliehend verborgen
hätte. Die Bürger und das Bolf Padua’ dagegen nahmen ven
Flüchtigen freudig auf, hinderten Bornius gegen denſelben einzu-
Ichreiten und billigen e8 durch Bolfsbeihluß, daß man Be—
trug durch Betrug räche.
3. Canisgrandis verbrennt Schloß Lucium aus
freien Stücken und wider den Willen des Ver—
räthers Nicolaus de Lucio. Um dieſe Zeit, Mitte März,
ward Canisgrandis, der unter Benugung des günftigen Umftandes
daß ihm die Berräther durch die Ueberlieferung von Lucium einen
Stützpunkt in nächſter Nähe von Padua gegeben, überall die reichen
Colonien der Paduaner, diesſeits und jenfeits von Vende, nieder:
gebrannt hatte, der Dientleiftungen jener Verräther überbrüffig,
weil er einfah, daß fie nicht aus Liebe und Zuneigung zu ihm,
jo gehandelt hatten, jondern lediglich bejtrebt gemejen waren, jo
ſchnell als möglich die Sache von ihren Schultern abzumälzen,
und befahl daher, das Schloß Lucium nebſt den Paläſten des
Verräthers niederzubrennen. Eine zwiefahe Erwägung rieth ihm
dies und ließ e8 ihn ausführen; einerjeitS die unerjchwinglichen
Koſten, zweitend aber die nicht ungegründete Beſorgnis vor einer
bevorftehenden Belagerung, auf welche ſich die Paduaner durch Er—
bauung von Majchinen nnd durch große Veranftaltungen vorberei-
teten. So janf die Veſte und alles, was über dem Erdboden er—
richtet war, in Aſche. Und auf daß dem PVerräther eine Pein,
bitterer al8 das Bemußtjein des von ihm ausgeführten Verbrechens
am Herzen nage, jo verlegten einige dem Canisgrandis treu er=
gebene Veroneſen, früherer Feindſchaft und ſchwerer Mishelligfeiten
eingedenf, welche weiland Guido de Lucio, den Bater des Nicolaus
mit Maftino und Albertus della Scala ſchwerer Beleidigungen
wegen entzweit hätten, und in dem feften Glauben daß Guido ſelbſt
bei der Ermordung des Maftinus betheiligt geweſen jei und die
Lage der Dinge in den lombardiichen Städten. 2379
Mörder beaünftigt habe, das Grab des Guido, welches fich Dort !)
befand, und ließen den Leichnam und die umhergeftreuten Knochen,
den Bliden Aller ausgefest, Liegen, ſodaß die Strafe für feinen
Berrath nicht nur den DVerräther felbft und feine Nachkommen,
jondern ſogar den Schatten ſeines Vaters traf.
4. Lage der Dinge in den lombardiſchen Städ-
ten. Inzwiſchen liefen die Lombarden nicht ab, in unerbittlichem
Kampfe einander zu zerfleiichen, wobei fie fich jedoch, wie ſchon ſeit
langem, in ihren Städten im Welentlihen ohne Veränderung be-
baupteten. Vercelli nämlich Hefand fi in den Händen des An-
hangs der Advokati, während die Titiont verbannt waren, fih aber
in Salizolum und Crafentinum hielten; in Novara herrſchte, auf
die Tornielli geftügt, ein Eatferlicher Bifar, mährend die Brufjatı
und Cavalacii?) fat das ganze Landgebiet der Stadt innehatten;
in Bergamo behaupteten fich die Soardi und Coglont unter dem
föniglichen Vikar; die Bunghi Rivoli und einzelne Coglont waren
vertrieben. In Como hatten die dem Kaiſer anhängenden Ros—
ones ?) das Mebergewicht, während die Vitani die Stadt meiden
mußten, Lodi befand fi) in Der Gewalt der Viſterini, welche
unter dem Schilde des Reiches die Guergani und Fifiraticht ſowie
den Fanus de Drifimo aus der Stadt trieben und fern hielten.
Albertus Scotug mit den Gonfalonerit in Piacenza ſchloß im Na—
men des Kaiſers die Fontani Anditt und Furgoſii von der Staatö-
gemeinschaft aus. Modena gewann der Anhang der Mirandıla
unter dem Schutze des füniglihen Statthalters; die Sapignant
Buscheti Rangoni und Saroli wurden verjagt. Die Canoſſi umd
Roberti mit den Fogliani und den übrigen Guelfen behaupteten,
unter Ausſchluß des adligen Geſchlechtes de Seſſo, Reggio. In
Cremona und Parma ſtand die Macht bei dem reichsfeindlichen
Kapitän Gibertus de Corrigia. Brescia ſtand unter der Obhut
der Partei der Mazii, die, von den Verbannten, welche die übrigen
Städte innehatten, ſchwer bedrängt, kaum die Haupſtadt ſelbſt be—
1) d. h. in Lozzo. — 2) Cavalacchi. — 3) Rusconi.
1313
1313
März 6
280 Zmölftes Buch,
haupteten. Zwiſchen Canisgrandis endlih, dem Reichsvikar von
Verona und Bicenza, und den Paduanern nahm der erbitterte
Kampf unter bejtändigen Berheerungen und ohne Paufe feinen
Fortgang.
5. Parma wird von Gibertug de Eorrigia dem
König Robert von Apulien äbergeben. Durd den
langen Krieg erihöpft und von den verbannten Rubei, welche das
Dorf St. Dionys einnahmen, und mit Hilfe des Maphäus Vice
comes und der übrigen Glieder der kaiſerlichen Partei in beftän-
digen Einfällen da8 Gebiet von Barma in Aufruhr verjetten, be—
drängt, unterftellte Gitbertus de Corrigia die Stadt dem Schute
König Nobertd von Apulien, nahm eine füniglihe Beſatzung in
Parma auf und übertrug am 6. März dem König die Signorie.
Auf dieſes Beiſpiel hin beichloffen, des widerwärtigen Krieges müde,
auch Die Cremoneſen jowie die Verbannten von Brescia Bergamo
Lodi und Crema auf einer zu Parma abgehaltenen gemeinjamen
Belprehung der Herrichaft deſſelben Robert fich zu unterwerfen.
6. Ankunft des Erzbiihofs von Trier, Deß
Bruders des Kaiſers, in der Lombardei. Inzwiſchen
verließ der Biſchof von Trier, des Kaijer Bruder, auf deſſen Be—
fehl Piſa und ging nad) der Yombardei, wo er zunädft in Piacenza
feinen Aufenthalt nahm. Seine Ankunft gab zu verjchtedenartigen
Erwägungen und Gerichten Anlaß. Einige Jagten, fein Zweck jet,
bier Die erwarteten Truppen aus Deutichland bequemer an fich zu
ziehen, und fie dann über Genua nad Piſa zu geleiten; Andere
meinten, er wolle fih an die römiſche Curie begeben, um die
Krönung des Kaiſers, welche, wie man hörte, ſeitens der Partet
König Roberts verdächtigt wurde, in Schu zu nehmen; noch
andere, die bereits glaubten, daß die Macht des Kaiſers gänzlich
erichöpft fei, Sprachen, man löſe nach und nad) das Hoflager auf,
Damit der Kaiſer felbft ficherer und bequemer, möglicherweife ganz
in der Stille, jobald ſich Gelegenheit biete, nach Deutjchland ge—
langen fünne. Ob diejelben Recht hatten oder nicht, wird der Ver—
Treffen des Vorſtehers Werner mit Ugo de Albafto ꝛc. 281
lauf meiner Erzählung !) jeiner Zeit fundthun. — Zugleih fam
in Stalten auch das Gerücht auf, der heilige Vater, erichüttert durch
die abicheulihe Ermordung des Markgrafen von Ancona, feines
Berwandten, habe den Kardinal Franciscus Gajetanıs als Special-
legaten mit der Beltrafung Modena's beauftragt, um die Mörder
und deren Helfer zu Achten, die Stadt aber durch apoftoltichen
Richtſpruch der Plünderung und Zerftörung anheimzugeben, damit
die verlegte hochheilige römische Kirche den Mord eines fo hoch—
geftellten Mannes durch nahdrüdliche Strafe räche; hierzu ſollten
ſich der geiftlihe und der weltliche Arm unter der Fahne des
Kreuzes zur Ausübung zeitlicher und ewiger Gerechtigkeit vereinigen.
Unter dem Eindrud diefer aufregenden Nachricht fanden im März
und April mehrere Zufammenfünfte in der Lombardei ftatt.
7. Treffen des Borftehers Werner mit Ugo de
Albafio im Gebiet von Felicianum. Um dieje Zeit begab
fih Werner von Homburg, der Borfteher der Provinz, vereint
mit dem Markgrafen von Montferrat und Luchinus dem Sohne des
Maphäus Bicecomes mit Soldtruppen und einem Theil der Mai—
ländiſchen Bürgerwehr, eilenden Fußes nad) Montferrat, um die
verbannten Aftefanen zu unterftügen, welche die Stadt hart be
drängten. Bon jeinem Marſch benachrichtigt, ſammelte Ugo de
Albafio, der Senejhall König Roberts, welcher in Alefjandria be-
fehligte, die Streitkräfte der Aleffandriner und der verbannten Mai-
(ander ſowie andere ringsum, welche ihm anhingen, und eilte jenem
entgegen, um ſich ihm in den Weg zu ftellen. Al e8 nun der
Zufall mit fi brachte, daß Werner, nachdem er die Befte Luvium?)
verlafjen hatte, nadı Mond Calvus ?) ritt, um von dort nad) dem
Schloß Mafium *) zu kommen, führte Ugo, der den Marich des
Gegners aufmerkſam beobachtete, feine Truppen in das Yandgebiet
von Felictanum 3), durdy welches Werner ziehen mußte. Er hatte
1) Statt seribenti ift offenbar scribendi zu lejen. — 2) vielleicht Lugo, wenig weſt—
lid von Balenza, im NR. W. von Aleffandria, gemeint. — 3) Montecalvo weftlid von
Lugo, ebenfall3 in Montferrat. — 4) Mafio am Tanaro, ſüdweſtlich von Aleffandria. —
5) Felizzano nördlich von Mafio an der Straße zwiſchen Aſti und Mleffandria.
1313
März
April
1313
282 Zmwölftes Bud.
ſich noch nicht lange dort aufgeftellt, als die Adler Werners in
Sicht famen. Zugleich erblicten auch Werner und die Seinen die
königlichen Feldzeihen in der ‚offen vor ihnen liegenden Ebene. Bon
beiden Seiten wurden jofort Herolde gefandt und unter beiderſeitiger
Auftimmung die Schlacht angefagt. Die Gegner ordneten ihre
Kitter und ihr Fußvolk und ftürzten fih auf das Zeichen zur
Schlacht gegen einander, als die Sonne etwa die zehnte Stunde
zeigte. Laut krachten die Lanzen und ziichten Die Wurfgejchofie,
und im Ringen der einzelnen ertönte die Luft von den auf einander
treffenden Schilden, bis endlih, als ſchon alle in gleicher Weife
ermattet waren, zuerft die jogenannten Feritored, melde größten-
theils aus Alefjandrinern beftanden, befiegt wichen und die geſammte
Mannschaft aus Aleffandria fich zur Flucht wandte. Der Marſchall
Ugo folgte ihnen, ermahnte fie das Treffen wieder aufzunehmen,
richtete aber nicht8 aus, da jene, die den Muth zur Schlacht ver-
loren hatten, ohne Ordnung, zerftreut und geichlagen, theils auf
dem Schlachtfelde Lagen, theils unwiederbringlich flohen. Die Deutichen,
welche allzufchnell den Sieg in den Händen zu haben glaubten,
zerftreuten fich bereits um ſich der Stegesbeute zu bemächtigen und
verließen ihre Neihen, wurden aber alöbald von Ugo, der ſich mit
Franzofen und auserlefener Mannihaft auf dem rechten Flügel
bei feiner Hauptmacht befand, angegriffen, hielten, da ein Theil
von ihnen bereit zum Beutemachen von den ‘Pferden geftiegen war,
dem Angriff nicht fand, ſondern ergriffen beftürzt die Flucht.
Werner mit Hilfsmannſchaft aus den Kerntruppen jeiner Streit-
macht verluchte lange fie wieder zu menden; vergebens, fie ftürzten
fi vielmehr gegen ihn und die Seinen, ſodaß die Schladht nicht
berzuftellen war; ja, beim gewaltigen Zuſammenſtoß zwiſchen den
Seinen und den Feinden wurde er jelbft verwundet und mußte
weichen. So wandte ſich das Glück auf die Seite des Marſchall
Ugo, deſſen Kriegsvolk gegen die anſtürmenden Ritter feine Speere
fchleuderte und die Weichen der Pferde durchbohrte. Als Werner
die Berlufte der Seinen genauer zu überbliden vermochte, raffte er, in
der Beſorgnis daß die Fortſetzung des verlorenen Treffens für
Anmarſch des Bailardinus de Nogarolis gegen Cajale ꝛc 2383
| ihn und die Seinen verhängnisooll werden könnte, die Truppen
des Markgrafen und des Luchinus, ſoweit er vermochte, zufammen,
‚verließ, als jchon Die Sonne dem Untergange zuneigte, da8 Schlacht-
feld und entfloh mit dem Reſt feiner Mannſchaft eilends nad) der
Veſte Duatuordecim!). Ugo Dagegen, der das Schlachtfeld und
den Sieg behauptete, geftattete den Seinen das Beutemachen. Auf
Seite des Vorfteherd wurden hundert und zwei und fechzig Mann,
darunter vierzig vornehme Deutſche erjchlagen, zwei und meunzig
| gefangen. Auf Seite Ugone’3 fielen zwei und fünfzig, zehn Feld—
| zeichen wurden im Triumphe nad Mefjandria und Pavia gebracht.
Eifrig bemüht den Steg auszunusen, übernachtete Ugone auf dem
Schlachtfelde und zog die flüchtigen Mefjandriner unter Androhung
von Strafen und Bußen wieder an fih, um dann beim erften
Schein der Morgenröthe Werner zu folgen und feine Truppen um
Die Veſte Ouatuordecim, in welche jener fi, eingejchloffen hatte,
zu legen.
8. Anmarih des DBailardınus de Nogarolis
gegen Caſale und Abweifung desjelben. Der Reidhs-
vikar von Bergamo, Batlardinus de Nogarolis aus Verona, drang
auf Nath des Corradinus und Gulielmus de Confaloneris 2) von
Brescia, welche fi) von der Partei Der vertriebenen Brescianer
zu denen, die die Stadt behaupteten, gewandt hatten, bei Nacht
heimlich mit den Bürgern von Brescta in den Fleden Caſalis
Major ein, deſſen Burg dur eine Beſatzung der Berbannten ge—
halten wurde. Als fih nun Lärm und Kampfgetümmel erhob,
eilte die Beſatzung beim Schall der Glode zur DVertheidigung der
Burg auf die Zinnen und gab den Bresctanen von Ajula von
der Spige des Thurmes aus das verabredete Flammenzeichen.
Auf diejes Hin eilten ſofort die Neifigen mit Fußvolk gen Cafalis,
um den Ihrigen zu Hilfe zu fommen. Bailardinus, der die günftige
Gelegenheit zum Sturm auf die Burg verfäumt hatte, traf beim
Rückmarſch auf die Ankommenden und ward mit ihnen handgemein ;
1) Quatorde3 wenig mweitlih von Felizzano. — 2) de’ Gonfalonieri.
1313
1313
284 Zwölftes Bud).
durch den unerwarteten Zufammenftoß jedoch erjchredt mar er mehr
auf das Entfommen, als auf den Kampf bedacht. Er verlor zwei
und vierzig Gefangene, zwanzig Todte. — Um dieſe Zeit ver
bargen ſich die Erulanten oder Verbannten von Pavia nächtlicher
Weile in einem Hinterhalt bei Gravalonum nahe Cava Pontis ?),
etwa drei Miglien von Pavia, um jenes Ortes ſich zu bemächtigen.
Graf Philippo de Yangusco aber von diefem Anfchlage benach—
richtigt, rüdte mit den Bürgern der Stadt, um die erſte Stunde
in der Nacht heimlih aus und überfiel und zevftreute jene, von
denen etwa fünfzig getödtet oder gefangen, die übrigen in die
Flucht getrieben wurden.
9. Unfall des Canisgrandis. Canis, der Reichs—
vifar von Verona und Bicenza, wurde, ald er in feiner Verwegen—
heit mit nur wenigen Begleitern durch die paduaniſchen Gefilve
ftreifte und einft jelbftoritt fich bi8 über die Brentellabrüde ?) zwei
Miglien von Padua vorgewagt hatte, von drei Bauern aus der
Umgegend umringt, fein Pferd getödtet und er jelbft zu Boden
geftredt; doch kamen auf jeinen Hilferuf die beiden Begleiter heran,
hoben ihn auf und entriffen ıhn den Händen der Bauern.
10. Kampf der Paduaner bei den Borftädten
von Bicenza. Durch Canis' Tollfühnheit zu der Hoffnung
verleitet, ihn, falls er fih etwa in feinem Ungeftüm von den
Mauern Bicenza’3 entfernt hätte und verwegen umberftreife, abzu=
fangen, brachen die Paduaner am Abend auf, gingen die Nacht
hindurh auf dem Wege von Canfredulum vor, an Sandricum
vorüber und verftedten fi) bi8 zum Tagesanbruch in den Büſchen
von Theupefis, unter PVorausfendung leichter Truppen die jenen
reizen jollten. In Anbetraht des zahlreichen feindlichen Haufens
aber, den ihm, als es heller Tag geworben war, die herbeieilenden
Bauern anfagten, blieb Canis fern und hielt fi) in der Stadt.
1) Wohl Cava Marana, im Siden der Stadt, gemeint. — 2) Der Brentellacanal
verbindet die Brenta mit dem Bachiglione. Er wird furz vor Padua von der PVicentiner
Strafe überſchritten.
Kampf bei Soncinum Verbrennung des Fleckens. 285
1313
11. Wunderzeihen. In Diefem Jahre, am 19. April „y. 19
‚ereignete fih) ın Mailand eine wunderfame CErſcheinung.
Im Vorraum des Haufes des Maphäus PVicecomes nämlich)
warb ſpät in der Dämmerung von vielen Die Erſcheinung eines
bewaffneten, auf einem Pferde figenden Mannes wahrgenommen.
Das Maß des Keiterd wie des Roſſes ragte über das gewöhnliche
menschliche Maß hinaus. Eine Stunde etwa blieb die Geftalt
fihtbar, dann verihwand fie. Drei Tage darauf aber erblidte
man an derſelben Stelle zu Anfang der Nacht zwei Bewaffnete Apr. 23
von derfelben Größe, welche in erbittertem Ringen mit einander
fampften, bis fie nach etwa einer Stunde, gleihjam ermattet, den
Rampf aufgaben und gleichzeitig verſchwanden. — Am 24. Mat Mai 24
endlich ſah man bei Elarer Luft einen Kreis, einem Regenbogen
ähnlich, Hoc am Himmel ſich um die Sonne herumztehen.
m 12. Rampf bei Soncinum, Berbrennung Des
Sledens Als um diefelbe Zeit Ponzinus de Ponzonibus aus
Gremona, der Anführer der Guelfen der Yombarder im Kriege
gegen die ©hibellinen, mit einer Schaar Keifiger nach Urcei unter-
wegs war, griffen ihn Bernardinus de Mazonibus und Corradinus
de Confaloneriis mit einer deutſchen Abtheilung, welche bei Soncinum
als Schuß dieſes Ortes Yag, an; Ponzinus aber trat ihnen auf
offenem Felde entgegen, ſtellte die Seinen in Schlachtordnung, hielt
den Anprall aus und, ſchlug, da er ſtärker war, jene in die Flucht,
mit einem Verluſt von hundert und ſechszig Todten, da keiner für
die Gefangenſchaft aufgeſpart wurde. Nachdem er dann noch die
Vorſtädte von Soncinum verbrannt hatte, kehrte er mit den Seinen
nach Cremona heim. — Ferner nahmen am 27. April die ver= Apr. 97
bannten Brescianer, melche, ihren Mitbürgern auflälfig, in Ajula
verweilten, ihre Macht gegen diefe zuſammen und eroberten das
Schloß von Ceguli, welches etwa acht Miglien von Brescia ent-
fernt if. Nachdem fie hier eine Belastung hinterlaffen, zogen fie
mit ungeheurer Beute an Vieh wieder nad Ajula zurüd. Kurze
Zeit nachher bemächtigten fich eben diejelben in Folge einer Parteiung
unter den Einwohnern der Veſte Pavo und bracten fie zur Ems
286 Zwölftes Bud. Kampf bei Soncinum x.
1313 pörung gegen die Stadt. Nach diefen Glüdsfällen wurden die
verbannten Brescianer jchleunigft nad) Cremona gerufen, von wo
aus fie mit den Verbannten von Bergamo Lodi und Cremona bis
in das Gebiet von Bergamo ftreiften und bier das Schloß von
Colontum !) eroberten, von mo aus fie, nachdem die übrigen
Bergamasfen zur Empörung gebradjt waren und hinreichende Bes
Mai 13 fagung erhalten hatten, am 13. Mat heimfehrten. Die Einnahme
dieſes Schloſſes war denen von Bergamo, Mailand, Brescia und
den übrigen Lombarden des faiferlihen Anhangs im höchften Grade
nadtheilig, weil von hier aus die ganze Ebene jüdlich von Bergamo
der Verwüſtung und Verheerung ausgejegt war und feine Kolonie
der Mailänder diesſeits?) ver Adda vor jener Befte ficher mar,
deren leichten Truppen bi8 an die Mauern von Brescia heran bie
Landſchaft offen lag.
1) wohl Colognola del Piano, wenig füdlih von Bergamo. — 2) d. i. öftlid), näm—
lid vom paduaniſchen Standpunft aus angefehen.
Dreizehntes Bud).
1. Zweiter Einzug des Kaiſers in Pifa; Ber ısı
heerung der Ländereien von Yucca. Nachdem ver Kater
in Pija eingetroffen und von den getreuen Piſanern freudig auf märzlo
genommen worden war, jandte er ohne Verzug jeine Truppen zur
Berheerung der Gefilde von Lucca aus. Eilig ſprengten diefelben
bis zu der Brüde von Tectum, etwa eine Miglie von der Stadt,
vor, und fehrten, nachdem fie vielen Schaden angerichtet, mit
Beute beladen heim. In derjelben Art jchmeiften von nun an
die Kaiſerlichen unabläfjig durch die luccheſiſchen Colonten und ver-
heerten alle8 mit Feuer und Schwert. Im den erften Tagen dieſer
Streifzüge, um die Mitte des März, gingen auch die Söhne des märz ı5
Ceppus und Gucciatus de Manzatoribus zum Kaifer über, über-
lieferten ihm die Befte Camporena, welche fie bejest hielten, und
begaben fih dann mit den füniglihen Truppen zufammen nad)
Piſa. Sofort wurden fie von den Florentinern für Hochverräther
erklärt, ihre Häufer zerftört und alle ihre Güter zum Staatseigen-
thum geichlagen. Sp bradte das vielgeftaltige Glüf den März März
und April hindurch beiden Theilen in gleicher Weile Verlufte, in- Aprit
dem einerjeitS die Lucchefen unter Don Frenandus, andererſeits Die
Königlichen unter Borangang des Marſchalls ) und mit den
1) Heinrich von Flandern.
288 Dreizehntes Bud).
1313 Pifanern vereint, die Gegend zwiſchen den beiden Städten dem
Feuer preisgaben. Unter zahlreihen Zuſammenſtößen verbient
bejonders der folgende Erwähnung. Nachdem der Marjchall des
Aprir Königs im April mehrere Tage hindurch die Yucchefen zum Aus-
fall zu reizen verſucht hatte, indem er nur wenige Mannſchaft aus-
fandte, um jene zu veranlafjen unvorfihtig aus ihren Befeftigungen
beroorzubrechen, feine Bemühungen aber erfolglos geblieben waren,
da die Luccheſen, durch die vielen Kämpfe erichöpft, ſich nicht
leicht herauswagten: fo zog der Marſchall einftmals heimlich ohne
Trompeten- und Hörnerfhall bei Nacht mit feinen Genoffen aus
Piſa aus, indem er feine Schaaren aus verfchtedenen Thoren aus-
rüden ließ, damit die Luccheſen nicht dur Späher über den Um—
fang feiner Streitkräfte unterrichtet werden könnten. Nach ver—
Apr. 23 borgenen Ritt gelangte er beim erſten Frühroth des 23. April
nad Vicum). Als er von dort in das Thal von Buttum ?)
vordrang, ſahen ihn die Wächter des Thurmes Nota und fignali=
firten fein Nahen von der Spite des Thurmes aus nad) Lucca.
Trotz dieſes mohlbefannten Zeichens eines feindlichen Anmarjches
ließen ſich die Luccheſen nur widerwillig herbei, den Lutti de Opi-
cengis nebft piſaniſchen Verbannten und einer kleinen Schaar Bez
rittener auf Kundſchaft auszufenden. Als dieſe das Thal von
Buttum erreichten, fanden fie die Feinde, welche dort einige Häufer
niedergebrannt hatten, ſchon auf dem Rückmarſche. Dem ftatt-
lichen Neiterhaufen derſelben mit ungleihen Kräften zu folgen,
ihien dem Lutti nicht rathſam, vielmehr beichloß und befahl er
den Eeinigen das Vorrüden zu wehren. Aber er vermochte die
durch die erlittenen Unbilden erbitterten Einwohner von Buttum
umjoweniger zu verhindern namentlich die von Vicum, welche die
Königlichen bei dem Einfall geführt hatten, zur Vergeltung anzu—
greifen, als zwiſchen den Buttenjern und ihren Nachbaren von
Vicum ein gegenfeitiger Haß beftand. Bandus Duartefanus aljo,
ein luccheſer Nitter, der im Namen Lucca's Buttum als Podefta
1) d, i. Vico Pifano, öftlih von Pifa. — 2) d. i. Buti, nördlid von Vico Pifano.
\
Verbrennung der Inſeln Capraria und Gorgona. 289
verwaltete, rief, voll Neid auf jeinen Mitbürger Lutti, welder das
Heer befehligte und deſſen Einfluß, wie er wahrnahm, jo weit
ging, dar alles nad, feiner Anordnung geſchah: e8 ſei unwürdig,
Daß er, der eben jo gut Bürger von Yucca jei wie Luttt, und dem
noch dazu die Herrichaft über das Thal und feine Bewohner an-
vertraut jei, die Feinde ungeftraft abziehen laffe. Wer fein Freund
jei, möge ihm folgen! Sofort fpornte er fein Roß und fprengte
mit etwa ſechs und zwanzig Yanzenreitern aus der Zahl feiner
näheren Bekannten, begleitet von der Bewölferung von Buttum und
Compitum !), bi8 zu den Gräben von Vicum vor. Sobald die
Bewohner von Vicum und die Späher auf den Zinnen die Heine
Feindesſchaar erblidten, fielen fie gegen viefelbe aus. Duartefanus,
welcher, nicht ım Stande dem Anprall zu widerſtehen, ſich zur
Flucht wandte, ward abgejchnitten und ſank durchbohrt vom Roß.
Bon nambafteren Männern fielen unter den Berittenen außer ihm
etwa zwanzig, darunter Vanni Bachini, Angelus Negocci, Colucius
Malataca, der Baſtard des Zarius de Fondo, Arigus Quarteſani;
von denen von Buttum und Compitum zwei und ſechszig. Ein
Feldzeichen und ſieben Fähnchen der Landbevölkerung wurden im
Triumph nach Piſa gebracht. Doch wurden mehrere Deutſche, die
im übergroßen Eifer der Verfolgung ſich bis zu den Befeſtigungen
des Serra ?) vorwagten, von denen von Buttum, die ſich wieder
umwandten, mit einem Verluſte von zwölf Mann, unter denen
ſich der Sohn des königlichen Oberkoches befand zurückgeworfen.
2. Verbrennung der Inſeln Capraria und Gor—
gona. Gegen Ende April fuhr der Admiral König Roberts von
Apulien mit vier Galeeren bei Portus Piſanus vorbei, griff die
dort ſtreifenden, überraſchten Piſaner als gute Beute auf und ver—
brannte und verheerte am nächſten Tage die Inſeln Capraria und
Gorgona 3); noch größeren Verluſt aber brachte den Gegnern die
Fahrt des dritten Tages, an welchem ver Admiral ein Laftichiff
1) Eompito, Gegend im Luchefifhen. — 2) Monte Serra, einer der hödhften Gipfel
der Hügelgruppe nördlich) vom unteren Arno. — 3) Capraja und Gorgona Heine zu Pifa
gehörige Inſeln an der toskaniſchen Weftfüfte.
Geſchichtſchreiber. fg. 67. Leben Heinrichs VII. 19
1313
Apr.
290 Dreizehntes Bud).
isis zufammen mit fiebenzehn Heinen Schiffen enterte und auf erfterem
außer den ſämmtlichen Ruderern vierzehn taufend Gulden genuefiichen
Geldes erbeutete, welches in Sardinien erhoben war und dem
Kaiſer überſchickt werden ſollte. Die Ueberbringer wurden in das
Meer geworfen. Außerdem erfuhr der Kaiſer etwa gleichzeitig,
daß der Pilaner Gaducius Gallus, der Statthalter von Sardinien,
welcher die Sarden im Gebirge von Gallura durch ſchwere Auf-
lagen bedrückt hatte, von ihnen mit dreißig Begleitern erichlagen
jet, und daß die Sarden überhaupt durch die Gemwaltthätigfeiten
bei der Eintreibung der Auflage zur Empörung gebracht mor-
den Seien.
3. Tumult in Fanum. Im der Provinz Romandiola
Mei fam e8 um die Mitte des Mat zu erwähnenswerthen häßlichen
Tumulten. ME nämlich der Podefta von Fanum, Rodulfus aus
Sammintato, merkte, daß Graf Friedrih von Montefeltro T) neue
Anschläge plane, verwied er die Häupter beider Parteien an be=
ftimmte Pläge außerhalb Fanum. Auch den Gejanellus und deſſen
Brüder, die Baftardjöhne des verftorbenen Jacobus de Caflaro,
hieß er bis zu einem beftimmten Termin die Stadt verlaffen.
Diefe Ichtenen dem Befehl nahfommen zu wollen und trafen Ans
ftalten um nad ihrem Gute zu reiten. Die Freunde ihrer
Bartet jedoch fürchteten ber Diefem Anlafle der Stadt verluftig zu
gehen, gaben ihren Unwillen über den Ausweiſungsbefehl durch
tumultuariiche Bewegungen fund und machten jenen Vorwürfe, daß
fie dergeftalt ohne Borfihtsmaßregeln ſich blindlings in die Ver—
bannung begäben und fo ſich felbft, die Stadt und ihre Freunde
im Stiche Tiefen. Die Ohibellinen der Gegenpartei erjchrafen
hierüber und geriethen in Beforgnis; da fie fid aber in der Ueber:
zahl ſahen, jo liefen fie bewaffnet in größter Eile auf das Rath—
haus und die Straßen und riefen in machjender Leidenschaft: es
Yeben die Ghibellinen, e8 Yebe die Partei des Kaiſers! Bol Schred
über den Auflauf zeigten fich die Guelfen zerftreut auf den Straßen,
1) Einer der mächtigſten und furdhtbarften Gegner der Curie in jener Zeit.
Urtheilsipruch des Kaiſers gegen König Robert von Apulien. 291
wurden aber, fobald fie erichtenen, Hundert und vierzig am der 1313
Zahl, ohne weitere niedergemadt. Endlich ftürzten Ceſanellus
und feine Brüder mit einer größeren Schaar auf den Markt, wo
es zwiſchen ihnen und den Ghibellinen zu einem erbitterten, unent-
jchtedenen Kampfe kam. Doch waren die Guelfen in der Minder-
zahl, bis der Podeſtaà Aodulfus mit dem Gefolge feiner Trabanten
und feiner bewaffneten Begleitung zu Pferde und zu Fuß unter
dem Ruf: „ES Leben die Guelfen und die Gemeinde von Fanum“
in den Kampf eingriff und die Ghibellinen aus den Straßen heraus-
ſchlug. In Folge diefer mächtigen Unterftügung jahen ſich Ceſa—
nellus umd die Guelfen in der Uebermacht und richteten unter Den
Ghibellinen ein Blutbad an. Diele derjelben wurden aus ben
höchſten Fenſtern des Rathhauſes jählings herabgeftürzt; alle übrigen
Ghibellinen aber fanden in den Gaffen und Winkeln der Stadt
und in den Häufern felbft den Tod, da nad der Schliegung der
Stadtthore fein Entrinnen möglid war. Sp wurde Fanum für
die Guelfen gewonnen.
4. Rönig Robert von Apulien fendet einen
Statthalter nad Florenz. Um dieſelbe Zeit kam Riciardus
Gambateſa als Statthalter König Nobertd von Apulien nad
Florenz, welches fi) auf fünf Jahre der Signorie des Königs
unterftellt hatte. Als faft gleichzeitig in Folge einer Parteiung
unter den Einwohnern die Veſte Enorlum ſich gegen Florenz empört
hatte, wurden zur Belagerung derſelben zwei von den ſechs Stadt-
theilen unter dem Oberbefehl des Marſchall Dego des Söldner—
führer8 ausgefandt.
5. Urtheilsfpruh des Kaiſers gegen König
Robert von Apulien. Nicht Länger willend die Unbilven zu
ertragen, welche König Robert von Apulien ihm und den Seinen
zu Lande und zur See, ſchon als offener Feind, zufügte, ließ Der
Kaifer zu Piſa gegen ihn einen Gerichtöhof zujfammentreten und
fallte, nachdem in feierliher Verſammlung die Beichwerdepunfte
geprüft und erörtert waren, vom Richterftuhl aus folgenden Ur-
theilsſpruch:
1313
Sei. 14,
14.
292 | Dreizehntes Bud).
„Heinrich der Siebente, von Gottes Gnaden Kaiſer der
Römer und allezeit ein Mehrer des Reichs. Zur Kenntnis der
Gegenwart und zur Erinnerung in der Zukunft.“
„Gott, der gerechte, ftarfe und langmüthige Richter, welcher
einen jeden nach feinen Berdienften belohnt, hat jenen Uebermüthigen,
der, vor dem Thron feiner Milde durch Ruhm und Ehre fich er—
böht jehend, feinen Sig nad) dem Norden zu verlegen gedachte, auf
daß er dem Höchſten ähnlich jet, won den erhabenen Gipfelm der
Himmel in die Tiefen der Erde zu ewigem Schimpfe hinabgeftürzt,
ihn mit Recht jeglicher Gnade und Hoffnung auf Barmherzigkeit
beraubt und ihn den ewigen Strafen zugeführt, gleichwie er aud)
jet der Billigfeit Acht hat und Gerechtes urtheilt. Er jelbft der
Herr des Himmeld der Erde und der Hölle, welcher die Geheim—
nifje der Herzen fennt, vor defjen Richterſtuhl jegliche Verlemndung
ſchweigt und die Wahrheit durch Feine Nacht der Nichtswürdigkeit
verdunfelt wird, möge jest vom Herriherfige den Mächtigen herab—
ſtoßen, welcher ihn verfuht, ihn erbittert und zum Zorne gereizt
hat; er möge den verderben, der auf Uebles finnt; er gebe den,
welcher verjtodten Sinne den Weg der Unſchuld flieht und ſich
feiner Boshett rühmt, ewigem Schimpfe anheim; er verhänge gegen
ihn Anklage und Geriht, und Ruhm fer allen feinen Heiligen.
Der Nichtswürdigkeit nämlich und der Verderbtheit Zögling, Robert,
der Sohn Karls des Zweiten rühmlichen Angevenfens, welcher ſich
König von Sicilien nennt, von dem Fett des römiſchen Reiches
genährt und ftarf geworden, fpeit gegen denjenigen, dem er auch
ſchon aus Anlaß der vielen Lehen und Ehren eben jenes Neicheg,
die er bis jest inne gehabt hat und noch in diefem Augenblid
ungerechter Weife in Belig nimmt, demüthig gehorjamen müßte,
das Gift der Unbiligfeit, übt zur Vergeltung Haß, Lift und Trug
an Stelle der Treue, maßt fi in feinem verabjcheuungsmwürdigen
Lafter der Undankbarfeit an das Banner der Empörung zu erheben,
und hört nicht auf in verhärteter Bosheit gegen den Stachel zu Löden,
bemüht fi, von abſcheulichem Uebermuth geſchwellt, im Norden,
der kaiſerlichen Majeftät, welche er als feine Herrin und Meifterin
Urtheilsipruch des Kaifers gegen König Robert von Apulien. 293
werth halten und ehren ſollte, entgegen, fich feftzufegen, und hat 1313
diefe kaiſerliche Majeſtät jelbft dur‘ Schmähungen und Unbilven
gereizt und fich herausgenommen dieſelbe bis jest tüdiichen Sinnes
unablälfig zu reizen. Außer den übrigen Beftrebungen feiner Bos—
heit hat er nämlich, obwohl er, bevor wir zur Entgegennahme
des kaiſerlichen Diadems gen Kom eilten, in bejonderen Briefen
mehrmals unſerer Erhabenheit gejchrieben Hatte daß er jelbft —
gleichwie e8 ihm aus* der jchon erwähnten Urfache zufam und wir,
die wir ihm, ſoweit wir mußten, weder durch Wort noch Werk
Anſtoß zu geben beabfihtigten, vielmehr ihn in der Reinheit unferes
Gewiſſens huldvoll behandeln zu jollen glaubten, nicht anders er—
warteten — bemüht jer und ſich nach feinen Kräften rüfte und bei
der Krönung ſelbſt wie auch jonft die ſchuldige Ehrfurcht zu erweiſen,
trogdem Bündniſſe und Verſchwörungen, Einigungen und Genofjen-
Ihaften zur Erſchwerung und Verhinderung des kaiſerlichen Vor—
marjche8 mit den Florentinern, Luccheſen, Saneſen und anderen
unjeren und des Reiches Unterthanen in Lombardien und Tuscien,
auf daß er fie in unheilvoller Blindheit zu tollföpfiger Empörung
erhige, wie man ficher weiß, ſelbſt oder durch feine Bevollmächtigten
Boten und Gejandten zur Schädigung unſerer Majeftät, zur Er:
ſchwerung und Verhinderung des Fatjerlihen Vormarſches betrieben
und gejchlofjen, und ſogar e8 darauf angelegt und ins Werk gejett,
daß die Städte Cremona Neggio und Parma, welche ſich uns unter”
worjen hatten, gegen und und das Reich aufftanden, indem er die
Gemeinden dieſer Städte ſowohl als auch andere unjerer genannten
Unterthanen zu einer derartigen Empörung verführte und ihnen
dabei feinen Kath, feine Hilfe und Gunft zuficherte; ja jogar haben
die Mannen des genannten Kobert, im Vertrauen auf feine Gunft
und als Mitwifjer und Werkzeuge feiner Nichtswürdigfeit, die Stabt
Aſti und die Velten Valencia und Caſale St. Evaſii und einige
andere Städte und Veſten der lombardiſchen Provinz, weldye unjere
Gebote beihmoren und uns als ihren Herren anerfannt, unfere
Beamten aufgenommen und nod) bei fi) hatten, nachdem fie Dieje
Beamten jelbft gewaltfam vertrieben, ſchändlich in Befig genommen
294 Dreizehntes Buch).
1313 und behaupten fie nod) für den obenerwähnten Robert. Eben der-
jelbe Robert hat ferner feinen Bruder Johannes und feine Söldner
nad) Rom gejandt, in der Abficht womöglich die Stadt fich Telbft
liſtig zu unterwerfen oder wenigftend die Flammen ſchändlichen
Aufruhrs anzufachen und dadurch die Feierlichkeiten der genannten
Krönung zu ftören, gleichwie denn jener Johannes und jene Söldner
bei unferem Einzug in die genannte Stadt und jolange wir ung
in jener Gegend aufgehalten haben, e8 durch die That deutlich be—
wiejen und — verbunden mit einer zahlreichen Menge unferer Unter-
thanen, welche, durch den genannten Nobert, der ihnen feine Hilfe
und jeinen Schutz verſprach und fie mit Zuverſicht erfüllte, auf—
gereizt, fih mit Johannes und deſſen Söldnern zufammenthat, um
mit Pferden und Waffen ſich uns zu widerjegen und geflifjentlich
Bosheit auszuüben — dort gegen und und unfere Schaaren feind-
lihe Hinterhalte gelegt, Angriffe gemacht, Aäubereien, Gemalt-
thätigfeiten, Morde ausgeführt, die öffentlichen Strafen und Pläge,
dur) welche von der Stadt aus allen, die fi) zur chriftlichen
Religion befennen, freier Zugang zu der verehrungsmwürdigen Hoch—
firche des Apoftelfürften hätte gewährt jein müfjen, mit Aufgebot
ihrer ganzen Macht gejperrt und auch jonft dafür gejorgt haben,
auf jede Weife, ſoweit fie vermochten, unſere Majeftät zu ſchädigen.
Dazu trieb der erwähnte Nobert auch anderes, und war ohne
Unterlaß thätig alles zu betreiben, was und und dem Xeiche
Schaden und Berluft bringen fonnte, denn darauf war er auf
jede Weife, ſoweit feine Kräfte reichten, bedacht. Auf dieſes alles
bin, welches uns der offenfundige Auf entgegenbrachte, wovon ung
in vielen Fällen auch eigene Erfahrung überzeugte (obwohl es
auch an fich jelbft jo allgemein befannt war, daß feine Verftellung
es verleugnen könnte), haben wir, mwenngleid wir als über den
Gejegen ftehend wegen des VBorerwähnten gegen den genannten
Robert einjchreiten fonnten, ohne ihn vorzuladen, dennoch aus
fatferlicher Milde, welche die Vergehungen der Unterthanen lieber
gut macht als ftraft, und weldye die Schneide des Schwerted gegen
ſolche Krankheiten, die eine janft lindernde Arzenei heilen fann,
Urtheilsipruch des Kaiferd gegen König Robert von Apulien. 295
nicht in Anwendung bringt, nad) unferem Abzug von der erwähnten
Stadt und herabgelafjen, über die erwähnten notoriſchen Vergehen
und über alles Vorgenannte, was Robert wider unfere Majeftät
fih hat zu Schulden kommen lafjen, eine Unterfuhung anzuftellen,
die wir, auf daß er, wenn ein Funke von Treue oder Liebe vielleicht
noch in ihm zurüdgeblieben wäre, in fich gehe und inzwiſchen Ge—
legenheit fände ſich zu befjern, bis jegt in gnadenvoller Verzögerung
hinauszuſchieben befunden haben, indem wir nämlidy den vorer—
wähnten Robert vorladen liegen!) nad den Formen des Gefeges,
daß er Sorge trage vor und zu erjcheinen, um ım diefen Sachen,
fall8 er vermöchte, feine Sculolofigfeit darzuthun. Aber eben
dieſer Robert, in feiner Bosheit verharrend, hat nicht Sorge ge-
tragen an den ihm Dazu angejegten Terminen oder aud nur an
irgend einem derjelben in Perfon oder durch Vertretung zu erjcheinen.
Deshalb haben wir, nachdem wir hierüber in Betreff der’ bös—
willigen Berweigerung feines Erſcheinens glaubmwürdige und hin—
reichende Zeugen vorgenommen und geprüft haben, deren Ausjagen
niederfchreiben und in unſerem Namen feierlich veröffentlichen, ſo—
dann auf unjeren Befehl von den Rechtskundigen unſeres Palaftes
fleißig prüfen und uns von ebendenjelben genauen Bericht ab-
ftatten lafjen, und erſt darauf hin nad) Erfordernis der Geredhtig-
feit und auf das, was erwiefen worden war, geftügt in einer eigenen
Nebenerflärung 2) ausgeſprochen und die Erklärung abgegeben, daß
alles und jedes Vorerwähnte offenfundig und notorijch je. Aber
auch jpäter noch haben wir unter Erfüllung aller Rechtsbräuche
ihm einen legten Termin gejest und ihn vorladen lafien, daß er
Sorge trage, an einem beftimmten jet ſchon verfloffenen Termin
vor und, wo wir auch fein möchten, zu erjcheinen, um dieſen unjeren
Urtheilsipruc zu vernehmen. Er aber, von alle dem unterrichtet,
mistrauiſch wegen feiner Uebelthaten und Unbilden, in feiner Hart-
nädigfeit verftgdt und immer verderblider in Lug und Trug ver-
1) Bgl. ob. Buch 9 Kap. 1. — 2) „in scriptis interloquendo.* Interlocutio ift die
technische Bezeichnung einer noch vor Abſchluß des Proceffes erlaffenen richterlichen Sen—
tenz, welche irgend ein Nebenmoment erledigt.
1313
1313
296- Dreizehntes Bud).
härtet, hat e8 verfäumt jener Aufforderung nachzukommen. Weil
wir nun über alles und jedes Vorerwähnte, gleichwie e8 auch in
der genannten Unterſuchungsakte enthalten ift, durch die genannten
Zeugen volljtändig und bi8 in das einzelnfte unterrichtet find, und
indem wir die erwähnten und andere abſcheuliche Verbrechen des
genannten Robert und feine niederträchtigen Handlungen in reif-
liher und gerehter Schäßung abwägen und aud) jene weit befannte
Thatſache nicht außer Acht lafien, daß eben dieſer Robert zu der
Zeit, da wir unferer erwähnten Krönung halber in der vorgedachten
Stadt Kom meilten und unfere innig geliebten Getreuen die Piſaner,
welche unter unferen übrigen Unterthanen durch die Aufrichtigfeit
ihrer durch die That bewährten Treue hervorglänzen, Schiffe und
Dolf gen Rom Jandten für unjeren Dienft und zu unferer Ehre,
eben dieſe Schiffe zum Schimpfe unjerer Erhabenheit feindlich an=
fallen und plündern, das Kriegsvolf aber aufgreifen, in den Kerker
werfen und dort fefthalten ließ, und daß er ferner um nichts weniger
bei ſolchen Vergehen beharrend, Böſes zu Böſen fügend und täg-
lich Ihändlichere Thaten begehend, zu der Zeit da wir gegen die
Rebellen Tusciens die kaiſerlichen Feldzeichen wandten, denjelben
Rebellen, wie offenkundig und notoriſch iſt und die Sache ſelbſt
lehrte und noch lehrt, mehrfach bewaffnete Hilfe geſandt hat, um
ſie deſto länger auf den Irrwegen der Empörung zu begünſtigen:
weiter in der Erwägung, daß jener, als es ihm frei ſtand Ruhe
und Frieden zu haben, und als es ſeine Schuldigkeit geweſen wäre
ſich bei uns Ruhe zu erbitten und unſere wohlwollende Zuneigung,
die wir in aufrichtigſter Geſinnung ihm zuzuwenden bereit waren,
zu erlangen, dies nicht wollte, vielmehr den Krieg ſuchte, Unrecht
ausübte und nach ſeinen Kräften anſtiftete, wie er auch heute noch
nicht aufhört Unrecht anzuſtiften, bei den Völkern des Reichs Un—
kraut zu ſäen, Haß und Zwietracht zu fördern, und wie er ohne
Unterlaß fortgeſetzt beſchäftigt iſt alles was in ſeinen Kräften ſteht
gegen uns in den Kampf zu werfen, und zwar dies alles nicht
nur zur Schmach unſerer Perſon und unſeres Reiches und zum
Nachtheil des gemeinen Weſens, ſondern auch zur Störung des
Urtheilsipruch des Kaifers gegen König Robert von Apulien. 297
Gedeihens der Kirche, welches, wie man weiß, für das genannte 1513
Reich von größtem Belang iſt, und zur Verzögerung der Angelegen-
heit des heiligen Landes, dem wir — der Allwiffende ſei Zeuge —
mit dem innerften Triebe des Herzens uns hingeben möchten:
weiter aber in der immer deutlicheren Einficht, daß der genannte
Robert unwiederbringlich auf den Abweg des Irrthums gerathen
und verſtockt ift in Lug und Trug, den Weg der Wahrheit aber
erachtet und fein Ohr verftopft, ſodaß er weder, einer tauben
Natter vergleichbar, unjere Gebote hört noch Die Buße des Geſetzes,
in welche er mie ihm bekannt durch feine Vergehen verfallen tft
und noch verfällt, noch auch jelbft die Fülle der kaiſerlichen Macht
ſcheut, jondern täglich fich fteiferen Nackens erweift, und während
wir ihn zur Buße erwarten, nur um fo vermwegener in feiner Bos—
heit wird: indem wir jodann nicht außer Acht laſſen, daß Robert,
vom Fette des Reiches gemäftet, nachdem ihm die Zügel gelodert,
in toller Ungebundenheit vaft und uns an Stelle des Gehorſams
Empörung und an Stelle der Treue Unbilden Darbietet und uns und
alle uns gehorſamen Getreuen des Reiches nad feinen Kräften zu
befämpfen unternimmt, und, wie jeder. einfieht, feine Macht nicht zur
Erbauung jondern zur Zerftörung, nicht zur erfolgreihen Hilfe,
wie es fein ſollte, ſondern zum Berderben anmendet, wir aber
Willens find den Gefahren und Unbilden, mit denen ung jene
Verwegenheit bedroht, entgegenzutreten und, der Lehre des Evangelii
gehorjam, welches und mahnt, jeden Baum, der feine gute Frucht
trägt, zu fällen und ins Feuer zu werfen: — fo haben wir, in Er—
wägung aller diefer Punkte, während wir getreuen Königen und
Fürſten der Erlauchtheit ihrer Würde wegen gern die ihnen zu=
fommenden Ehren und gefällige Gunft erweifen, uns dennoch, auf
daß das Verbrechen die Strafe fürchte und die Tugend ihres Lohnes
harre, entſchloſſen den Uebermuth Roberts zu züchtigen und feine
Anmaßung zu nichte zu machen und ihn jelbft von feinen Stand—
punkt, wie hoch derſelbe auch fein möge, herabzuftürzen, da er
wegen feiner oben geſchilderten Thaten des Verbrechens Der bes
leidigten Majeftät ſchuldig iſt. Wir ſprechen ihm demgemäß alle
1313
298 Dreizehntes Buch.
und jede Würden ab, unter welchem Namen viejelben begriffen
jein mögen, alle Poften, mit deren Titel er ſich ſchmückt, alle
Ehrenftelen, Freiheiten, Befreiungen, Borrechte, Provinzen, Land—
Ihaften, Städte, Schlöffer, Yänbereien, Dörfer, Lehen, Bafallen,
Güter, Befigungen, Rechte und gerichtliche Befugniſſe zeitweilige
ſowohl wie dauernde, welche er hat verwaltet und befitt, over
dergleichen oder welche er oder feine Vorgänger in irgend einer
Weiſe bisher gehabt innegehabt und beſeſſen haben, und meifen
denjelben Robert, als Empörer Verräther und Feind des Reichs
und als der beleidigten Majeftät Ueberführten, aus dem ganzen
Umfang des genannten Reiches und machen ihn friedlos, und ver-
urtheilen ihn, wenn er irgend wann in unfere und des Reiches
Gewalt fällt, durch diefe Schrift in aller Form dazu, fein Leben
durch Enthauptung zu verlieren, und verfügen und fegen feft, daß
feine Perſon, von welchem Adel, welchem Range, in welchem Stande,
welchem Verhältnis und welcher Lage fie fein möge, und feine
Stadt, fein Schloß, Dorf, feine Gemeinde ihm gegen und und das
Reich heimlich oder öffentlih Hilfe, Rath oder Gunft ermeife, bei
einer Buße von hundert Pfund Golves für jede Stadt und fünfzig
Pfund Goldes für jedes Schloß und Dorf, jowie für jeden Mark—
grafen, Herzog, Grafen, Baron oder jeden Adligen, und zwanzig
Pfund Goldes für jede andere einzelne Perſon für jedes einzelne
Mal daf fie diefe Vorſchrift übertreten; beftimmen auch, daß es
einem Jeglichen erlaubt fein fol, ungeftraft die Bürger und Be—
wohner der Stadt, Felten, Dörfer und jede beliebige andere einzelne
Perſon, welden Standes fie jei oder unter welchen Verhältniſſen
fie lebe, melche jenem uns zur Schmach gehorche oder ihm Hilfe
Rath oder Gunft öffentlich oder insgeheim angedeihen laſſen jollte,
an ihrer Perjon, ihrem Befis und ihren Rechten zu ſchädigen und
jie jelbft mit Hab und Gut zu ergreifen und gefangen zu halten,
wobei wir auch ausdrücklich betonen und einſchärfen, daß nicht etwa
irgendwelche Schuldner des nämlichen Robert ihren Verpflichtungen
gegen ihn irgendwie nachzukommen fid herausnehmen, widrigenfalls:
jie unferer Kammer eine gleihe Summe zu bezahlen haben, wozu
Urtheilsfpruch des Kaifers gegen König Robert von Apulien. 299
fie ohne viel Aufhebens und ohne ein gerichtliche Verfahren ge-
ziwungen jein ſollen. Die Gemeinichaften ferner und die Provinzen,
die Städte, Schlöffer, Dörfer und alle Geſellſchaften und einzelnen
Perjonen, meld’ hohen und erlauchten Ranges fie fein mögen,
jelbft wenn fie durch eine fünigliche Würde hervorleuchten jollten,
und welchen Adels fie ſonſt oder welchen Standes fie jeten, welche
auf Grund irgend eines Vertrages, Verſprechens oder Abkommens,
das fie mit dem genannten Robert oder feinen Vorfahren getroffen,
jenem verpflichtet find, ſelbſt wenn eine Strafe dabei aus—
gemacht worden ift, unter welcher Formel ein ſolches Abkommen
‚begriffen jet oder auf welchem Grunde oder Titel e8 beruhe, nament=
lich falls es fih darum handelt ihm einen Dienft zu leiften oder
ihm Bewaffnete zu liefern oder irgend eine andere Hilfe zu Wafler
oder zu Lande zu gewähren, erklären wir ſolcher Verträge Ver—
Ipredhen und Abkommen und der darin ausgemachten Straflummen
für erledigt, und jprechen jelbft feine Vaſallen und Yehnsträger
jowie alle und jede, die ihm auf Grund eines Treueided oder eines
Lehend oder aus irgend einem anderen Grunde verpflichtet find
perjönliche oder fachliche Dienfte zu leiften, von jedem Bande der
Treue, der Unterwerfung und des Gehorfams gegen ihn und feine
Erben gänzlich und alljeitig los, verart, daß weder eine Stadt
noch Schlöſſer, Dörfer und Gemeinfchaften nody einzelne Perjonen
der vorhin erwähnten Art dur) irgend einen der vorhin erwähnten
Derträge oder Abkommen, noch feine Vaſallen und Lehnsträger
auf Grund irgend eines Treuverhältnifjes, Unterwürfigfeitsverjprecheng
oder Gehorſamkeitsgelübdes fich ihm oder feinen Erben gegenüber
irgendivie verpflichtet halten follen. Die Provinzen nämlich, die
Städte, Schlöffer, Güter, Dörfer, Lehen, Vaſallen, Beſitzungen,
Gerichtsbarkeiten, Rechte, Dienfte und alle8 andere, was in unlerer
derartigen Aberfennung und Losiprehung mit begriffen ift, ziehen
wir ein; allen und jeglichen Rittern aber, allen Auditoren, Richtern,
Rechtskundigen und Notaren, melde die Hausgenoffen oder Ver—
trauten deſſelben Robert find oder fonft in feinem Dienfte ſich be-
finden, und allen feinen übrigen Untergebenen befehlen und fünden
1313
1313
300 Dreizehntes Bud.
wir mit Ernft, daß fie innerhalb zweier Monde von heute ab
gerechnet, aus ihrer vertrauten Stellung zu Aobert, aus jeinem
Rath, feiner Leitung und jeglihem Unterthäntgfeitsverhältnig zu
ihm thatfächlich ſcheiden und ſich nicht herausnehmen jemals wieder
heimlich) over Hffentlih in feinen Rath und zum Gehorjam gegen
ihn zurüczutreten; andernfall® erklären wir die Nitter der ritter-
lichen Ehre und Würde, die Auditoren, Richter und Rechtskundigen
jeglicher Befugnis zu vichten und beizufigen ſowie aller und jeder
Privilegien und Befreiungen, und Die Notare des Niotariatd —
Diejenigen nämlich von den erwähnten Rittern, Auditoren, Kıichtern,
Rechtskundigen und Notaren, melde unjerem derartigen Gebote
nicht folgen werden — für jest wie für alle Zeit verluftig und
machen fie überhaupt Hierzu unfähtg und benehmen ihnen ihre
bürgerlichen Chrenrechte vergeftalt daß fie nad) Ablauf der ge-
nannten zwet Monde niemals wieder zur Vornahme irgendwelcher
gerichtlichen Handlungen zugelaffen werden jollen. — Derartige
Sentenzen der Aberfennungen , der Confiscation, der Aechtung, der
Berfehdung, der Verurtheilung und der Loslöſung haben wir in
diefer Urkunde erlaffen und erlaffen alle und jede Feſtſetzungen der—
jelben auf Erfordernis der Gerechtigkeit und des Beſten des Ge—
meinweſens ſowie aus ficherer Kenntnis heraus und aus der Fülle
unſerer Macht, und fegen uns über jeden Mangel hinweg, wenn
etwa ein ſolcher in dem vorftehenden Verfahren bei irgendwelchen
auf Grund defjelben «angeftrengten Prozeſſen wegen Ueberjehung
irgend einer rechtlichen Form gefunden werden follte, ſehen auch
von allen beliebigen Geſetzen oder Feſtſetzungen, Verträgen oder
Vorrechten ab, unter welchem Wortlaut Diejelben auch gemährt fein
mögen, jelbft wenn e8 auf Grund defjelben nöthig wäre fie behufs
Außerfraftjegung von Wort zu Wort in diefer Urkunde zu wieder—
holen, jo viele au gegen das Vorſtehende insgeſammt oder gegen
irgend einen Punkt defjelben irgendwie vorgebracht oder demfelben
entgegengejett werben fünnten, die wir hiermit ausdrücklich außer
Wirkſamkeit ſetzen.“
„Gegeben zu Piſa in Gegenwart unſerer Fürſten und Barone
Rüſtungen des Katfers zu Lande ꝛc. 301
und einer zahlreihen Volksmenge, am 25. April im fünften Jahre *
unſeres Königthums, unſerer kaiſerlichen Herrſchaft aber im erſten
Yahre 1).‘
6. TreffenbeiMaffa Mardhionum Malaſpinä. —
ALS nun der Sommer heranfam und die Frucht anf den Feldern
überall der Reife entgegenführte, erfüllten fi) die Genoſſen des
Kaiſers mit neuem Eifer die Empörer zu befriegen und mußten
aud den Kaiſer ſelbſt zu Friegerifhen Unternehmungen mächtig zu
entflammen. Sie rtethen ihm durch die befreundeten Städte und
Flecken Tusciend und der Lombardei ferne Boten zu jenden ?). Auf
des Herrichers Befehl wurde dies auf das pünflichfte beſorgt. ALS
aber zweihundert von Ganisgrandis und Paffarinus de Bonacofis
gefandte Keifige unter Anführung des Markgrafen Franceschinug
de Dallo, des Grafen Paganıcus de Panico und des Guidinellug
de Monte Cuculo durch Lunefana zogen, begegnete ihnen ein
widriges Geſchick. Vanni Scornezanus nämlich, ein verbannter
Planer, traf nebft berittenen Sölonern, welche die Lucchefen feinem
Befehl anvertraut hatten, unverjehens bei Maſſa Marchionum 9)
auf die Ankommenden, trieb Die Ueberrafchten aus einander und
Ihlug fie in die Flucht, wober von ihnen ſechsundachtzig fielen und
jechSundvierzig gefangen genommen wurden, während Die übrigen
fi, flüchteten. Unter den Gefallenen war der erwähnte Markgraf
Franceschinus; deſſen Bruder Ottolinus ward zum ©efangenen
gemacht. Drei Feldzeichen, nämlich ein Eatferlicher Adler, ein Banner
des Canisgrandis und eins des Paffarinus, des Vikars von
Mantua, wurden am 22. Mat als Schauftücde nach Yucca gebracht. Mai 22
7. Rüftungen des Kaifers zu Lande und zur See
wider König Robert von Apulien. Im eine große Fülle
von Sorgen und Geſchäften geftürzt, erwog der Katfer in feinem
gewaltigen Sinne gar viele Dinge. Es galt einmal mit hin—
1) Die Ueberſetzung diefer Faiferlichen Urkunde beruht auf dem Abdrude derjelben in
den Mon Germ. hist. Legg. II, 545 ff., von dem freilich der Tert bei Muffato nur in
Einzelheiten abweicht. — 2) Nämlih um die Mannihaft zur Hilfe zu entbieten. —
3) d. i. Maſſa (dei Marcheſi di Malafpina) in Lunigiana, ſüdlich von Carrara.
r. 25
302 Dreizehntes Buch.
1313 veichenden Kräften zum Landfrieg die eingefchüchterten und durch
die vielen in der legten Zeit erlittenen Schäden geſchwächten Floren—
tiner abermals anzugreifen und zu beunruhigen, ſodann die Lucs
chefen welche ihn gleichlam vor feiner Thür befämpften, in ihrer
Stadt zu berrängen und fie zugleich ringsum ihrer Veſten und
Kolonien zu berauben und von allen Hülfsmitteln zu entblößen ;
vielleicht wurde er auch veranlaßt zur Niederwerfung der anderen
Städte Tusciens vorzurüden, wozu e8 dann nöthig wurde die zer—
ftreute Truppenmacht der Getreuen nad) Piſa zu entbieten. Auch
zur See ftand man im Begriff das Kriegsglück zu verſuchen, indem
man nämlich, falls die Gelegenheit günftig wäre, zu Schiff ſich nad)
Apulien zu begeben gedachte, weswegen König Friedrich von Siecilien
damals bereits durch öffentlichen Erlaß und Befehl einen Ober-
Admiral ernannte und denjelben anwies eine Flotte von vierund—
zwanzig Galeeren mit der zugehörigen Bemannung aufzubringen.
Auch die Genueſen ſäumten nicht zur Vermehrung der kaiſerlichen
Flotte fünfundzwanzig Galeeren mit völliger Ausftattung unter
Lamba de Auria als Admiral zur Verfügung zu ftellen, während
die Piſaner unter erheblihem Koftenaufwand zwölf Galeeren zu
dem großen Unternehmen aufbrachten. Der Kaiſer war feit ent-
ſchloſſen mit diefer Macht Robert, nach deſſen Befiegung e8 ihm
nicht fehlen konnte ganz Italien zu feinen Füßen zu fehen, in
Apulien felbft anzugreifen.
8. Einnahme von Petrafancta durch den Mar—
ſchall des Kaiſers, Belagerung des Ortes durch die
Luchejen und verjdhiedene Kämpfe im Gebiete von
Lucca. Während dergeftalt der Krieg immer mehr anzujchmellen
Sunil umd um fich zu greifen drohte, führte am erſten Juni der Mar-
ichall des Kaiferd mit deſſen Truppen der pifanifchen Miliz und
Fußoolf feine Adler durch das Gebiet von Yucca nad) der reichen
Kolonie Petraſancta 1), melde, innerhalb des Gebieted von Piſa
belegen, fi) doch ſchon feit Yange im Befis von Lucca befand.
1) An der Straße von Spezzia nad Lucca, nicht weit von dem früher erwähnten
Gamajore.
Einnahme von Petrafancta xc. 303
Als der Marihall diefen Ort von allen Ceiten beftürmen und
beſchießen ließ, wurde derſelbe nach vergeblihem Widerſtand ver
Einwohner und unter Mithülfe einiger kaiſerlich Gefinnten alsbald
gewonnen. Die Sieger bemädhtigten ſich der Schäge der mwohl-
habenvden Einwohner und machten reiche Beute. Hundert Luchefiiche
Söldner, welche die Beſatzung bildeten, brachen mitten im heißeften
Kampfe durch die öftlihe Pforte aus und vetteten ſich durch die
Flucht. Der Marſchall und die übrigen kaiſerlichen Ritter ſowie
die Piſaner brachten ſogleich die gefangenen Eingeborenen nebſt
großen Laſten an Raub und Beute auf dem Wege, der zum Meere
führt, nach der Gegend von Motrone t) und luden dort alles auf
zwei piſaniſche Galeeren und mehrere Eleine Schiffe, ſoviele zur
Unterbringung der Waaren erforderlich waren, um die Beute nad)
Pija zu befördern. Als fie bereit3 die Segel entfaltet und fich
auf das Meer begeben hatten da traf fie ein unerwarteter Unfall.
Piraten König Roberts von Apulien nämlich, welche unabläffig
in dieſer Gegend Freuzten, um unvorfichtige Pifaner oder umher⸗
ftreifende kaiſerliche Fahrzeuge aufzugreifen, nahmen dieſe beiden
Schiffe mit den kleinen Böten aller Beute und der ganzen Be-
mannung weg und erbeuteten Alles im leichten Erfolge. Die
Luccheſen ferner, durch Signale benadjrichtigt, eilten ſchleunigſt mit
auserlefenen Reiter⸗ und Fußgängerihaaren bis nad) dem Dorfe
Camajore, etwa zwei Miglien von Petrafancta, mo fie auf die
Kunde von dem Siege der Feinde halt machten. Nachdem fie hier
übernachtet, brachen ‘fie vor Tage auf, marſchirten nad Rotara,
anderthalb Miglien von Petrafancta, und ſchickten fofort Boten
nad Lucca, mit der Bitte die florentinifhen Hülfstruppen, melche
am Tage vorher angelangt waren, ihnen dorthin zu enden. Sie
jelbft nahmen fi nody hundert Mann leichter Fußtruppen aus
der genannten Befte zu Hülfee So auf ihre vereinten „Kräfte ver—
trauend, brachen fie die Brüden ab und zerftörten die Wege, melde
zwiichen den Burgen und den Sümpfen binführten und den Feinden
1) ſüdweſtlich von Pietrafanta, an der Küſte.
1313
1313
304 Dreizehntes Buch.
zum Rückzug dienen mußten, ſodaß dieſe fich nur mit dem Schwerte
den Rückweg bahnen konnten, während von Geiten des Kaifers
feine Hülfe heranzufommen vermochte, außer wenn bdiefelbe fich
mitten durch die Truppen der Luccheſen hindurchſchlug. Im Lager
ver Tetsteren befanden ſich nach Verlauf von drei Tagen zmeitaufend
Berittene und zwanzigtaufend Fußtruppen; die Katferlichen aber
zählten zwölfhundert Netter und zehntaufend Mann Fußvolk.
Während man auf beiven Eeiten mit jo großen Vorbereitungen
beihäftigt war, fam den Lucchefen eine unerwartete Nachricht zu.
Sie vernahmen nämlich daß Johannes de Porticu, der Tuccheftfche
Podeftä von Bal d' Arno, Fusceslum eine fehr ftarfe Veſte dieſes
TIhales!) in heimlichen Einverftändnis mit den Führern der Be—
lagung daſelbſt dem Kaiſer verrathen molle und daß die Sade
Ihon faft bis zum Bollzuge gediehen jei, indem bereit8 der Graf
von Savoyen mit königlicher Mannſchaft und allen Veranftaltungen,
um in der Nacht die Thore zu Iprengen, herbeteile. Nachdem aber
gegen Abend die Verſchwörung verrathen worden und mehrere der
Verſchworenen entflohen waren, ließ Johannes deren Sade im
Stih?) und befahl dem Robertus Rubeus mit verboppelter
Mannihaft das Bernharböthor zu bejegen. So ließen die Ber:
ſchworenen, nachdem fi) das Glück von ihnen gewandt, wider ihre
Abficht 3) fi von dem Grafen vergebens erwarten, wurden aber
nichts deftomeniger ihres Vergehens überführt, nach Lucca gebracht
und mit dem Strange beftraft. Zwei Fahnen wurden, nachdem
man die Adler, welche jene fich zu ihrem Berrath beichafft hatten,
umgewandt *) auf dem Giebel des Rathhauſes won Yucca aufge:
ftedt. Der Savoyer indeß verheerte bei jeinem Abzuge von
Fusceclum jene ganze Gegend mit allen ihren Städtchen. Vom
Schreden überwältigt, verharrten die Einwohner diefer Ortichaften,
obgleich fich bei ihnen auch die verbannten Pifaner zufammenge-
1) Fucechio am Arno, halbwegs zwifchen Florenz und der Mündung des Fluffes. —
2) Hier ift eine Liide im Text, weldhe nur vermuthungsweife ausgefüllt werden kann. —
3) Zert: haud aliter quam meditati fuerant. — 4) Text: versis aquilis.. Was da=
runter gemeint, ift nidht klar.
Einnahme von Petrafancta ꝛc. 305
funden hatten, faum noch im Gehorfam gegen Lucca und felbft
die Feſte Bufianım?) vollzog die Befehle der Luccheſen nur mit
hochmüthigem Widerftreben. In vdenjelben Tagen eroberten die
Shibellinen Aranım 2), welches furz hernach jedoch von Gräcus
Bernaducius, den Statthalter diefer Gegend, wiedergewonnen und
von den Guelfen in Befis genommen wurde. In Graphagnana ?)
war der lange jchlummernde Parteihaß zu offenem Ausbruch ge—
fommen und die Einwohner lagen mit einander im Streite, bis
eined Tages, am 5. Juni, die Guelfen den Sieg gewannen, nad)-
- dem von den Öhibellinen vierzig durch das Schwert gefallen waren,
während fie jelbft nur fünfzehn verloren. Bet Ddiefem Kampfe
famen, durch das Gerücht aufgeſchreckt, die Luccheſen des Quartieres
von St. Peter, welche fi) Damals in jener Gegend befanden, den
Guelfen zu Hülfe. Durch diefe Kämpfe und Bewegungen gehoben,
machten die Ghibellinen in Graphagnana nnd Terelium *) von nun
an den Guelfen mehr zu ſchaffen. Bartholomäus Paſſarelli,
welder in diefer Gegend im Namen Lucca's als Bodefta gebt,
drückte, wie e8 die Sache erforderte, ein Auge zu und ließ e8 ge-
ſchehen, nur darauf bedacht, jene an offener Empörung zu ver-
hindern, ſodaß fein Nefidieren al8 Rektor in Bictanum ) ohne
alle Bedeutung war. Im Lager der Lucchefen waren inzwijchen
die Anfichten getheilt. Die Luccheſen felbft, welche jehr wohl mußten,
daß Das Heer ſich bald wieder verlaufen würde und vor Furt
zitterten, daß die Auflöfung der Unternehmung fie den Feinden
wehrlos preisgeben wirde, forderten mit dem größten Nachdruck
eine Schlacht. Ihnen ftimmten Dego, der Führer der florentinifchen
Söldner, und die Hülfstruppen aus Bologna bei. Nur die Floren—
tiner, welche in der Meinung dag die eingefchloffenen Feinde ohne
ihr Zuthun zu Grunde gehen würden, e8 gern fahen, daß fich die
Sache Hinzögerte, wollten von einer Schlacht nichts wifjen. So
wurde die Entjheidung von Tag zu Tage hinausgefchoben. Die
1) Borgo a Buggiano im Val di Nievole, 13 Miglien öftlih von Lucca. — 2) wohl
Aramo im Balle Ariana. — 3) Grafagnana, Gegend am oberen Serdiothal. —
4) Tereglio, im Thal des Serchio. — 5) Pitiano im Bal d' Elſa?
Geſchichtſchreiber. Lig. 67. Leben Heinrichs VIT. 20
1313
Sunid
306 Dreizehntes Bud).
1313 Planer andererſeits, voll Belorgnis für Die Ihrigen, welche ſich
durch Die Feinde ringsum jeden Ausweg abgejchnitten jahen und
auch bereitd Mangel litten, bauten, um, ſoweit fie vermöchten, jene
zu entjegen, Mafchinen, Schutzdächer, Mauerbrecher, ſowie Laſt—
ichiffe, die f. g. Barbotten, nebſt Getreidefahrzeugen und verfahen
diefelben mit allem mas zur Ausrüftung zu Yande und zur See
gehört, in der Abficht fich jo gerüftet dem Schwerte der feind-
lichen Streitkräfte entgegenzumwerfen, und ſchworen einander zu, an
Suni14 einem beftimmten Tage, nämlid am 14. Juni, aufzubrechen. Da
aber erblicten fie auf dem höchſten Gipfel von Gorgona ein Feuer—
zeichen, welches bei ihnen Fald genannt wird. Dieſes Signal be-
nadhrichtigte fie, daß Galeeren des Königs Robert von Apulien
nad) Elba gefommen jeien, dort die Einwohner gejhädigt hatten und
bereit3 nach Portus Pifanus weiter gefahren ſeien. Auf dies Fald
von Gorgona hin brachten die Pifaner ihre Flotten in Sicherheit und
wußten fie aud) vor jedem Schaden zu bewahren, die feindlichen Öaleeren
aber legten fid) am nächſten Tage bei dem Felſen von Motrone
vor Anker. Ihr Vicendmiral der Calabrefe Aldemarius (Corra—
dinus Spinola aus Genua nämlid) war des Königs Oberadmitral)
ließ die Flotte bei Motrone und begab fih auf dem Wege von
Camajore zum Heere der Luckhefen. Er begrüßte ſich mit den
Erften de8 Heeres und erflärte, er werde ihnen an Stelle König
Koberts Hülfe Leiften; er jei von demfelben mit dem Auftrage
gejandt, um von den dreitaufendjiebenhundert Bogenſchützen, die er
mitgebracht und auf feinen Schiffen habe, fiebenhundert in ihr
Lager zu führen; die übrigen ftänden ihnen zur Verfügung, ſobald
fich eine befjere Verwendung für fie finde. Ste würden zu Lande
den befreundeten Tusciern behilflich fein; auf dem Meere aber
Yägen feine Galeeren an den Punkten der Küften vor Anker, wohin
die Feinde ihren Nüczug oder ihre Flucht richten fünnten. Dod)
ſei der König Hiermit nicht zufrieden und halte dies in Anbetracht
der jo günftigen Sachlage für ungenügend; es ſei Daher überdies
Corradinus beauftragt worden, ſechs andere Galeeren den feinen
binzuzubringen. Ex jelbft habe ferner die Ausrüftung von dreißig
Einnahme von Petraſancta ꝛc. 307
anderen befohlen, um mit fünfzig Schiffen der Nothdurft Der
Freunde entgegen zu kommen. Durch dieſe Vorgänge erjchredt
und aufgehalten, verzehrten die Piſaner inzwiſchen ihre Lebens-
mittel, Tiefen das Werk, welches fie begonnen hatten, Tiegen und
mußten vergebens und ungenütt die Zeit verftreichen laſſen. Auch
konnten fie ihre erſchöpften Vorräthe nicht vernollftändigen, da das
durch den ambauernden Krieg arg "heimgefuchte Gebiet von Lucca
für die Verproviantirung nichts Tiefern fonnte. Das gleihe war
mit der Riviera von Genua der Fall, welde faft garnichtd trug.
Auch erblidten fie weder zu Lande nody zur See eine Möglichkeit,
den Ihren zu Hülfe zu fommen. Jeder Landweg zu venjelben war
abgejchnitten und das Meer wurde durch die feindlichen Galeeren
ihnen verſchloſſen. Es vermehrte die Verlegenheit des Kaiſers und
der Piſaner der Umftand, daß fie ſchon unter einem faft unerträg-
then Mangel an Lebensbedarf Kitten, namentlich fehlte e8 an
Wein, ſodaß das Ffleinfte Maß, welches dort zu Lande Metadella
heißt, in Folge des Steigeng der Preife mit zwei Solidi piſaniſcher Münze
bezahlt wurde. Der kaiſerliche Marſchall hielt tro& der größten
Rührigkeit und Sorgfalt die Seinen, welche gerne entlaufen wären,
nur mit Mühe beilammen, obwohl er gegen die Deferteure Ver:
ſtümmlung der Glieder verhängte, während die eifrige Sorge der
Luccheſen bei Tage und bet Nacht geichäftig war die ©egner im
höchſten Maße zu bedrängen. Kingsherum ftellten fie ihre Wacht
poften auf und hielten es, in dem Wunfche jenen in ihrer ſchlimmen
Lage durch eine Schlacht noch weiteren Abbruch zu thun, kaum
aus im Lager zu liegen.
Vierzehntes Bud).
1. Die lombardifhen Guelfen gewinnen die
Beften Romanum und Giſalba. Nachdem die verbannten
Bergamasfen, mie oben erzählt wurde, das Schloß Colonium ge:
wonnen hatten !), festen fie Die Bürger der Stadt und ringsum
die Einwohner der Orte, welche fi) zu derjelben hielten, in
Schreden. Hierbei geihah es, daß Fridericus Coglonus, welcher
bis dahın dem kaiſerlichen Vikar gehorcht hatte, die Stadt verließ
und nad Martinengum ?) flüchtete, wo er fich den Berbannten an—
Ihloß und mit feinen Getreuen vereint die Stadt befriegte, worauf
auch, da es das Geſchick jo fügte, die Feſte Romanum ?) fich dem
Sifelbertus Carpionus, einem der werbannten Bergamasfen, über-
lieferte. Auch die Obrigkeit von Giſalba) ftellte fih und das
Schloß den Siegern zur Verfügung. So trat in kurzem ein Um:
Ihwung der Dinge ein und alle von Bergamo abhängigen Land—
ftädte trafen, ohne erſt die bedrohlichen Anfälle der Gegner abzu—
warten, ihre Maßregeln und ergaben fic) den Guelfen. Im Ber
lauf diefer Dinge braden das Kriegsvolk und die Bürger von
Bergamo mit geeinten Kräften durch die zerftreuten Schaaren der
Gegner hindurch und marſchierten nach Vezanega, einem etwa vier
Miglien von Colonium entfernten Orte. Als nun zufällig an dem
1) ſ. 0. Bud) 12 Kap. 12. — 2) 8 Miglien ſüdſüdöſtlich von Bergamo. — 3) Romano
di Lombardi, 21/2 Migiien füdlid) von Martinengo. — 4) Ghifalba, anderthalb Miglien
nördlih von Martinengo.
Kampf des Catalanen Cozo x. 309
nämlihen Tage, am 16. Mat, die vertriebenen Bergamasten, 17
welche mit denen von Lodi Crema und Brescia, etwa zweihundert
Ranzenreiter ftarf, zur Verheerung des Landes ausgerüdt waren,
Kunde erhalten, daß das erwähnte Kriegsvolk und die Bürger in
Bezanega eingetroffen ſeien, verbargen fie fid) in geringer Entfer-
nung von diefem Orte im Gebüſch und fchieten Leichte Truppen
voraus, um die in Vezanega befindlichen herauszuloden. Letztere
ftürzten fid) denn auch jofort, in ihrer verwegenheit alle Vorficht
außer Acht ſetzend, ungeordnet auf die leichten Truppen und liegen
ſich mit denfelben in einen Kampf ein, bis fie auf ein gegebenes
Zeichen won den in der Nähe verborgenen angegriffen wurden.
Dhne deren erften Anſturm auszuhalten, flohen fie unter großen
Berluften nad) Vezanega zurüd. Nur um jo häufiger verheerten
von nun an aud im diefer Gegend die Berbannten das Gebiet
von Bergamo mit Feuer und Schwert und hieben alle nieder, Die
fie unvorfichtig außerhalb der Wälle und Befeftigungen fanden.
In Elujum!) wurden von den Verbannten falt fünfzig von der
Gegenpartei, darunter Matthäus della Bora und Morus Alertt,
getödtet, wodurch erjchredt die Einwohner der ganzen Gebirgsland-
ihaft von Bergamo zu den Guelfen abfielen.
2. Abfall der Beten Irmignanum Spiranım
Salcinatum und Cifaranım zu den Guelfen der
Lombardei. Aud von den Veſten der Ebene fielen mehrere den
Suelfen in die Hände, darunter Irmignanum Spiranım Calcina—
tum Gifaranım 2). Die Wafjerleitungen aber aus dem Gebirge,
welche Bergamo mit Waffer verforgten, wurden zerjtört und Die
Duellen abgelenkt. Mit Mühe behauptete fih in der umlagerten
Stadt der failerlihe Vikar mit den Bürgern.
3. Kampf des Eatalanen Cozo, des Statthal—
ters König Roberts, bei Caffinae Im dem gleichen
Monat Mat fam es zu einer Feldſchlacht zwiſchen dem Gatalanen Mai
Cozo, dem Statthalter König Roberts von Apulien in Aleffandria,
1) Elufone im Gebirge, 12 Miglien nordöftlich von Bergamo. — 2) Kleine Ortſchaften
de3 bergamasfiichen Gebietes.
1313
310 Vierzehntes Buch.
und den verbannten Mleffandrinern, denen von Piemont und ven
übrigen Kaiferlichen, welche Caſſinä innehatten. Letztere wurden
geihlagen und erlitten eine }o vollftändige Niederlage, daß von
fünfhundert Fußſoldaten und etwa dreißig Yanzenreitern, welche
zum Kampfe gefommen waren, hundert und fünfzig nad Caffink
heimfehrten, während alle übrigen erſchlagen oder gefangen wurden,
darunter Naimondus Markgraf von Ancıfa, Romäus Yanzavegla,
Galvagnus Merlanus, Yanzalotus Bictatus. Galvagnus Lanza—
vegla und die übrigen Angejehenen, welde die Beranlafjung zum
Abfall von Caſſinä gegeben hatten, wurden nad Alefjandria in
Gefangenschaft geführt; im ganzen machte man zmeihundert und
fünfzig Gefangene. Viele wurden in den Fluß Brumida geftürzt.
4. Die Guelfen der Lombardei erobern Ser—
matia. Um diefelbe Zeit nahm Paganız Raina der Podeft&
von St. Ealvator mit feinen Untergebenen in Folge einer günfti=
gen Gelegenheit die Feſte Sermatia durch Ueberfall und machte die
Bejatung nieder, während die Einwohner mit ihrer ganzen Mann—
Ichaft ausgezogen waren um die Feſte Gezanum zu überwinden.
Hierbei wurde auch Franciscus Canis, der Damald dad Haupt der
Partei der Canes von Cafale und der anderen Kaiſerlichen daſelbſt
war, niedergemacht. Mehrere wurden auch von dem jchnell ange=
legten Feuer überrafht und ftarben ın den Flammen. Die Zer-
ftörung diefer Veſte war ein großer Verluſt für die Kaiſerlichen,
da bier die unftätt umherjchweifenden Anhänger des Kaiſers aus
Alefjandria Caſale Bercelli und Pavia eine Zufluchtsftätte fanden.
Auch war die Veſte denen, die zwiſchen Gafale und Bercelli ver—
fehrten, jehr Läftig, da fie den freien Verkehr zwiſchen diefen Orten
hemmte.
5. BZufammenftoß der Cavalacii und der Bru—
riadi von Novara. Haft gleichzeitig mit den eben geſchilderten
Begebenheiten trafen bei den Damm von Waftos!) auf offenem
Felde ſchlachtgerüſtet die Bruriadi und Cavalacci, Verbannte aus
1) Vaſto zwiſchen Novara und Bercelli.
Einnahme von Zribulum. | 311
Novara, mit der Gegenpartei dieſer Stadt und den Berbannten
von Vercelli zuſammen. Letztere wurden befiegt und in die Flucht
geihlagen: dreihundert und jechzig fielen, die übrigen vetteten fich
nad) Novara, wo die Bürger auf die Kunde von der Niederlage
der Ihren von gewaltigen Schreden ergriffen wurden und faum
nod der Feftigfeit der Thore vertrauten,
6. Einnahme von Tribulum Auch Cremona hatte
in diefen Tagen einen frohen Erfolg zu verzeichnen. Die Veſte
ZTribulum !) nämlich, bisher im Aufruhr gegen die Stadt und
derjelben aufs äuferfte verfeindet, wurde von den Einwohnern
dem Paſſarinus della Turre, dem Statthalter König Roberts von
Apulien, überliefert.
Durch alle diefe in einem und demjelben Monat jchnell auf
einander folgenden DVerlufte und Einbußen im Sriege wurde die
fatjerliche Partei in der Lombardei arg geſchädigt und in große
Beſorgnis verlegt, jodag man jeine Hoffnung nur noch auf die
Ankunft der Deutjchen jeßte, zu deren Herbeiführung der Erzbiſchof
von Trier, des Kaiſers Bruder, über die Alpen gegangen war.
Bon dem Herzogthum Baiern aus verbreitete fid) jedoch — jehr
wider die Erwartung jener — die Nachricht in Italien, daß Jo—
hann der Böhmenfönig, des Katjerd Sohn, durch die Behauptung
jeines Königreichs völig in Anſpruch genommen jei, da ihm einige
der böhmischen Großen Widerftand leifteten im Intereſſe Heinrichs
von Kärnthen, welcher fich gleichfall® einen König von Böhmen
betitelte, jodaß er, faum im Stande ſich jelbft zu behaupten, dem
Bater feine Hilfe zu bringen vermöchte. Solche und andere Ge—
rüchte durchſchwirrten alle Staaten Italiens, indem jeder das, mas
jeinen Wünſchen entſprach, verbreitete; inzwilchen aber hatten die
Bürger feine Ruhe und mußten erwarten, von Norden wie von
Süden das Kriegsvolk über fich herfallen zu fehen. Schon gab
e8 zwei erflärte Häupter Italiens, von denen eines die Herrichaft
gewinnen mußte, entweder der Kaifer oder König Robert von
1) Zrigolo, ſüdlich von Soncino, im Cremonefifdhen.
1313
1313
312 Bierzehntes Buch.
Apulien. Dieſe beiden ftanden im Mittelpunfte der Erwägungen
eines jeden; die einen ließen hören: da alles menfchliche und gött-
liche Necht jenen höchften Ausdruck im Kaiſer finde, fo ſei e8 in
der Ordnung, daß diefer die Herrſchaft erlange; die andern leug-
neten das zwar nicht, wandten aber ein, der Kaifer habe fein Hecht
verwirft, indem er parteiiſch gefinnt die eine Hälfte der Bevölke—
rung begünftigt, Die andere mit Füßen getreten habe.
7. Urtheilsfprud des Kaifers gegen die Pa=
duaner. Um diefe Zeit faßte der Kaifer, nachdem er, lange Zeit
hindurch von den Verbannten mit Klagen über die Hartnädigfeit
der Paduaner beftürmt, Die Sahe von Tag zu Tage hinausge—
Ihoben hatte, die Verurtheilung derjelben ins Auge, ſaß über fie
zu Gericht und fällte ohne ihnen die Bertheidigung zu ermöglichen
auf die Angaben der Ankläger bin aus Gründen, welche von nie
mandem widerlegt wurden, folgenden Urtheilsſpruch:
„Heinrich ) von Gottes Gnaden römischer Kaifer allezeit ein
Mehrer des Reichs. Zu ficherer Kenntnis der Gegenwart und
zum Angedenfen für alle Zufunft. Nachdem Gottes Geheiß ven
Schub des Gemeinweſens ung anzuvertrauen beliebt hat, haben
wir, fobald wir die in Deutjhland unter dem Einfluß des Feindes
des Friedens entftandenen Wirren beigelegt, e8 für nöthig erachtet
den Berhältnifien Italiens aufzuhelfen, woſelbſt in der Zeit, da der
Kaiſerthron unbefegt war, ſämmtliche Gemeinden und Städte Die
Rechte des Reiches in Befis genommen hatten und durch Bürger-
friege ſchwer beläftigt bei zunehmender Yeidenjchaftlichfeit Der Be—
wohner, Die jogar nicht wenige ihrer Mitbürger unter verruchten
Vorwänden verjagten, tyranniſch gelenkt wurden, während unzählige
ihrer Bürger, verftoßen und ihrer Güter durch die Gegenpartet
wider alles Necht beraubt, gezwungen waren mit dem Bettelftabe
fremde Städte zu durchwandern und durch die Yande zerftreut ihr
Leben in der Verbannung zu friften. Da wir aber Italien be=
traten und unfere und des römischen Reiches Getreue aus der Lom—
1) Ich lege den von Dönnige Acta H. VII, II ©. 202—209 gegebenen Tert zu
Grunde, von dem Muffato jedoch meift nur in Kleinigkeiten abweicht.
Urtheilsipruch des Kaijers gegen die Badıraner. 313
Harder, welche ung die Treue gebrochen, insgefammt wiedergeivan-
nen, und wir jchon unjere Vorbereitungen getroffen hatten um den
Weg nah Rom zu betreten, auf daß wir das Diadem der Kater:
Hoheit entgegenzunehmen vermöchten, da begingen die Stadt und
die Gemeinde von Padua und die unten aufgezählten Bürger die-
fer Stadt und jeder einzelne unter denſelben, auf ſchändliche Fre—
velthat hartnäckig bedacht, nachdem fie ung zuoor freiwillig aner-
fannt, und Treue erzeigt und und einen feierlichen Eidſchwur ges
Teiftet, außer anderen Frevelthbaten — wie es der offenfundige Auf
zu und. bringt und durch feine Ausfluht der Verborgenheit anheim
gegeben werden fonnte noch kann — gegen unfere damals königliche,
ſpäter kaiſerliche Majeftät folgende Verbrechen und Unthaten: näm—
lich die Stadt und Gemeinde von Padua und die unten aufgezähl-
ten Bürger und Diftriftsangehörige der Stadt und jeder einzelne
von ihnen bemirkten nad) ernftlichem und wohlüberlegtem Entſchluß,
daß gewiſſe Städte der Lombardet und der Marf von Trevifo mit
gewilfen Bürgern diefer Städte und ſogar tusciſche Städte und
Beften als Nebellen gegen und und das römiſche Reich fid) wider
uns auflehnten und verftodten Gemüths in der Rebellion verblieben.
Ferner haben fie den Statthalter, welchen wir daſelbſt einſetzten,
aus feinem Statthalteramte entfernt, ihn gegen unjeren Willen
Später zu ihrem Nector gewählt gegen unjere und des gefammten
römischen Reiches Ehre !), und KRathöperjonen Beamte und andere
Einwohner der Stadt Padua dazu gebracht und verführt, Die
Getreuen und Untergebenen oder Freunde des römiſchen Reiches zu
vertreiben, zu verbannen und einige zu tödten, anderen den Auf—
enthalt. in der vorerwähnten Stadt Padua zu unterjagen. Und
ebenfo haben fie mit den obenerwähnten vebelliihen Städten Ver:
ſchwörungen und Vereinigungen gegen und und das römische Neich
einzugehen ſich unterfangen; ferner, ihre Ichlimmen Thaten durch
ſchlimmere überbietend, fich mit den vorerwähnten rebellifchen Städten
und deren Einwohnern ind Einvernehmen geſetzt und ſich verab-
1) Diefer Satz fehlt bei Muffato.
1313
1313
314 Bierzehntes Bud).
redet nad) Rom eine bewaffnete Macht zu entjenden, um zu ver=
hindern daß wir das kaiſerliche Diadem entgegenzunehmen ver=
möchten. Ferner haben fie nad Verabredung verhandelt und ver:
einbart die Etadt Vicenza der Herrichaft des Kaiſerthums zu ent=
reißen und fie der erwähnten vebelliichen Stadt Padua zu unter-
ftellen, in Folge welcher Vereinbarungen und der Daraus hervor—
gehenden Handlungen unzählige Menjchen dem Tode preisgegeben
worden find. Ferner haben nadbenannte Bürger derjelben Stadt
ſich mit den erwähnten rebelliihen Städten der genannten Yand-
ichaften ins Einvernehmen gejett und die Stadt Padua, welche
bisher und und dem römischen Reid) unterworfen und in That
und Wahrheit unferer Herrihaft unterftellt war, verführt und und
dem römiſchen Reiche aufjäffig zu werden, in welcher Rebellion fie
von da an verblieben find und noch verbleiben, wie fie fich denn
auch den anderen rebelliichen Städten angejchlofjen haben. Und
als das Diadem der Kaiſerhoheit unfer Haupt zierte und wir mit
unferem Heere ung im Xager vor Florenz befanden, beeilten fie
fi) den Florentinern Hilfe zu jenden. — Wir aber, in dem
Wunſche zu erfahren ob jener offenfundige Ruf, der jo abjcheuliche
Ihaten kündete, begründet wäre, beſchloſſen, wie e8 unfere Pflicht
ift, der Wahrheit defjelben nachzuforſchen. Und nachdem die Wahr-
heit der vorftehenden Anjhuldigungen durch Zeugen ausnahmslos
erwiefen worden, wurde nad) dem Kath unſerer Richter feierlich
verfündigt, die obengedachten Anſchuldigungen, auf welde ſich die
Nachforſchung erftredt hatte, und jede einzelne derſelben, ſeien
notoriſch und alle diefe Verbrechen jeien ausgeführt und begangen
durch die Gemeinde und die Stadt Padua und die Paduaner, auf
welche ſich die Nachforſchung erftredte, und jeven einzelnen derjelben,
und jo ofjenfundig fer die Evidenz derſelben Verbrechen und dag
Vollbringen der Gegenftände jener Anfchuldigungen jo notoriſch
geweſen und jet e8 noch, daß feine Ausflucht fie werheimlichen oder
ableugnen könne; und man fünne oder müfje, wie gegen ſolche Die
bisher notoriſche Verbrecher geweſen und in Zufunft keineswegs
ablafjen würden ähnliches zu vollführen, einjchreiten gegen Die Ge—
Eng —
— —
Urtheilsſpruch des Kaifers gegen die Paduaner. 315
meinde und Stadt Padua und die nachbenannten Einwohner von
Padua, gegen melde die Unterfuchung bereits vorausgegangen ift,
und fie und jeden einzelnen von ihnen endgültig verurtheilen und
beftrafen ob des Verbrechens und der Schuld des Hocverrathes
nad) Juliſchem Gejeg !), deſſen fic) Die Gemeinde und die Männer
von Padua und jeder einzelne derſelben notoriſch ſchuldig gemacht
haben, nad) den verjchtedenen Punkten, auf die fih die Unterfuhung
erftredft hat, und jedem einzelnen derſelben. Schließlich haben wir
dann Diefelbe Stadt und Gemeinde von Padua und die nad
benannten Männer und jeden einzelnen von ihnen zu einem lebten
Termin vorgefordert und geladen in aller Form, nämlich: fie follten
an einem beftimmten, jett beveitS vergangenen Tage vor und, wo
immer wir fein und unfer Hoflager halten möchten, erfcheinen um
dieſen unferen endgültigen Nichterfprud) zu vernehmen. Dies haben
fie, ihrer Unthaten und Frevel bewußt und ftörrifch in ihrer Wider-
Ipenftigfeit und in Zug und Trug verderblich verhärtet, zu thun
nicht gewagt. Weil demgemäß wir ficher und auf Grund eines
rechtlichen Verfahrens wilfen, daß die erwähnten Verbrechen und
Frevel von der vorgenannten Semeinde und den unten aufgezählten
Männern vollbracht worden find, und wir, indem wir die genannten
und viele andere nichtswürdige Nuchlofigfeiten und abjcheuliche
TIhaten der erwähnten Stadt und Gemeinde und der Einwohner
auf der Wange des gerechten Gericht abwägen, beachten, Daß,
während fie in Ruhe vom faiferlihen Wohlmollen begünftigt Frieden
haben fonnten, fie verrätherifcher Weiſe ven Krieg erwählt, Unbilliges
nah ihren Kräften vollführt und ind Werk gejett, wie fie auch
jetzt noch nicht aufhören gegen Die Mannen des Reiches Unkraut
zu ſäen, Haß zu erregen, Aergernis ins Leben zu rufen, Aufftände
zu bemirfen und Zwietracht zu begünftigen mit Verachtung unfer
und des römilchen Reiches und zum Nachtheil des gefammten Ges
1) Die lex Julia de majestate, Geſetz des Dictator3 Cäfar vom J. 46 v. Chr.,
bildete unter den römischen Kaiſern die Grundlage für die Beitrafung derjenigen Ver
brechen, welche fich gegen die Perfon des Monarchen richteten oder Yandesverrath zum
Gegenftand hatten.
1313
316 Bierzehntes Bud).
meinwejens, jo ſprechen wir der Gemeinde Padua und jeder einzelnen
Perfon diefer Gemeinde, der Stadt und den nadhbenannten Männern
und jedem einzelnen derjelben, fintemalen fie des Hochverrathes
Ihuldig und durch Die mwuchtige Yaft vieler Ihändlichen Verräthereien
in den Abgrund des Böſen geftürzt find, in ihrer böswilligen Ab—
weſenheit, welche durch Gottes Anmwefenheit ausgeglichen werben
möge, nad) allem Recht, jo gut und vollftändig wir fünnen, nad)
ficherer Wiffenihaft auf Grund jowohl unferer Mactvollfommen-
heit al8 nad) jedem beliebigen anderen Recht hier zu Gericht fitend
durch endgültigen in dieſer Urkunde verzeichneten Urtheilsſpruch als
Kebellen und Verräthern und Feinden des römiſchen Reichs und
des Hochverraths Ueberführten jede getheilte und ungetheilte Herr—
lichkeit und jede weltliche Nechtsiprehung ab, jegliches Recht einen
Podefta, Rector oder Herren auf die Dauer oder zeitweilig zur
Lenkung der Stadt Padıra oder ihres DiftriftS zu wählen und zu
behalten. Auch erkennen wir der Stadt ab und erklären für
aberfannt ihre Univerfität, die Erlaubnis den Doctorgrad zu er—
theilen, ſowie jegliche Privilegien, Befretungen, Ehren und Lehen
und alle und jegliche Nechte, welche ihnen won und oder von den
römiſchen Kaiſern oder Königen, unferen Vorfahren, gewährt worden
oder die fie auf irgend eine Weife erworben, und widerrufen Die
felben wifjentlich und heben fie auf, vernichten fie und machen fie
ungültig, und macden fund und erflären, daß Die gedachte Gemeinde
in Padua, die Stadt und die Gefammtheit der Gemeinde und
jede einzelne Perjon diefer Gelammtheit und alle und jede nach—
benannte Männer und jeder einzelne unter ihnen ſich durch die er—
wähnten Unthaten der Felonie, des Verrathes und des Verbrechen
der beleidigten Majeftät nad; Juliſchem Geſetz gegen unfere ehemals
öniglihe nnd jodann kaiſerliche Majeftät und das ganze römiſche
Reich Ihuldig gemacht und ſich audy) gegen ihren eigenen Treueid,
den uns die Gemeinde felbft, ihre Rathöperfonen, Beamten und
die Einwohner der Stadt geleiftet, und gegen das Treuverſprechen,
das fie und gethan, vergangen haben. Und befehlen nicht minder,
daß die Stadt Padua als des Hochverraths ſchuldig jeglicher
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Urtheilsipruc des Kaifers gegen die Paduaner. 317
Mauern und Befeftigungen beraubt und dermaßen herabgewürbigt
werde, daß den Boden, auf dem fie jett fteht, die Pflugichaar durch—
furche umd jeder auf allen Seiten freien Zugang und freien Abzug
finde. Ueberdies verurtheilen wir die Gemeinde und die Geſammt—
heit der Gemeinde von Padua, weil fie ſich unterfangen die vor—
benannten abjcheulichen Frevelthaten zu begehen, dazu zehntaufend
Pfund Goldes dem Fiscus und unferer oder des römischen Neiches
Kammer zu zahlen, und erklären auch die einzelnen Perſonen ver
Gemeinde im ganzen römiſchen Reich für geächtet und friedlog,
indem wir entjcheiden, Daß jede einzelne Perſon jener Gemeinde
frei und ungeftraft mit unjerer Erlaubnis verlegt, gefangen ge=
nommen und zum Sklaven derjenigen welche fie ergreifen gemad)t
werden fann, und daß die nachbenannten Männer und jeder einzelne
von ihnen, als von Hochverrath triefend, den Tod erleiden ſollen,
indem fie, wenn irgend einmal fie oder einige von ihnen in unfere
und des römiſchen Reichs Gewalt gerathen, am Galgen aufgehängt
werden jollen, bi8 der Tod erfolgt. — Durch dieſen Urtheilsfprud)
verurtheilen wir aud die Anzianen und Rathsverwandten oder
Weiſen oder Nectoren der vorbenannten Stadt und jeden einzelnen
von ihnen, ſoviele es zur Zeit der gedachten Rebellion waren oder
es ın der Folge geweſen find oder in Zukunft fein merden, folange
diefe Rebellion dauert, verbannen fie aus dem ganzen römiſchen
Reid) und hängen ihnen ewige Ehrlofigfeit an, berauben fie aud)
und jeden einzelnen unter ihnen aller Privilegien, Ehren, Freiheiten
und Befreiungen, die fie von und oder von römiſchen Kaifern,
unjeren Vorfahren, erhalten oder auf andere Weife erworben haben,
und beftimmen, daß fie untauglich ſeien Richterſtellen oder ſonſtige
Ehrenämter zu befleiven. Auch die Podefta Nichter und Notare,
welche zur Zeit der gedachten Empörung und jpäter in Betreff der
erwähnten Punkte ung aufſäſſig gewefen und von jenem Zeitpunft
an die Stadt regiert haben und ohne unfere oder unferer Nach—
folger Erlaubnis in Zufunft die Stadt regieren werden, berauben
wir und erflären fie für verluftig jeder rihterlichen Befugnis, des
Notariats und jedes Amtes, und beftimmen, daß fie beftändiger
1313
21313
318 Vierzehntes Bud).
Ehrlofigfeit unterliegen, indem wir ihnen zugleich alle ihre Privi-
legien, Freiheiten und Befreiungen, Ehren und Rechte, die fie von
ung oder unferen Vorgängern erworben oder anders gewonnen haben,
abſprechen und die Privilegien und Berleihungen aus ſicherem Wiſſen
widerrufen; fie jelbft aber verbannen wir und beftimmen, daß fie
als Rebellen des römiſchen Reiches von allen unjeren und des ge—
nannten Reiches Getreuen in ihrem Befis und an ihrer Perjon
verletst merden dürfen. Die Richter ferner, die Anwälte und
Notarien der genannten Stadt Padua, fie jeien Bürger, Diftrikts-
bemohner oder Anwohner, berauben wir der Befugnis zuzuerkennen,
beizufigen und als Anwälte oder Notare zu fungieren, und wollen
aud daß fie beftändiger Ehrlofigfeit unterliegen, in der Erwägung
daß die vorermähnte Stadt und Gemeinde und die Menſchen der
Gemeinde in der offenkundigen Verftodtheit der erwähnten Empörung
und fo abjeheulicher Verbrechen nicht jo lange Zeit hätten verbleiben
fönnen, wenn nicht die Bürger und Einwohner ſelbſt e8 geduldet
und gebilligt hätten, und auf daß fie aus Furcht vor der Strafe
fi) und die genannte Gemeinde aus den gedachten ſchändlichen
Berivrungen herausziehen und zur jchuldigen Ehrerbietung gegen
ung und das römiſche Reich zurüdbringen mögen. Alle und jede
Bürger und Einwohner aber der genannten Stadt und ihres
Diftrikte8 verbannen wir aus dem ganzen römijchen Reich, ent=
ſcheiden auc und verordnen, daß feine Perfon, unter welchen Ver—
hältnifjen es ſei, noch irgend eine Stadt, Vefte, Dorf oder irgend
ein Verband der Stadt oder Gemeinde von Padua over einem
Angehörigen diefer Gemeinde oder den nahbenannten Männern oder
irgend einem derjelben öffentlich oder insgeheim Hilfe Rath oder
Gunſt angeveihen lafje, bei einer Strafe von hundert Pfund Golves
für jede Stadt, fünfzig Pfund Goldes für jedes Schloß oder Dorf
ſowie für jeven Baron, Grafen, Markgrafen oder jede andere vor—
nehme Perſon, und zwanzig Pfund Goldes für jede Privatperfon,
für jedes einzelne Mal daß fie dieſem Befehle zumiderhandeln ;
und daß es einem jeden ohne Strafe zu bejorgen erlaubt ſein ſoll
Bürger oder Einwohner der Städte, Schlöjfer, Dörfer und jede
—— en —
Urtheilsipruch des Kaiſers gegen die Padıraner. 319
andere Perfon, melden Standes und in welder Lage fie fet,
welche jenen oder irgend einem von ihmen zu Willen fein oder
ihnen Hilfe Rath und Gunft offen oder geheim angedeihen laſſen
ſollte, zu verlegen an ihrer Perfon und ihrem Beſitz und fie ſelbſt
oder ihren Beſitz zu ergreifen, anzuhalten und feitzunehmen. Auch
befehlen wir ausdrüdlich, dag fein Schuldner der genannten Stadt
oder der Glieder der genannten Gemeinde von Padua oder irgend
eined von ihnen oder der nacdhbennnten Männer oder irgend eines
von ihnen die Schulden, mit welchen er denjelben oder einem von
ihnen verpflichtet ift, irgendwie zu berichtigen oder ihnen Genüge
zu thun fich erdreiſte, widrigenfall® er ebenfo viel unferer Kammer
bezahlen und dazu ſummariſch und ohne Umftände und gerichtliches
Berfahren gezwungen werben fol. Die gefammten Städte, Beften
und Dörfer aber des gefammten römijhen Reiches und jegliche
einzelne ‘Perfon, welchen Ranges und Standes fie fein mögen,
welde gehalten find, der nämlichen Gemeinde von Padua oder
einer Perfon aus diefer Stadt oder den nachbenannten Männern
oder einem von ihmen eine Yeiftung an Geld oder Sachen, eine
Wiedererftattung oder irgend melchen Dienft oder Hilfe zu gewähren
auf Grund irgend eined Vertrages oder einer Verpflichtung unter
Feftfegung von Bußen, auf melden Grund oder Titel hin eine
ſolche Berpflihtung mit ihnen oder einem von ihnen oder ihren
Borfahren eingegangen fer, Sprechen wir von folder Verſprechung
Berpflihtung und Vereinbarung oder Vereinbarungen und von Der
feſtgeſetzten Buße, ſoweit fie jenen oder einem derjelben oder deren
Erben verpflichtet find, frei, und beftimmen daß fie ohne weiteres
davon frei feien, derart, daß fie in feiner Weiſe gehalten find
folches ihnen oder einem von ihnen oder ihren Erben zur Leiften.
Die vorgenannten Güter der erwähnten Stadt aber und ihrer An-
gehörigen und der nachbenannten Männer ſowie auch der anderen
Perfonen, deren wir oben Erwähnung thaten, welden Standes fie
jeien, und nicht minder ihre fachlichen und perſönlichen Rechte und
Leiftungen, aus welher Urjache, auf melden Titel und Vertrag
bin diejelben der nämlichen Stadt Padua, der Gemeinde oder den
1313
320 Vierzehntes Bud).
Gliedern der genannten Gemeinde oder gar den nacdbenannten
Männern oder einem von ihnen oder auch den vorher erwähnten
Beamten irgendwie zuftehen, ziehen wir ein und fügen fie durch
dieſen unſeren Richterfprudy dem Fiscus des römiſchen Neiches hin—
zur). Bon allen im Vorſtehenden erwähnten Strafen aber nehmen
wir alle Diejenigen aus, welche zu unferer Dienerichaft gehören,
und alle Getreuen des Reichs, welche von der genannten Stadt
vertrieben waren und noch find, nebft ihren Angehörigen und ihrem
Beſitz. Dieſe, unfere Diener und unfere verbannten Getreuen und
deren Angehörige und Beſitz ſchließen wir von dem genannten
Urtheilsſpruch und den Strafen und Nechtungen defjelben aus und
erhalten fie unter unjerem und des römischen Reiches Schirm und
Schuß, deögleichen alle diejenigen, welche ſich uns bereits unter-
worfen haben oder ſich uns jest unterwerfen oder ſich beftreben
werden innerhalb der beiden nächften Monate fih uns und dem
römischen Reiche in Wahrheit und in herzlicher und treuer Zus
neigung zu unterwerfen.
Ale dieſe Beſtimmungen und jede einzelne derſelben erlaſſen
wir auf Erfordernis der Gerechtigkeit und des Beften des Gemein-
weſens ſowie aus ficherer Kenntnis heraus und aus der Fülle
unjerer Macht, und jegen uns über jeden Mangel hinweg, falls
etwa ein joldher in dem vworftehenden Verfahren, bei irgend melchen
auf Grund deſſelben angeftrengten Prozeſſen wegen Weberjehung
irgend einer rechtlichen Form gefunden werden follte, jehen auch
von allen beliebigen Gefegen, Privilegien und Bergünftigungen ab,
unter welchem Wortlaut diefelben auch gewährt fein mögen, jelbft
wenn e8 auf Grund vefjelben nöthig wäre fie behufs Außerfraft-
jegung von Wort zu Wort in diefer Urkunde zu wiederholen, jo
viele aud, gegen das DVorftehende insgeſammt oder gegen irgend
einen Punkt dejjelben irgendwie vorgebracht oder entgegengejeßt
werden fönnte 2)
1) Sier folgt bei Dönniges ein, von Muffato ausgelafjener, verftimmelter Sat, nady
welhem gewiſſen Perfonen ein Antheil an den einzuziehenden Gütern der Geäcdhteten
verſprochen wird. — 2) Hier endet der Tert bei Muffato; bei Dönniges folgt, den in
Die Paduaner beſchweren ſich ꝛc. 321
„Gefällt, erlaſſen und verkündet ward vorſtehendes Urtheil 1313
durch den allergnädigſten Herrn Kaiſer, als welcher zu Gericht ſaß;
verleſen aber und veröffentlicht auf Befehl und in Gegenwart des
Herrn Kaiſers durch mich Paulus Ser Ranuccini von Monte
imperiale, Notar des Herrn Kaiſers, auch in Gegenwart des Leo—⸗
pardus Frenectus aus Piſa, ebenfalls eines Notars des Herrn
Kaiſers. Uns Notaren befahl dann der Herr Kaiſer, wir ſollten
über alles Vorſtehende öffentliche Inſtrumente abfaſſen und nieder—
ſetzen. Und alle dieſe Handlungen fanden ſtatt zu Piſa im großen
Saale der Wohnung des erlauchten Grafen Raynerius de Dono—
raticho, in welcher der Herr Kaiſer wohnt, nachdem hier auf Be—
fehl des Herrn Kaiſers eine unzählige Menge von Menſchen ſo—
wohl von diesſeit als von jenſeit der Berge, ſowohl von Großen
und Edeln als von Männern aus dem Bürgerſtande, als Parla—
ment berufen und-verjammelt worden war, um das Vorſtehende
entgegenzunehmen ?) ......... Im Jahre nad) der Geburt des
Herrn 1313, in der elften Imdiction, am 16. Tage des Monats Mai 16
Mat, ver Herrihaft des Herrn Kaiſers im fünften, feines Kaifer-
thums aber im erften Jahre.”
8. Die Paduaner befjhweren fih über den Ur—
theilsſpruch des Kaiſers. Diefe Strenge des Kaiſers, dieſe
Härte des grimmen Ausſpruches erſchütterte die Paduaner; nament—
lich die Greiſe, bei denen die Erinnerung an den Schaden, welcher
ihnen aus der abſcheulichen Tyrannei Friedrichs von Staufen er—
wachſen war, noch fortlebte, glaubten das alte Schreckbild erneut
vor ſich aufſteigen zu ſehen; aber auch die Söhne und Enkel
ſtimmten in die Klage der Väter ein, gedachten der Ueberlieferungen
der Ahnen und waren überzeugt, daß ſie dies nur dem Umſtande
zu verdanken hätten, daß ſie Canisgrandis, der nach dem Beiſpiel
der Urkunde gegebenen Andeutungen gemäß, die lange Namensreihe derjenigen Paduaner,
welche ſpeziell von der Acht betroffen wurden. Unter ihnen wird genannt: „Albertinus
dictus Musactus“, dann: „Petrobonus dictus Musactus* (Bruder unſeres Autors). Wir
laffen die Namen fort, geben aber daS bei Muffato ebenfalls fehlende Datum nad) Dön—
niges. — 1) Es folgen die Zeugen, an ihrer Spite Graf Amadeus von Savoyen, außer
ihm fein befannterer Name.
Geſchichtſchreiber. Lig. 67. Leben Heinrichs VII. 21
131
w
322 Bierzehntes Bud).
des verabicheuungswirdigen Eccerinus von Romano fie verfchlingen
wolle, den Eintritt verwehrt hätten, ihm, der vom Kaifer zu dem
Zwede nad) Vicenza, vor ihre Thüre, geſetzt worden fei, um, fo-
bald die Hirten die nöthige Vorſicht außer Acht Yieken, in die
Heerde einzubrechen. Das Geſchick ſcheine zu wollen, dag Padua,
welches in Folge ded lange anhaltenden Friedens nur eben erft
wieder zu Kräften gefommen fei, unter dem Herricherftab des Reiches
abwechſelnd bald aufblühe, bald verdorre. Um letzteres herbeizu-
führen, ſei Canisgrandis als Vikar von Bicenza gerade der rechte
Mann, er, ein Jüngling von maßlojem Ehrgeiz, der in der Tyrannis
geboren und erzogen fei, der jegt erwachlen von ihrem Wohlftand
fi) mäften folle. Auch beflagten fie fi) daß die Gründe, welche
der Urtheilsſpruch anführe, nad beliebigen Angaben ihrer Feinde
aufgegriffen worden jeien und der Wahrheit vurdaus nicht ent=
Iprächen, indem fie nämlich zwar dem habgierigen Cants, nicht aber
dem Keihe auffällig geworden feien, da e8 ihr Tod gemejen wäre,
wenn fie aus nachbarlicher Langmüthigkeit es ſich hätten gefallen
lafien, daß Canis in ihrer Nähe Die Oberhand gewinne. Denn
diefer werde, gleichwie er ihnen ſelbſt widerwärtig ſei, ſeinerſeits
dur Altes und Neues zum Haß wider fie getrieben. Ebenjowenig
hätten fie fi) mit den Lombarden zu dem Verbrechen der Empörung
verſchworen, jondern erjchredt durch Canis Unbarmberzigfeit hätten
fie fi) unter dem Eindrud der fie drängenden Furcht zu ihrem
eigenen Schute aufgerafft, nachdem Padua anfangs unterwürfig
gefinnt Hunderttaufend Gulden, mit deren Hülfe Brescia gemonnen
worden, bezahlt hätte, um vom Kaiſer den Frieden zu erfaufen.
Dies aber hätten fie trogdem nicht erreicht. Wäre Canis meniger
hartnädig gewefen, jo hätte er die Veſten und Befigungen der
Paduaner, von denen ein erheblicher Theil in Vicenza und deſſen
Gebiet belegen war, aus freien Stüden den Paduanern heraus-
geben müfjen. Aber er fei ja lediglich der Henker im Gerichtshofe
des Kaifers, der dazu beftimmt worden, an den Paduanern, den
Mitbürgern von Vicenza, das Todesurtheil zu vollziehen. Wenn
die Langobarden derartige Beiſpiele vor Augen ſähen, ſo würden
u ee er
en ee
Berbrennung der Ländereien Verona's x, 323
fie ficherlich jolchen, aus einer jo großen Menge von Unterthanen 1313
augerlefenen Vikaren gehorchen! Unwürdig ei dies, unmenjchlich,
unerträglich für Chriften!
9. Berbrennung der Ländereien Verona's von
den Stadtthoren an bis an die paduanifhe Grenze
im DOften und Süden. Dur diefe und andere Drangjale
erbittert, beichloß der Senat der taufend Männer zu Padua in
zahlreich befuchter Sitzung mit gefammter Macht über Canis her-
zufallen, um durch das Schwert zu erproben, welche Partei der
anderen an Macht überlegen fei, ob Canis, welchem drei Städte
ihre Mittel zur Verfügung ftellten, oder die paduaniſche Gemeinde,
wenn fie — ohne irgend Jemandes Hülfe — ſich bis aufs äußerſte
anfpanne. Man berief daher die Bauern in die Stadt, Iegte ihnen
die Beihaffung von Fahrzeugen, ſowie die Stellung von Schleuderern
und leichtbemaffneter Bedienungsmannſchaft für die Geſchütze auf,
und führte endlich unter großem Lärm und Waffengeflivr die
wohlgeordneten Schaaren der Ritter, Bürger und Söldner am
21. Juni nad, Efte, von wo aus fie am ſpäten Abend des zweiten Juni 21
Tages insgefammt in der Fefte Montagnana eintrafen, am dritten Juni2e
Tage das Gebiet von Berona durchſtrichen, und Ichon gegen Abend Juni 23
das Dorf Arcole mit großem Nachdruck und unter wilden Kriegs-
gejchret angriffen. Als aber die Beſatzung, welcher der Schub des
Ortes anvertraut war, durch Pfeilfchüffe da8 die Damme erklimmende
und gegen die Mauern anftürmende Fußvolk zum Weichen brachte,
ftiegen die Ritter von ihren Roffen, ſprangen in die Gräben hinab
und ſuchten den Wall zu erflimmen, indem fie ihre Schwerter in
die Böſchung deſſelben ftießen, wobei fie jogleich bei dem Walle
jelbft mit der Bejagung ins Handgemenge kommen. Die von
Arcole aber, durch den Hartnädigen Angriff erichredt, ließen auf
ein von dem Kapitän des Ortes ertheiltes Zeichen zum Rückzug
hin das Kaftell im Stich, zündeten die Brüden über ven Alpo an
und ergriffen die Flucht; dod kamen zweiunddreißig von ihnen um,
melche von der jchnellen Verfolgung der Paduaner überrajcht zum
Stehen gebracht wurden, und etwa eben fo wiele geriethen in Ge—
21*
324 Bierzehntes Bud).
1313 fangenfchaft. Froh im Gefühle des erſten Erfolges richteten jich
die Paduaner ihr Lager in den Häufern von Arcole ein. Aber
Juni 2a Sobald die Nacht zu Ende ging, nod vor Tagesanbruch brachen
fie unermüdet auf und durchzogen auf der Hauptftraße die reiche
Gegend von Blundä Poreillis?) und die beiden Billa 2) dieſſeits
der Etſch, wo die Einwohner lange Zeit feinen Feind gejehen hatten,
wandten fi) dann in die meiten Gefilde herab und famen nad)
St. Martint Bonalbergt?), von wo aus fie, ohne ſich unterwegs
auf Verwüſtungen einzulafien, gegen die Stadt Verona ſelbſt in
freudig erregter Stimmung anrüdten. Nachdem fie die Vorſtadt,
in der die Baſilika St. Michael liegt, erreicht hatten, machten fie
im Angefihte von Berona halt und geftatteten dem Grafen Vin—
ciguerra von St. Bonifacio mit einer Söldnerſchaar die Thore der
Stadt zu berennen. Diefer war ein verbannter Veroneſe, deſſen
Bater und Großvater ſchon von der Heimath ausgeftogen unftätt
durch Länder und Städte geirrt waren. Im Innern der Stadt
herrichte großes Entjegen-und faum ernannte fid) Fridericus della
Scala, mwelder bier für feinen Vetter Canis als Podefta waltete,
dazu Die Thore Schließen zu laſſen, während die Bewohner des
Stadttheiles dieſſeit der Etſch, melde die Stadt durchjchneidet,
fliehend über die Brüden eilten und das SKoftbarfte, was Der
heimiſche Heerd barg, die zarten Sprößlinge und ihre jonftigen
Schätze mit fich jchleppten, um alles in Sicherheit zu bringen.
Jedoch war ſich Fridericus feiner großen Berantwortung bemußt und
traf feine Vorkehrungen: an den Thoren hatte er bereit umge—
ftürzte Wagen aufhäufen laſſen und einigen Abtheilungen des
Sölonerfußvolfes vor die Thore gefhicdt, um, einem fo gut wie
fiheren Tode geweiht, mit ihren langen Yanzen und ihren Baliften
die Verſuche der Paduaner, Feuer an die Thore zu legen, zu ver=
eiteln. In der That hielten dieſe, wenngleich umbrängt und nicht
ohne Verluſte, jo gut fie vermochten, den Anfturm aus, bis Graf Vinci—
guerra fie angriff und dem Drängen der Anftürmenden zu weichen
1) Belfiore di Porcile auf dem nördlichen Ufer der Etſch. — 2) Billa Nova öſtlich
und Billa Bella weftlih vom Alpone. — 3) San Martino buon albergo, höchſtens 4
Miglien weftlih von Verona.
Verbrennung der Ländereien Verona's x. 335
zwang. Sie fprangen zum Theil über die aufgefchichteten Wagen,
fiebenundzwanzig von ihnen aber wurden niedergemacht. Bornius
de Samaritanid aus Bologna indeß, der Podefta von Padua,
Tieß, da die Stunde des Sonnenuntergangd den Nüdzug zu ge
bieten ſchien und man, weil von vorne herein gar nicht geplant
war die Stadt anzugreifen, das für einen längeren Aufenthalt
nöthige Gepäf und Geräth nicht hatte herbeiichaffen laſſen, das
Zeihen zum Rückmarſch geben. Eine ganze Stunde hindurch
fonnte man in der Stadt den mahnenden Trompetenſchall verneh—
men, welcher die Streiter ſich ſammeln hieß und den Grafen Vinci—
guerra, der ſehnlichſt eine Schlacht wünjchte, mit der zum Kampf
drängenden jungen paduaniſchen Mannſchaft zurüdrief. Dieſer er:
folgreihe und für die Paduaner bedeutfame Tag war der Fefttag
des Täufers Johannes, der 24. Juni im Jahre des Herrn 1313.
In der Folge fengten und raubten fie im weiteften Umfang und
nahmen gefangen oder tödteten, was ihnen außerhalb der Mauern
begegnete. Drei Tage hindurch vertheilten ſich nämlich die Paduaner
über Weg und Steg, über Berg und Thal und vermwüfteten mit
Teuer und Schwert den ganzen Yandftrich öftlic) von den Mauern
Verona's — mit Ausnahme der beiden Burgen auf den Höhen
des Suavius und Ilaſius) — bis an die Grenze von Padua
und Vicenza. Die herrlihen Paläfte Canisgrandis dagegen auf
dem Mond Aureus ?), in Calverius 3), am Suavius und Slafius
fielen der Plünderung und den Flammen zum Opfer. An den
meiften Stellen, namentlihd am Mons Aureus und am Suaviug,
wurden aud die Einwohner, melde Widerftand verjuchten, elend
niedergemacht und die Heerden von Klein und Großvieh mit den
gefangenen Bauern in das Lager bei Arcole geführt. Das übrige
Gebiet der Feinde vertheidigte Lediglidy die Breite der Etſch. End—
lich fteten die Sieger ihr Lager in Brand und kehrten Yaut jubelnd
nad Montagnana zurüd.
1) Soave und Ylafi, öftlih von Verona, in den Testen Ausläufern des Gebirges. —
2) Montorio Beronefe, etwa 3 Miglien öftlih von Verona. — 3) Caldiero weftlich von
Soave.
1313
2
VJ
1313
Fünfzehntes Bud).
1. ShladhtzwijhendemÖrafernpon Ödrzeiner-
und den Paduanern und Trevifanern andererjeits
am Fluſſe Monteganus jenjeits des Plavis. Kurz
darauf erhielten die Entwürfe der Paduaner eine andere Richtung
durch die ihnen von Trevifo her zukommende Kunde, daß in Folge eines
Bertrages, welchen Canisgrandis ſchon vor längerer Zeit um
ſchweres Geld und unter Verwendung des Kaiferd zu Stande ge-
bracht hatte, Graf Heinrich von Aquilicia!), durch kaiſerliche Ge—
jandte entboten und nad) Empfang einer bedeutenden Geldſumme
von Canis jelbft, mit einem großen Heere aus Slaven Deutſchen
und Friaulern die Trevifaner um freien Durchzug erfucht, um dem
Canis als Bundesgenofje zuzuziehen, und bereits feine Truppen in
Sacilum ?) zufammengezogen babe. In feiner Begleitung waren,
theil8 gegen Geld theild aus Ergebenheit und Freundichaft gegen
ihn, folgende Fürften und Herren aus den ſlaviſchen Grenzländern
Zirol und Friaul erſchienen: Ex felbft der Graf von Aquilicia
zählte zmweiundachtzig vollgerüftete Nitter und jechsundfünfzig be—
vittene Armbruſtſchützen; der! Graf von Wouciburg 3) erſchien mit
ahtundzwanzig Kittern und zwölf Armbruftfchügen, der Graf von
1) gewöhnlich Graf von Görz genannt. Die Grafen von Görz hatten auch die Vogtei
über Aquileja inne. — 2) Sacile an der Strafe von Udine nad) Trevifo, nördlid von
legterer Stadt. — 3) Leider erfcheinen die Namen diejer öſterrelchiſch-friauliſchen Herren
hier in fo entftellter Form, daß fie ſich hiſtoriſch kaum vermwerthen Yaffen.
TE VE WEN
Schlacht zwifchen dem Grafen von Görz xc. 327
Aufembore mit ſechszehn Nittern acht Schüsen, der Herr von
Ratimbore mit fünfzig Nittern und neunundzwanzig Schügen, der
Herr von Saffenbore mit achtzehn Nittern ſechzehn Schüten, der
Herr von Guiſinich mit zweiundzwanzig Rittern und achtzehn
Shügen; der Herr von Oveftam und der Herr von Stofembore
mit bundertundfiebenzwanzig Nittern und ſechzig Schüten, ver
Herr von Clanic mit vierzehn Tanzenveitern; der Graf von Didimo
Doymo hatte funfzig, der Graf von Babanicum fiebenzig Lanzen-
veiter gefandt. Aus Friaul waren fiebenumdfiebzig Aitter ſechzig
Lanzenreiter und jechstaufend Männer auf geringeren Pferden dabei,
Gemeine, welche in jenen Gegenden aufgebracht waren. ALS die
Paduaner ſeitens der Gemeinde Trevifo hiervon brieflich in Kenntnis
gejegt wurden, verfammelten fie ſogleich ihr Heer, ſchlugen den
Weg nad Trevifo ein und entjandten vierhundert ihrer berittenen
Söldner über den Fluß Plavis!) an das Ufer des Fluſſes Monte-
ganus, den die Feinde überjchreiten mußten. Sie felbft ficherten
mit großen Mafjen an Fußvolk und Keiterei die Feten Baſſianum
und Cittadella jenſeits der Brenta, damit diejelben fid) mit Canis—
grandis nicht einlaffen jollten, ebenjo trafen fie alle Vorkehrungen
um die Stadt?) und die übrigen abhängigen Orte zu fichern. Die
Stadt Trevifo war nad) dem Sturz der Herrichaft des Vecilus
de Camino ein Gemeinwejen geworden, wurde aber durch Zwiſtig—
feiten zwiſchen den Vornehmen und dem Volke erſchüttert und hatte
mande Stürme zu beftehen. Das Volk war gegen die VBornehmen
erbittert, weil dieſe von den Zeiten der geftürzten Herrichaft her,
welcher fie nocy im Herzen anbingen, gewohnt waren den gemeinen
Mann verächtlich zu behandeln, und gerieth in immer größere Leiden-
Ihaft und juchte die Vornehmen durch ftrenge und bejchmwerliche
Volksbeſchlüſſe zu beläftigen. Unter dem Bolfe nun waren manche
ehrgeizige Menjchen, die, von Alter her der Eaiferlichen Partei
ergeben, fich mehr und mehr zu dem Gedanken der Austreibung
der Edlen erhigten und hierfür die übrigen zu gewinnen fuchten.
1) die Piave. — 2) nämlih Treviſo.
1313
1313
328 Fünfzehntes Bud).
Die Vornehmen ihrerjeits, gegen die ihnen beftändig entgegentretende
Feindſchaft des Volkes empfindlich, gingen, um eine geachtetere
Stellung wieder zu erringen, Darauf aus, durch herablafiendes
freundliches Gebahren in den Zulammenfünften und Volksver—
jammlungen Vertrauen zu gewinnen, doch legten die argwöhniſchen
Plebejer ihnen Died ganz entgegengejegt aus und liefen nur um fo
mehr ihrem Haſſe die Zügel hießen. Der Adel aber war von
Alters her mit der Firchlichen oder guelfiſchen Sache aufs engfte
verwachſen und hing derjelben mit voller Entfchiedenheit an. Im
diefev Lage hatte die Gemeinde von Trevifo ſchon vielfach bei
früheren Streitigkeiten die Unterftügung der Paduaner in Anſpruch
genommen. Das Volf aber beichuldigte insgeheim und auch öffent-
[ih die Edlen, dieje hätten die Paduaner entboten, um die Herr-
haft der Stadt für fih zu erlangen und die Ghibellinen und
Gemeinen zu verjagen, feineswegsd aber, um vor dem rafen
von Aquilicia oder den Feinden bei ihnen Schuß zu finden. So
wurde Das aufgeregte Volt von Zweifel und Mistrauen beunruhigt,
warf feinen Haß aud auf die Paduaner und hätte faft für beſſer
erachtet Diefelben von feinem Gebiet fernzuhalten als ihre gefähr-
liche Hilfe in Anfprudy zu nehmen. Doc hatte die Energie des
Adeld und die Furt vor dem Grafen von Aquilicia, deſſen Ges
waltherrſchaft Alle verabjcheuten, obgefiegt; indeß wollte man bie
Paduaner nur unter der Bedingung zur Hilfe zulalien, daß jie
acht Miglien von der Stadt fern blieben und daß fie aud) in den
Feftungsmwerfen der abhängigen Orte feinen Einlaß fänden, jondern
ihr Lager auf dem Wege, auf dem der Graf heranziehen mußte,-
aufihlügen; wollten fie ſich hierin nicht fügen, jo möchten fie fie
unbehelligt laſſen. So fanden die Pabuaner eine wenig freund-
liche Aufnahme, als fie, wie berichtet, ihre Söldnerreiterei und ihr
Fußvolk jenſeits des Plavis längs des Monteganus!) aufftellten.
1) Diefer Fluß entipringt nahe Ceneda, fließt dann, an Conegliano vorüber, der
Piave parallel, bis er fid) bei Oderzo öftlich wendet und bei Motta in den Lianza mündet.
Das bier befhriebene Treffen fand in der Gegend von Conegliano ftatt, wo die Straße
von Sacile (Mdine) nad) Trevifo den Fluß paffirt.
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ERUSE ———— ———— — ——
Schlacht zwiſchen dem Grafen von Görz ꝛc. 329
Die zubeſetzende Strecke belief ſich auf ſechs Miglien und mußte
durch fünf Heerhaufen vertheidigt werden, da an fünf Orten der
Uebergang bewerkſtelligt werden konnte, während im übrigen das
Ufer durch ſeine natürliche Beſchaffenheit den Uebergang der Feinde
nicht zuließ. Die Heere theilten die fünf Punkte unter ſich, ſodaß
die von Treviſo zwei, die Paduaner drei beſetzten, und zwar ge—
ſchah dies auf Anordnnng des Heerführers und beſonders der
Adligen von Treviſo, denen die Gemeinde der beſtehenden Spal-
tung megen feine Truppen aus der Stadt ſchickte. Damit aber
die den Feinden zugänglichen Furten nicht erfüllt würden’), fo
Ihicdte man aus Padua hundert, aus Baffianum?) zweihundert Berittene
von der dortigen Beſatzung über den Fluß; die von den Paduanern
ausgeſchickten langten Schon am folgenden Tage im Lager an, die
Beſatzung von Bafjianum dagegen wurde aufgehalten und verzog
drei Tage. In der durch diefe zufällige Verzögerung verlorenen
Zeit fand die Schlacht ftatt. Nachdem man ſchon von der Warte
von uniglanum?) aus Rauch erblickt hatte, erfuhr man am
1313
18. Juli, daß die Heerhaufen des Grafen vor Sonnenaufgang Zuti 18
heranfommen würden, um die Furten zu ftürmen. Da verließen
die jämmtlihen Abtheilungen der Paduaner und Trevifaner das
Lager und ftellten fi) mit den Waffen in der Hand beritten bei
den Furten auf. Faft den halben Tag braditen fie in Ddiejer
Stellung zu, endlid durch das lange Warten ermüdet, kehrten fie
in das Lager zurücd und Liegen fid) dafelbft nieder. ALS fie nun
die Waffen abgelegt hatten und ſich zerftreut hatten, um nad; Ein-
nehmung der Mahlzeit der Ruhe zu pflegen, da griffen im ge-
waltigen Anprall die Feinde eine Furt an, welde man inzwiſchen
der Obhut einiger treviſaniſcher Landleute anvertraut hatte, und
überfchritten in Einem Augenblik den Fluß. Als man in der
Nähe des Lagers den Lärm vernahm, erſcholl ver Auf: „Zu den
1) Zert: non (dafiir emendiert et ne) complerentur facilia hostibus vada; was da—
mit befagt jein ſoll, ift nicht deutlich; vielleicht ift der Tert corrumpiert. — 2) So hat
der Text; follte aber nicht ftatt des mweitabliegenden Baſſano Conegliano zu leſen jein?
Der weitere Verlauf der Erzählung läßt das jehr wahrjcheinlich erjcheinen. — 3) Coneg=
liano.
1313
330 Fünfzehntes Buch.
Waffen.” Sofort erhoben fid Graf Cortefin de Cajalolto aus
Mantua, welcher die Söldner und die paduanifchen Keifigen, die
fi) in demfelben Lager befanden, befehligte, Matthäus de Cole,
der Apulier Donico und ein anderer Namens Burgundio jowie
der Paduaner Antonius de Sangonaciis mit etwa jechzig Lanzen⸗
veitern der Söldner und der Paduaner, ordneten diefelben und
griffen diejenigen Deutſchen und Slaven, welche hinübergefommen
waren, an, ohne die Reihen der Genofjen zu erwarten. Nur die
Schwerter famen ein wenig in Anwendung, denn die Deutjchen
und Slaven wandten fi jofort zur Flucht. Es waren etwa drei
hundert, welche ven Fluß überjchritten hatten, und die nun, durch
eine jo kleine Schaar in Schreden gejett, gleich als ob ein viel
größerer Heerhaufe auf fie eingeftürmt wäre, ſich zufammendrängten
und in Folge der unter ihnen ausbrechenden Verwirrung ſchwere
Berlufte erlitten; denn mehr noch als das Schwert der Teinde,
richtete die eilige Flucht in den Reihen der eine halbe Miglie
weit fliehenden Deutſchen eine gewaltige Verheerung an. Und diefer
Erfolg zeigte, wie zufällig oft der Ausgang einer Schlacht ift,
indem jechzig Inteinifche Neiter dreihundert Gegner theil® nieder—
warfen, theils tödteten, theils vor fich hertrieben. Als nun das
durchbrochene Treffen zur Furt des Monteganustam, ſperrte ihnen
das wüſte Getümmel der finfenden Männer und Pferde den Weg,
ſodaß fie, außer Stande vorwärts zu kommen, wenngleich voller
Furcht, nothgedrungen wieder ummenden mußten. Sobald fie aber
den Kopf gewandt und die Pferde herinngerifien hatten, erblidten
jie al8 Verfolger faum vierzig Mann unter einem einzigen Feld—
zeichen und machten voll Staunen und Zweifel, ungewiß was fie
thun follten, halt, indem fie ſich allmählich ſammelten. Noch über-
legten fie, ob nicht noch verſteckte Kerntruppen fie bedrohten, als
Cortefia als Kriegsoberfter und Anführer der paduaniſchen und
fremden Miliz, da er fich won den übrigen Truppen, die, wie er-
wähnt, fich verzögert hatten und im Lager noch nicht eingetroffen
waren, im Stich gelaffen jah, überdies durch den Kampf ermüdet
und an der rechten Hand verwundet, das Zeichen zum Rückzug
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Schlacht zwifchen dem Grafen von Görz x. 331
gab und fo ſich und die Seinen der Gefahr entzog. Die übrigen 1313
Schlachthaufen der Paduaner und der Söldner, welche ſich jett
zerftreut dem Kampfplatz näherten, ergriffen, jobald fie das zurüd-
mweichende Feldzeichen des Corteſia gewahr wurden, die Flucht und
juchten fi) in völliger Auflöfung zu retten. Die Truppen von
Treviſo ihrerfeits, welche auch das zeriprengte Treffen der Deutſchen
im Rücken angegriffen hatten, zogen fi) unter Anführung des
Grafen Rambaldus de Eollealto in die Feſte St. Salvator !)
zurüd, wo fie auch die flüchtigen Paduaner aufnahmen. Einige
flüchten ſich auch in die benachbarten Flecken; nod andere warfen
die Waffen fort und durchſchwammen den Plavid. Die Deutjchen
Dagegen, ohne noch den Umfang ihres Sieges, den ihnen ohne
Kampf und Verfolgung das Glück felbft in den Schooß geworfen
hatte, zu kennen, fetten fich endlich über ihren Erfolg ver:
wundert gegen die Feinde in Bewegung. Indeß hatten dieſe das
Schlachtfeld jchon geräumt und nur die Jünglinge Zambonetus de
Gapitevaccae und Ugo de Macharuffis, melde im Kampfe mit
ihren Pferden geftürzt waren und deshalb mit einander zur Fuß
gingen, wurden nebjt fünf Gemeinen von den Deutjchen gefangen
genommen; Marinus de Zacchis aber, der ſich ohne die Tiefe des
Waſſers zur fennen, mit feinem Roß in den Plavıs geftürzt hatte,
ertranf. Bon Seiten der Deutjchen wurde Dagegen der Graf von
Guiſinich einer ihrer erften Männer als Gefangener im Schlofie
St. Salvator eingebradt. Im diefem Kampfe fielen auf Seite
der Deutjchen und Slaven zweiunddreißig Edle, deren Leichen auf
Wagen in ihre Heimath gefhafft wurden, und von den übrigen
Streitern fechzig, welche der Graf von Aquilicia beerdigen ließ.
Nachdem diefer dergeftalt durch Zufall einen blutigen Sieg ges
mwonnen, hob er das Lager diefjeit3 des Monteganus auf, ließ es
über den Fluß Ichaffen, theilte feine Truppen und jandte fie auf
drei Tage zur Berheerung der Ländereien zwiſchen Monteganus
und Plavis aus. Er verließ dieſe Gegend nicht eher, bis er durch
1) San Salvatore, weſtlich von der Strafe nad) Trevifo.
1313
332 Fünfzehntes Bud).
leichte Truppen, die er über den Plavıs warf, ſechs Tage lang auch
die Colonien und Ländereien von Trevifo hatte niederbrennen laſſen.
Ohne Widerftand zu finden verbreiteten ſich diefe Streifſchaaren
bis nach dem Dorfe Spineda, nur eine Miglie von Trevifo ent-
fernt, und verheerten die ganze Gegend. Durch dieſen entjetslichen
Einfall geängftigt flehten jet die Trevifaner die von Padua
an, fie nicht im Stiche zu lafjen. Letztere aber nicht faul, jandten,
mit Rückſicht nit nur auf die Bedrängnis von Treviſo jondern
auch auf ihre eigene Lage, jofort dreihundert Yanzenreiter nad)
Trivillium !) und fodann mit Erlaubniß der durch Die Noth be—
zwungenen Treviſaner nad) der Vorftadt St. Thomafius, um mit
ihnen vereint das Gebiet von Treviſo umd die faft ſchon umlagerte
Stadt felbft vor den Zügen der Feinde zu beſchirmen. Sofort
aber verfchmanden die Deutfhen und Slaven und wagten nicht
mehr den Plavis zu überfchreiten. Auch gedachte der Graf von
Aquilicia nicht länger im Felde zu bleiben, da nachdem er Das ganze
Gebiet, in dem er die Oberhand hatte, durchzogen, er wahrnehmen
mußte, daß jeine Kriegsgefährten der Sache überdrüffig wurden, weil
nämlich) die Expedition bereit8 länger dauerte als fie vermuthet und
er jelbft ihnen zugefichert hatte. Auch hatten fie nicht immer voll.
auf zu eſſen und überdied hatte das Heer in Folge der Hite und
der Ermüdung fomohl als aud in Folge einer plöglich auftretenden
Krankheit, die auch die Häupter nicht verfchonte, Verluſte. Solchen
Uebelftänden weichend, verbrannten fie das Lager und fehrten am
28. Juli des Jahres 1313 nad Sacılum zurüd, wo Das Heer
aufgelöft wurde und jeder der erlauchten Genofjen die Heimath
wieder auffuchte. Inzwiſchen hatten die kaiſerlichen Gejandten,
welche unter Schmeicheleien und Verſprechungen die Trevifaner zur
Uebergabe der Stadt und zur Aufrechterhaltung des Friedens be-
redeten, menigftens infomeit Erfolg, als die Stadt erklärte, beim
Reiche zu bleiben, wenn fie weder durch Beftimmungen über eine
andere Erhebung ihrer Rectoren als durd eigene freie Wahl be=
1) Zwifchen Eittadella uud Trevifo ; feheint nicht mehr unter dem Namen zu eriftie=
ren (jest Campojampiero?).
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König Robert jendet den Lombarden Hilfstruppen. 333
einträchtigt noc mit Auflagen behelligt würde. Hiermit nur eben 1313
zufrieden, entfernten fid) die Geſandten.
2. Bündnis zwifben Padua und Trevijo. Ehe
nun aber die Paduaner, welche noch in der Vorfiadt St. Tho-
mafius als Beſatzung Yagerten, heimfehrten, begann man über ein
Bündnis zwilchen den beiden Gemeinden zu verhandeln. Der Abel
juchte das Volk hierfür zu gewinnen, indem er ihm vorftellte, wie
erſprießlich es jei, wenn die beiden Nachbarftanten einander gleich
mäßig unterftügten, gemeinfam die Feinde fernhielten, in einem und
demfelben Freundſchaftsbündnis verharrten. Nachdem die Ange—
legenheit zuerft von Einzelnen angeregt und beſprochen worden,
brachte man fie in Trevifo und in Padua vor die Gemeindever-
jammlung und bier wurde folgendes vorgejchlagen, beſchloſſen und
beihmoren: die beiden Gemeinden jollten Ein Ganzes bilden, dies
jelben Freunde und diefelben Feinde haben und eine gleiche Politik,
auf der einen Seite dem Grafen von Aquilicta, auf der andern
Canisgrandis und ebenfo allen anderen Widerſachern, mer fie
auch jein möchten, gegenüber verfolgen, wobei man nur, um die
Trevifaner, welche joeben geſchworen hatten dem Kaiſer zu gehorchen,
nicht eidbrüchig ericheinen zu laſſen, eine Clauſel hinzufügte, wonach,
wie der Wortlaut bejagte, die Perfon des Kaiſers ausgenommen
jein jollte. Die Paduaner, die mehr Gewicht auf Thaten als auf
Worte legten, waren hiermit einverftanden und hielten die Sache
für gleihgültig, jo lange nur gegen Canisgrandis und jegliche
andere Widerfacher das Bündnis in Wirffamfeit bliebe. So wurde
daſſelbe von beiden Theilen unter großen Feierlichkeiten am 7. Auguft Aug. 7
beſchworen.
3. König Robert ſendet den Lombarden Hilfs—
truppen. In der Lombardei zog Simon de Villa mit zwei—
hundert von König Robert von Apulien überſandten Reiſigen zur
Unterſtützung von Parma herbei. Ugo de Albaſio, an Stelle
Roberts Seneſchall von Aleſſandria und Piemont, durchzog mit
königlicher Mannſchaft und der Miliz von Aleſſandria und Piemont
1313
334 Fünfzehntes Buch),
das Lomellin!) und belagerte Garlascum ?), wo er von allen Seiten
Truppen zufammenzog und, unter der Zuficherung Mailand über-
ziehen zu wollen, die von Bologna, Cremona, Reggio, Parma und
die übrigen befreundeten Lombarden berief. Die Partei der Turrianen
erhob fich, entbot ihre Anhänger aus den Staaten der Lombardei,
und 309 aus den Städten und Flecken des mailändiſchen Gebiets
ja ſogar aus dem Herzen der Stadt jelbft Streitkräfte an fich,
um Maphäus Vicecomes zu befämpfen. Auch von den Bifaren
König Roberts von Apulien und den Fürften ringsum wurde Hilfe
erbeten und bewilligt und mit ſämmtlichen guelfilchen Partei=
genoffen der Provinz der Aufftand worbereitet und auf beftummte
Zeitpunfte verabredet, damit fie Maphäus und die Getreuen des
Kaiſer möglichft unvorbereitet überrajchen fünnten. Indem man
fi Ddergeftalt fir eine gewaltige Erhebung rüftete und nur noch
des günftigen Augenblid® harrte, erflang die ganze lombardiſche
Provinz vom Klirren der Waffen.
4. Wunderzeihen. Im eben diefem Jahre, 1313, trafen
am 16. April Jupiter und Venus im Zeichen der Zwillinge zu=
fammen; vier Tage jpäter gegen Abend zeigte fi) unter unjerem
Himmelsſtrich ein Comet, zuerft an der Stelle, wo die Sonne
abendlich zum Ocean binabtaudt. Sein Haarſchweif erſtreckte fich,
wie ein weißlicher Dampf anzujehen, zwanzig Fuß weit nad) Welten.
Nah zwanzig Tagen verfchwand der Komet, nachdem er täglich
fleiner geworden war.
5. Einnahme von Suncinum und St. Baſſianum
durch die Gremonejen und die Öuelfen der Lombardei.
Durch ihre günftigen Erfolge ermuthigt, verheerten und verbrannten
die Cremonejen mit denen von Reggio jowie die Vertriebenen von
Brescia nebft vielen Verbannten von Bergamo Lodi und Crema
die Ländereien der reichstreuen Städte und errangen beftändige
Siege. Zu ihnen ſchlugen fi) auch die Bürger von Suncnum,
welche diefe Stadt, nicht aber die Burg, inne hatten. Der Podejta
1) Landichaft nördlich vom Po und weſtlich vom Ticin. — 2) Garlasco weſtlich von
Pavia an der Straße nad) Mortara.
Abermalige Unruhen in Piacenza. 335
von Reggio Paſſarinus della Turre Iegte fi) ſogleich nebft den 1313
Schaaren von Cremona und Reggio in die Stadt und belagerte
die Burg, deren kaiſerliche Beſatzung ſchließlich am ſechſten Tage
darauf, nämlich am 9. Mai, ihre Sache wegen Mangeld an Lebens⸗ Mai 9
mitteln verloren gab und, nachdem fie fi) Sicherheit an Leib und
Leben ausbedungen, die Burg dem Pafjarinus einräumte, in deſſen
Hände aud die gefangenen Guelfen, die dort lange geichmachtet,
fielen. Unter diefen befanden fid) von namhaften Männern Georgius
de Zoppo aus Bergamo und ein zweiter Bruder des Sandrinus
de Rivola, Iohanninus de Ponzonibus aus Crema und andere,
mweldye, von Werner von Homberg dem kaiſerlichen Borfteher der
Lombardei gefangen genommen, in die Burg gebradt und am
Leben geblieben waren. In Folge dieſes Sieges fielen überraſchend
ſchnell auch die übrigen Landſtädte, welche die Einwohner aus freien
Stüden übergaben, zu den Siegern ab, unter andern aud) die
Veſte St. Balfianım.
6. Abermaligelinruben in Piacenza. Im Piacenza Juli
fam es um den Anfang des Juli zu neuen Wirren. Al nämlich
Diejenigen Bürger, welche in der Veſte St. Johannis!) als Be—
fagung gelegen, in der Stadt erjchtenen um ihre Mitbürger wegen
der in ihrer Abweſenheit ausgebrochenen Parteizwiftigfeiten zu ver-
fühnen, da ergriffen, fei e8 weil von Anfang an ihre Abficht dahin
ging eine Umwälzung ins Werk zu ſetzen (man erfuhr nämlich
nichts Sicheres), ſei e8 auch weil der Anblick der Stadt fie be—
geifterte, Diejenigen, welche fich zur kaiſerlichen Partei hielten, die
Waffen. ALS hierdurd) die ganze Stadt in Aufruhr gerieth, flüchteten
fid) die ſchwächeren Guelfen plöglic zu dem Schlofje St. Johannis.
Sofort erfhien Galaaz, des Maphäus Erftgeborener, in Piacenza
und verwies, um der Stadt ſicher zu fein, zwölf VBornehme, ſechs
von der Partei des Albertus Scotus und ebenjoviel von den An—
hängern des Ubertinus de Lando (diefe beiden waren Die Häupter),
nah Mailand. Da er überbied dem wanfelmüthigen Albertus
‘ 1) Eaftel S. Giovanni einige Miglien weſtlich von Piacenza.
336 Fünfzehntes Bud).
13138 Scotus felbft mistraute, obwohl derſelbe längere Zeit jein Partei—
genofje geweſen war, fo mußte auch diefer nebft dem älteften Sohne
des Rolandus Scotus, Zaninus Scotus, deſſen Sohne Gelfus und
Petrus de Anzipegis die Stadt verlaffen. Durch dieje Verweiſungen
erfchreckt, verließen viele Guelfen von Piacenza die Stadt und
juchten in Florentiola, Arquardum !) und den übrigen Landſtädten
eine Zuflucht, wo fie zugleich) Vorkehrungen für eine Erhebung
trafen. Die Stadt Piacenza felbft aber ftand von nun an um
ſo entſchiedener auf der Seite des Kaiſers.
7. Freude der Guelfen der Lombardei über die
Ankunft eines Kriegsoberſten König Roberts von
Apulien. Um dieſe Zeit erfüllte Freude und Fröhlichkeit die
Herzen der lombardiſchen Guelfen, als Thomas de Marzano aus
Apulien, der Seneſchall König Roberts und deſſen Statthalter für
Piemont, mit einem Geleite von fünfhundert Rittern und zahl
reihem Fußvolk in der Lombardei erjchten, den Mapheus Vicecomes
und die übrigen Genofjen der faiferlihen Parteı mit Berderben
bedrohte und die Guelfen zu ſich nach Pavia entbieten ließ. Diejes
freudige Ereignis ftärkte die Cremonefen, die Vertriebenen von
Brescia und die übrigen Glieder dieſes Anhanges nicht wenig, Die
Shibellinen aber erjchredte der Auf, fintemal den Guelfen das
Glück fowohl als auch die Fuge Benutzung der Sachlage günftige
Erfolge zumies, die fie fich aber auch durch ihre Uebermacht gewannen.
8. Abfallvon Pons-Vicus zu den Öuelfen und
Zus Erftürmung von Terenzanum Am 8. Juli nämlich fiel
die Veſte Pons-Vicus?) in ihre Hände, indem Lotorengus de Marti—
nengo, welcher hier die kaiſerliche Bejatung befehligte, die Veſte
EEE. a
1) Fiorenzuola an der SHeerftraße von Piacenza nah Parma, etwa halbwegs
zwiſchen beiden Städten; Caſtell Arquato füdlih davon. In den Iekteren Ort hatte
fi), wie Ferreto von Bicenza erzählt (Buch 4 am Ende, Muratori 1. c. IX 1082—1084)
Albertus Scotus geworfen und befämpfte don hier aus Piacenza und den Bisconte,
bis Ddiejer ihn dur Lift zur Uebergabe bewog. Er Iebte dann in Mailand in der
Hoffnung, daß Maffeo, fein ehemaliger Bundesgenoffe, ihm wieder zu einer jelbftändigen
Herrſchaft verhelfen werde. Als er endlich einjah, daß Maffeo ihn trügerifch hinhalte,
entwich er nach Cremona, wo er aber alsbald erfranfte und ftarb. — 2) Pontevico,
jüdfih von Brescia, am Oglio.
Paternum, Paſſiranum zc. jchliegen fi) den Guelfen ar. 337
überlieferte. Diejer Glüdsfall ermuthigte die Sieger zu einem
Angriff auf die ftarfbefeftigte, reihe Kolonie Terenzanum !), welche
fie nad) großer Anftrengung und nachdem fie die Einwohner unter
großem,Blutvergießen gänzlich befiegt und hundert Mann berittener
Hlfstruppen, die als Bejagung den Ort vertheidigt und gegen die
benachbarten Orte einen erbitterten Krieg geführt, getüdtet hatten,
gewannen. Unter der Bejasung trafen fie auch auf einige Brescianer
von der herrichenden Partei, von denen einige wenige gefangen
genommen wurden, die übrigen aber im Kampfe fielen. Die ſieben—
hundert Einwohner von Terenzanum, welche bisher von Brescia
abhängig geweſen, wurden dazu vermocht den Verbannten Gehor-
Jam zu leiften.
9. BPaternum, Paſſiranum, Boadum, Cocalium,
Bornadum, Salinum, Herbuscum, Tremadum, Zi-
zagum ſchließen fih den Öuelfen an. Indem aber ein
gleiches Glück die Sieger mit noch mehreren Erfolgen überhäufte,
unterwarfen ſich in ebendenjelben Tagen folgende Feften des Yand-
gebietes theild gezwungen theils freiwillig den Berbannten, melde
mit großer Wucht auf fie einftürmten: Paternum, Paſſiranum,
Boadum, Cocalium, Bornadum, Calinum, Herbuscum, Tremadum,
Zizagum und faft Das ganze meftlich gelegene bresctanijche Gebiet.
10. Salaaz der Sohn des Mapheus Vicecomes
beunruhigt die Gegend um Parma. Andererſeits erſchien
Galaaz mit einer zahlreihen und trefflihen Schaar von Mai:
ländern und Deutichen beim Tleden St. Doninus und marjchierte
von dort nad) dem Dorfe St. Slarius ?), meldyes nahe bei Parma
liegt. Hier drang er ein und verweilte etwa zwei Stunden zum
größten Schrefen und zur größten Beunruhigung ver Stadt.
Gibertus de Eorrigia aber erihien auf dem Marfte, nahm dort
Stellung und verftärkte die Beſatzung des Thores, meldes den
Feinden am nächſten lag, bis Galaaz nachdem er St. Ilarius
vermüftet, abzog. Um indeß ven Abzug der Feinde zu ftören und
1) Zrenzano, etwa 10 Miglien fitdweftlich von Brescia. — 2) Sant Ilario füdöftlich
bon Parma, an der Straße nad) Reagio.
Geſchichtſchreiber. Lg. 67. Leben Heinrichs VII. 22
338 Fünfzehntes Bud).
1313 ihren Weg unficher zu machen, verfolgte Gibert fie mit einer Reiter-
Ihaar. In der That glüdte e8 fünf und zwanzig Nachzügler auf-
zugreifen, die al8bald niedergemadht wurden.
Aug. 2 11. Einnahme von Trivilatum Am 22. Auguft
eroberten Die vertriebenen Brescianen die Veſte Trivilatum !), legten
hier zu um jo fiherem Schutze eine Bejagung ein und ftürzten
fi dann unter gewaltigem Lärm und Getöſe gegen die Thore von
Gaftrum Urceorum ?), wo fie die außerhalb der Befeftigung ge-
legenen Häufer verbrannten und Menſchen und Vieh hinweg—
Ihleppten. Während fie nun ohne Unterlaß die Feinde zu ermüden
beftrebt waren und ihre Schlachtreihen durch die Felder von Brescia
führten, wurde der Bortrupp der verbannten Brescianer und der
Cremoneſiſchen Miliz plöglich einer ihnen entgegentommenden Keiter-
- patroutlle der Brescianer, welche auf Befehl diefer gegen Bradum
vorgehen jollte, anfihtig. Es entipann fih ein Kampf, bei dem
die Brescianer der in der Stadt herrichenden Partei den Fürzeren
zogen und zwei der ihrigen verloren, während ebenfall8 zwei, näm—
lich Bonus de Prando und Rambaldinus de Buciis, in Gefangen-
ſchaft fielen.
12. Klagen der Brescianer in der Stadt. Die
üble Lage der Stadt, welche durch die von den Vertriebenen über
die Yandereien von Brescia hin immer und immer wiederholten
läftigen und verheerenden Streifzuge gleichſam blockirt gehalten
wurde, veranlaßte das niedere Volk unter fich zu Hagen: ſchlimmer
ſei jest ihre Lage als da der Kaifer vor den Mauern lag, wo
die Todesfälle unter den Eingeſchloſſenen feltener geweſen ſeien und
der Schmerz um Berlufte unter den Ihrigen häufigere Unterbrechungen
erfahren habe denn jest. Damals habe ferner jedes einzelne Treffen
in ihrem Belieben geftanden und es jei Doch nur gegen die Deutjchen
gegangen; jett hätten fie ununterbrochen zu kämpfen und zwar
gegen ihre Mitbürger und BlutSverwandte. Auch hätten fie Damals
alles vorbereiten und fid) jo gut es möglic war in Bertheidigungs-
1) Travagliato, etwa 6 Miglien meftlih von Brescia. — 2) wohl Orzingvi ganz
im Wefien des brescianijchen Gebietes, nahe Soncino.
Klagen der Brescianer in der Stadt. 339
zuftand ſetzen können, ſodaß einzig und allein der ihnen bevorftehende
Hungertod fie unfeliger Weife zu überwinden vermodht habe; jekt
beuge fie täglich der Tod derer, welche die ſchützenden Mauern ver-
liegen und hinauszögen um die unentbehrlichften Lebensbedürfniffe
zu erwerben; jest müßten jie Rettung erhoffen vom fernen Tuscien
her von dem Kaiſer, den rings feine Gegner umgäben, oder von
Alemannien her jenjeit8 der himmelhohen Alpen von den Deutjchen,
die fi) im der verzmeifeltften Yage befänden und Brescia verab-
ſcheuten. Schlimm ſei e8 ihnen befommen, daß fie diefem Kaifer
widerftrebt hätten; noch jchlimmer ergehe es ihnen jet, da fie fid) ihm
gebeugt. Sie jchalten auf die Adligen und warfen venfelben vor,
Daß fie durch den Bürgerkrieg das ganze brescianiiche Gefchlecht
unwiderbringlich für alle Zeiten zu Grunde richteten und der Ver—
nihtung Preis gäben. „Ueberhaupt”, fügten fie hinzu, „während
zur Zeit jenes Krieges gegen den Kaifer ein herrlicher Auf von
der Tapferkeit der Brescianer die ftaunende Welt erfüllte, jo fchändet
jegt der Fleinliche Hader, der und den Hunden gleichſetzt, die ſich
ankläffen und jchier einander verzehren möchten, unfere herrlichen
Thaten, und unfere Tapferkeit hat fid) in tolle Wuth verwandelt.“
Während fie jo klagten, vernahmen fie das Gerücht welches fich
alsbald bewahrheitete, daß Nizolinus de Cazago und Benturinus
Rivoli, zwei Kaufleute, die ihre Waaren zur Stadt bringen wollten,
von den Auswärtigen mit einigen Waaren aufgegriffen worden jeien.
13. BorfehrungendesMaphaeusPBicecomesgegen
feindlihe Regungen unter den Mailändern. Mailand
dagegen beharrte unter der umfichtigen Verwaltung des Maphäus
Vicecomes und bei den herrlichen Eigenihaften feiner Söhne in
unerjchütterter Treue auf der Seite des Kaiſers, wiemohl die Feind-
jeligfeiten ver lombardiſchen Guelfen und deren ſich immer mehrende
Erfolge die alten Anhänger der Turrianenpartei, wenn fie gleid)
nichts zu unternehmen wagten, doc, ſchon fo jehr ermuthigt hatten,
daß, als Maphäus das Volk verfammeite und die Mailänder
mahnte, fie möchten fi ihm gegen diejenigen, melde die Stadt,
mit allem mas derfelben gehöre, zu ufurpieren fich unterftänden, zur
22 *
1313
Juli 23
340 Fünfzehntes Bud).
Verfügung ftellen, einige anzudeuten wagten, er jelbft ſei ein Uſur—
pator, und in dieſem Sinne öffentli und unter fid) rebeten.
Maphäus blieb dieſer Kühnheit gegenüber nicht gleichgültig, fondern
ließ, Damit dieſelbe nicht etwa bei günftigerer Gelegenheit Boden
gewinne, aus Bergamo vierhundert Neiter der Bundesgenofien und
ebenjoviele Fußſoldaten fommen, indem er anftatt ihrer einſtweilen
Bauern aus den an der Adda liegenden Ortichaften Bergamo zur
Beſatzung gab. Dies gefhah um ven 23. Juli. So liefen e8
Maphäus und feine Söhne nit an wachlamer Sorge fehlen, um
den Staat zu behüten und den Feind fernzuhalten ſowie die Stadt
im Innern zu fäubern und die fühne Verwegenheit der Wider:
jacher durch Schreden oder Milde, je nachdem es angebracht war,
ım Saum zu halten und zu unterdrüden. Es ging ihnen weder
die nöthige Vorſicht ab, Die fie auch Berftellung: und Lift in Anz
wendung bringen hieß, noch ließen fie einen hochherzigen auf alles
gefagten Sinn vermiſſen; aud) waren fie geidhäftig die Freunde
in Bergamo, Piacenza, Lodi, Crema, Berona, Mantua und Brescta
durch Briefe zu ermuthigen und zu mahnen, fie möchten fid) einft-
weilen auf den Echuß ihrer Mauern verlafien und gutes Muthes
jein: dem erlaucdten Kaiſer lächle bereit$ wieder das Glüd,
alles gehe nad) Wunſch und jene Verbannten würden, jo jchnell
wie fie emporgewachſen, in Bälde ebenfojchnell wieder verihminden
als machtlofe Glieder, denen das Haupt fehle.
14. Die Öuelfen gewinnen Dezanega. Dem gegen-
über blieben die Cremoneſen nicht unthätig; fie fammelten vielmehr
Ihre Truppen in dem Dorfe Conum im Gebiet von Cremona und
zogen dann nebft den Schaaren der befreundeten Verbannten von
Brescia und Bergamo und den quelfiichen Genofjen ringsum auf
Vezanega, welches vier Miglien von Bergamo entfernt ift und von
der herrichenden Partei von Bergamo mit fiebenzig gemorbenen
, Sanzenveitern, deren jeder zwei Pferde befaß, und Hundert und
ſechszig mit Yanzen bewaffneten Fußgängern bejest gehalten wurde.
Gegen diefen Ort ließ Paffarinus della Turre als Kriegsoberft
einen ftürmifchen Angriff auf die Gräben und Mauern unter großer
u ———
Abfall von Florentiola und Caſtrum Arquadi zc. 341
Kraftaufbietung unternehmen, und brady nad) einem hartnädigem
Kampfe, der die Beſatzung in große Bedrängnis brachte, in den
Ort ein, wobei etwa fünfzig Mann umfamen, während die übrigen
jammt den Einwohnern der ganzen Gegend in Gefangenihaft ge—
riethen. Nachdem die Sieger eine fette Beute an Scladhtvieh
jeglicher Art unter fi) vertheilt und die Gefangenen öffentlich ver-
fauft, die Häufer aber und alles, was ficy auf dem Erdboden
befand, niedergebrannt hatten, zogen fie am nächſten Tage gegen
Stezanum, welches, ſolchem Angriff nicht gewachſen, nad) furzem
Kampfe von den Siegen genommen wurde, die e8 niederbrannten
und dann verließen, indem fie Menjchen und Vieh mit fich fortführten,
15. Abfall von Slorentiolaund&aftrum Arguadı
zu den Eremonefen. Um diejelbe Zeit überlieferten fich bie
Guelfen, welche ſich nach Florentiola CaſtrumArquadi und anderen
piacentinifchen Fleden geflüchtet hatten und won bier aus die Haupt-
ſtadt befriegten, und unterftellten fi) der Herrihaft von Cremona,
welchen fie huldigten. Auch die jehr ftarfe Veſte NAubechum !)
wurde, indem die Einwohner fi) den Siegern anſchloſſen, der
Herrichaft von Cremona einverleibt.
16. Abfalldes Sigibaldus-Thurmes zu Gibertus
de Corrigia. Aber noch größere Triumphe harrten der Sieger,
indem Girardus de Sancto Michaele, ein vertriebener Parmeſane,
welcher zur Partei der Rubei, die damals Parma aufſäſſig waren,
gehörte und auf ihren Befehl und in ihrem Namen gelobt hatte
den fünf Meilen von Padua gelegenen Sigibaldus-Thurm zu be-
wachen, den Seinigen die Treue brach und den Thurm dem
Gibertus de Eorrigia verrätheriicher Weile überlieferte. In diefem
Thurm hatten die Nubert fiebenzig Genofjen und Freunde des
Gibertus gefangen gehalten, von welchem man jett nod fünf und
dreißig Edlere am Leben fand, während die übrigen wenigſtens nicht
zu den unterften Schichten der Bevölkerung Parma's gehörten.
Koh kurz zuvor waren die Herren der Gefangenen nicht geneigt
1) Robecco nördlih von Eremona am Dglio, an der Straße nad) Brescia.
1313
1313
342 Fünfzehntes Bud).
geweſen, Ddiefelben für vierzehn taufend Goldgulden in Freiheit zu
jegen. Auch erbeutete man hier eine beträditlihe Menge von
Pferden und Waffen. Nach diefem Erfolg marſchierten die Sieger
gegen Herbuftum. — Im Verlauf diefer Begebenheit hatte Nicolaus
de Lucio aus Padua nur infoweit Erfolg, als e8, nachdem er
Mantua verlafjen hatte, um das ihm dur Canisgrandis verſchaffte
Vicariat von Bergamo anzutreten, ihm gelang allmählich fich durch
die brescianiſchen Ortichaften nah Bergamo Hindurchzuftehlen.
17. Das Heer der Guelfen bedroht Piacenza;
Kämpfe daſelbſt; GSefangennahme des Örafen Phi-
lipponu8 de Langusco. Nach fo zahlreihen Stegen brachte
die guelfiſche Partei Yombardiens größere Heeresmafjen zufammen,
entbot auch den Grafen Philipponus de Langusco zu fi) und
marjchierte mit bedeutenden Streitfräften an Reitern und Fußtruppen
gegen das ſchon wankende Piacenza. In unmittelbarer Nähe der
Borftädte machten fie Halt und begannen die Belagerung mit
großem Eifer. Da aber wandte ihnen das Glück den Rüden.
Es geihah nämlich, daß, als emft Philipponus das Hauptheer
auf eine größere Unternehmung ausfandte und felbft mit einem
fleinen Keitertrupp die Vorjtadt betrat, Dort jorglos die Waffen
ablegte und feine Schaar in die Häufer einquartierte, die Belagerten
dur ihre Beobadhtungspoften auf den Thürmen wahrnahmen, daß
das Heer ſich von der Stadt entfernt habe und andere Truppen
nit in der Nähe jeren. Sofort machte Galaaz der Sohn des
Maphäus, welder am Tage zuvor zur Bertheidigung der Stadt
erſchienen war, mit den belagerten Piacentinern einen Ausfall auf
die Unbejonnenen und befiegte fie nach feiner oder dod) nur gering-
fügiger Gegenwehr. Philipponus felbft ohne Roß und Waffen
fiel mit etwa fünfzig verbannten Piacentinern, welche der Stadt
auffällig vom Schloſſe St. Johannis aus das Banner der Empörung
gegen dieſelbe erhoben und ſich Philipponus angeſchloſſen hatten,
in Gefangenſchaft; etma ebenfo viele aus der Begleitung des Grafen
und der Bundeögenofien von Pavia wurden erjchlagen, ein Feld—
zeichen des Philipponus erobert und als Stegesbeute nah Mai:
’
$
{
Das Heer der Guelfen bedroht Piacenza ꝛc. 343
Yand gebracht. Als Simon della Turre und die übrigen, welche
fih an dieſem Unternehmen betheiligt hatten, die von Cremona,
Bergamo und Brescia, diefen Unfall erfuhren, erſchraken fie heftig
und konnten nicht fafjen, wie ein folder Schlag fie fo plötlich habe
treffen können: fie entliegen ihre Truppen und fehrten in die
Heimath zurüd. Co ſchob die Niederlage des Philipponus ihren
Plan, gemeinfam Mailand anzugreifen, in eine ungewifje Ferne
und befreite Maphäus Vicecomes, welcher einer Belagerung feiner
Stadt entgegenjah, von diefer Sorge. Auch ſahen fi) die Guelfen
umjomehr bewogen ihre Pläne gegen Mailand zur vertagen, da fie
Damals durch brieflihe Mittheilungen erfuhren, daß die Sene—
ihalle König Nobert darauf bedacht feien, den Markgrafen von
Saluzzo, welchen fie ſchon faft gänzlich befiegt Hatten und in feinen
piemontefiichen Schlöfjern beprohten, zu vernichten, und nicht eher
ablaffen würden, bis fie jeine Macht vollftändig gebroden, ihn
jelbft gefangen genommen und als Hochverräther an der Majeftät
ihres Königs Aobert mit dem Tode beftraft haben würden. — In—
zwilchen behaupteten ſich die Guelfen in den kleineren Städten und
Beiten und beharrten im ſchonungsloſen Kriege, ſodaß niemand
jiher durch die Lombardei reifen konnte; vielmehr ſchädigten fie in
unaufhörlichen Streifzügen unermüdlih alle, welche im Laufe des
Auguft und September hindurchzuziehen wagten, nahmen fie gefangen,
beraubten oder töbteten fie, wie e8 gerade fam. Don dem vene=
tianiſchen Meere an durch Ligurien und die Aemilia, von den
luniſchen Bergen bis zu den Alpen, welche nad Alemannien führen,
joweit fid) der Name der Lombardei erftredt, war fein Pfad vor
ihnen ficher. — Um diefe Zeit ſchloß ſich das Schloß Bercedum !),
welches die dem Kaifer aus Deutſchland zuziehenden Deutjchen ein-
genommen hatten, voll Erbitterung gegen dieſe, welche in ihrer
gewohnten Brutalität die Weiber jchändeten und fich mancherlei
andere Gemaltthaten zu Schulven fommen ließen, und nid
gejonnen dies länger zu ertragen, den Guelfen an, mober von den
Deutſchen etwa fünfzig erjchlagen wurden, während die übrigen
1) Berceto in der Nemilia, im Gebiet von Parma.
1313
- 1313
344 Fünfzehntes Buch. Das Heer der Guelfen x.
ſich durch die Flucht retteten. — Im Jahre 1313 erhoben die
Paveſen auf die Kunde von der Gefangennehmung des Philipponus
defjen dritten Sohn Gherardinus zum Vorſteher ihrer Stadt, in-
dein fie nur um jo mehr brannten die Mailänder, Piacentiner
und die übrigen Anhänger der fatjerlihen Partei mit Krieg zu
überziehen. — Ferner ereignete es ſich in eben diefen Tagen, daß
die Einwohner von Vogaria !) nebit den Berbannten von Pavia
in ftarfem Zuge gegen die Tefte Pezedum ?) ausrüdten, um die—
jelbe mit Hilfe einer geheimen Partet unter den Angejeheneren in
Befis zu nehmen; die Guelfen von Bajegnana 3) aber, welchen
der Plan durch Angeberei verrathen war, griffen fie in wohlüber—
legtem Anfturm mit großem Nachdruck an. Die überrafchten Gegner
warfen fich Jogleich in die Flucht, wurden aber bon den Siegern
bi8 zum Geftade des Tanarus*) verfolgt, wo fie in Die größte
Verwirrung geriethen, zweihundert Todte und etwa ebenjo viele
Gefangene verloren. Unter letteren befand fih ein Sohn des
Manfrevus de Beccaria, Muscetus, welchen man nad) Pavia bradite.
1) Voghera nördlich von Terdona. — 2) jonft Picetum nordöftlih von Aleſſandria
zwiſchen Tanaro und Po. — 3) Baflegnana nördlih von Picetum, nahe dem Po. —
4) Tanaro, fiidlicher Nebenflug des Po; an ihm Mfeffandria.
Serhzehntes Bud).
1. Entfommen des königlichen Kriegsvolfes aus
Petra Sancta. Als die kaiſerlichen Schaaren in Petra Sancta !)
feine Hoffnung auf Zufuhr oder Entſatz mehr hatten, zwang fie
der Hunger den Ort aufzugeben und fi) allen Gefahren der ©ee
wie des Schwertes der Feinde und jeglichem Ungemach auszuſetzen.
Der Marihall zog daher nur Diejenigen, deren ZJuverläffigfeit er-
probt war, in das Geheimnis, während er alle übrigen fern hielt,
verließ dann zur Zeit des erften Schlafe8 ohne Trompeten- und
Hörnerfhal den Drt, zu deſſen Schutze Simon Philippi aus
Piſtoja zurüdblieb, marjchterte lautlos durch die jchweigende Nacht
und eilte in nächtlihen Marfche, feine hurtigen Schaaren mit fid)
fortreißend, gerades Weges auf Piſa zu. Die Lucchefen indeß,
welche in Camajore lagen, wurden durch das ungemohnte Geräufch
und das Gewieher der Pferde, welches fie vernahmen, aufmerkſam
gemacht und griffen Jofort zu den Waffen. Jedoch verzogen fie
mit der Ordnung ihrer Schaaren jolange, daß das kaiſerliche Kriegs-
volf die Brüde von Moneta, bei welcher nur eine kleine Schaar
Catalanen zur Bewachung aufgeftellt geweſen war, bereits über-
ſchritten. Dod folgten die Luccheſen raſchen Laufes, fielen am
fumpfigen Flußufer über die aus Reitern und Fußtruppen bunt
zufammengemwürfelte Nachhut her, während die übrigen ſich Schon
1) Dal. ob. Buch 13 Kap. 8.
1313
346 Sechzehntes Bud).
1313 auf ficheren Grund und Boden gerettet hatten, und richteten unter
jenen, die im Dunkel der Nacht und in dem jumpfigen Terram ſich
der Wuth der grimmen Feinde preißgegeben jahen, ein großes
Blutbad an. Es fielen von ihnen dreihundert, ebenfo viele ertranfen
und zwei Feldzeichen wurden nad) Yucca gebracht. Mit den übrigen
aber gelangte der Marfchall, zufrieden daß er feinen größeren
Schaden genommen, zum Kaifer. Der ın Petra Sancta ſtationierte
Simon Philippi von Piftoja, auf den der Kaiſer große Stüde hielt,
machte um dieje Zeit, kurz vor Anfang Mat, mit einem Theil
jeiner Reiter und Fußtruppen, einen Ritt gegen VBajatoria, einen
von Lucca abhängigen Ort. Einen anderen Theil feiner Truppen
ließ er, um die Befagung von Camajore zu jchreden und in Schach
zu halten, die Thore des Ortes berennen, ohne zu willen daß zu=
fallıg an demjelben Tage Vanni de Scornezanis, ein verbannter
Pifaner, mit der Miliz eines Duartiere8 der Stadt Lucca in
Camajore eingetroffen jet. Sobald nun der Angriff geihah, fiel
Vanni, ein unerichrodener Mann, auf die Angreifer aus, welche
ihm nit Stand hielten, fondern ſogleich unter großen Berluften
die Flucht ergriffen. Diefer Verluſt that dem Kaifer mehr Ab—
bruch, als derjenige, welchen die Seinen auf dem Rückmarſche von
Petra- Santa durch die Gefangennahme und die Niedermegelung
einer größeren Anzahl von Menſchen erlitten hatten. Es fielen hier
vier und fiebenzig Yanzenreiter und hundert und achtzig Fußfolvaten.
Unter den Erſchlagenen befand fi) Ritter Strupha ein genauer
Freund des füniglihen Marſchalls mit zwanzig Zeltgenofien, Graf
Fredus von Gangalandi, Berlingerius Nicolat de Groſſezo, Bertinus
Philippi de Vercellenfibus aus Piftoja, Buegatus de Orlandis aus
Pija; die übrigen waren Deutjche oder Flandrer; unter den Fuß-
loldaten aber gehörten die meiften zu der Mannſchaft des Mark-
grafen Spinetus Malafpina. .
2. Rüftungen des Kaiſers gegen Robert zur See.
Durd die Erfolge feiner Gegner zu Lande in Tuscien beengt, be=
ſchloß der Kaiſer unerfchroden fi auf die See zu begeben, wie
groß die Gefahr auch jein mochte. Nachdem er nämlich feine
König Philipp von Frankreich ꝛc. 347
Streitkräfte hatte zerreißen müfjen, indem fein Bruder der Erz-
bifhof von Trier um Verftärfungen zu holen nach Deutichland
entjandt worden war, während ein Theil der Ghibellinen und
Weißen ihn der unerſchwinglichen Koften wegen verlaffen und fich
über ihre Städte und Länder zerftreut hatte, beruhte feine Hoffnung
Berftärfungen zu erlangen allein auf König Friedrich von Sicilien.
Doch Liegen auc die Genuejen und feine treuen Pilaner nicht nad)
ihn zu ftügen, zu ermuthigen und ihm eindringlich vorzuftellen, daß,
wenn er nur ſich als Kaifer an den Grenzen des Herzogthums
Apulien bliden und feine Gegenwart merken laſſen werde, ohne
allen Zweifel im ganzen Königreich alle8 drüber und drunter gehen
und eine allgemeine Erhebung gegen den verhaften Kobert aus—
brechen werde. Denn diefer jet bei den Fürften feiner Herrichaft,
deren hervorragenpfte dem Reiche entftammten, nichts weniger als
beliebt. Außerdem mar felbft der in ſich geipaltene römiſche Adel
beiver Parteien dem Könige durchaus abgeneigt, die Ghibellinen,
weil er im vergangenen Jahre ihre Partei faft zu Grunde gerichtet,
die Guelfen aber, weil der Glanz feines Auftretens ihren Aufwand
in Schatten ftelle. Durch diefe günftigen Umſtände gelodt ließ ver
Kaiſer hoffnungsvoll und friſchen Muthes es ſich angelegen ſein
Tag und Nacht Boten nach allen Seiten hin auszuſenden, um ſich
mit Allen und Jeden ins Einvernehmen zu ſetzen, wobei er es
weder an Verſprechungen noch an Drohungen fehlen ließ. Schon
konnte er auf vier und zwanzig Galeeren zählen, welche ihm Genua,
auf zwölf, welche ihm Piſa ohne Zeitverluſt zu liefern verſprochen,
damit er dieſelben mit ſeinen Truppen beſetze. Ueberdies bot ihm
König Friedrich von Sicilien in willfährigſtem Eifer acht und
zwanzig Schiffe an. Schon erſcholl in den Städten Italiens weit
und breit das Gerücht, und drang ſelbſt über die Alpen nach
Gallien, daß König Robert in Apulien von einer gewaltigen Flotte
bedroht werden und ſeine Städte vor derſelben erzittern würden.
3. König Philipp von Franfreih zieht Die
Angelegenheit König Robert in Berathung und
Ihreibt zu deſſen Gunften an den Papft; Erlaf des
1313
1313
348 Sechzehntes Bud).
legteren Daraufhin. Durd König Robert erfuhr aud Philipp
der König von Frankreich von diefer Yage der Dinge. Philipp
hatte bis dahin die Fortſchritte des Kaiſers ziemlich gleichgültig
mit angejehen, da ihm diefer Heinrich, den er wegen feiner Herkunft
und Erziehung für feinen getreuen Lehnsmann anjah, dem er
perjönlih wohlmollte und deſſen Zuneigung er zu befigen glaubte,
durchaus nicht gefährlich erfchtenen war und er nichts weniger ge=
dacht hatte, als daß derjelbe ihm gegenüber fich irgend einer Ber:
mefjenheit jchuldig machen würde. Sp traf ihn diefe Nachricht
wie ein Donnerjchlag. Er berief ſogleich die Großen jenes Reichs
zur Berathung und hieß fie vorbringen was fein Interefje hierbei
zu erfordern jcheine. Nachdem diejelben erjchienen waren und die
Sachlage nach allen Seiten hin erwogen und betrachtet hatten, er=
flärten fie: allerdings betreffe Die Angelegenheit den König und er
dürfe fie nicht länger unbeachtet laſſen; diefer Funke ſei nicht jo
unbedeutend, daß er nicht, falls man ihm nicht rechtzeitig auslöſche,
eine Flamme erzeugen fünne, melche vielleicht niemal3 wieder aus-
gelöjcht werden fünne. Der gegenwärtigen Generation jelbft fer es
ja nur allzu befannt, wie ſolche Spaltungen zum größten Nach-
theil der Chriftgläubigen ungeheure Gefahren für Reich und Kirche
heraufbeſchworen und, wenn man fie habe Wurzel Ichlagen laſſen,
nur durch tiefe Einfchnitte unter großem Schaden für Leib und
Seele hätten entfernt werden fünnen?). Deshalb müffe man, wie
es auch der allermildeſte Bapit worjchreibe, ſogleich den unheilvollen
Anfängen entgegentreten. Ueberdies berühre den erlauchten König
die Angelegenheit wegen des verwandtichaftlichen Bandes, melches
ihn an das föniglihe Haus von Apulien fefjele, und nach dem
Nechte der Natur ſei e8 jeine Sache, um die e8 ſich handele. Auf
diefe Aeußerung der Großen hin wurde bejchloffen, Geſandte mit
einem füniglichen Schreiben folgenden Inhalts an die Curie zu
ſchicken:
„Dem allerheiligſten Vater in Chriſto Herrn Clemens durch
1) Dies iſt wohl eine Anſpielung auf die Conflikte und Kämpfe zwiſchen den Stau—
fern und der mit Frankreich (Anjou) verbiindeten Curie.
König Philipp von Frankreich ꝛc. 349
die göttliche Vorſehung der hochheiligen allgemeinen Kirche höchften
Priefter küßt Philipp von Gottes Gnaden König von Frankreich
in Demuth die gejegneten Füße.‘
„Zu unjerem Obhre drang zuerft mitteld des Berichtes ge-
wiſſer Magifter und jest in Folge der Mittheilung unſeres theuren
Betterd des Fürften von Adaja die Mähre, daß ver erhabene
Fürft Heinrih, Kaiſer der Nömer, fich vorgefest habe Apulien
Sicilien und die übrigen Lande unſeres theuren Vetters des er=
Yauchten Fürften Robert, Königs von Sicilien, einzunehmen und
ſich beftrebt alles zu deſſen Entthronung aufzubteten, wodurch er
den allgemeinen Frieden der Chriftenheit ftört und die Ueberfahrt
in das heilige Land behindert, zu allgemeinem Schaden, ganz be-
ſonders aber zu unermeßlichem Nachtheil ver römiſchem Kirche,
welcher, wie Jedermann weiß, der Beſitz dev genannten Yande zu=
fteht. Weil daher wir die Entthronung des vorerwähnten Königs
von Sieilien, in deſſen Adern unfer Blut fließt, der aus unjerem
föniglihem Haufe hervorgegangen tft, nicht gleichgültig anſehen
fönnen, jo haben wir jchon früher eurer Glückſeligkeit über dieſe
Angelegenheit geichrieben und gebeten, eure Heiligkeit wolle die
achtheile, melde aus den gejchilderten Plänen, wenn fie (was
der Himmel verhüte!) verwirklicht würden, jich ergeben müßten, in
Erwägung ziehen und jchleunigit geeignete Vorkehrungen treffen, um
folden und fo umfaljenden Gefahren widerftehen zu fünnen, auf
daß nicht wegen dieſer Misftände die Angelegenheit des heiligen
Landes in den Hintergrund gerüdt oder gar gänzlich verabjäumt
werden möge. Jetzt aber, nachdem wir und überzeugt haben, daß
der Kaiſer in der erwähnten Sache feinen Sinn nicht geändert hat,
daß er im Gegentheil täglich) ſich dazu rüftet, flehen wir eure Milde
mit wiederholter Bitte an, daß ihr, wie es eure Pflicht erfordert,
den drohenden Gefahren entgegentreten und ohne Zeitverluft ein
geeignetes Mittel in Anmendung bringen möget, auf daß die An-
muth des Friedens gewahrt bleibe und die Angelegenheit der Weber:
fahrt in das heilige Land (mas unſeres Erachtens auf feinem
anderen Wege zur bewirken ift) nicht gehindert oder gejtört werde.
1313
350 Sechzehntes Bud.
1313 Auch forget wohl, daß, wenn ihr vielleicht jpäter der Sache ent-
gegentreten wollt, ihr nicht etwa euch dazu außer Stande jehet,
vielmehr geruhe eure Heiligkeit den gedachten König und feine
Unterthanen ſich angelegentlichft empfohlen fein zu lafjen.“
Mai 12 „Gegeben zu Paris am 12. Mai.“
Ueberdies follten die Gefandten auch den Papſt erjuchen, das
von dem Kaiſer gegen Robert erlafjene Strafurtheil aufzuheben ;
und zwar werde es befjer fein, wenn der Papſt daſſelbe widerrufe,
als wenn er anordne, daß derjenige, welcher e8 erlaſſen, es jelbft
zurüdinehme. Die Geſandten — e8 waren der Herr von Marigny!)
und defien hochangejehene Genofjen — begrüßten in würdiger feierlicher
Weiſe den Papft, übergaben die Briefe der Füniglihen Majeftät
und fügten Hinzu was ihnen mündlich vorzubringen befohlen war.
Erfreut fette der Papft für die Ertheilung der Antwort einen
Termin an, nahm die Gefandten feſtlich auf, bewies ihnen in
liebenswürdigſter Leutſeligkeit väterliche Sorge und vertraute Freund—
Yichkett und überhäufte fie mit Ehren. Am feſtgeſetzten Tage er=
theilte er ihmen feine Antwort: ihm liege, erklärte er, alles was
feinem Sohne dem erlauchten Könige erwünfcht fei, jehr am Herzen
und er wolle daher vefjen Bitten gewähren, indem er von jeiner
Seite drei Cardinäle an den Kaiſer jchiden werde, welche Died und
alles was jonft in Betracht fomme dem Belieben des Königs gemäß
anordnen und einrichten jollten. Doc ftelle dieſe allgemein ge=
haltene Antwort die Gefandten nicht zufrieden, welde vielmehr
darauf drangen, er folle feine Entjeheidung über die einzelnen Punkte
öffentlich auseinanderſetzen und fundthun, ſodaß fich der Papft
endlich bereit erklärte folgende Urkunde ausgehen und mit ber
apoftolichen Bulle verjehen zu laſſen. Den Wortlaut diejer
Urkunde habe id) als grumdlegend für die meitere Entwidelung
meiner Erzählung für gut erachtet hier einzufügen:
„Clemens ?) Biſchof, Knecht der Knechte Gottes. Zu ewigen
Angedenken.“
1) dominus Marigensis d. i. Enguerrand de Marigny (aus altnormänniſchem Ge—
ſchlecht), der einflußreichfte Miniſter Philipps IV. — 2) Wir geben die Ueberſetzung auf
König Philipp von Frankreich ꝛc. 351
„Unter allen Dingen, um welche wir ſorgen, beichäftigt unſeren
Sinn insbejondere die Erwägung und quält und die Bejorgnis,
daß die Güter und Rechte der römischen Kirche in ihrem Beftande
verbleiben und fie jelbft vor Schaden bewahrt werde und unter
der Verwaltung unjerer Knechtſchaft ſich mehre in friedlichem Wohl:
ftand. Kürzlich nun Haben wir von verjchtedenen zuverläffigen Män-
nern, die davon wohl unterrichtet waren, erfahren, daß an verfchte-
denen Orten und in verſchiedenen Gegenden eine Flottenausrüftung
vorbereitet und andere Friegeriiche Anftalten getroffen würden, und
dag man aus mannigfachen Anzeichen vermuthe, dieje Slottenrüftung
bezwede (mas wir freilid kaum glauben fünnen) das Reich von
Sicilien oder das Land diefjeit des Pharus, welches, wie man weiß,
zu dem Königreich 1) jelbft gehört und von uns und der römifchen
Kirche rechtlich abhängt, und welches unfer Lieber Sohn in Chrifto
Robert der erlaudte König von Sicilien, unſer und der genannten
Kirche Bafall, von und und eben diefer Kirche zu Lehen trägt,
feindlich zu überfallen und zu befriegen. In dem Beftreben, die
vorerwähnte Kirche und und ſelbſt und das genannte Reich und
Land, welches wir gleihfam al8 den Garten unferer Erholung
ergöglich betrachten und aus befonderer Liebe in unferem apoftolifchen
Herzen tragen, gegen derartige Veranftaltungen zu ſchützen und den
Gefahren der Seelen, den Schädigungen der Xeiber, den Beein-
trächtigungen der Güter, den ſchwerwiegenden Aergernifien und den
unwiederbringlichen Verluften des heiligen Landes — welche, wenn
es (mad der Himmel verhüte) dazu kommen follte, man befürchten
müßte — wirkſam entgegenzutveten, verbieten wir, während wir
und zugleich bereit erklären Allen, welche fi) über den König von
Sicilien zu beflagen haben, Gerechtigkeit zu Theil werben zu laſſen,
allen und jeden Geiftlihen und Laien, welches Standes und Ranges,
welcher Stellung und Würde fie fein und wie hoch fie ftehen mögen,
jelbft wenn Hoher priefterlicher, kaiferlicher oder königlicher Rang
oder welch' anderer immer fie zieren follte, ſowie allen Gemein-
Grund des Abdrudes bei Dönniges a. a. O. II ©. 87—88 (aus den Aften der Faifer-
lichen Kanzlei). — 1) d. i. dem päpftlichen Lehnskönigreich beider Sicilien.
1313
1313
352 Sechzehntes Bud).
ſchaften, Gemeinten und Staaten, fraft apoftoliiher Machtvoll-
fommenheit und jchreiben ihnen ausdrüdlich vor, daß fie es fich
nicht herausnehmen mögen, das genannte Reich oder Yand oder
einen Theil oder einige Gegenden vejjelben zu Lande oder zu Waſſer,
unter welchem Vorwand auc immer e8 gejchehe, zu überziehen oder
zu befriegen oder deswegen Sold zu empfangen oder zu gewähren
oder dazu Galeeren oder andere Fahrzeuge des Meeres zu liefern,
zu miethen, zu leihen oder unter irgendwelchem Namen herzugeben
oder auf denjelben als Ruderer zu dienen oder ſolche Galeeren oder
andere Fahrzeuge auf irgend eine Weile zufammenzubringen ober
auch denen, Die fich deſſen trogdem unterfangen, Hilfe Rath oder
Gunſt diveft oder indireft, öffentlich oder verborgen zufommen zu
laſſen. Denn alle und jede, welche e8 magen jollten, diejes unfer
ftrenge8 Berbot zu übertreten, ſelbſt wenn fie, wie oben gejagt,
von hohem priefterlichen oder königlichen oder irgend anderem hohen
Rang jein jollten, erklären wir nad) dem Kath unferer Brüder in
den Bann, den fie ohne weiteres verwirken, und belegen ihre Länder
und Städte und jegliche andere Gemeinden und Gemeinschaften und
Staaten, melde gegen das DVorftehende oder einen Theil vejjelben
zu handeln wagen, mit dem firchlichen Interdift, werden aber darum
nicht8 weniger gegen fie auch mit Vernichtung aller Vorrechte, Ver-
günftigungen und Gnaden, welche fie von der römiſchen Kirche
empfangen haben, ſowie auch mit Aberfennung ihrer ſämmtlichen
Lehen, Güter, Ehren, Aemter und Rechte, welche fie von derjelben
oder irgend welchen anderen Kirchen in Befig haben, fowie fonft
mit ſchweren firchlichen und weltlichen Strafen vorgehen, wie es
ihr Ungehorfam erfordern und die Beſchaffenheit ihres Vergehens
empfehlen und wie es uns angemefjen erfcheinen wird. — Damit?)
aber diefer unfer Prozeß fiher zur Kenntnis Aller gelange, fo
wollen wir an die Thür der Kirche zu Avignon Karten oder Mem—
branen anbeften laſſen, melche diefen Prozeß enthalten und ihn
gewiffermaßen mit weitfchallender Stimme und durch den offenen
1) Dieſer Schluffat wird von Muffato ausgelaffen.
8 Te er
Die Fürften in der Umgebung des Kaifers x. 353
Augenschein hinlänglich fund machen werden, ſodaß alle und jebe,
die der nämliche Prozeß angeht oder in Zukunft angehen wird,
hinterher feinerlei Entjhuldigung vorihüsen fünnen, daß er zu
ihnen nicht gebrungen, ſondern ihnen unbefannt geblieben jet, da
es nicht anzunehmen ift, daß, was jo offenkundig einem jeden mit-
getheilt wird, ihnen unbefannt oder verborgen geblieben jein fünne.
„Gegeben bei Caftrum Novum in der Diöcefe von Avignon
am 12. Juni!) im achten Jahre unferes Pontififats ?).
4. Die Fürften in der Umgebung des Kaijers
bejhweren fih über den päpftliden Erlaf. Dem
Kaiſer blieb nichts hiervon verborgen; da er aber glaubte, ver
Papſt ſei von den Freunden Roberts beeinflußt worden und thue
diefen Schritt zu jene Gunften nur widerwillig, jo verſäumte er
nicht, denjelben Weg zu wählen, und ſchickte eine feierliche Gejandt-
ſchaft nad Frankreich), beftehend aus Graf Ameus von Sapoyen,
dem Patriarchen von Antiohia, dem Erzbiihof von Genua, dem
Biſchof von Butrinto ?) und anderen VBornehmen, welche alsbald
Piſa verliegen, ſich einfchifften und ven ihnen von den Lucchejen
freiwillig eingeräumten Weg über Motrone einjchlugen. Die Ge—
meinde von Piſa gab der Gejandtichaft ven Lippus de Caprona,
Lemutius Balia, Jakobus Fagarola und Meſius de Vico bei.
Zugleich aber waren die Piſaner ununterbrochen beſchäftigt, Galeeren,
Laſtſchiffe und Fahrzeuge aller Art im Hafen zu beſchaffen und
auszurüſten. In denſelben Tagen begab ſich auch der Cardinal
de Flesco von Piſa aus zur Curie. — Als der päpſtliche Brief,
welcher jenen gewichtigen Erlaß enthielt, in Gegenwart der Fürſten
verleſen wurde, heftete der Kaiſer den Blick an den Boden und
ſchien verwundert, äußerte aber feine Silbe. Der Erzbiſchof von
Pia dagegen erging ſich in gereizten Worten gegen den Papft:
1) Muffato: am 2. Juni (die II. Junii) ftatt II Id. Junii bei Dönniges. — 2) Muf-
fato fett Hinzu: „und präfentirt zu Genua am 9. Juli“. — 3) Tert episcopum Abo-
thontenensem. Gemeint ift Bifhof Nikolaus von Butrinto (in Epirus, Erzdiöcefe Ja—
nina), welcher in feiner Relation iiber Kaifer Heinrihs Romzug diefer Gefandtfchaft aus-
führliher gedenft. Die für diefelbe aufgejegte Inftruftion ift abgedrucdt bei Dünniges
a.a. ©. I ©. 81—86.
Geſchichtſchreiber. Lig. 67. Leben Heinrichs VII. 23
1313
Suni
12
1313,
354 Sechszehntes Bud.
weder redlich noch auch Flug fer Clemens berathen worden und habe
ſich jelbjt berathen, da er von feiner priefterlichen Höhe herab einen
jolden Erlaß habe ausgehen laſſen, der feine eigene Schöpfung
beeinträchtige; er jolle Lieber das menjchlihe Geſchlecht auf den
Weg des Heiles führen und die Berirrungen deſſelben verhüten ;
ftatt deſſen verzögere er die Wiebereroberung des heiligen Landes,
wozu fid) bereits Vorbereitungen bemerkbar machten, und erfticde
die Sache im Keime, indem er die Feinde des Unternehmens be—
günftige, die Aergerniffe auf Erden zum Nachtheil der Heiligen
Kirche Gotted und der hrijtlichen Keligion vermehre.. Der Abt
von Podium Bonici, welcher dabeiftand, äußerte ſich in Worten,
Die mehr einem Laien als einem Geiftlihen anftanden, und ſchmähte
ohne Scheu auf die Politit des Papftes, die er für durchaus ver-
werflich erflärte.
5. Der Kaiſer fegt fih zu Lande und zur See
gegen König Robert von Apulien in Bewegung. In—
zwiichen brachte der Kaiſer feine Tage nicht mülfig in Pila hin,
fondern war bei angefpanntefter Thätigfeit mit größtem Eifer darauf
bedacht, mit Apulien, Calabrejen und Römern durd) Boten Bes
ziehungen anzufnüpfen, um fie durch Verſprechungen und in Güte
zu gewinnen. Als endlich, jomeit es in feiner Macht ftand, alle
Borfehrungen getroffen waren, gab er Befehl, daß die Schiffe aus
den Häfen von Genua und Pifa auslaufen follten, und ließ die
ganze Flotte, welche das geſammte Gepäck des Heeres mit ſich
führte, gleich als ob der Kaiſer jelbft fih an Bord begeben werbe,
unter mächtigem Irompetengejchmetter und großem Lärm die Segel
ausbreiten und in See ftehen. Als Führer und Admiräle dienten
auf der Flotte die Grafen von Camerarium und von Claramonte,
welche dem Kaifer die größte Hoffnung gemacht hatten, daß das
unteritalifche Reich ihnen zufallen werbe, jobald fie nur an den
calabrefiihen Küften erjcheinen würden. Auch ftellte ſich Friedrich
der Herrſcher Siciliens hilfreich bei der Flotte ein. Alsbald er
ſcholl durch ganz Stalten der Auf, der Kaifer, durch den Landkrieg
aus Tuscien vertrieben, eile mit einer gemaltigen Flotte zum
Erſchütterung Siena's durch den Vorbeimarſch des Kaiferd. 355
apuliichen Reiche, um fich mit Nobert zu meſſen. Insgeheim aber 1313
war mit der Flotte verabredet worden, dieſelbe jolle, ſobald fie
Terracina, welches etwa fieben und zwanzig!) Miglten von Rom
entfernt ift, erreicht Haben würde, dort bleiben und den Kaifer er—
warten. Diefer ſelbſt verlieg am 5. Auguft in Begleitung von Aug. 5
hundert Keifigen lateiniſcher und deutſcher Nationalität Piſa und
lagerte nad) einem eiligen Marſch — venn fein Gepäd und Geräth
verzögerte jett das Vorrücken — zwilhen Fusceclum 2) und Sammi-
niato. Am folgenden Morgen marjchierte er weiter und gelangte
Abends bis ın die Gegend von Caſtrum Florentinum, wo er in
Bergeltung für Beläftigungen, die er durch die Einwohner erfuhr,
die Häufer der Umgegend niederbrennen ließ. Dody hielt er ſich
auch Hier nicht länger auf, ſondern durcheilte im ununterbrochenen
Mariche, ohne ſich einen Raſttag zu gönnen, den Bezirk von Cole,
hieß die Abtei Spogna bei Seite und gelangte am 15. Auguft, Aus. 15
dem Tage der Himmelfahrt der jeligen Jungfrau Maria, in das
Gebiet von Siena.
6. Erjhütterung Siena's durch den Vorbeimarſch
des Kaiſers. Die plötzliche Ankunft des Kaiſers überraſchte
die Einwohner von Siena und verurſachte bei ihnen einen ſo ge—
waltigen Schrecken, daß Volk wie Adel den Ausbruch eines Auf—
ſtandes im Innern der Stadt fürchteten. Von einem und dem—
ſelben Gefühle beſeelt griff alles in größter Erregung unter dem
einmüthigen Rufe: „Es lebe die Gemeinde und die Volksfreiheit“
zu den Waffen; raſch füllte ſich das Rathhaus und der Markt;
man ermunterte den Podefta die Stadt zu ſchützen und beſetzte und
befeftigte jo gut e8 in der Eile ging die Thore. Diefer Tag und
die darauf folgende Nacht wurden in —— Schweigen unter den
Waffen zugebracht.
1) In Wirklichkeit beträgt die Entfernung faſt doppelt fo viel Miglien. — 2) Fu—
cechio, nördlih vom Arno. Der Kaifer blieb natürlich füdlih von diefem Fluffe und
bewegte fich auf der Straße, die am jüdlichen Ufer flußaufwärts bis zum Thal der Elſa
führt und dann diefen Fluß aufwärts, an Caſtel Fiorentino vorbei, bis an's ſaneſiſche
Gebiet verfolgt.
23*
1313
356 Sechzehntes Bud.
7. Bertreibung der Öhibellinen aus Orvieto.
In eben dieſem Augenblide unternahmen die Ghibellinen von
Orvieto, in der Abfiht dem anfommenden Kaifer ihre Stadt von
jeinen Feinden gefäubert zu überliefern mit Hilfe der zu ihnen
entbotenen Parteigenofien des Bezirfes einen Angriff auf die Guelfen.
Zwei Tage lang wurde in hisiger Schlacht hartnädig geftritten,
bis ſich das Glück auf die Seite der Guelfen neigte umd Die
Ghibellinen, nachdem etwa zweihundert erjchlagen waren, aus der
Stadt getrieben wurden. Unter den Erſchlagenen, befand ſich
Bindus de Bashio, eined der Häupter der Verſchwörung, und
mehrere von den Bornehmften der Partei. So gerieth die ganze
Gemeinde ausſchließlich in die Hände der Guelfen.
8. Tod des Kaiſers und was jih darauf bezieht;
Schluß des Werkes Nachdem der Kaiſer bei Siena nichts
ausgerichtet hatte, wandte er fi) won der Straße, melde nad)
Nom führt, ab und ſchlug einen Weg ein, der ihn jenſeits Siena
nah Iſpianum führte). Er gelangte bis zum Flüßchen Orgia
zwölf Miglien von- Siena, wo er, von der Hige und der An—
ftrengung des langen und fchnellen Marſches ermattet, abftieg und
ein Lager auffchlagen ließ um fid) mit den Seinen von der aus—
geftandenen Mühſal zu erholen. Nachdem er gefpeift, unternahm
er einen furzen Spaziergang, ließ ſich endlih am Ufer des Fluſſes
nieder und ftredte jeine Beine in venjelben, bi8 er, nachdem er
fi) längere Zeit an der Kälte des Waſſers erfriſcht, eine gewiſſe
Mattiofeit empfand, melde ihn veranlafte vor der gewohnten
Stunde des Sonnenuntergangs das Lager aufzufuchen, auf welchem
er aber feine Ruhe fand; vielmehr entdeckte er alsbald ein Geſchwür
unter dem rechten Knie, welches ihm viele Schmerzen verurjachte
und den Schlaf verfcheuchte. Ehe noch die Finſternis ſchwand und
die Morgenröthe erfchten, gab er, nicht willens ſich länger \chlaflos
1) Etwa bei Poggibonfi, wo er mehrere Tage lagerte, lenkte der Kaifer von der
Hauptitraße, die über Siena Radicofano Acquapendente und Orvieto nad Rom führt,
öftlih ab und gelangte in das Thal der Arbia, eines Nebenflußes des Ombrone. So
umging er Siena und traf ſüdlich davon wieder auf die römische Straße, an der u. a.
auch Buonconvento liegt.
Tod des Kaiſers ac. 35%
auf dem Lager zu mwälzen, das Zeichen zum Aufbrud, erhob fic
und gelangte bi8 nad) Bonconventum, einem Dorfe, welches etwa
zwölf Miglien von Siena entfernt ift. Hier verfchlimmerte fich
die Krankheit: drei Tage lag er frank in der Bartholomäuskirche
und ftarb hier am 24. Auguft, dem Bartholomäustage, in der
neunten Stunde, ein und fünfzig Yahre, einen Monat und zwölf
Tage alt, nachdem er fünf Jahre regiert, ein Jahr einen Monat
und vier und zwanzig Tage Kaiſer gemwejen mar. Als Urſache
feines HintrittS ftellte fich dreierlei heraus: zunächſt ein tödtliches
Geſchwür am Unterfchenfel unterhalb des Knies von der Art,
welche die Aerzte Anthrar !) nennen, ſodann eine Verlegung ber
Blafe in Folge der Harnbeſchwerden, an welchen er beftändig litt;
endlich drittens ein Geſchwür zwiſchen den Nippen, welches er, wie
man erfuhr, nad) dem Tode ausgefpien hat. Wunderbar erichien
den Sterbliden und wurde gleihjam als vom Schickſal verhängt
angejehen die Gleichheit des Ortes und des Tages; noch mehr
aber verwunderte man fich, wenn man daran dachte, daß aud) für
Conradinus von Staufen der Bartholomäustag verhängnisooll ge=
worden war, der an diefem Tage in Italien von König Karl be
fiegt wurde ?), worauf er jpäter den Tod erlitt. Gar jehr zu
meiden ift den Chriften, der hochheiligen Mutter, der Kirche, Anz
ftoß zu geben; fie hat durch apoftolifhen Sprud den Vorgänger
Heinrichs, Friedrich, geftürzt, dem diefer Spruch wie ein Blitzſtrahl
mit feinem ganzen Geſchlecht unwiederbringlichen Untergang brachte;
und auch diefer Heinrich, der unter dem Banner des fegensreichen
Friedens von der Hand der Kirche gehalten nad) Italien kam, er=
reichte, vom Glück begünftigt, was er erftrebte, als er aber die
Segel drehte und das Steuer wandte, da zerjchellte die unter dem
Unglüdöftern jegelnde Flotte. Denn, wenn auch jelbft nur in
Gedanken ein Uebertreter des apoftoliichen Verbotes, welches ihm
unterjagte das Neid) König Roberts zu überziehen (während doch
1) griechiſcher Ausdruck für das Yateinifche carbunculus. — 2) in der Schladht bei
Skurkola, am 23. (wohl nicht 24.) Auguſt 1268. Konradins Hinrichtung erfolgte am
29. Dftober deffelben Jahres.
1313
Aug. 24
1311
358 Sechzehntes Buch. Tod des Kaifers x.
fein Sinn ihn dazu antrieb und er nur verhindert wurde feinen
Borfat zur That werden zu lafjen), hatte er doch bereit8 den ihm
ergebenen Friedrich den Herrſcher Siciliend vorausgefandt, um
Cathona, eine calabrifche Inſel, einzunehmen und ihm dadurch den
Zugang zu dem Reiche zu eröffnen. So aber wurde diejer ver—
derbliche Kampf, der dem ganzen Erdkreis zum Aergernis gereicht
haben würde, als er ſchon eröffnet war, allein durch das Straf-
urtheil des allumfafjenden Gottes abgewandt. — Die deutjchen
Genoſſen des Kaiferd hoben den Leichnam auf, fetten ihn auf eine
Sänfte und gaben vor, er ſei frank, nicht aber tobt. Da aber
die Leiche einen unerträglichen Geruch verbreitete, jo übergaben fie
diefelbe nächtlicher Weile in Paganicum, einem Eleinen Orte im
Gebiet von Siena, den Flammen; die Meberrefte aber legten fie
einbalfamirt in einen Schlaud und führten fie auf dem Küften-
wege eilenden Marjches nach ihrem Piſa, mo die Gebeine unter
tiefer Traver der Seinen neben dem Altar der Hauptfirche bei=
geſetzt wurden.
Il,
Aus des Gulielmus Cortufins
Grzählung von den Ereigniffen in Padua
und der Lombardei.
Erſtes Bud.
11. Friedliche Entwidlung und Blüthe des pa-
duaniſchen Gemeinweſens. Wie allzugroße Kürze der Dar-
ftellung Vieles im Unflaren laßt, fo ruft Weitſchweifigkeit und
großer Wortſchwall bei den Lejern Langeweile hervor. Deshalb
will ih) in meiner Darftellung die Mitte einhalten. Zunächſt magſt
du zum befjeren Verſtändnis der Ereigniffe, die ſich vor meinen
Augen in ver Mark von Treviſo vollzogen, und damit du ven
Niedergang deutlich erfennft, erfahren, daß Padua als einziges freies
Gemeinweſen in der ganzen Mark die Oberhand hatte. Fürfien
und Könige zogen Die Paduaner allen übrigen vor; Tuscien und
Lombardien erbaten fih aus Padua ihre Rektoren. Der Herr—
Ihaft von Padua waren PVicenza mit jeinem ganzen Gebiete,
Rhodigium) mit feinem Bezirk, Lendenaria und Abbatia 2) unter-
ftelt. Padua war voll von Waffen und Roſſen und unermefilichen
Keichthümern, mit Thürmen befeftigt und durch Prachtbauten aus-
gezeichnet. Don allen Seiten famen die Berbannten nad) Padua
ald einem rettenden Zufluchtsort. Ferner glänzte Padua durd)
Gelehrte, Doktoren in jeder freien Kunft?) und Mönche. Endlich
find aud viele Heilige in Padua begraben, auf deren Fürbitie
1) = Rovigo. — 2) Badia an der Etijh, Lendinaria ſüdöſtlich davon. — 3) die
Univerfität zu Padua ward 1222 gegründet.
1310
Juli
1311
Ja
362 Erſtes Buch.
Gott Padua lange Zeit, nämlich funfzig Jahre und länger, vom
Tode des Herezinus!) an gerechnet, im Frieden beließ. Während
diefer Epoche des Friedens blühte der Paduaner Yovatus, der als
Krieger wie ald Staatsmann alle feine Zeitgenoffen überragte.
12.1310 Juli. Antınft Katjer Heinzrae.
Während Padua fich dergeftalt im Frieden befand, erſchien dajelbft
der Biſchof von Conftanz und verfündete, daß Heinrich, Graf von
Luremburg, erwählter Kaifer, im Einverftändnis mit dem heiligen
Bater fih rüfte, Italien zu betreten, um in Rom die fatferliche
Krone zu empfangen. Während aber diefe Nachricht alle anderen
Städte der Lombardei in die größte Beftürzung verjegte, blieb
Padua allein völig ruhig, in der Zuverfiht, daß feine Macht-
ftellung durch fein Misgeſchick erihüttert werben könne. Uebrigens
nahm man den ermähnten Gejandten ehrenvoll auf. Diefe An-
fündigung erfolgte im Monat Juli des Jahres 1310.
Als nun Kaiſer Heinrih in Afte erſchien, empfingen ihn
mehrere Edle der Lombardei, da fie mußten, daß jeine Ankunft
ven Wünfchen des Papftes Clemens entſpreche, mit allen Ehren,
nämlich Herr Guido de la Turre, welcher Mailand beherrichte,
Herr Philipponus, der Herricher in Pavia, Herr Antonius und
Bafjaninus von Fıfiraga 2), die Herren von Lodt, und andere edle
und mächtige Männer. Herr Maphäus Vicecomes, welcher nebft
jeinen Söhnen von den Turrianen aus Mailand vertrieben worden
war, z0g mit dem Kaifer zugleich in Mailand ein, und auf feinen
Kath gab der Kaiſer am meiften unter allen Lombarden, denn
Maphäus war ein erfahrener, kluger Mann. Während der Kaifer
in Mailand vermeilte, ſchickte er nad) allen Seiten hin Briefe, in
welchen er verfündete, daß er in Modoecia von den Legaten des
Papfte8 die eiferne Krone empfangen werde, Dieſes Schreiben
wurde in Padua am 1. Sanuar 1311 (al8 Herr Albertus de
Caſtello Podefta war) vorgelegt; die Krönung aber ſollte ſchon am
Epiphaniastage ftattfinden. Ihr wohnten ehrenhalber als Abge-
1) 2. i. Ezzelino IV. von Romano + 1259. — 2) Im Tert fälfchlich de Susiraga.
Ankunft Kaifer Heinrichs. 363
ordnete Padua's folgende Männer bei: die Ritter Henricus Sero—
vegnus, Rolandus de Guarnarinis, Johannes de VBigontia und Petrus
de Murfis, der Richter Johannes Henricus de Capite-Vaccae, der
Doctor Legum Baricus de Lengua de Dacca und der Dichter
Muſatus ). — Kurze Zeit nachher warf ver Kailer die oben
genannten lombardiſchen Edlen in den Kerfer, vertrieb Herrn Guido
und feste Herrn Maphäus Vicecomes zu Mailand als feinen
Statthalter ein.
13. 1311 April 15. DBerluft Picenza’8 und
andere Ereigniffe. Der Kaifer hatte die Abficht die Stadt
Padua im Genufje ihrer Freiheiten zu belaffen und ihr für jechzig
taufend Gulden Bicenza zu unterftellen. Aber die Paduaner woll-
ten hierauf nicht eingehen, da fie den Kaiſer für ohnmächtig hielten.
Bon nun an fann der Kaifer darauf, den Paduanern Bicenza zu
entziehen, Tieß fich insgeheim mit den Bicentinern in Verhandlungen
ein und ſandte den Biſchof von Genf nad) Verona, wo fi) derſelbe
mit Herın Canis de la Scala ind Einvernehmen Jette. Beide
zogen dann vor Bicenza und gewannen die Stadt mit Hilfe Ver—
rath8 der Einwohner. Die Paduaner aber, welche dort ald Be—
ſatzung lagen, wurden nach Verona gebracht und eingeferfert. Sie
verdienten alle den Tod, weil durch ihre Feigheit Vicenza verloren
gegangen war. Damals verliegen Herr Morandus de Treſſano
und Bonmaffarus a Collo Vicenza; ebenſo der Richter Henricus
de Ravaſino, ein kluger Greis, welcher beftändig den Paduanern
abrieth Vicenza mit Krieg !zu überziehen, damit dieſes ſich nicht
den Beronefen in die Arme werfe; zugleich jchilverte er ihnen, wie
die Zwietracht in Vicenza immer mehr zunehmen und ficherlid Dazu
führen werde, daß fie ihr Ziel, die Wiederberitellung ihrer Herr=
Ihaft über Vicenza, ohne Schwierigkeit erreichen würden. Anderer—
jeit8 führten die Vicentiner zu ihrer Rechtfertigung an, fie hätten
die Unbilden der Paduaner, namentlich) derer aus dem Geſchlecht
Dente, de8 Demitrius de Comitibus, des Martinus Canis und
1) ». i. Albertino Muffato.
1312
564 Erſtes Bud).
1311 der übrigen, welche im Vicentiniſchen Befigungen hätten, nicht länger
Apr. 15 ertragen fünnen. — Dies geihah am 15. April 1311, während
zu Bicenza Herr Johannes de Vigontia Podefta war, der, obgleich
er es nur an Energie, nicht aber an gutem Willen hatte fehlen
Yofien, von den Paduanern nebft den Seinen ausgeftoßen ward,
fodaß er an den Bettelftab Fam. — Einige Zeit nachher ftarben
einige der vicentiniſchen DBerräther am Galgen, weil fie darauf
auzgingen Herrn Canis zu verrathen; viele wurden vertrieben und
begaben fih nach Padua, wo man fie aufnahm.
14. 1311 IJunti20. Padua unterwirft jih dem
Reih und empört ſich. Durch Vicenza's Anſchluß an das
Keich in Furcht verſetzt, ſandten die Paduaner auf die Borftellungen
des Biſchofs von Genf, der ſich in Vicenza befand, den Dichter
Mufatus und Antonius de Vico-Argeris zum Kaifer. Diejer ver-
ſprach, Padua in feiner Freiheit zu belalien, wenn die Paduaner
drei Männer erwählen würden, aus denen er jelbft einen zum
Podefta ernennen werde, damit diefer dann Padua dem Herfonmen
gemäß regiere. Ferner jolle die Gemeinde ihm ein außerordentliches
Geſchenk von Hundert taufend Gulden machen, wie es auch früher
geichehen war, und endlich ihm jedes Jahr zwanzig taufend zahlen.
Nachdem dies vereinbart worden erſchien der Biſchof von Genf an
Sunizo Stelle des Kaiſers am 20. Juni des gleichen Jahres in Padua. {
Juli Im folgenden Monat trat der Podeſta von Padua, Herr
Rodulphus aus Sanctum Miniatum zurüf und Herr Gerardus
de Mola aus Parma befhwor als kaiſerlicher Statthalter die Ver:
faffung der Stadt. In Verona und Bicenza ernannte der Kaiſer
zu feinen GStatthaltern die Herren Albuinus und Canisgrandis
de la Scala und unterftellte denjelben alles, was fie den Empörern
gegen das Reich an Gütern mit Gewalt abgewinnen könnten.
Herrn Rizardus de Camino fegte er ferner in Treviſo, Herrn
Gibertus de Corrigio in Parına und Herrn Paſſarinus de Bona—
cofis in Mantua ein und zwar gegen Geld. Go erhöhte er die—
jenigen, melde er hätte erniedrigen ſollen. — Als nun der Kaiſer
fi) in Genua befand, verließen die paduaniichen Abgeordneten ins—
Tod des Gulielmus Novellus ıc. 365
geheim feinen Hof. In Padua angefommen, berichteten fie im
Senat unter anderm: der Kaiſer habe in Vicenza als Statthalter
Herrn Ganis de la Scala, den Todfeind der Paduaner, beitellt.
Die Macht des Kaiſers aber ſei gering und erwede feine Beſorg—
niffe. Schon flüftere man ſich bei Hofe zu, Herr Canis habe
aud) das PVicariat über Padua erhalten. Unter diefen Umftänden
war es nicht rathſam, beim Neiche zu bleiben; der Nichter Ro:
landus de Plazola ſprach ſich denn aud in diefem Sinne aus,
und obwohl der Richter Johannes de Vigontia und der Dichter
Mufatus aus Beſorgnis vor der Macht des Kaiſers dringend ab-
riethen, fo ging Roland's Antrag durd. Noch in derjelben Raths—
jitung legte Gerardus de Dzola das Bifariat nieder und empfing
anftatt deifen dem Katfer zum Trotz die Würde des Porefta. In
der Folge wurde diefer Mann auf feinem eigenen Schlofje von
feinen Anverwandten ermordet. — Die erwähnte Rathsſitzung fand
im Februar 1312 ftatt.
15. 1312. Tod des GulielmusNovellus, Ver—
bannungen und Anderes. Antonius de Carmagnano tödtete
mit einigen Meuchelmördern Herrn Gulielmus Novelus de Palta-
neriis aus Mons-Silicis im Saale des Gerichtöpalaftes von Padua.
Trotzdem fonnte er ungehindert die Stadt verlaffen. So groß war
die Macht der Vornehmen. Der Zwed diefer Blutthat war, Die
faiferliche Partei in Schreden zu ſetzen. Doch blieb der Frevel
nicht ungerächt, denn zur Vergeltung wurden Herr Antonius, Cla—
vellus de Buglis und deffen Cohn von Aycardinus de Capite—
Vaccae getödtet.
Auf die Runde vom Tode des Gulielmus ritt Nenaldus de
Scrovegnis nad Vicenza und bot fih und feine Burg Trabade
Herrn Canis an. Diefer aber wies ihn aus Beſorgnis vor Der
Macht der Paduaner ab, worauf Renaldus ſich letzteren ſtellte
und von ihnen nad Caput- Iftriae in die Verbannung gefchiet
wurde.
In der Folge traten einige reiche und mächtige Bürger, als
die Macaruffi, die a Ponte, de Polafrixana, de Altechinis, de
1312
Ibr.
1312
März
Apr.
Apr.
366 Erftes Bud).
Maliciis, de Terradura, de Villa-Comitis, der Dichter Mufatus
und einige andere, welche die Etadt weniger nad) den Geboten der
Gerechtigkeit als nad ihren Parteiintereſſen lenkten, zufammen und
verbannten Marcus de Forzate, Gaboardus den Bruder des Re—
naldu8 Scerovegnus, Traverſus de Delesmaninis und nad und
nad) noch viele andere, unter dem Vorgeben, fie träfen dieſe Maß—
regeln gegen die Freunde des Herrn Canis und feien darauf be—
dacht die Stadt vor jener Herrichaft zu bewahren. In der That
aber vermehrten fie durch ıhre üblen Maßnahmen nur die Macht
ihres Gegner®.
Im März deffelben Jahres, 1312, zogen die Paduaner aus
und verbrannten Montagnana und Cologna mit der ganzen Um:
gegend. Im April rüdten fie gegen Bicenza aus, fanden aber
die Brüde von Quartefolum unzugänglicd gemacht, weshalb Mar—
tinus Canis an der Spige einiger Bürger und Söldner den Fluß
durchmatete. Es fam zur Schladht, in der die Vicentiner unter
großen Berluften an Gefangenen und Todten gejchlagen wurden.
Hierauf erſchien Herr Canis in Bicenza und ließ alle, die er in
diefer Sache ſchuldig befand, Hinrichten, andere einferfern. Manche
flüchteten auch nad) Padua. Jener Auszug der Paduaner nämlich
hatte im Einverftändnid mit einigen Vicentinern ftattgefunden. —
In demfelben Monat griffen die Paduaner ven Flecken Maroftica
an und gewannen denfelben durch Die ausgezeichnete Tapferkeit derer
von Bartanım!). Der Flecken wurde nebft dem umliegenden
vicentinifchen Gebiet verbrannt. Hierdurch wurden die Paduaner
übermüthig und achteten Herrn Canis für nidts.
16. 1312. Gejpräd der Öreije mit den Jüng—
Lingen; prophetiſche Blide in die Zukunft. MS zu
Padua einft einige Nachbarn verfammelt waren, fagte ein jüngerer
Mann: „Das Gebiet von Bicenza, welches ſchon dem Teuer über:
geben ijt, wird Padua vettungslos unterliegen. Schon verläßt fich
Herr Canis mehr auf feine Veften al8 auf den Waffengang, und
1) Baffano.
Geſpräch der Greife mit den Jünglingen x. 367
wagt fich nicht mehr öffentlich blicken zu laſſen; jo groß ift unfere
Mannhaftigkeit. Im kurzem werden wir Vicenza wieder gewonnen
haben. Und wer zweifelt, daß dann aud Verona und Rombar-
dien!) unferen Geboten gehorchen werden? Darum forget, ihr
Greife, die ihr ein langes und erfahrungsreiches Leben hinter euch
habt, daß wir gen PVicenza ziehen und daß feiner heimzufehren
wage, ehe es befiegt iſt. Denn euch ift e8 befannt, daß, gleichwie
man erhittes Eiſen beſſer bearbeiten fann als kaltes, jo auch der
Menſch nad) friſch empfangener Beleidigung um fo befjer ſich zu
rächen weiß!“
Hierauf entgegnete der erfte Greis: „Ich wünſchte, die Pa-
duaner hätten, nachdem fie ehemals Bicenza ficd unterworfen, dafür
gejorgt und dazu geholfen, daß die Vicentiner bei ihren Freiheiten
verblieben wären; denn dann hätten wir jett Frieden und nimmer
wäre der Gebieter von Berona vom Kaifer in Bicenza eingejett
worden, was zu gänzlicher Auflöfung der Mark Trevifo führen
fann. Denn aus einem fleinen Funfen entfteht oft eine gewaltige
Flamme.“
Ein zweiter Greis aber ſagte: „Es iſt nicht rathſam, Anderen
das zu thun, was man ſelbſt von Anderen nicht dulden möchte.
Deshalb freut euch nicht, daß jetzt Verona und Vicenza durch
Sengen und Brennen Schaden erleiden; denn leicht mag es euch
nächſtens ebenſo ergehen. Möchte es vielmehr Frieden werden, nach
dem ſich ſchließlich jeder Menſch ſehnt, denn ohne den Frieden kann
nichts gedeihen!“
Hierauf äußerte ſich ein dritter Greis folgendermaßen: „Ich
babe noch die Zeiten des Hegerinus?) de Romano geſehen, welcher
ſich die Kriegszeiten zu Nutze machte, um erft Mons-Silicis, dann
auch Padua zu nehmen, welches er faft gänzlich zu Grunde rich—
tete, wo er Adel und Volk durch Hunger und Durft, durch Feuer
und Schwert umkommen oder in dumpfen Kerfern verfaulen ließ
und unjchuldige Knaben entmannte! Wer zittert nicht bei dem
1) hier fo viel als die Mark von Trevifo. — 2) d. i. Ezzelino.
1312
1312
Apr.
368 Erftes Bud).
Gedanken, daß ein Krieg ung abermals einen derartigen Herricher
bringen könnte? Großmächtig fteht der Kaifer in der Lombardei
da und ift Herrn Canis und deſſen Partei gewogen. Deshalb,
ihr Jünglinge, welche ihr in Friedengzeiten groß geworden und
der Kriegskunſt unfundig jeid, bemüht euch, den Frieden wieder-
herzuftellen. Denn leicht fönnte im Kriege euer jugendlicher Feuer:
eifer ung zu runde richten!“
Als fie Died vernommen, lachten die Yünglinge der reife
und ſprachen: „Kindiſch find fie, da fie fein Verlangen haben, fich
an Padua's Feinden zu rächen. Deshalb wollen wir lieber bei
den Jüngeren Rath juchen, die danach brennen Bicenza wiederzu—
gewinnen und mit Ehren zu leben.”
Bon diefer Zeit an war jeder, der es mwagte in Padua von
Frieden zu reden, feines Lebens nicht mehr ficher.
17. 1312. Tod des Herrn Rizardus de Camino.
AL der edle Mann Herr. Rizardu8 de Camino, ver faijerliche
Statthalter in Treviſo, einft, wie e8 bei adligen Herrn Sitte ift,
zum Zeitvertreib beim Schach jaß, nahte fih ihm ein Bauer, zog
unverjehens unter jeinem grauen Kittel ein Beil hervor und fpal-
tete dem Edelmann das Haupt. Die Umftehenden rifjen ven
Thäter jogleih graufam in Stüde. Dem Tode nahe, rief ver
Edelmann: „Wo ift der, welcher mich jo tückiſch verwundet hat?“
„Er it todt*, antwortete man ihm. „Kann man nicht vermuthen“,
fragte der Wunde weiter, „mer ihn zum Morde angeftiftet hat?“
Einer jeiner Ritter entgegnete: „Kein Geheimnis bleibt unaufges
klärt! Schon raunt man fi zu, die That jet auf Anftıften einiger
Edlen von Trevifo gejchehen, die euch vor Anderen nahe ftanden!”
Da wandte fid) der Edelmann zu Gott und rief: „Ganz Trevifo,
fürdte ih, wird für die Schandthat Einzelner büßen müſſen“,
neigte da8 Haupt und gab feinen Geift auf. Auf allgemeinen
Wunſch warb nad feinem Tode fein Bruder Guezilus Herr in
Treviſo. Solches geſchah im April des Jahres 1312.
18. 1312. Einnahme von Mota, Kämpfe bei
Duartefolum und Anderes. — Stattlich zu ſchauen, zog
Einnahme von Mota x. 369
Herr Canis mit den Mantuanern, Beronefen, Bicentinern und
Anderen nach Cervarefiumt), belagerte und erftürmte die Burg
Mota und fchidte Herrn Demitrius, den Befiter der Burg, als
Gefangenen nach) Vicenza, wo derjelbe im Kerfer ftarb. Auf diefe
Kunde eilte Herr Guezilus de Camino ohne Säumen nad) Padıra
und bot ſich zum Bundesgenofien an. Herr Canis aber ging,
nachdem ev Mota und Alles, mas dazu gehörte, verbrannt hatte,
nad) PVicenza. Später zerjtörten die Paduaner noch die letzten
Reſte der Burg. — Dies geſchah im Mai vefjelben Jahres.
Am eriten Juni nahmen die Baduaner, mit Herrn Frances-
chinus, dem Markgrafen von Ejte, und Herrin Guezilus von Ca—
mino vereint, bei Quarteſolum Stellung. Als von hier aus ein
Ritter aus der Umgebung des Podefta mit einigen Berittenen und
Fußtruppen auszog, um die Feinde zu ſchädigen und die Befefti-
gungen von Longare angriff, Iprengte plöglic Herr Canis von
Bicenza aus herbei, ließ die Brüde, welche dazu eingerichtet war
in die Höhe gezogen zu werden, nieder und ftürzte fi auf die
Feinde, die er ſogleich in die Flucht warf. In dieſem Scharmüsßel
fiel jener Ritter au der Begleitung des Podefta Namens Trondus
de Eapite Baccae; Bartholomäus a Palatio aus Berona gerieth
1312
Mai
Junil
in Gefangenſchaft und ſtarb im Kerker, während Johannes de Kau=
dalonga, welcher auch gefangen wurde, von Canis ohne Löſegeld
in Freiheit gejegt ward, weil der Vater des Johannes ihm einft
einen Dienft erwieſen hatte. Don den Fußfampfern ertranfen un—
zählige im Fluſſe, während fie ſich über die Brüde von Sacoli?)
zu vetten verjuchten. Plötzlich aber traten die Paduaner, die mit
dem Hauptheer den fliehenden Ihrigen zu Hilfe famen, den Feinden
entgegen und zwangen diefelben zu jchimpflichem Nüdzug. Hierbei
fiel Pancetta de Schinellis, ein paduanischer Nebel. Die Paduaner
nahmen darauf am Fluſſe bei Longare Stellung, in der Abficht
hinüberzugehen, was ihnen aber nicht gelang, weil Herr Canis
1) Cervarefe Santa Eroce am Bachiglione auf der Grenze zwiſchen dem Paduanifchen
und Bicentinifchen Gebiet. — 2) wohl Secula am linken Ufer. de3 Bacdhiglione Longare
gegenüber.
Geſchichtſchreiber. Lfg. 67. Leben Heinrichs VII. 24
1312
Juni
Aug.
Sept.
370 Erſtes Buch.
mit feinen Truppen am anderen Ufer ſtand. Deshalb zogen fie
nach Padua zurüd, nachdem fie noch den Gipfel von Mons Galdae
befeftigt hatten. — Died geſchah im Yun.
Nach diefer Heimkehr wurden viele reihe Bürger, unter der
Beihuldigung Anhänger Herrn Canis zu fein, in die Verbannung
geſchickt. Ihre Neichthümer trugen einige gemifjenlofe Bürger un—
gerechter Weile davon. — Hierauf begaben ſich die Paduaner aufs
neue unvermerft nad) Longare, ſchlugen jehnell eine hölzerne Brüde,
überfchritten den Fluß und nahmen in Longare Stellung. Beim
Flufübergang traten ihnen einige vicentiniſche Berittene entgegen,
welche von ihnen ſchmählich zurüdgemorfen, zum Theil auch getödtet
oder gefangen wurden. Hierauf verbrannten die Paduaner alle
Dörfer der Beregat) bis Lontcum ?).
In dem gleichen Jahre und Monat eroberten die Paduaner
Pojana und belagerten die Burg, melde fich, ohne Hoffnung auf
Erſatz, ergab, nachdem der Beſatzung Sicherheit des Lebens zuge-
ftanden worden war. Doch fam ihr dies nicht zu gute und auch
die Burg ward verbrannt. Das geihah im Auguft 1312, als
Herr Jacobus de Rubeis aus Florenz Podeſtà war.
Im näcften Monat ritten die Paduaner gegen Billa-Verla
aus und verbrannten Alles bi8 an die Thore von Vicenza. End»
lich kam Herr Canis aus diefer Stadt heraus, ging aber nicht
weit vor. Herr Guecilus de Camino hätte ihn gern angegriffen;
nad dem Kath der Savit aber gab er megen der Nähe von Vi—
cenza fein Vorhaben auf. Um Herrn Guecilus de Camino eine
ehrenvolle Aufmerkſamkeit zu ermeijen, übertrugen ihm die Padua—
ner die Befugnis ihren Podefta zu wählen. Seine Wahl fiel auf
Herrn Bornius de Samaritanid, einen ehrenwerthen Bürger aus
Bologna.
Im Monat December des nämlichen Jahres ergriffen die
Edlen von Terbirium 3), nämlich Graf Rambaldus t), Guido Ad—
vofatus, Alterinus de Azzonibus, Petrus de la Parte, Tolbertus
1) d. i. der Monti Berici. — 2) Lonigo in den fildweftlichen Ausläufern des Ge—
birges. — 3) d. i. Treviſo. — 4) von Eollalto.
Einnahme von Mota x. 371
de Scalzonibus und Andere die Waffen unter dem Ruf: „Fort 1312
mit Herrn Guecilus de Camino, auf daß unfere Sadt ein freies
Gemeinwejen bleibe.” Die Paduaner braden zwar, in dem
Wunſche dem Bedrohten beizuftehen, nach Treville auf, doch hatten
fie feinen Erfolg, denn jener war bereits vertrieben.
19. Ueberlieferung von Lucium an Herrn Canis
und andere Unternehmungen im Gebirge Noch in
demfelben Yahre und Monat, während Herr Bornius de Sama= Der.
ritanis aus Bologna Podefta war, überlieferte Herr Nicolaus de
Lucio fih und feine Veſte Herren Canis. Died war der Anlaf
zur Verheerung aller Dörfer von Pedevenda. Auch Lucium ſelbſt
ward auf Herrn Canis Befehl zerftört, während Nicolaus fammt
feinem Freunde Antonius de Curterodulo in Padua geächtet, fein
Haus zerftört und fein Vermögen eingezogen ward. Das padua—⸗
niſche Heer aber z0g auf die Kunde vom Abfall von Lucium fofort
nah Eft, ariff das Kriegsvolk des Herrn Canis, melches in den
Bergen ftreifte, an und warf dafjelbe in die Flucht. Einige Ge—
fangene wurden aufgehängt. Da jedoch die Paduaner einfahen,
daß fie Lucium gewaltſam nicht wiedergeminuen fünnten, vitten fie
insgeheim über die Abtei) nach Portum Lignacum?). Als dieſer
Flecken ſich hartnäckig wehrte, verbrannten fie viele prächtige Ort—
Ihaften und fehrten dann beutebeladen nach Eft heim. — Dies 1313
geihah am 2. Februar 1313. hr. 2
In dem gleihen Monat machte die Kegierung von Padua Hr.
einen Anjchlag auf die Vefte Brazolum, welche ihnen der Befiter,
Sulimanus de Rojfis, nicht überliefern wollte, ſodaß fie gezwungen
waren, diejelbe ald Feinde zu belageın. Da Sulimanus die Ueber-
macht der Belagerer erkannte, überlieferte er, nachdem er ſich aus-
bedungen an Perfon und Habe ungefränft zu bleiben, fein Schloß.
Obwohl man ihm dies zugeftanden, wurde er getöbtet, Das
Schloß aber zerftört, jein Vermögen eingezogen, feine Söhne ge-
achtet.
1) Gemeint ift die Abtei PVangadicia, wie Muffato Buch 12 Kap. 1 zeigt. —
2) Legnago.
24*
1313
Juni
Juli
372 Erſtes Buch. Tod des Kaiſers.
Im Juni deſſelben Jahres zogen die Paduaner gegen Archole
aus und gewannen nach einem glücklichen Treffen den Ort. Bei
dem Heere befand ſich der Graf von Sanct Bonifacius, welcher,
von dem Wunſch beſeelt in ſeine Heimath zurückzukehren, die Pa—
duaner lebhaft vorwärts drängte.
Am nächſten Tage ſtand das Heer vor den Thoren von
Verona, verbrannte Montorium!), Bonalbergum?), Illartum ?)
und Suavium 9, Archole, Villanova und viele andere Ortſchaften
und kehrte dann nach Montagnana zurück; von hier aus aber be—
gab man ſich wieder nach Padua aus Beſorgnis vor dem Grafen
von Görz, welcher ſich rüſtete, Herrn Canis gegen Tarviſium zu
Hilfe zu kommen.
20. 1313 Juli. Der Graf von Görz ſchlägt Die
Trevifanen. Weil die bevorftehende Anfunft des Grafen von
Görz als Bundesgenofjen Herrn Canis' allgemein befannt war, jo
zogen die Paduaner nad) Baſſanum, die Trevifanen aber in die
Gegend des Monteganus?), und zwar nad Marum 6). Ihnen
jandten die Paduaner Hundert ihrer trefflichften Ritter zu Hilfe.
Als nun der Graf von Görz fid) ihrer Aufitellung näherte, befahl
er Conrad de Ovenftagno und einem anderen Edelmann Namens
von Guaſame7) mit ihren Fähnlein den Monteganus zu durch—
ſchreiten. Zwar traten denjelben bier die Pabuaner und Treviſanen
mannhaft entgegen, jchlieglich aber gewann das trefflich bewaffnete
Heer des Grafen die Oberhand und marf die Gegner ſämmtlich
in die Flucht, wobei eine große Zahl derjelben den Tod fand
oder in Gefangenschaft gerieth. Viele ertranfen auch im Plavis.
Unter den Erjchlagenen befanden ſich Martinus de Zacchis und
Ugo de Madaruffis. UWebrigens fielen auch einige deutiche Edle
in der Burg von Sanct Salvator in die Gefangenſchaft des Grafen
1) Montorio Beronefe — 2) San Martino buon Albergo. — 3) Illaſi — 4) Soave. —
5) Montigano r. Nebenfluß der Livenza; fo richtig eine von Muratori verglichene Hſ.;
der Tert fäljchlich Montagnana (Tiegt bei Legnago). — 6) Andere Handidrift: Maroni
und Marini; gemeint ift wohl das Oertchen Maron wenig ſüdöſtlich von Conegliano. —
7) Gemeint ift wohl Ulrich von Waldjee, welcher noch nad) Kaifer Heinrihs Tode in
den Wirren der Marf Trevifo neben dem Grafen von Görz eine Rolle fpielte.
Der Graf von Görz jchlägt die Trevifanen. 373
Kambaldus. Herr Canis verftieg fih in Folge des Sieges zu den
fühnften Hoffnungen und ſah Padua jchon zu feinen Füßen Liegen;
aber der Graf von Görz, welcher behauptete, Herr Canis habe
jeinen Deutſchen nicht in jeder Werfe das, was ihnen zufam, ges
leiſtet, zog, da überdies feine Pferde faft fammtlih von einer
Seude, melde PBevane!) heißt, ergriffen wurden, nachdem er in
der Gegend von Treviſo vielen Schaden angerichtet hatte, nad)
Görz heim. Solches gefhah im Juli des Jahres 1313.
21. 1313 am Bartholomäustage, im Auguft:
Tod des Kaijerd. — Als die Paduaner mit einem ftattlichen
Heere bei Monsbellus im Gebiet von Vicenza lagen, trat ein Bote
zu ihnen und meldete: „Der Kaiſer hat Florenz belagert, deſſen
Bewohner fih in ihrem Mauernring verborgen gehalten haben.
Nachdem er aber die Belagerung aufgehoben, ift er von einer
Krankheit befallen worden und bat der Natur feinen Tribut gezollt.
Seine Leiche Liegt in Bonconventum”. Dieſe Nachricht erregte bei
ven Paduanern ungeheuren Jubel und man beging in Padua ein
Freudenfeſt. Der Kaiſer ftarb aber im erwähnten Jahre im
Monat Auguft am Feſttage des heiligen Bartholomäus.
1) So iſt zweifellos zu leſen ftatt pejane und prune, was die von Muratori be=
nutsten Hſſ. bieten. Pedana ift eine Pferdefrankheit, welche zunächit die Füße der Thiere
befält.
1313
Juli
Aug. 24
III.
Aus der Geſchichte des Ferreto von Vicenza.
Aus der Vorrede zum ganzen Werk.
.... Nachdem wir bislang uns Lediglich der Poeſie befleigigt und
in dieſer Kunft, wie e8 unfere Art ift, auch etwas geleiftet, haben
wir jegt diejelbe verlafien, weil fie wegen der Silbenmefjung und
des Rhythmus die ſchwierigſte von allen ıft, und und nad) kurzer
Pauſe zu derjenigen Kunft gewandt, welche nad) Aller Urtheil zu=
oleich ergöglih und leicht ift. Das ift die Hiſtorie, welche nicht
nur den Gefchiehtichreiber, fondern auch den Leer und Hörer wun—
derbar anzieht. Hier kommt es nur darauf an, auf die rühm-
lichen Thaten edler Menſchen hinzuweiſen und diefelben der Wahr-
heit gemäß zur Darftellung zu bringen. So bat 3. B. der pa-
duaniſche Dichter und Geſchichtſchreiber Albertinus Muſſatus, in-
dem er den leichteren Theil unferer Kunft auf fi nahm, Die denk—
würdigen Ereigniffe feiner Zeit, von dem römischen König Hein-
ri) VII an, aufgezeichnet. Vielleicht haben fich mit demfelben
Stoffe auch Andere abgegeben, deren Werfe noch nicht herausge—
geben worden find, weil noch täglich die mannihfachflen Ereigniſſe
ſich wollziehen und es nicht rathſam iſt dem Publikum Dinge,
welche noch in der Entwidlung find, zu jchildern. Albertinus da—
gegen hat, von Ruhmſucht getrieben, fein Werk, nachdem er e8
faum begonnen, wenn auch nicht herausgegeben, jo doch vielen ge-
zeigt. Trotzdem bat er nicht nachgelafjen dieſem feinem Werk feine
Aufmerkſamkeit ganz und ungetheilt zuzuwenden, bis er, etwa
ſechzig ) Jahre alt, zu Clugia?) um Benettanifchen fein Leben
bejhlofien hat. Meiner Anficht nad) war diefer Mann zur Ge:
ſchichtſchreibung ganz bejonders befähigt, zunächft wegen jenes be-
jonnenen, verftändigen Wefens, ſodann auch wegen feiner fleigigen
1) richtiger: fiebenzig. — 2) Chioggia.
378 | Borrede.
Vectüre vieler Schriftwerfe und endlich weil er, der im Rathe
ſeines Gemeinweſens ſaß und daſſelbe heilfam berieth, vieles jah
und erfuhr, was nicht Jeder hätte in Erfahrung bringen fönnen.
Weil er nun aber feine Augen gejchlofjen hat und e8 nicht mehr
als billig ift daß den mannhaften Thaten unferer Tage ein rüh—
mendes Denkmal gejegt werde, jo haben wir beichlofien, ſoweit
uns der heilige ©eift begnadigen und fürdern wird, diefelben aufs
neue zu beleuchten, damit es nicht den Anjchein gewinne, als ob
wir in unfruchtbarer träger Muße und von den Werfen der hehren
Tugend Losgefagt hätten. _ Denn wozu nügt das Talent, wenn es
nicht öfter zur Bethätiqung fommt? Es ſchwindet dahin, während
es nie fi) abnugt, wenn wir thätig find. Wir werden aber, damit
unſer Geſchichtswerk um jo zuverläffiger werte, nicht nur den Vers
(auf der Dinge ſelbſt der Wahrheit gemäß ſchildern, ſondern auch
die Zeitumftände und die örtlichen Verhältniſſe nicht außer Acht
laſſen. Vor allem aber jol Misgunft und Abneigung uns fern
bleiben und ebenjowenig jollen Gunft oder Furcht und bewegen die
Wahrheit zu fälihen. Denn wer herrlihe Thaten in ihrem Ver—
lauf zu ſchildern unternimmt, dem fteht e8 nicht an die Pfade der
Wahrheit zu verlaſſen; die Geſchichte verabſcheut Erdihtung und
feige Abſchwächung ver TIhatjachen und verlangt untadlige Treue.
Berleihe uns daher Muth, o Göttin der Weisheit, vericheuche Die
Nebel der Unmifjenheit und erleuchte unferen Geiſt mit dem Strahl
veines Glanzes. Und du, trefflichiter der DVicentiner, deſſen Mah—
nung und angetvieben hat dies Werf zu unternegmen !), an deſſen
emfige Ausarbeitung wir viel Schweiß und Nachtwachen verwendet
zu haben vermeinen, laß in berebten verftändigen Worten verlauten,
was du von den Zeiten Friedrichs ded Zweiten an vernommen
und der MUeberlieferung werth erachtet haft. Denn, wenn dem
Schriftfteller Lob gebührt, jo wird dir und mir gemeinfam dieſes
Werk unermefjlichen Ruhm einbringen.
1) Wer gemeint ift läßt ſich nicht erfennen.
Ta u —
Viertes Bud).
1. Borrede, — Wahl König Heinrichs; ſeine Reichs—
verwaltung und ſein Eintritt in Italien.
Haben wir bisher ſolche der Erwähnung werthe, rühmliche
wie unrühmliche Ereigniſſe aufgezeichnet, welche ſich theils in frühe—
ren Zeiten, ehe wir noch das Licht der Welt erblickt, theils auch
nach unſerer Geburt in unſeren Knabenjahren zugetragen haben,
ſo wollen wir von jetzt an dasjenige, was in unſeren reiferen Jah—
ren dem Geſetze des Schickſals gemäß unter den Italiern ſich er—
eignet hat, fleißig und gewiſſenhaft zur Darſtellung bringen. Und
damit dieſen unſeren Aufzeichnungen als wahrhaften ein um ſo
größeres Maß von Glauben entgegengebracht werde, ſo geſtehen
wir hier, daß wir nichts Erdichtetes niedergeſchrieben noch auch zu
Gunſten irgend Jemandes oder in dem Beſtreben Wohlgefallen bei
den Leſern zu erwecken die Wahrheit gefälſcht haben. Denn die
Geſchichte darf nicht verſchleiert werden. Das kommt vielmehr dem
Dichter zu, welcher um Beifall zu finden Wahrheit und Dichtung
vermiſchen muß; der Geſchichtſchreiber großartiger Begebenheiten
dagegen muß der reinen Wahrheit nachgehen und ſich weder durch
Liebe noch durch Haß ablenken laſſen, um nicht das Zutrauen der
Leſer thöricht zu verſcherzen. Weshalb freilich der Geſchichtſchreiber
zuweilen die Wahrheit fälſcht, iſt mir nicht unbekannt 1); denn bei
1) Das ‚nit‘ glaube ich des Sinnes halber einſchieben zu müſſen.
1308
1308
350 Viertes Bud.
unferen Fürften gilt tugendhafte Weisheit nicht viel: anftatt den
eg der Tugend zu wandeln und fi) Ruhmeskränze um das
Haupt zu flehten, gehen fie nur ihren Lüften nah, haſſen und
unterdrüden die Gerechten, hegen und pflegen dagegen Die Gott:
loſen. Würden auch gelehrte Studien belohnt werden, jo wäre die
Zahl der Schriftfteller größer; aber heutzutage trachtet man nur
nad) den Ehren melche der Reichthum befcheert. Daher treten wir
mannhaft an das Werf heran, welches wir in unferem Inneren
bereits geplant haben, und nehmen einzig die Wahrheit der That-
jahen zur Richtſchnur, ohne ung von Leivenichaften irre machen
zu laſſen. Allerdings iſt in unferem Lande die Zahl derer nicht
flein, welche dazu gejchritten find dieſe Laft auf fih zu nehmen,
aber durch ihre praftifche Thätigkeit allzufehr in Anſpruch genom-
men haben fie den dornenvollen Weg verlaffen und ſich Lieber da—
vauf gelegt, in ängftlicher Haft Schäte zu erwerben und zu be-
wahren, Aber wahrhaftig, wahnwitzig ift der Ehrgeiz, welcher es
verſchmäht Durch ein tugendhaftes Streben unauslöſchlichen Ruhm
zu erwerben. Freilich rühmt jedermann die Rechtlichfeit und felbft
der Unredliche jchlägt die Gerechtigkeit nicht gering an, aber nur
der Früchte wegen, welche auf ihrem Boden reifen: die Hungernden
ſoll fie fpeifen, die Dürftenden tränfen, die Nadten befleiven. So
fann weile Mäßigung keine Wurzeln ſchlagen und verſchwindet bald
wieder. Wer Dagegen aus innerem Triebe ſich dem Studium zu:
wendet und von ihnen nichts außer Ruhm erwartet, der findet feine
Luft in dem Werk felbft; fein Lohn ift das Lob, melches dieſes
erwirbt, und die aus löblichem Streben erwachſene Hoffnung, einen
gefeierten Namen zu erwerben. Wie anders der Auf, welcher Durch
Zrug und Verbrechen erworben die Welt durhftrömt zur immer
neuen Schande des Verbrechers, deſſen Namen er mit der Erinne
rung an bfutige Thaten verknüpft. Sollte aber unfer Mühen,
welches das allerftärkite ift, weil Körper und Geift gleihmäßig in
Mitleidenſchaft gezogen werden, überhaupt Keinen Lohn in ſich tra=
gen, dann könnte man nicht umhin die gefammte Werfftatt geiftiger
Arbeit gänzlich zu ſchließen. Doch foll man den, der in einem
Vorrede. — Wahl König Heinrichs ac. 381
folhen Werke nicht weit vorzujchreiten vermag, nicht tadeln: «8
genügt auch nur verfucht zu haben die Bürde eines jolden Ger
wichtes zu fchleppen. — Sp wollen wir denn, wenn Gott uns auf
unferem Wege geleitet, jetzt Jo jchnell wir vermögen rückblickend be=
richten, wer von den Fürften nach Albrechts Ermordung zum Cä—
far erwählt kraftvoll Stalten betreten und was derſelbe zuerft in
Lombardien und ſodann voll Sehnjucht nach dem Site der Kaiſer—
hoheit in Kom und auf dem Rückwege ausgerichtet hat und welcher
Ausgang ihm beichteden geweſen tft. —
Nach der Ermordung Albrechts treten diejenigen Yürften Ger:
mantens, denen die Befugnis übertragen ift einen König zu wählen,
zu dieſem Zwede zufammen. Indem fie ſich nun, angetrieben von
den übrigen Fürften und in dem eifrigen Beftreben einen gerechten
und waderen Fürften zu erheben, welcher es fich angelegen jein
ließe das Scepter des Reiches freudig und fräftig zu handhaben,
mit der peinlichften Sorgfalt diefer jo überaus ſchwierigen Ange
legenheit unterziehen, findet endlich, nachdem fie mehrfach zur Bes
rathung zufammengefommen und, um ja nichts zu verfäumen, eine
große Reihe deutſcher Fürften im Geifte an ſich haben vorüber—
ziehen Lafjen, Graf Heinrid) von Tügelburg allgemeine gern ertheilte
Zuftimmung. Freilich bemühten fi ſowohl Friedrich, der Sohn
König Albrechts, als auch der Baiernherzog Audolf den königlichen
Titel zu gewinnen; als e8 aber zur Entſcheidung fam, erfannten
die Wähler falt einftimmig Heinrich die Krone zu, auf daß feiner
von jenen beiden den anderen beneide. Und wenngleich beiden an
Macht nicht gewachſen, nahm Heinrich es mit venjelben an Kraft
des Körpers und des Geiftes auf. Einem nicht ruhmlofen Ges
ichlechte entiprofjen, ftand Heinrich) vor Allen im Rufe eines kriegs—
tüchtigen und zugleich Elugen, wol berathenen Mannes. In früher
Jugend vermählte ihm ver Herzog von Brabant feine Tochter
Margaretha; derſelbe trug auch nicht wenig dazu bei, daß Heinrid)
zum Gipfel der Katferhoheit emporftieg ). Wir können uns hier
1) Dies foll fih wohl auf die vermeintliche Theilnahme des Brabanter8 an der
NRomfahrt beziehen ; vgl. unten.
1308
1308
— 1309
WE
-
22 = Biertes Bud).
jedoch durz faſſen, weil dieſe Verhältniſſe von Albertinus Muſſatus,
dem Dichter und Geſchichtſchreiber Padua's, eingehend beſchrieben
worden find. Dieſer nämlich ging als Geſandter ſeiner Vaterſtadt
an den Hof des römiſchen Königs und konnte deshalb die Vorge—
ſchichte deſſelben, welche uns unbekannt iſt, bis ins einzelne erfahren
und auf Grund ſeiner Erkundigungen dann wahrheitsgemäß nieder—
ſchreiben. Seine Arbeit nämlich beginnt bei der Herkunft des
Königs mit ven Worten: „Lützelburg iſt eine Stadt an der Grenz—
ſcheide zmifchen den Franken und Germanen” etc.), wie mir
wenigftens gehört haben, denn vor die Augen gefommen ift und der
Anfang feines Werkes nicht 2). — Zunächſt begab ſich nun der neu
erwählte Cäſar der Sitte gemäß nad) Aachen, um als erjten den
Schmud der filbernen Krone?) entgegen zu nehmen; als dieje feit-
liche Handlung, der fich der erlauchte Herrſcher nicht entziehen darf,
vollzogen war, wandte er, von den Fürſten umbdrängt, feine volle
Sorgfalt auf die Heilung aller Schäden in der Regierung und
Verwaltung des Reiches. Bei diefer Gelegenheit ergeht wider den
oben erwähnten Johannes #) ein VBerdammungsurtheil, welches ihn
als des Verbrechens der beleidigten Majeftät ſchuldig aus feinem
Baterlande verbannt und feiner ganzen Habe beraubt. Daß der
König aber diefe Habe, wie ferne Abficht mar, zum Staatseigen-
thum ſchlage, Titten Friedrich und Lipold die beiden älteften Söhne
Albrechts nicht, indem fie das für ungeſetzlich erklärten, da Parri-
cida von Rechtswegen feinen Anſpruch auf Theile des Beſitzes
ſeines Großvaters und feines Oheims 5) gehabt habe. Da e3 den
Brüdern auch nicht an Fürſprechern fehlte, jo wurde die wichtige
Angelegenheit einftweilen unerledigt gelafjen und meiterer unpartet=
iſcher Erwägung anheimgeftellt. Hierauf Liegen die Yürften die
1) ©. o. Alb. Muff. Buch I Kap. 1 (Statt dividens des Muſſ. hat Ferreto diri-
mens). — 2) Ueber dieſe Stelle vgl. die Einleitung. — 3) Bezeihnung der römischen
Königstrone im Gegenſatz zu der „goldenen“ Kaiferfrone. Webrigens ift „filbern” bildlich
zu nehmen, denn auch die Königskrone war golden. — 4) d. i. Johannes Parricida, der
Mörder König Albrehts I, von dem am Ende des dritten Buches die Rede war, —
5) d. i. der Könige Rudolf und Albrecht; welchen Theil der habsburgifchen Erblande
Johann beanspruchte, ift nicht mit Sicherheit auszumachen.
Borrede. — Wahl Königs Heinrichs ꝛc. 383
Ueberrefte Adolf, welcher fern von den Grabmälern der erlauchten 1309
Cäſaren an dem Orte, wo ihn fein Geſchick ereilt hattet), ſchmuck—
[08 beftattet war, zum kaiſerlichen Tempel von St. Dionys ?)
bringen. Ste jelbft nahmen den filbernen Sarg, der feine Gebeine
barg, nachdem eine Todtenfeier ftattgefunden hatte, auf ihre
Schultern und trugen ihn bis zum Sarkophag, woſelbſt fie ihn der
Erde übergaben. Alsbald bitten Lipold und feine Brüder, voll
Eiferſucht, inftändig daß gleiche Ehre den Keften ihres Vaters zu
Theil werde, der doc ebenfalls Cäſar geweſen und als römischer
König geftorben ſei. Der neu erwählte König aber jchlug es ihnen
anfangs ab, daß AlbertS Leiche in die Gruft der felgen Herricher
gebracht werde, weil er ungerechter Weife mit den Waffen feinen
Herrn überwunden habe; jchließlich ließ er fich, während er dabei
blieb, Albert die unverdiente Ehre einer erneuten Beifegung zu ver—
lagen, wenigftend erbitten, die Kinder Albrechts zu alleinigen Erben
des großväterlichen und väterlichen Nachlaſſes einzujegen, womit er
ihnen das größte Geſchenk, welches die königliche Freigiebigfeit zu
verleihen hat, gefpendet zu haben glaubte. Dennoch Liegen Die
Sünglinge nicht ab ihn mit Bitten zu beftürmen, bi8 er ſich über-
reden ließ und erlaubte daß die faulende ſchon der Verweſung an:
heimgefallene Leiche Albrechts in die Kaiſergruft geichafft werde;
doch ließ er derſelben nicht gleiche Ehre wie derjenigen Adolfs
widerfahren: denn fein anderes Metall als Blei durfte ven Leichnam
einjchliegen; auch hob er den Sarg nicht auf die eigene Schulter
und ließ ſich nur herbei der Todtenfeter jeine Gegenwart zu ſchenken.
Inzwiſchen entbietet der König alle Großen bis zum Rhodanus
im fränfiichen Lande ſowie in Germanen felbft zu fih, faßt im
Einvernehmen mit dem verjammelten Senat der Fürften?) feine
Beihlüffe und erwägt die Nothdurft des Reichs in emfiger Sorg-
1) Adolf fiel am 2. Zuli 1298 in der Schlacht am Hafenbühl bei Gölfheim (zwiſchen
Worms und Kaiferslautern); er ward in der dem Schlachtfeld benachbarten Abtei Rofen=
thal beigejegt. — 2) Gemeint ift der Dom zu Speyer, melden Ferretus hier mit der
Begräbnisftätte der franzöfiihen Könige in der Abtei Saint Denis bei Paris zu ver.
wechſeln ſcheint. — 3) patres conscripti, eigentlih der techniſche Ausdruck für den rö—
miſchen Senat des Alterthums.
1310
384 Viertes Bud).
falt. Zunächſt beſchloß man, in geheimem Schreiben dem Inhaber
des apoftoliichen Sitzes Clemens, welcher damald zu Avignon ve
fivierte, „die Königswahl anzuzeigen, und zu erfunden mie weit er
Willens ſei vdiefelbe zu genehmigen. Zuvor aber mar bereits
König Philipp von Frankreich unterrichtet worden, und biejer, bei
dem Heinrich in feinen Sünglingsjahren in hoher Gunft gejtanven
hatte, ftimmte auch den apoftoltiichen Stnhl günftig für denjelden.
Sodann ernennen die Fürften Geſandte, welche fih nah Italien
begeben jollen, um den Völfern Die Ankunft des Cäſars, welcher
dem Unfrieven in der Lombardei ein Ende zu machen und dann
zum Site der Kaiſerhoheit zu eilen Willens jet, zu melden und
zu Gehorfam und geziemenden Dienjtleiftungen gegen ihn aufzu—
fordern. Acht Männer, namlih die Biſchöfe von Conftanz und
Bajel und durch treffliche Begabung und edle Abfunft hervorragende
Kehtsgelehrte und Kitter, wurden für diese Gejandtichaft aus—
erlefen, empfingen ihre Weifungen in öffentlichen Urkunden, be=
gaben ſich ungeſäumt und ohne Aufenthalt zunächft in die Lombardei
und bejuchten von dort aus die Städte Liguriend und der Aemilia
und die Site, melche von den Berggipfeln Galliend an die Ebene
zwilchen dem Apenninus und den illyriichen Golf bededen, um
überall zu melden, der Cäfar nahe, und in öffentlihen Exlafjen
Ale zu ehrerbietigem Empfang ihres Herrn aufzufordern. Ge—
waltige8 Staunen ergriff ganz Lombardien, melches ſeit Friedrichs
Zeiten von feinem Kaiſer gehört noch einem folchen gehorcht hatte.
Insbeſondere aber regte ſich bei den Gewaltherrſcherrn, deren
tyranniſches Walten ganz Italien verlette und yeinigte, Die Sorge.
Denn damald gebot der gewaltthätige Guido de la Zurre über
Mailand, welches bereits etwa act Jahre lang (jeit dem Tall
des Maphäus) feine grimme drückende Tyrannei ertrug, Die neuer-
dings auch Pergamum fi) unterworfen hatte. In ähnlicher Weife
berrfchte über Bercelli und Novara Simeon de Colubiano, über
Piacenza Albertus Scottus, über Pavia Philipponus, über Como
Martinus Lavetarius, über Barma Guibertus de Corrigia, über
Mantua Raynaldus Pafjarinıs, über Verona Albuinus Canıs, in
r se ——
Wahl König Heinrichs ꝛc. 385
Bicenza hatten die Paduaner die Herrihaft; über Tarviſium
waltete al8 milder Herricher Rizzardus de Camino; in Brixia
übernahm Maphäus de Mazii nad) dem Tode feines Bruders
des ruhmvollen Biſchofs Beraldus!) die Herrihaft; in Cremona
ftand zeitweilig die Gewalt beim Volfe, doch war der Einfluß, den
die Bornehmen als Privatleute ausübten, jehr beveutend. Die
Häupter des Adels waren Jacobus und Gulielmus aus ver
Tamilie Cavalcabos. Lodi und Crema hatte Antonius de Firxiratico
inne; in Modena und Reggio behauptete fich, freilich in fteter
Furcht bald vor Guibertus bald vor Bologna, die Adelspartei,
während von allen Städten der Aemilia eine einzige, Bologna fic
eines freien demokratischen Gemeinweſens erfreute. Doc, auch Benedig
und Padua am illyrifchen Geſtade, wo, wie die Sage berichtet,
nad) der Zerftörung von Troja Antenor zuerft Niederlaſſungen ge=
gründet bat?), blühten in ungeftörtem Frieden auf. Ferrara und
die Romandiola hielt die Macht des Herzogs von Apulien in ber
Abhängigkeit vom apoftoliihen Stuhle feft. Florenz dagegen, der
Wollfabrikation eifrig befliffen, hatte, nicht Willend den Uebermuth
der Bornehmen zu dulden, viele derjelben vertrieben und das Volt
zum Regenten eingejeßt ?). Die Lucchefen und Pifaner Tiefen dem
Adel die herrſchende Gewalt. Wo das Bolf herrichte, da pflegten
Die Mächtigen verbannt und vertrieben zu werden; mo aber
tyrannifcher Wahnfinn den Staat Ienfte, da wurden die guten
Patrioten verjagt und jedermann lebte in beftändiger Angft und
Sorge, am meiften die Gewaltherricher jelbft, deren Stellung überaus
gefahrvoll war, indem fie beftändig gewärtig fein mußten plötzlich
zu fallen und fi in der eigenen Schlinge der bei ihnen fo jehr
beliebten Liſten zu fangen.
Ganz beſonders aber fürdhtete der bereits erwähnte Guido,
als welcher das mächtigfte diefer Häupter war, die Ankunft des
Könige. Er wendet fid) daher angfterfült an Philippo Albertus
1) Diefer ftarb 1308, ihm folgte Friederich, ein Angehöriger deſſelben Geſchlechtes. —
2) Bal. Livius I, 1. — 3) Durch den Aufftand vom Jahre 1307, dem Corfo Donati zum
Opfer fiel.
Geſchichtſchreiber. Lfg. 67. Leben Heinrichs VII. 25
1310
1310
386 Biertes Bud).
Simon und Antonius, mit denen er, weil fie gleich ihm eine
gottlofe Tyrannis ausübten, befreundet war, und wünfcht
ihren Rath zu hören, was bei diefer gefahrdrohenden Conftella-
tion zu thun ſei. Jene, die in erfter Linie für fich ſelbſt, ſodann
auch für den Genoſſen bejorgt find, jchlagen ihm nach reiflicher
Meberlegung eine Zujammenfunft vor. Doc waren fie nicht frei
von geheimer Misgunft gegen Guido; fie empfanden ed ınit Un—
willen, daß er eine einflußreichere Stellung einnahm, und hätten
jeinen Sturz nicht ungern gejehen. Diefe Miegunft ift der Fluch,
welcher die Gottlofen zu Grunde richtet, der verhängniswolle Fluch,
der die Böſen beunruhigt und peinigt. So kommen denn die fünf
Fürften bet Lodi zufammen und verabreden jchlieklich, nachdem fie
reiflich) überlegt wie man im Angefiht der drohenden Gefahr feine
Mafregeln am beten nähme, fich bei den anderen Häuptern der
unteren Lombardei umzuhören; würden dieſe bereit jein ſich der
Ankunft des römischen Königs zu widerjegen, jo wollte man fie
auffordern Hülfstruppen zu rüften; weigerten fie ſich deſſen, ſo
jollten fie gewarnt werden fich wohl zu überlegen daß aud ihr
Intereffe in Trage fommen könne. Jene nun überlegen fich die
Sache eine furze Zeit, äußern fid dann aber nichts weniger als
energiih. ALS die erwähnten fünf Führer fid) jomit der Ausficht
auf Bundesgenofien in dem Kampfe um die Aufrechterhaltung ihrer
verbrecheriichen Gemaltherrichaft beraubt ſehen, wächſt ihre Be—
ſorgnis; doch entſchließen fie fich, für fich allein zweckdienliche Maß—
regeln zu ihrer Behauptung zu treffen. Antonius nun ſchlug vor,
man jolle jogleih den Einmarſch des Kaiſers hindern, und fich
ihm mit gefammter Macht widerfegen. Ihm ftimmten Guido und
Simon bei. Philippo dagegen meinte, man folle dur Beftehung
ih die Gunft des deutſchen Herrichers erfaufen. Albertus jedoch
erklärte fi) mit feinem dieſer Vorſchläge einverftanden: mit Lift
müffe man es verjuchen, meinte er, nicht aber mit Gewalt oder
Geld, denn voll Unterwürfigfeit und Freude fehe man überall dem
Herrn entgegen und das Volk Liebe feinen Tyrannen und wünſche
deſſen Beſtes. Er wußte nämlich jehr wohl, daß die zügellofe
A a A De U a LTE
Wahl König Heinrichs ꝛc. 387
Leidenschaft der erregten Volksmaſſen den Cäſar jehnlichit herbei
wünſche, und fürdhtete daher von der wanfelmüthigen Bevölferung
im Stich gelafjen zu werden. Auch jah er ein, daß weder Ge—
ichenfe noch Verträge den Anmarjc des Königs verzögern würden.
Deshalb ging fein Rath dahın, man jolle letzteren einftweilen heran
kommen lafjen und freundlid) aufnehmen, um ihn Dann entweder
durch Lift aus dem Wege zu räumen oder mit Gewalt zurüdzus
werfen. Nachdem man diefen Borichlag gehörig erwogen, ftimmten
Ale zu, gelobten Berfchwiegenheit und verftridten ſich unter einander
dur ein feſtes Bündnis; dann fehrten fie eilend8 heim. — In—
zwiſchen brach die Königliche Geſandtſchaft aus Germanien und
Gallien auf und betrat den Boden ver Lombardei, um überall
den Völkern das Gebot ihres Herrn zu verfünden und denjenigen,
welche ſich ihm ergeben zeigen würden, große Beriprehungen zu
machen, feinen Gegnern aber mit Furcht und Schreden zu drohen,
ſodaß in ganz Italien das niedere Bolt, welches im Wechjel der
Dinge immer gern bereit ift ſich neuen Führern hinzugeben, bereits
feine Freude und Sehnſucht nad) dem anrüdenden König offen
fundthat, während die tyranniichen Bedrücker des Volks von ihren
Thronen zu ftürzen aufs äufßerfte beforgten. Auch meine Vater-
ftadt, welche damals fett langer Zeit her ven Paduanern unter-
worfen war, betraten die hochgeborenen Gefandten; id) jelbft, der
id) damald noch im Snabenalter jtand, war zugegen, als fie erft
im Senat und dann auch vor dem Volke auseinanderjegten was
fie hergeführt habe. Ihre Botichaft rief beim Volfe, welches ſtets
Veränderungen gerne fieht, laute Freude hervor; alle Bejorgnis
Ihwand und in froher Erwartung ſah man der Ankunft de ge-
rechten Herrichers entgegen. In diefem Sinne jchicdte man auch
ven Paduanern eine Botſchaft. Als nun in Folge der unzwei—
deutigen Erklärungen der Gefandten des römiſchen Königs der Auf
von demfelben durch ganz Italien erſcholl, erjchreden zwar alle
Gewaltherrn und überlegen jorgenvoll was fie thun ſollen, ganz
bejonder8 aber gerathen die lombardiſchen Führer, die von dem
Einmarsch des Königs zunächſt betroffen wurden, in Verwirrung.
25*
1310
1310
388 Viertes Buch.
Als jedoch Guido der Turriane aufs neue den Verſuch machte
ſich zur Abwehr der drohenden Gefahr mit den übrigen in eine
engere Verbindung einzulaſſen, wollte Philipponus nichts davon
wiſſen, ſondern erklärte, er werde den gütigen König freudig will
kommen heißen. Eine ähnliche Erklärung geben Simon und
Albertus ab. Antonius hoffte ſogar für ſich das Beſte von Guido's
Beſorgnis; denn wenn ſchon dieſe beiden Männer einander eine
wohlwollende Geſinnung heuchelten, ſo waren ſie doch im Herzen
wenig freundſchaftlich geſinnt, vielmehr wünſchte jeder aus geheimer
Misgunſt, wie es bei den Mächtigen der Fall zu ſein pflegt, das
Verderben des anderen. Guido aber beklagt ſich voll Bitterkeit
über den Wankelmuth der Genoſſen, und je machtvoller ſein be—
drohter Thron ſich erhoben hatte, deſto größer war die Beſorgnis
die ihn quälte. Er fordert dann Cremona zur Hülfe auf; weil
er jedoch den Wankelmuth der Bevölkerung fürchtet, ſo fragt er
wegen einer näheren Verbindung bei Maphäus dem Beherrſcher
von Brescia an. Auch wendet er ſich in gleicher Weiſe an
Albuinus Paſſarinus und Guibertus, ſeine Gegner, die denn
auch ſeinen Plänen durchaus nicht hold waren und jede Gemein—
ſchaft mit ihm ablehnten. Durch dieſe vergeblichen Schritte in
ſeinem Geiſte nicht wenig beunruhigt, gab Guido ſich ſelbſt auf
und ſah ſeinen Troſt nur in der Hoffnung daß nach dem ſeinen
auch die Throne jener zuſammenſtürzen würden. Er entſchließt ſich
daher den König freundlich aufzunehmen, in der Erwartung daß
ſeine Macht ihm den erſten Platz unter den Lombarden an deſſen
Hofe anweiſen werde. Auch alle übrigen ſchmeicheln ſich mit der
Hoffnung die Gunſt des Herrſchers zu erlangen, und jeder richtet
ſein Augenmerk darauf ſeine eigene Stellung zu befeſtigen, ſeinen
Nächſten aber zu Fall zu bringen. Ach wie groß iſt die Treu—
loſigkeit bei den Tyrannen, wie unermeßlich der wahnwitzige Ehr—
geiz der Großen! Da giebt es keine Treue, keine Stetigkeit, kein
uneigennütziges Wohlwollen; da ſucht ein jeder die übrigen zu
überragen und zu beherrſchen und wendet niemandem ſeine Liebe
und Zuneigung zu, wie es ſich geziemt, ſondern ſinnt nur auf Mord
Wahl König Heinrichs ꝛc. 389
und Raub. Aber ihr Mühen hat kein Ende, nie feftigt fich ihre
‚Stellung und ſchließlich wirft das göttliche Strafgericht fie zu Boden.
Während dergeftalt ganz Lombardien in Erregung und Be-
ſorgnis verfetst war, beichleunigt der Cäfar feinen Weg und be-
fiehlt allen Fürften Germaniens ficy mit Roſſen und Waffen bei
ihm einzufinden um ihren erlauchten König zu geleiten..... .)).
Als endlich die Schaaren der Begleiter verfammelt und gerüftet
waren, verließ der Herricher, vol Eifer feinen Plan zu verwirf-
lichen und bereit den Wünjchen der Fürften und derjenigen Italier,
welche aus Furcht vor den Gewaltheren die Heimath mieden und
zu ihm geflüchtet waren, nachzukommen, an den Iden des November
im Jahre nad) der Geburt des Herrn dreizehnhundertundzehn die
Stadt Zaufanne ?), überfchritt zuerft die galliichen Bergzüge, palfiert
Sanfia ?) und nimmt ungefäumt feinen Weg nach dem fogenannten
Imbriſchen See *) an ven Ausläufern der liguriſchen Berge. Hier
verweilte er ſechs Tage um die Schaaren jeiner Begleiter abzu-
warten und übergab die Herrichaft dem Saneſen Nicolaus, welcher
Ihon vor langer Zeit von feinen Feinden aus der Vaterſtadt ver—
jagt war umd fi) zum Cäſar begeben hatte, als königlichem Statt-
halter. Auch waren hier Geſandte der Pifaner erſchienen, melche
ihrem Herrn unter großer Prachtentfaltung ihre Aufwartung machten.
Bon hier brach der König zum äußerften Winkel der Lombardei,
dicht am der galliſchen Grenze, von wo aus einft die Senonen und
die Cimbern muthentbrannt Nom heimgefucht hatten, auf und
gelangte, nachdem er Afte Hinter fich gelaffen, bald nad Zurin.
Weil diefer Ort, dem Gebiete des Schwähers nahe und auch von
Ligurien nur wenig entfernt, ihm jehr bequem lag, jo vermeilte
er daſelbſt lange Zeit). Hier war es, mo zahlreihe Schaaren
1) Unfer Autor ſchiebt hier einen weitläufigen Bericht über die Erwerbung Böhmens
durch Johann, Heinrichs Sohn, ein, doch ift diefer Bericht fo entftellt daß eine Wieder
gabe deſſelben an diefer Stelle figlich unterbleiben fan. — 2) vielmehr am 11. oder
12. October. — 3) wol Santia gemeint, etwa 30 Miglien nordöftlih von Turin, 10
Miglien öftlih von der Dora Baltea. — 4) Damit ift wohl ein Heiner, 2 Migl. breiter
1 Migl. langer See etwa in der Mitte zwifchen Ivrea und Santia gemeint. — 5) Unfer
Autor ift über diefen Marjch des Königs jchleht unterrichtet. Er nimmt offenbar an,
1310
1310
390 Biertes Bud).
italiſcher Edlen an jeinem Hoflager zufammenftrömten und ven
König, der voll Zuverficht, aber noch unentichteven war was er
zunächft unternehmen jolle, mit ſüßen Worten ermuthigten und
hilfeſuchend verlangten, er ſolle ungejcheut nach Italien vorrüden
und die Städte, die unter tyranniſchem Joche ſchmachteten, mit
einander der Freiheit zurückgeben. Ganz beſonders großen Eindrud
machte Maphäus Vicecomed von Mailand, ein Mann von großer
Kührigfeit, welcher, vor acht Jahren durch die Webermadt der
Turrianen bewältigt, either grollend im Exil gelebt hatte, auf den
König. Berner erjchten Philipponus von Pavia mit glänzender
Keiterichaar und erwied ſich dem Herrjcher ergeben, in der Er—
wartung zum Xohne dafür die Unabhängigkeit zu erlangen. Auch
ein genuefilcher Verbannter Obizzonus de Spinuli8 erſchien, von der
Hoffnung auf Rückkehr in die Heimath getrieben, mit jo vielen
Begleitern wie er aufbringen fonnte. Nicht minder ftrömten aus
Tuscien und der Aemilia in gleicher Erwartung.gar manche herbei,
deren Namengewirr mir unbekannt geblieben ift, jodaß ich fie hier
nicht nennen fann.
Hier möchte es am Plate fein, die Großen im Gefolge des
Königs aufzuzählen, ſoweit hervorragender Ruhm ihre Namen
ziert. Sehr nahe ftand dem Herrfcher Graf Amadeus von
Savoyen, weil er ein maderer und adliger Herr war und die
Schweſter der Gattin des Königs heimgeführt hatte; in noch höherer
Gunſt ftanden die beiden Brüder des letzteren Erzbiſchof Balduin
von Trier und der tapfere Ritter Gualeran. Berner war da
Theobald de Barei Biſchof von Lüttich, ebenfalls ein naher Ver—
wandter des Königs. Dieje alle hingen ihrem Herrn mit warmer
Hingebung an; aus freien Stücken hatten fie ſich ihm angejchloffen
Heinrich fei ber den Paß des großen Bernhard (ftatt des Mont Cenis) gefommen und
demgemäß im Thale der Dora Baltea (ftatt der Dora Ripera) abwärts gezogen. Was
dem angeblichen Aufenthalt des Königg am See Imbria (apud lacum quem vulgo
Imbriam vocant) zu Grunde liegt, ift nicht zu ſagen; Nicold de’ Buonfignori ward
zuerft in Afti als Statthalter eingefet (Val. Mb. Muff. Buch 1 Kap. 9. Wenn
ferner Ferreto die Deutichen erſt nad) Afti, dann nad) Turin fommen Yäßt, jo beruht das
möglicherweife auf einer falfchen Lesart, indem ftatt Aste relicto Taurinum invadit zu
Yefen wäre relicto Taurino.
——— | s
Wahl König Heinrichs 391
und harrten in allen Wechjelfällen des Gejchie8 bei ihn aus. Die 1310
übrigen dagegen hatten theils um ihrer Unterthanenpflicht zu ge—
nügen theil8 um Solo gedungen dem ſchwierigen Unternehmen ſich
zugeſellt. Zu dieſen gehörten die fogenannten Delfine von Bienne
Guido und Hugo, melde vierhundert Berittene geworben hatten;
Philipp von Savoyen der Fürft von Lacedämon erichten mit
Hundert Neifigen, Herzog Rodulf von Brabant!) mit dreihundert,
Graf Guido don Namur mit hundert, ver Eriegerifche verwegene
Herzog Lipold von Defterreih führte fünfhundert Ritter herbei,
zum Danke dafür, daß der König ihm und feinen Brüdern durd)
die Achtung ihres Betterd Johann feine Huld bewieſen hatte;
Sohannes Fredus Graf von Ligna ?) hatte hundert Keifige unter
fih, während der Flandrer Heinrih um hohen Sold jenfeit des
Rheines eine jo große Anzahl al8 er vermochte zufammengebracht
hatte; zum Lohn ernannte ihn der König zum Heeresmarſchall ?).
Auch mande Hohe Geiftliche, als die Biſchöfe von Genf, Conftanz
und Bafel, der Abt von Guiſenborch 9) u. ſ. w. hatten fid) von
beträchtlichen Heerichaaren geleitet eingeftelt. Deren Zahl fann
ich nicht angeben; im Ganzen aber ſchätzte man die Mannen, über
die der Kaiſer, als alles verfammelt war, verfügte, auf fünf
tauſend. |
[Folgt ein Bericht über des Königs Mari durch Vercelli und Novara
auf Mailand und Guido’S della Torre Unterwerfung].
Inzwilden hatten fich bereits die übrigen Großen der Lom—
bardei unterwürfig beim König eingeftellt oder fich gerüftet vor ihm
zu erjcheinen, in Folge eines Gebotes, welches der Herrſcher von
Novara aus erließ, daß nämlich Abgeordnete feiner Getreuen am
5. Januar in Mailand zufammentreffen follten, um der Annahme —
der eiſernen Krone durch den König beizuwohnen. Selbſt Antonius,
der Herr von Lodi, dem Guido ähnlich an Starrſinn, hatte nicht
geſäumt, ſich wie dieſer zu unterwerfen. Albertus Scotus legte
1) Ob hier eine Verwechslung mit dem Pfalzgrafen Herzog Rudolf von Bahern
vorliegt? Freilich erſchien diefer erft fpäter in Stalien. — 2) Johann Friedrich Graf
von Ligny. — 3) princeps militiae. — 4) d. i. Weißenburg.
1310
392 Biertes Bud).
dem Herrſcher mitteld einer Gejandtichaft Piacenza zu Füßen; er
jelbft hatte der Kürze der Zeit wegen feine Vorbereitungen zu
einem glänzenden Empfang des römischen Königs noch nicht vollenden
fönnen. Auch Guibertus de Corrigia ſchickt feine Boten um die
Unterwerfung von Parma zu überbringen. Das gleiche thun
Pafjarinus und Mbumus. Das Haupt von Brescia dagegen
Maphäus ericheint in Perſon, da er vernommen, daß fein Tod-
feind Thebaldus de Bruratis das Bertrauen des Herrſchers in fo
hohem Grade gewonnen, daß diefer jenen ſich durch das Band ver
Gevatterihaft noch näher zu verbinden geruht habe. Nicht minder
jtellen die Häupter der Bergomasken Fridericus Cojonus und
Albertus Spardus ihre VBaterftadt dem Cäſar zur Verfügung; das
gleiche geſchah mit Como durd den Bilchof !), den Bruder des
Beherrſchers diefer Stadt, der ſchon nach Deutichland feine Boten
gefandt hatte. Modena unterwirft Franciscus de la Mirandola,
welcher fi”) mit glühendem Eifer dem Reiche anſchloß; Guido
Savina Reggiv. Erſt neuerdingd hatte die Mannhaftigfeit der
Bürger diefer beiden Städte das Joch des grimmen Azz0 2) mit
Gewalt abgefhüttelt ?). An letzter Stelle erfcheinen beim Cäſar die
Abgeoroneten der Stadt Cremona, deren zahlreihe Bevölferung
durch Parteiungen gejpalten und in Erregung verjeßt war, wie
denn in der Folge die Cremoneſen als erfte von allen das Banner
der Empörung erhoben. Damals jedoch fandten auch fie, mehr
aus Furcht als aus günftiger Gefinnung gegen den König, ihre
Gefandten unter denen der beim Volke beliebte Supramond Amatus,
ein verftändiger durch treffliche Eigenjchaften ausgezeichneter Mann,
hervorragte, nach Mailand, um für ihre Vaterftadt Treue zu ge—
(oben. Die übrigen Städte jedoch, melde Venetien benachbart
waren, harrten unter der ftarken Herrihaft Paduas während fo
großartiger Bewegungen unentwegt des ihnen beftimmten Geſchicks,
während die Faejulaner *) und Aemilier, deren mächtigjte Städte
1) Leo Lambertengo, feit 1293 Biſchof von Como, hatte 1302 al3 Haupt der Vitani
die Gegenpartei der Rusconi aus der Stadt getrieben. — 2) Markgraf Azzo von Efte. —
3) Im Jahre 1306. — 4) Faefulä (j. Fiefole) alte etrusfiihe Stadt; hier Faefulaner im
Wahl König Heinrichs ꝛc. 393
Bologna und Florenz find, fi) auf feine Weile herbeiliegen dem
Cäſar ihre Ehrfurcht zu bezeigen, jondern ſich bereits insgeheim
wider ihn verſchworen und zum Aufftande rüfteten. — Andererfeit3
ftrömen die VBerbannten, welche ob der parteilichen Umtriebe ihrer
Nebenbuhler das holde Vaterland hatten verlaffen müfjen, hoffnungs-
froh bei dem König zufammen, dem neben vielen Anderen Brancaleo
ve Andalejo, Paganus de Panico, Thadäus de Ubertis, Lappus
Yarinata und Simon Philippi, lauter Männer von altem Adel,
unabläjfig im Ohre lagen. Aber der Herriher, welcher Den ver-
dammungswürdigen Parteiungen fein Wohlmollen entgegenbrachte,
benahm fich gegen fie und die übrigen, welche durd ein Löbliches
zurücdhaltendere® Benehmen und achtunggebietendes Weſen ihren
Adel offen befundeten, unparteiiih und gerecht. Meberhaupt fand
fih, wie man allgemein behauptet, unter den damaligen Großen
der Deutjchen feiner, der an Gerechtigfeitsliebe, Güte und Bejonnen-
beit tem König gleichfam. Hätte diefer nicht die italiſche Treu—
lofigfeit und Hinterlift erproben und kennen lernen müfjen, jo wäre
er wol der Mann dazu gewejen das finkende Anjehen des Reichs
zu heben und den Bürgern, welche unter dem Joche der Tyrannen
Ichmachteten, die jegensreiche Freiheit zurüdzugeben. Aber feine
Leichtgläubigkeit, feine Güte und Freigiebigfeit ftürzten ihn faft mit
jehenden Augen in die Schlingen, die jene ihm gelegt. — Als nun
die oben erwähnten Städte und deren Oberhäupter fi ihm unter=
worfen hatten, feste er nach Jorgjamer Erwägung hervorragende
Männer ein, die an der Stelle der königlichen Majeftät die ein-
zelnen Drte regieren ſollten. Gleichzeitig wandte er fein Augenmerk
darauf, daß am allen Drten die frühere freiheitliche Verfaſſung
wiederhergeftellt würde und daß die Männer, welche der Gegenfat
der Parteien gemaltfam vom heimischen Heerde verftoßen, ihres
Exils erledigt die Heimath wieder beträten. — Nach Mantua ging
demgemäß Lappus Farinata, einer der ausgezeichneteften unter den
weiteren Sinne, wohl fir die Bewohner von Toskana iiberhaupt gebraudt; in der Folge
bezeichnet Ferreto auch wohl geradezu die Florentiner als Taefulaner (vgl. die Ein-
leitung).
1310
1310
394 Biertes Bud).
verbannten Faeſulanern als königlicher Statthalter, nach Verona
Johannes Zeno von Piſa, nach Brescia Albertus de Rovigliono,
nach Cremona Johannes de Caſtilione aus Lucca; mit dieſen
Männern zugleich betraten viele Verbannte heimberufen den Boden
ver Vaterſtadt, z. B. von den Mantuanern Saracinus und Ber—
tonus die Söhne des Banglinus aus der Familie Bonacolſi, Graf
Corteſia de Caſalealto, Veneticus de Gafaris, alles wackere Leute,
dazu viele andere, Popolanen und Plebejer. Andere freilich blieben
aus Furcht vor ihren Todfeinden einſtweilen noch beim König
um abzuwarten bis dieſer einen Vergleich treffen und den noch
mächtig emporlodernden Parteihaß löſchen würde; ſo wagte Graf
Vinciguerra von Verona ein Mann von bedeutenden Eigenſchaften,
der ſchon ſeit langer Zeit das Vaterland aus Furcht vor der vor—
nehmen Sippe der Della Scala mied, melche ſich ſchon viele Jahre
hindurch im Befiß der Stadt behaupteten, nicht dorthin zurück—
zufehren. Auch Manfredus de Beccaria aus Pavia und Gultelmus
de Rubeis aus Parma hielten e8 für ficherer mit der Rückkehr zu
warten. Ebenſo harrte Thebaldus de Bruxadis, der erft kürzlich
aus Brescia vertrieben war, jedoch im Vertrauen auf.jeine zahl
reihen ‚Anhänger die befte Zuverſicht hegte, hoffnungsfroh auf
weitere Verfügungen des Königs, der denn auch, in dem Beftreben
einem jeden fein Recht widerfahren zu Laffen, darauf befand daß
Thebald zurüdgeführt würde, wiewol Maphäus, der die Tücke dieſes
Mannes aus Erfahrung kannte, dringend vor feiner Wiederherftellung
warnte. Nicht minder fehrten auch der Markgraf Palavicinus
und Die übrigen, welde die Vergehen ihres Geſchlechtsgenoſſen
Bojonus de Dovaria!) mit der Berbannung hatten büßen müſſen,
wenngleich wider Willen der Adelöpartei, nach Cremona zurüd,
ebenfo die verbannten Mantuaner, deren Rückkehr fih Paſſarinus
vergeblich widerſetzte.
1) Buofo da Dovera, cremonefifher Parteihäuptling, welcher bis 1267 mit dem
Markgrafen Palavicini zufammen die Stadt gelenkt und dann deſſen Sturz herbeigeführt
hatte. Der bier genannte P. ift übrigens ein Nachkomme des inzwiſchen verjtorbenen
alten Markgrafen.
ee een Ku a a ne
Abfall Bicenza’s von Padıra. 395
2. Abfall Vicenza's von Padua.
Inzwifchen begannen die Vicentiner, deren fi, nachdem fie
ſechs und vierzig Jahre hindurch die Herrichaft der Paduaner ge—
duldig ertragen, jett unter dem Eindrud der Hoffnungen, welche
man an die Ankunft des Königs fnüpfte, der Wunſch die Freiheit
wiederzugewinnen bemächtigte, über mancherlei VBerabredungen und
Pläne insgeheim und zaghaft zu verhandeln, ohne doch aus Be—
ſorgnis vor der Macht der Paduaner zahlreicher Zufammenfünfte
und Beiprehungen ungeachtet zu einem feften Beſchluß zu kommen.
Da geihah es daß Sigonfredus Ganzera, der fid) von Cypern aus
im Auftrage feines Königs zum heiligen Stuhl begab, die Häfen
Illyriens erreichte, wo er unſchlüſſig Halt machte, weil er einer=
jeit8 Bedenken trug als Gegner der Paduaner, melde ihn einft
ungerechter Weife aus jeiner Vaterſtadt Vicenza verbannt hatten,
feinen Weg durch deren Gebiet zu nehmen, auf der anderen Seite
aber nur ungern die direfte Straße verlaffen wollte und überdies.
den jehnfüchtigen Wunſch hegte, die holde Vaterſtadt, melde er
jeit faft vier Luftren gemieden, wieder zu betreten. In diefer Ver—
legenheit theilt er feinem Schwiegerſohn Bugamas de Prothis
ichriftlich feine Wünfche und Befürchtungen mit. Diefer antwortet
auf der Stelle, er brauche nichts zu beforgen, und bittet ihn fich
aller Furt zu entihlagen und über PVicenza zu reifen. Er jah
namlid) voraus, daß jener, den ein langer Bart und graues Haar
unfenntlih machte, von den Bürgern, die ihn die lange Zeit feines
Exils hindurch niemals geſehen hatten, nicht erfannt werden würde.
Im Vertrauen auf das Zureden des Schwiegerfohns macht fich
Sigonfredus ohne Säumen nad Padua auf, wo er die heimijche
Zunge verleugnet, fi des Gallifchen bedient und feinen Namen
verjhweigt, während er den Zweck feiner Reiſe mittheilt. Yon
hier aus ſchickt er feinem Schwiegerſohn Botichaft zu und macht
fi jelbft auf den Weg; bei dem Landitädtchen Duartefjoli, drei
Miglien von Vicenza, fommt ihm Bugamas mit zahlreichen Be—
gleiten entgegen, die ihn alle freudig willfommen heißen; mit ihnen
1311
1311
396 Viertes Bud.
nimmt er jeinen Weg durch das Gebiet der Vaterftadt, ohne indeß
dort zu verweilen, und wird von den Bürgern bis an Die Grenze
geleitet. Den langen Weg aber mwürzte man mit bebeutfamen
Geſprächen, indem man ſich über die Befreiung der Stadt und
die Mittel, durch welche man died Ziel erreichen fünne, beipradh,
wozu Sigonfred feine Hilfe bereitwillig in Ausficht ftellte und fich
laut und beftimmt ihnen zujagte, wofern fie jelbft nur es wagen
würden. Ja er verfprah fogar ohne Rückſicht auf den Auftrag,
den ihm fein Herr gegeben, drei Tage und länger in Verona zu
bleiben, bis er ihnen fein Verſprechen erfüllt und durch die That
feinen bingebenden Eifer bewieſen hätte. Eine jo große Sehnſucht
nad der Rückkehr ind Baterland hatte ſich feiner bemächtigt, daß
er bereit war fih allen Gefahren auszufegen. Endlich verab-
fchiedete man fich; jener z0g weiter, die Bürger aber kehrten nad)
Vicenza zurüd, wo fie jofort mit größerem Eifer ihre heimlichen
Umtriebe wieder aufnahmen. Freilich erfüllte fie immer noch ges
waltige Furcht, denn ſeit lange entwöhnt ihre Angelegenheiten tapfer
auszufechten hatten fie ihr Augenmerk nur auf Erwerb und feigen
Raub gerichtet. Als fie nun zagten und nicht wußten wie fie ihr
Vorhaben ind Werk fegen follten, auch fchon viele der Sache aus
dem Wege zu gehen und den Anſchlag aufzugeben wünfchten, erhob
fi) endlich Jacobus Berlatus, ein unerfchrodener Mann, der von
dem Wunjche erlittenes Unrecht zu rächen befeelt die Ausführung
des Planes erfehnte, und ſprach: „Es ift nicht mohlgethan, Freunde
und Mitbürger, eine Sache von jo großer Tragweite, nachdem wir
fie einmal in Angriff genommen, liegen zu laſſen und aus feiger
Furcht die Gelegenheit zur Wiedererlangung der Freiheit, welche
nur der verftändige Dann zu jchäten weiß, zu verfäumen. Und
ſüß und Tieblich ift e8 für das Vaterland zu fterben!)! Glaubt
aber ja nicht, daß ihr in dieſer Angelegenheit noch ſchuldlos dafteht ;
daß ihr einmal euch verſchworen, reicht hin euch des Todes ſchuldig
erſcheinen zu lafjen, ſodaß es euch jett nichts mehr nützt euch zu-
1) Dulce namque et jucundum est pro patria mori, Reminiscenz an Horaz, Oden
III, 2, 13 Dulce et decorum est pro patria mori.
a Eu Fr A a a ——
Abfall Bicenza’s von Padua. 397
rüdzuziehen. Alſo, mohlan! laßt und wie Männer handeln
und fühn ausführen, was wir bei Gott und feinem heiligen Walten
gelobt. Und jeid überzeugt: wofern nur ein einmüthige® Wollen
und Ienft und unverbrüdlihe Treue fonder Trug und Arglift
uns bejeelt, jo werden wir ans Ziel kommen!“ Diefe Worte be:
lebten den Muth und die Entjchloffenheit aller Braven und man
beſchloß unbedenklich die Sache durdzuführen. Eidlich verſprach
man einander unentwegte Treue und jchicte dann ohne Säumen
durch einen zuverläffigen Boten dem in Berona harrenden Gejandten
einen mit geheimen Siegel verjehenen Brief, der die gefaßten Ent-
ſchlüſſe ihm mittheilte. AS Sigonfred vdergeftalt erfahren mas
jeine Mitbürger fännen, eilte er, ohne die Botichaft, die ihm auf-
getragen war, zu berüdjichtigen, zum vömijchen König, welcher da—
mals, nachdem er durch Lift Lodi wieder für ſich gewonnen im
Begriffe ftand zonentbrannt gegen Cremona zu marfchieren. [Hier
wird zuerft der Aufftand und die Einnahme und Beftrafung Cremona’s
berichtet, worauf Ferreto mit den Worten: „Jetzt ift e8 an der Zeit
die unjelige Befreiung unferer Heimath im Zufammenhang dar—
zuftellen” zur Erzählung der vicentinifchen Angelegenheiten zurüctehrt]. ALS
Sigonfred das Fünigliche Hoflager erreicht hat, macht er fich zuerft
mit ſchmeichelnden Worten an den Biſchof Theobald von Lüttich,
den er perjönlic kannte, und berichtet ausführlich was er im Sinne
führe und mit welchem Begehren er fich eingeftellt habe. Der
Biſchof, welcher beim König in hoher Gunft ftand und um alle
geheimen Pläne deſſelben wußte, theilt feinem Herrn die Angelegen-
heit mit und erhält den Beicheid, man folle ſich auf den Vorſchlag
des Geſandten einlafjen. Denn der König wußte daß die Paduaner
wider Die Treue, die fie ihm verfprochen, ihre Unterwerfung in die
Länge zu ziehen beftrebt waren. Er beauftragt alfo den gewandten
Prälaten mit der Ausführung der Angelegenheit; weil diejelbe aber
feinen Aufſchub litt, jo übergiebt der Lütticher, welcher jelbft feinen
Heren nicht verlaffen durfte, dem Biſchof Aymo von Genf
und dem waderen Grato Herrn von Clariatium eine beträchtliche
Abtheilung Bewaffneter mit dem Auftrage, dem Gefandten und
1311
398 Viertes Bud).
1311 Führer der Bicentiner ohne Widerftreben überallhin zu folgen,
wohin er fie führen werde. Unterwegs trifft diefe Schaar auf den
Piſaner Vanni Zeno, welcher eine kurze Zeit Statthalter von Verona
geweſen war und jest an das Hoflager zurüdfehren wollte; man
befiehlt ihm jedocy wieder umzumenden und gelangt dann in wenigen
Tagen nad) Berona, wo man, um den richtigen Zeitpunkt abzu=
warten, drei Tage verweilt und Roſſe und Mannſchaft fi erholen
läßt. Auch werden Albuinus und Canis ind Geheimnid gezogen
und um Hilfe angegangen. Hocherfreut ftellen diefe, die Todfeinde
der Paduaner, ihre Hilfe im ausgevehnteften Maße in Ausficht.
Schon jchiden aud die Vicentiner, welche entjchloffen find die Frei—
heit wiederzugewinnen, ihre Eilboten nad) Verona, welche nur mit
Mühe dorthin gelangen fünnen, weil damals, gerade zur Zeit als
Apr. 11 das ofterliche Freuvenfeft der Auferftehung des Herrn begangen
ward, der Himmel feine Schleußen aufthat und jo gewaltige Regen—
güffe auf Die Erde niederfandte, daß der Sterbliche die Wiederkehr
der Sündfluth fürchtete, da ſämmtliche Flüſſe fich über Die Ufer
ergofien und dermaßen anjchwollen daß das. Flußbett Weg und
Steg, Felder und Wiejen weit und breit verfchlang. Und fein
leere8 Vorzeichen war dies für die Ummohner; denn die göttliche
Majeſtät, die die Zukunft vorausfieht, zeigte damit das Nahen von
Ereigniffen an, welche für Padua und PVicenza, ja für die ganze
treviſaniſche Mark verhängnisvoll wurden. Indeß möchte ich, wenn
es nicht allzu werwegen Flingt, behaupten, daß, falls nicht etwa ein
ungünftiges Geſchick die Sache hintertrieben hätte, die Vicentiner
jest ihren Vorfag nicht würden haben fahren Yafjen, auch wenn
Gott jelbft es ihmen verboten und fie gewarnt hätte. Jene un—
jeligen Bürger laſſen ſich durch nichts abwendig machen, ſondern
holen aus der Marmorſtadt ) die königlichen Schaaren, welche der
eypriſche Geſandte anführt, herbei und verfammeln ſich am Donner=
Ap.ı5 tag Morgen dem 15. April?) bewaffnet mit hoch erhobenen
|
|
}
1) d. i. Verona; der Name „Marmorftadt“ bezieht fich vielleicht auf das zur Zeit
des Diocletian ganz aus weißem Marmor errichtete Amphitheater daſelbſt. — 2) Im
Zerte fteht mane Jovis XVI Kal. Aprilis, d. i. der 17. März. Da jedoch nad) den
Abfall Vicenza's von Padua. 399
Adleın auf dem Markte, laſſen den fiegreichen Cäſar hochleben und
bringen die Stadt in Aufruhr. Der Tumult ruft eilends den
Johannes de VBigonta, welcher von Padua entfandt die Stadt regierte,
herbei; als er aber hört was vorgeht erichridt er aufs heftigite.
Denn die königliche Heerſchaar, welche nächtliher Weile ſich im
Eilmarſch PVicenza genähert hatte, bricht nun durch den unver-
Ichlofjenen Zugang des neuen Thores, durch welches die unfelige
Stadt gen Norden blickt, in gejchlofjenen Maffen zum Marfte vor;
mit ihnen rückt auch, ohne Wiffen feines Bruders, Canis ein, als
wolle er jofort die ihm im Ausſicht geftellte Herrſchaft antreten.
Bald haben die Ihändlichen Bürger, deren Häupter, ſoviel ich in
Erfahrung gebracht, Macabranus de Bivario, Jacobus BVerlatus,
Guido Birarius, Salomon de Marano und Petrus de Protis
waren, voll froher Zuverfiht auf das Gelingen ihres Anjchlages
den Befehlshaber durch Drohungen und Gewalt vom Marfte vers
jagt, und auch die Burg wird ohne Widerftand eingenommen und
auf ihr das Faiferlihe Banner aufgepflanzt. Die Paduaner da—
gegen, welche in größerer Zahl als es fonft üblich war von ihrer
Boterftadt als Beſatzung nad Bicenza gelegt waren, ziehen ſich
im äußerſten Schreden auf die fogenannte Injel, einen zwijchen
den öftlichen Stadtwällen gelegenen, von fteilen Mauern umgebenen
Drt zurüd; doch glauben fie ſich aud im Schuß dieſer Befeftigungen
nicht ficher. Obwohl der Platz uneinnehmbar war, jobald man
die Thore ſchloß, fo ergreifen fie doch ohne von irgend Jemand
bevrängt zu werden die Flucht. Viele verjuchen ſich über den
Bachiglio mittel3 einer nahen Furt zu retten, ertrinfen jedoch in
den hochgehenden Fluthen; ein jo großer Schreden hatte fie be=
fallen und jo feige Herzen bejaßen fie, daß fie beim erften An-
fturm ausriſſen und ihre Zuflushtöftätte den Feinden frei und offen
obenftehenden Angaben des Autor3 das hier erzählte Ereignis nah Oſtern (d. i. nad)
dem 11. April) ftattfand, jo wird man entweder XVI. Aprilis oder XVI. Kal. Maji emen=-
dieren wollen, womit man in beiden Fällen auf Freitag den 16. April füme. Weil aber
als Wochentag ausdrücklich Donnerstag angegeben wird und überdies Muffato Buch 3
Kap. 1(f. 0.) den 15. April, welcher in der That auf einen Donnerftag fiel, nennt, fo
dürfen wir wohl auch hier den 15. April jegen.
1311
1311
400 Biertes Bud).
überliegen. Hiervon bin ich felbft Augenzeuge gewejen und mas
ich hier bejchreibe kann ich genau wiſſen ), denn unſer Haus ift
in geringer Entfernung von jenen gewaltigen Mauern gelegen.
Sp wurde ehe noch die dritte Tagesftunde verrann Vicenza
von den Feinden erobert und von der faiferlihen Macht in Befig
genommen, die paduaniſchen Streitkräfte aber befiegt. Letzteres
nun war nicht eben wunderbar, daß nämlich die Paduaner Des
Kampfes entwöhnt kleinmüthig wichen, da ein lang andauernder
Friede fie unkriegeriſch und unfähig gemacht hatte die Waffen zu
führen und ihr Ohr des Klanges der Trompeten und des Kampf
getümmels hatte vergefien laſſen. Denn eine jo ungeftörte Ruhe,
ein jo holder Friede hatte geherricht, daß Jedermann urtheilte, die
Paduaner und Bicentiner lebten wie im Himmel. — Die gefangenen
Baduaner wurden ihrer Habe beraubt und dann alsbald entlafien,
nur einige wenige ind Gefängnis geworfen; eine fleine Anzahl von
ihnen war aud verwundet oder hatte im Kampfe daS Leben laſſen
müffen. — Als die Unglüdsbotihaft nad Padua fam, padte Ent-
jegen und Schmerz die Bürger. Wie rajend ergreifen fie die
Waffen und ftürmen ungeoronet im unaufhaltfamen Yauf bis zur
Brüde von Barbanım an der Grenze der beiden Gebiete, wo die
hochgeichwollenen Wogen des reißenden Wafjers ihren Schritt
hemmen. AS fie nun, in der glühenden Begierde die Stadt, Die
wie fie meinten, nody nicht von ihren Mitbürgern aufgegeben warı
zu ſchützen, letzteren Hilfe zu bringen und das vermegene Unter:
fangen der Berräther zu vereiteln, emfig nad) einer Stelle juchen,
wo fie ficher Hinübergelangen könnten, kommt ihnen einer ihrer
Landsleute, ein Mann von vornehmen Stande, im Hemde ent-
gegen und ruft mit großem Wortſchwall: „Wohin, ihr Bürger?
Es nüßt nichts mehr weiter vorzudringen; alles ift verloren, von
allem was wir befefien find nur noch einige Gefangene übrig!”
Als in kurzem noch andere hinzufommen, welche das gleiche be=
zeugen, machen die paduaniſchen Führer betroffen fehrt, ziehen zur
1) Vidimus enim hoc et certum conscribimus.
5 5, ne
Abfall Vicenza's von Padua. 401
jammernden Baterftadt zurück und betreten das Rathhaus, wo der
Senat der taufend Männer zufammentritt um zu erwägen was
zu bejchließen und zu thun fei. Vergeben aber müht fich der Fleiß
der Sterblichen, wenn das Geſchick ihm widerftrebt, und Feine
wadere ruhmeswerthe That kommt zu Stande, wenn die Götter
nicht zuftimmen. — Ganz anders ging e8 mittlerweile bei meinen
Landsleuten zu; hier erfüllte, da des Kommenden niemand fundig
war, Jubel und Freude das Herz eined Jeden ohne Unterſchied
vom hochgebornen Edelmann bis zum niebrigften Manne aus dem
Bolfe herab. Nur einige bejahrte Männer, welde den Umſchwung
der Dinge aus Erfahrung kannten, bejammerten die unfelige That
als verhängnisool für die Vaterftadt und verdammten das Ver—
fahren des Volkes. Henricus de Ravaſino, ein verftändiger, er=
fahrener Mann, und Morandus Panenfahus, welcher einer hoch—
angejehenen Familie entftammte, zwei trefflihe Männer, begeben fich
fogar auf die Flucht, weil fie für die Herrichaft der Paduaner
eingenommen waren und die Aufläufe des niederen Volkes verab-
ſcheuten. Dem Morandus freilidy erging e8 übel: er wurde nebft
feinem älteften Sohne aufgegriffen, um ſchweres Geld gebüßt und
weit weg von der Vaterſtadt in die Verbannung geſchickt; Henricus
de Ravafino dagegen ging freiwillig in die Verbannung und ließ
fi) in Padua nieder. Peiner von beiden aber ward je in bie
Heimath zurüdgerufen, und in fremder Erde fanden fie ihr Grab.
Auch der milde und mweife Biſchof Altigradus, welcher von Padua
entfandt faft ſechs Jahre den bifchöflichen Palaft zu Vicenza inne
gehabt ), verließ vol Furcht in einer Verkleidung die Stadt. Auch
Andere entfernen ſich insgeheim auf irgend eine Weiſe verfleidet
oder unfenntlich gemacht, denn das Volk entbrennt plötzlich in jo
Yeivenfchaftlicher Wuth gegen die Zwingheren, daß der Name eines
Paduaners hinreichte um als Feind betrachtet zu werden. “Diele
Erſcheinung erklärt fi) aus der langen Gewaltherrichaft, welche
fie hatten erdulden müffen, denn die Sklaven lieben ihre Herren
1) Richtiger feit 8 Jahren, da Altegrado Cattamo feit 1303 regierte. (T 1314).
Geihichtfhreiber. La. 67. Leben Heinrichs VII. 26
1311
1311
402 Viertes Bud).
nie. — Die war der frohe Anfang der Freiheit der Bicentiner,
aber bald zogen trübe Wolfen an ihrem Horizonte auf und im
weiteren Verlaufe der Dinge zeigte ihnen das Schickſal ein bei
weitem anderes Gefiht. Zunächſt nämlich fallen die Paduaner in
rächender Wuth über da8 Gebiet von Vicenza her, morden, rauben
und verwüften unbarmberzig und legen die Brandfadel an die
Häufer, was ihnen die VBicentiner dann mit gleicher Münze heim-
zahlen. So gingen beide Völker rachſüchtig darauf aus einander
zu ſchaden, bi8 endlich die erfte Wuth verraudht war und Das
Brennen und Plündern aufhört. — Als königlicher Statthalter
fam der Piſaner Vanni Zeno nad) Vicenza, der, als er nad dem
Abzug des Biſchofs von Genf und des Canis Magnus ein jo ver-
antwortliche8 Amt übernahm, feine Pflegebefohlenen ermahnte, den
römischen König zum Dank für die Wohlthaten, die derjelbe ihnen
erwiefen, mit koſtbarem Golde zu beichenfen, auf daß er aud in
der Folge e8 ſich gütig angelegen fein laſſe die Stadt gegen die
Angriffe der Paduaner zu ſchützen. So wird in fürzefter Frift
eine erhebliche Summe für den königlichen Schatz aufgebracht und
vom Adel und Bolf, die im Entzüden über das Trugbild ihrer
Freiheit ſich der Auflage ohne Klage und Murren unterziehen, durch
eine Gefandtichaft dem König zugeftellt, dem das Geld, obwohl es
doch immerhin nur eine unbedeutende Summe war, fehr zu
ftatten Fam.
Ai Sr PR RE Eh EEE
FSünftes Bud).
3. König Heinrid VII und Johannes Parricida.
Inzwiſchen machte fi) der oben erwähnte Neffe und Mörder 1311
Albrechts von Defterreih, Johannes, welcher vom König zum Tode
verurtheilt war, auf und fam — und zwar, wie man fagt, auf
den Rath des Herzogs NRodulf von Baiern — in der Hoffnung
den römiſchen König, der von Geldmangel ſchwer gedrückt wurde,
Durch eine, große Summe Geldes zu verfühnen, nad Genua, wo
er fi) mehrere Tage fern vom Königshofe verborgen hielt, endlich,
aber, als der Herricher einft beim Mahle faß, vortrat, fih ihm
zu Füßen warf und jeine Berzeihung erflehte, indem er darftellte,
wie die gewaltthätige ungerechte Herrichaft des Oheims feine Teicht-
fertige Yugend zum Morde deffelben verleitet habe; deshalb flehe
er um Vergebung und fer bereit zur Sühne feiner ſchweren Schuld
den König mit feinen Mitteln gen Rom und heimwärts zu geleiten.
Unſchlüſſig zuerft, dann trübe finnend fehaute ver Cäfar auf ihn
und hieß ihn endlich ſich entfernen, forderte ihn aber mit freund:
lichen Worten auf nad) dem Mahle fid) wieder bei ihm einzufinden.
Tief ſchmerzte ihn die Ankunft des Jünglings, da er nicht zweifel-
haft fein konnte, daß er denjelben der gerechten Strafe werde preis—
geben müfjen. Freilich erkannte er, daß der ſchöne Hochgeborene
Süngling ihm bei der Aufrichtung feines Fatjerlichen Thrones von
großem Nutzen fein fonnte, aber der zähe unverſöhnliche Haß der
Bettern Johanns ließ ihn mit Recht befürchten, daß er kleinmüthig
erfcheinen würde, wenn er das Richtſchwer zu ergreifen zögere, und
26*
1312
404 Fünfte Bud.
zwang ihn zu energiſchem Vorgehen. Denn abgejehen von dem
Urtheil der allgemeinen Meinung bejorgte der König, den Stolz
des mächtigen Defterreichers Friedrich und feiner vier Brüder zu
verlegen, die, wenn fie gleich Damals Leopolds wegen, der, im Lager
vor Brescia ſchwer erkrankt, noch nicht in die Heimath gebracht
worden war, fich fern hielten, doc bereit rüfteten, den zweiten der
Brüder Heinrih mit einer ftattlichen Schaar Keifiger dem König
zu jenden. In ſolcher Berlegenheit zog es dieſer vor gerecht ftatt
milde zu handeln !). Nach dem Abzuge des Königs fol Johann
auf Beranlafjung der Anhänger Friedrichs, die das Gold nicht
iparten, vergiftet worden jein; wenigſtens hat man nie wieder etma$
Sicheres über ihn noch auch irgend ein ſonſtiges Gerücht von feinem
Tode vernommen.
4. König Heinrid in Pia.
Nachdem der König in Genua alles jo gut er vermochte ge—
ordnet hatte, ging er, ſobald die Vorbereitungen zur Abreife vollendet
waren, mit geringer Begleitung an Bord. Nicht mehr als adıt-
hundert Menfchen fetten fich damald mit ihm den Gefahren der
Seefahrt aus. Bon den Fürften befanden fich noch Graf Amadeus
von Savoyen, Biſchof Balduin des Königs Bruder, Biſchof Theo—
bald von Lüttich, der Heeredmarjchall Heinrich von Flandern, Herzog
Rudolf von Baiern und Jofredus de Lignazo ?) nebft einigen
anderen Angejeheneren beim Heere. Dieje bildeten die Umgebung
und gleihjam die Leibmwache des Königs; . ferner. begleiteten dieſen
die beiden Cardinäle von Oſtia und von Genua ?), während der
von Alba in der Gegend von Lucca einer Krankheit erlag. Nach
dreitägiger ſtürmiſcher Seefahrt erreichte die Flotte die Piſaniſche
Küfte, wo die Edlen von Pija dem König entgegeneilten. Auch
hatte die Hoffnung in die Heimath zurüdgeführt zu werden Schaaren
Berbannter, melde das durch ſchändlichen Parteikampf gejpaltene
Tuscien ſchnöde verſtoßen hatte, hierhin geführt, wo ſie den König
1) Folgt daS unverſtändliche: Johannem itaque versutus invenit (wohl corrum—⸗
piert). — 2) Gottfried von Leiningen. — 3) d. i. Lucas de Flisco.
König Heinrich in Pifa, 405
zu ſehen verlangten. Bier Miglien von den Stadtmauern entfernt 1312
bei der Kirche St. Peter in Grabu!) wurde der König von ben
Bürgern unter unbeſchreiblichem Jubel mit allen Ehren empfangen ;
auch das gemeine Bolf im ſchmucken Fefttagsfleive gab feine Freude
über die Ankunft des erlauchten Herrſchers durch die Klänge der
Mufit und laute Jubelrufe fund und jedes Geſchlecht und Alter
ſchien in unzählbarer Menge verfammelt. So ritt der Cäſar unter
einem purpurnen von Eoftbaren Steinen und Gold ſchimmernden
Baldahın am 6. März?) 1312 in Pila ein, ſchlug jeine
Reſidenz im biſchöflichen Palafte auf und ließ die Mannſchaften
an einem üppigen Mahle fich letzen. Aus freien Stüden über-
trugen ihm Volt und Bürgerfchaft die blühende Herrichaft ihrer
Stadt zu Yande und zur See, boten ſich ihm mit ihrem ganzen
Befig in unterwürfigem Gehorſam dar und veriprachen alle ihre
Kräfte und Hilfsmittel an die Erhöhung der Faiferlihen Macht zu
jegen. Erfreut nahm der König dies entgegen, bemächtigte fich
ber Herrſchaft der Stadt, erjegte die alten Obrigfeiten durch einen
föniglihen Statthalter, beftätigte ihnen der Sitte gemäß ihre Volks—
beſchlüſſe und Gejege in großer Zahl, traf vielerlei Entſcheidungen
und führte auch eine neue Berfaffung ein; als ihm jchließlich die
Mittel ausgingen, legte er gierig die räuberifhe Hand an den un—
ermeßlich reihen Staatsihag, welcher feit vielen Jahren von ven
Bürgern mühſam zuſammengebracht worden war. Dies aber er-
regte bei den bürgerlichen Obrigfeiten große Erbitterung und da
fie zu thätlicher Rache zu ſchwach waren, jo machten fie ihrem
Grimm dur laute Schmähungen gegen den König Luft, der,
ohne fi) die Sache jehr zu Herzen zu nehmen, nur mit geringer
Strafe einjchritt, indem er die Betreffenden ihres Amtes entjette
und andere, die ihm diefer Ehrenftellen würdiger zu jein ſchienen,
an ihre Stelle berief. Dann aber gab er, um der Bevölkerung
nicht ein Gegenftand des Haſſes und Ingrimms zu werden, bie
1) Pietro in Grado, fiidfildweftlih von Piſa, an der Stelle wo die Straße nad
Livorno eine entichiedene Biegung nah Süden macht. — 2) Tert: VIII id. Febr.
(= Fr. 6); in Wahrheit fand der Einzug am 6. März ftatt.
1312
406 " Flnftes Bud).
Erflärung ab, das. Gemeinmwefen folle in Zukunft in gewohnter
Weife nach feinen althergebrachten Gejegen regiert werden. Denn
wenn das Volk einmal fich feiner Leidenichaft überläßt, fo ift es
ſchwierig derfelben Halt zu gebieten; ganz beſonders gefährlich aber
ift es, wenn die Wuth fich gegen feinen Herrn wendet, denn dann
pflegt e8 fich nicht eher zu beruhigen, als bis es in feinem Grimme
genügende Rache genommen zu haben glaubt. Es iſt jomit ge=
rathener die Liebe als die Furcht der Untergebenen ſich zu erwerben,
denn, 0b zwar ber mwadere Mann unbeirrt jeinen geraden Weg
geht und niemanden vergewaltigt, ſchädigt oder des Seinen beraubt,
vielmehr bei Gott und den Menfchen gern gejehen ſich ruhig ver—
hält, während fein Samen gedeiht und ſich mehrt, jo fieht es der
Ruchlofe, wenn einmal feine Leidenſchaft erwacht ift, darauf ab
zu rauben und zu plündern, zu Confiscationen zu jchreiten, zu
morden, in die Verbannung zu ſchicken, bei den Bornehmeren Beute
zu machen ober von ihnen Geld zu erpreſſen; er giebt fich feiner
toben Begierde hin und will von tugendhafter Mäßigung nichts
wiffen. Aber wie der Samen der Gräſer werden herabfallen und
wie das Gefäß des Töpfers werden zerbrechen diejenigen Herricher,
welche die Anhänglichkeit ihrer Unterthanen durch Furcht erzwingen
wollen, welche Throne ftürzen, den Frieden ftören, Zwiſtigkeiten
und Parteiungen hervorrufen, um gemaltthätig herrſchen und Alles
für fich nehmen zu tönnen. So handeln die gottlofen, wortbrüchigen,
Yafterhaften, angftgequälten Tyrannen, denen Jedermann verdächtig
erſcheint, deren Herrichaft und Leben deshalb auch nie ficher und
befeftigt, ſondern beſtändig gefährdet if.
Als der Grol der Bevölkerung einigermaßen geſchwunden und
alles ausgeglichen und geordnet war, da wog der umfichtige Herricher,
da das Gerücht täglich ficherer und beftimmter meldete, Daß
Guibertus de Corregia und Philippo de Langusco fid) mit den
Bolognefen und Tusciern in ein Bündnis eingelafjen hätten, mit
den Häuptern der Guelfen vereint die reichätreuen Städte der
Lombardei mit Krieg und Raubzügen heimfuchten und ohne Scheu
vor der Züniglichen Gewalt als freche Empörer gegen die erlauchte
König Heinrich in: Pifa. 407
Majeſtät aufgeftanden feien, ftrafend die Wage des Gerichts in ge= 1312
rechter Hand, auf daß die Hörner ihres boshaften Trotzes nicht
weiter wüchſen und das kaiſerliche Racheſchwert ihnen gebührende
Scheu einflöße. Indem er daher ihre Vergehen in einer Urkunde
darlegte, befahl er ihnen innerhalb achtzehn Tagen vor feinem
Richterſtuhle zu erfcheinen, um fich nach dem Geſetz gegen die An-
Hoge auf Majeftätöbeleivigung zu verantworten. Died Edikt Tieß
er an die Thürpfoften feiner Hofburg anjchlagen. In demfelben
wer nidt nur Guibert nambaft gemacht ſondern auch deſſen
Schwiegerſohn Johannes Duiricus!) und Opizinus de Unziola 2),
beides hervorragende Männer. Gleichlautende Briefe ergingen an
die Städte Parma, Reggio, Florenz?) und Lucca und die übrigen,
welche ſich mit ihnen zur Vernichtung des Königd verbündet, indem
die geringfügige Macht vefielben auf fie gar feinen oder geringen
Eindrud zu machen ſchien. Als die Geladenen ausblieben, fälle
der König am 8. April *) zu Pifa im Garten des Coſſus und Apr. 8
Gaddus 5) de Gambacurtis, wo er oft mit feinen Fürften über
Ichwierige Angelegenheiten Rathes pflog, ein Urtheil, melches jene
der beleidigten Majeftät Ihuldig erklärte. — Faſt alle Berurtheilten
und Berbannten Tusciens ohne Unterjchied de8 Stande waren
nad Piſa gefommen, um den König aufzufuhen, 3. B. Biſchof
- [Htlvebrandinus] von Arezz0 aus dem Geſchlechte der [Guidi von
Komena] ©), Simon Philippus aus Piftoja, Caſtruccius de Inter-
minelli8 aus Lucca, der Faejulaner Thadaeus de Ubertis, Ugutio
de Fagiola, Friedrich de Montefeltro, ausgezeichnete Männer, da—
neben viele von geringem Stande, welche nicht jowohl ein widriges
Geſchick als neidiſche Gehäffigkeit ihrer Mitbürger vom väterlichen
Heerde fortgewieſen hatte. Site alle erjcheinen in dichtgedrängten
Haufen vor dem Angeficht ihres Schügerd des Königs, ftellen ihm
freigiebig ihre Perfon und ihre Habe zur Verfügung und bitten
daß er ftarf und milde gejinnt fie dem Baterhaufe zurücgebe.
1) Urkundlich: Chirici. — 2) urkundlich: de Anzola. — 3) vielmehr Siena. — 4) viel-
mehr am 11. April. — 5) in Heinrichs Urkunden heißen fie Bonacurfius und Girardus,
6) Vor- und Gefchlehtsname des Biſchofs find im Text ausgefallen.
1312
408 Fünftes Bud,
Er redet ihnen leutjelig zu und ftärkt ihre Hoffnung. Inzwiſchen
befiehlt ex, im Hinblid auf den Marſch gegen Rom, den Pijanern
ihm ihre Streitkräfte in voller Rüftung vorzuftellen, damit er ihre
Zahl erfehen und nad) feinem Gutbünfen diejenigen ausleſen könne,
welche er für am meiften geeignet und tauglich erachten würde.
Zuerft läßt er die gepanzerten Reiter, welche ſich durch herrlichen
Schmuck der Roſſe und glänzende Schilde auszeichneten, in langem
Zuge vor feinem Palafte antreten und im Kreife Stellung nehmen;
dieſe Echaar fol, wie meift angegeben wird, ſich auf taufend Köpfe
belaufen haben. Dann muftert er die Schaaren der Fußgänger,
die in gleicher Aufftellung folgen, und fein Herz hob ſich al8 er
die große Schaar erblidte, melde die ihm ergebene Stadt auf:
gebracht hatte, denn es follen viertaufend gemwejen fein welche
Schleudern führten, jehstaufend aber die mit Lanze und Schild
bemehrt waren; dazu kamen endlich noch die zahllofen Haufen des
leichtbewaffneten niederen Volles. — Um die nämlihe Zeit kam
es in Pia zu einem biutigen Auflaufe. ALS einft alles bei üppigen
Mahlen und reihem Weingenuß gierig geſchwelgt hatte und einige
Mannen Balduins von Trier des füniglihen Bruders nächtlicher
Weile unter lautem Gejang einen Reigen dur die Straßen auf:
führten, famen ihnen zufällig Mannen des Grafen von Savoyen
entgegen, die diejelbe Kurzweil trieben. ALS num die beiven Haufen
zufammentrafen, verfegte einer, welchen ein anderer leicht ange—
ftoßen hatte, dieſem erzürnt einen Fauftichlag in's Gefiht. Der
Berlegte z0g fein Schwert und brachte dem Gegner eine Wunde
bei, worauf alle in Leidenfchaft geriethen, vom Leder zogen und
gegen einander losſchlugen, ſodaß mehrere zu Boden geworfen,
einige getöbtet, der größte Theil aber verwundet wurde. Die
Nachricht von dieſem Ereignis wurde in überaus vergrößerter
Geftalt fogleich zum König gebraht, der das Lager verlaffen und
auf die Straße treten mußte, und, als er erfuhr was es mit dem
Getümmel und Schreien auf ſich habe, ſogleich alle, verwundete
und nichtverwundete, aufzugreifen und ind Gefängnid zu bringen
befahl. Erſt nad) einigen Tagen läßt der König fie auf die Ber:
Me TE Van DE 7
König Heinrich in Pifa, 409
wendung ber beiden genannten Fürften bin wieder frei, nachdem 1312
fie Berträglichkeit gelobt, die gegenfeitige Unbill vergefien und ein-
ander vergeben haben. — Um diefelbe Zeit befiel den König noch
ein anderes Ungemach, welches ihn und die Fürften feiner Um-
gebung in große Betrübnis verſenkte. Der oben erwähnte Ober:
hirt von Arezzo nämlich, ein verftändiger waderer Mann, welcher
mit großem Gefolge zum König geftogen war, und, dem Reiche
eifrig ergeben, jenen, wie man hoffte, im nicht geringem Grade
unterftügen und förbern jollte, erkrankte an den Folgen der be:
ſchwerlichen Reiſe und des unftätten Lebens, welches er in ver
legten Zeit geführt, und ftarb am 20. April, während man glaubte, Apr. 20
daß er viel dazu beitragen werde in Tuscien die Faiferlihe Gewalt
zur Geltung zu bringen. Aber noch ehe er die Schwelle des
Greiſenalters erreichte, vaffte ihn eine Krankheit Hin; als Erben
ſeines Beſitzes hinterließ er zwei wadere Jünglinge, Söhne feines
Bruders, die er dem König and Herz legte.
Bald darnach ließ der König, welcher inzwifchen die An—
gelegenheiten Piſa's, jomweit er nur vermochte, geordnet hatte und
jene Schaaren marjchfertig daftehen jah, feinen Abmarſch nach
Rom, defien Beſchleunigung die Zeitumftände zu erfordern ſchienen,
öffentlich anſagen. Auch die Legaten des apoftoliichen Stuhles
riethen ihm jchleunigen Aufbruh an. Nachdem er daher die dichten
Schaaren der Genueſen, der verbannten Tuscier und feiner Deutfchen
zufammengezogen, verläßt er die Stadt Pia, deren Verwaltung er
dem Grafen Franciscus de Übaldinis, einem recht waderen Manne,
überträgt. In Begleitung von einigen Edlen und zweihundert an=
geſehenen Männern aus dem Mittelftande zieht er am 26. April Apr. 2
aus den Thoren Piſa's aus, welches er nie wieder erbliden follte).
Den erſten Abſchnitt feines Marſches beendigt der Ort Bigale 2)
an den Grenzen des pilanifchen Gebietes, den er fi) zum Ruhe—
hafen erfieht. Die genannte Stadt, auf einem breiten Hügelrüden
1) Eine auffallende Fliihtigfeit unferes Autors, der wenige Blätter weiter unten der
zweiten Anfunft des Kaifer3 zu Pila im Jahre 1813 gedenft. — 2) Vignale nordöftlich
von Piombino.
1312
410 Fünftes Bud).
erbaut, Tiegt nahe am Geſtade; man erblidt von hier in geringer
Ferne die unermeliche Meeresfläche und, meiter entfernt, viele
berühmte Infeln, denen Piſa gebietet, jo namentlich Eorfica, deſſen
fruchtbarer, produftenreicher Boden füge Honigwaben mit unglaub=
lich reihem Erträgnis gewährt, wogegen Sardinien ſich durch feinen
Weizen und viele andere Schätze auszeichnet; Elba endlich erzeugt
ungeheure Mengen von Erzen und Eifen befler Qualität. Andere
Inſeln freilih find unfruchtbar und faum bewohnt, weil fie für
den Getreivebau nicht geeignet find; die Geſchichte weiß daher aud)
von ihnen nicht zu berichten. An der Küfte Liegt die Hafenftadt
Plombinum, welche eine ftarfe wohlhabende Bevölkerung hat, ſodaß
die Pifaner fie für einen ihrer größten Schäte halten”).
Nachdem er diefen Ort palfiert, zog der Herricher, meil ver
Weg durch Tuscien wegen der Auffäffigen unfiher war und er
bejorgen mußte durch Liſt oder Gewalt in den Engpäſſen von den
feigen Gegnern Schaden zu erleiden, an der Küfte entlang und
übernachtete bei einem Orte, welchen die Einwohner Caftilio 2)
nennen, an den äufßerften Grenzen des pifanifchen Gebietes. Hier
vaftete er zwei Tage, um ſein Kriegsvol zu erwarten, meil ex jetzt
feindliche Lande betreten mußte. Am Morgen des dritten Tages,
als Alles beifammen war, hielt er leutſelig eine Aniprade an
jeine Truppen, entzündete mit feurigen Worten ihre Kampfesluft
und hieß fie fi) ungefäumt zur Schlacht rüften. Er jelbft zeigte
fih in Harniſch und Schild zum Zeichen daß etwas Wichtiges im
Werke ſei. Dann feste er fih an die Spige einer Abtheilung
von etwa vierhundert Neifigen und rückte mit derjelben vor, während
er den Reit dem Grafen von Savoyen übergab, mit dem Befehl
ihm ungeſäumt nadzufolgen. Er glaubte nämlich, die Gegner
jeten wider ihn ausgerüdt, um ihm ven Mebergang über ben
Umbro 9) zu wehren, welcher im Gebirge entjpringend bei Grofietum
in die Ebene tritt und oft durch ftarfe Negengüffe oder in Folge
der Schneejchmelze zu einem gewaltigen Strome anſchwillt, ſodaß
1) Lückenhafte Stelle. — 2) Eaftiglione della Pescaja, an der Küſte auf gleicher Höhe
mit Groffeto. — 3) Ombrone.
s
1
König Heinrich in Pifa. 411
dann der Uebergang über venjelben mit den größten Gefahren ver=
bunden ift. Als aber der Cäfar ſich dem Fluſſe näherte, meldete
ihm ein vorausgefandter Späher, die Sanejen ſeien entwichen und
dem Mebergang ftehe fein Hindernis im Wege. Theils erfreut,
theil8 auch bedauernd daß der Fluß ohne Weitered paſſierbar fei,
bewerfftelligt der König den Untergang; am anderen Ufer mitten
im Felde wird um die fechfte Stunde Halt gemacht und abgekocht.
Als Menjhen und Thiere neugeftärft find, geht es meiter durch
ebene8 Land, bis man fünf Miglien von Siena entfernt auf Rath
des Nicolaus de Bonfignoribus Halt macht ). Im geringem Ab—
ftand folgten dem König der wadere Graf von Savoyen und ber
Erzbiſchof von Trier, der Bruder des erfteren, mit den gemijchten
deutſch⸗italieniſchen Schaaren, indem jeder dem anderen möglichft
den Rang abzulaufen fuchte; ganz beſonderen Eifer aber legen bie
galliſchen Fürften in der Umgebung des Herrichers, ihres Herren
und Gönners, als deſſen treusgehorfame Begleiter fie fich erweilen,
an den Tag, jo Theobaldus de Barre der Biſchof von Lüttich,
Herzog Rudolf von Baiern, Graf Goffred de Lignazo, der Graf
von Octingen?), der Graf von Calcinembroch und viele andere wadere
Männer. Auf fie geftügt wagte e8 der Kaiſer ſich den Hütten
der Landbevölkerung anzuvertrauen und dafelbft zu übernachten; in
der Frühe des nächſten Morgens gab er auf Anrathen des Nicolaus
de Bonfignoribus die Erlaubnis zur Berheerung der Felder und
Dörfer der Sanefen. So jchweiften feine Schaaren bis an Die
Mauern von Siena heran und fchleppten viele Landleute und Vieh,
welche fie auf den Feldern gefunden, als Beute ind Lager. Die
Städter wagten beffenungeachtet Keinen Ausfall, weil fie innere
Parteiungen und treulofe Umtriebe fürchteten, ſodaß fie leicht durch
Hinterlift großen Schaden nehmen konnten. Nachdem der Cäſar
genügende Beute gemacht, nahm er feinen Weg nad der Grenze
1) Diefe Abſchwenkung des Königs gegen Siena, melde uns nirgends fonft erzählt
wird, ift wohl fiher zu verwerfen, um fo mehr da unfer Autor fid) hier iiber die Ent—
fernungen durchaus ununterrichtet zeigt. Seinem Berichte zufolge nämlid mußte das
Heer an Einem Nachmittage mindeitens 25 Miglien (vom Ombrone, der bei Groffeto
überfohritten wurde, bis fünf Miglien vor Siena) zuriidgelegt haben. — 2) Dettingen.
1312
1312
Mail
412 Fünftes Bud.
Tusctend und erreichte am 1. Mat ohne Unfall Viterbo, wo er
vier Tage verweilte um feine jehnlich erwarteten Schaaren heran-
fommen zu lafien. Hier kam ihm zahlreiche Mannichaft entgegen,
melhe Manfred der Präfeft von Rom, dem der Anhang des
Königs fie zur Verfügung geftellt hatte, diefem zuführte. Ihre
Ankunft fteigerte den Muth der Königlichen nicht menig.
5. Ereignijje in Rom.
Bon Viterbo aus wurde Rom Ichnell erreiht. Dem König
war inzivifchen berichtet worden, Johann, der Bruder König Roberts,
gehe darauf aus, von den Urfint unterftüst, mit zahlreicher Mann
haft alle zur Kriegführung brauchbaren Punkte zu fichern und Die
Zugänge zur Stadt, namentlid) auf der Seite, wo der römijche
König heranziehen mußte, zu ſperren; insbejondere ſuche er fich
auch des Zugangs über den Pond Mollis, drei Miglien vor Rom,
den Stephanus und Sarra, die Häupter der Partei der Columma
liſtig vorweggenommen, hätten und für den Auguftus behaupteten,
mit Gewalt zu bemächtigen. Auch innerhalb der Mauern Noms
fanden hartnädige Kämpfe und Aufläufe ftatt; die Bevölkerung
jet geipalten; Ludwig von Savoyen aber befinde fi in einer
außerft gefährlichen Lage. Deshalb beichleunigte der Cäſar ſeinen
Marſch und langte endlich vor Kom an, wo Johannes aus Furcht
vor den anrüdenden Gegnern feine Truppen mit Ausnahme von
vierzig Mann, welche die Beſatzung des fogenannten Tripizon
eines gewaltigen Thurmes, der eine Eleine Strede jenfeit8 der er—
wähnten Brüde Yag, bildeten, bereits zurüdgenommen und ſich
unter die Befeftigungen des Stadttheiled von St. Angelus ) be—
geben Hatte. Unmillig daß wider feine Erwartung die gegnerifchen
Schaaren abgezogen waren, paffierte der König raſch ohne Wiber-
ftand zu finden die genannte Brüde, als ſchon Dunfelheit den
Himmel bebedte, ſodaß er gezwungen war mitten auf dem Felde
zu übernachten. In dieſer Lage Juchte der Ankömmling den
1) Stadttheil der Engelsburg (die Leoftadt).
Ereigniffe in Rom. 413
tröftenden Schlaf jo gut er vermochte. Zunächſt galt es fich mit
der ſtarken Feftung des Tripizon abzufinden, unter welcher man
genöthigt war hindurchzumarſchieren. Der Marſch gelang denn
auch nicht ohne Verluſte; nicht wenige der Königlichen wurden
bon den weithin gejchleuderten Speeren der Feinde getroffen und
gezwungen vie Hilfe des Wundarztes in Anſpruch zu nehmen.
Dann aber 309 der Cäſar am frühen Morgen von den Schaaren
feiner Getreuen, unter denen fid) aud die bereit erwähnten
Columna, Stephanus und Sarra, befanden, geleitet und von einer
großen Bolfsmenge eingeholt, ohne Unfall in Rom, das Ziel feiner
langgehegten Wünjche, ein. Die Sonne, welche an dieſem Tage
nur für den Herricher aufzugeben jchien, führte die Nonen des Mai
herauf. Der König wandte ſich zuerft zum Lateran und ſchlug
hier an ficherer Stelle feine Nefivenz auf. Hier empfing ihn
ehrerbietig der Clerus und er betrat nad althergebradter Sitte
in der Tracht eines Stiftäherren, im pelzverbrämten Mantel und
mit dem Barett bedeckt, die Kirche des heil. Johannis 1). Nachdem
dort Jubelhymnen gefungen worden, machte ſich Alles frohgeſtimmt
an das bereitftehende Mahl. Sobald er ſich aber gefättigt, erwacht
in ihm die ganze Thatkraft des Herrſchers und ſchnell verfammelt
er die Fürften zum Rath. Auf deren Vorſchlag entjendet er den
Biſchof von Trier und Graf Robert von Flandern zur Erftürmung
oder Einnahme des Thurmed des Tripizon, der den Zugang be
Ihwerlih machte. Die beiden Fürften ſammeln ihre Mannſchaft
um ſich, eilen nach jenem Orte hin und fchlagen ihr Lager im
Felde auf, da wo der König zwei Tage zuvor übernachtet hatte.
Dann greifen fie die Söloner des Iohannes, welche den Thurm
mit Wurfipießen und verfchtedenen Arten von Schleudermaschinen
vertheidigten, an, doch führte der erfte Angriff eben jo wenig zum
Ziele wie eine wiederholte Beftürmung. Nachdem dann Johannes
zahlreiche Schaaren dorthin entjendet um die Beſatzung zu ver
ftärfen, fam e8 endlich zu einer größeren Schlacht, in der beide
1) ©. Giovanni di Laterano.
1312
Mai 7
1312
414 Fünftes Buch.
Theile große Verlufte erlitten. Dod gingen die Königlichen als
Sieger aus dem Treffen hervor; die Hilfötruppen Sohannd wurden
aufs Haupt geichlagen und in die Flucht getrieben, auf der jedoch,
fünf Männer, die durch prächtigen Waffenſchmuck als Vornehme zu
erfennen waren, niedergemacht, zwei andere jo jchmer verwundet
wurden, daß fie bald hernad) ihren Geift aufgaben. Hierauf er-
gab ſich auch die Beſatzung des Tripizon, da fie nicht mehr auf
Hilfe Hoffen Konnte, und überlieferte ven Thurm. Diefer Sieg
erfüllte den König, mit großer Freude und erhöhte die Kampfluft
der Seinen, fodaß er darauf denken konnte den Trotz der Feinde
gänzlich zu bändigen und die feften Punkte der Stadt, welche durch
Johannes und die Partei der Urfint gegen ihn beſetzt gehalten wurden,
zu erobern. Zunächſt befanden ſich ſolche Verſchanzungen an den
Straßen, die den König von der Burg des Jupiter !) trennten; dieſe
alle indeß nimmt er mit ftürmender Hand ohne weſentliche Verluſte.
Nur ein großer hochragender Thurm bei der Marcuskirche leiſtete
einigen Widerſtand, doch ſchon vor dem Abend des folgenden Tages
lag er befiegt darnieder. Als legte Feftung blieben nur no die
Milizien beftehen, von wo aus man direkt zum Capitol auffteigt.
Diefe Fefte hatte Ludwig von Savoyen, zur Zeit da er Senator
war, der Obhut zweier tapferer Männer, des Rizardus aus dem
Gefchleht der Urfini und des Johannes de Annibaldis unter der
Bedingung anvertraut, daß fie der Ankunft des römiſchen Könige
feinen Widerftand in den Weg legen, ihn vielmehr ohne mweitered
in die Veſte einlaffen follten. Dod hatten ſich beide auf Die Seite ”
des Johannes gejchlagen und waren entichlofien, den ihnen vers
haften König feinesfalls einzulafien. Nachdem nun legterer fi
vergebens bemüht hatte ihren Starrfinn auf gütlihem Wege zu
drehen, entichloß er fich, da die Milizien uneinnehmbar zu fein
Ichtenen, zu Lift und Betrug feine Zuflucht zu nehmen; und fichere
lich ift e8 erlaubt, wie Gemalt durch Gewalt zu vertreiben, jo aud
ſchlaue wortbrüchige Verräther durd Trug und Berrath zu Tall
1) D. i. das Capitol.
*
Ereignifje in Rom. 415
zu bringen. Nachdem der König aljo eine furze Weile verzogen
hatte um fich Tchlüffig zu machen, Iud er durch einen freundlichen
Brief den Annibal, den Bruder des Johannes der die Milizien
beſetzt hielt, zu fi) und bat ihn, ganz ohne Furcht fich ber ihm
einzuftellen. Annibal, welcher fich vom König feines Argen verfah,
begiebt fich eilend8 zu demjelben. Der König fragte ihn zuerft in
der Leutjeligften Weile, weshalb er fein Gegner fei und ihn, den
anfommenden Herm und Fürften der Römer, nit aufnehme, und
ermahnte ihn feinen Trotz bei Seite zur laſſen, indem er ihm zu=
gleich Reichthum und Macht in unbeichränfter Fülle in Ausſicht
ftellte; zunächſt aber forderte er die gutwillige Heberlieferung der
Milizien. Jener antwortet: er fer fein Feind des Königs, im
Gegentheil, ihm erſcheine e8 jehr erſprießlich, wenn dieſer den Sit
feiner Herrſchaft gewinne; deswegen werde er ihm nicht nur nichts
in den Weg legen, jondern ihn vielmehr unterftügen; was aber das
betreffe, daß der König die Milizien zu gewinnen wünfche, jo fönne
ex, Annibal, über viefelben nicht frei verfügen; er werde fich in
dieſer Angelegenheit an feinen Bruder wenden und jei Willens bei
demſelben darauf zu dringen, daß derjelbe nebſt ſeinem Genoſſen,
mit dem er zufammen die Feſte beſetzt halte, fi dem König füge.
ALS Annibal Hierauf Anftalt machte ſich zu entfernen, gebot ihm
der König zu bleiben, nahm ihn in Gewahrfam, und legte ihm
fogar Feſſeln an. Ebenſo verfuhr er mit einigen anderen römiſchen
Edlen, deren trogiger Sinn ihm gefährlich erſchien, und jetste allen
nur eine kurze Frift, indem er ihnen graufam einen qualvollen Tod
in Ausficht ftellte, falls innerhalb diefer Frift ihm jene Veſte nicht
übergeben werde. Annibal benachrichtigte insgeheim feinen Bruder
und flehte, ihn vor einem jo jchimpflichen Tode zu bewahren. Als
Johannes die That des erbitterten Herrſchers erfuhr, war er, voll
Erbitterung über die Hinterlift defjelben, zuerft in rauhen Helven-
muth gejonnen das Leben des gefangenen Bruder nicht zu er—
faufen. ALS aber der feftgefeste Tag kam, ermeichte der Gedanke
an die jcheltenden Worte und den beworftehenven jchimpflichen Tod
desjenigen, den er über Alles Yiebte, feinen harten Sinn und er
1312
1312
416 Fünftes Bud).
309 es vor, menjchlic ftatt helvdenmüthig zu handeln. So über-
Yieferte er ohme Wiffen Johanns, des Bruders König Roberts, um
den Preis der Rettung jeined Bruders feine Veſte dem römischen
König, welcher dieſelbe jchnell in Befig nahm und mit einer Be-
fagung belegte. Trotzdem jollte er auch jettt das Capitol nicht
ohne Kampf gewinnen. Denn dorthin zogen ſich aus den Milizien
Kizardus und Johannes zurüd, nachdem fie jchon früher die Burg
mit einer überaus ftarken Beſatzung belegt hatten. Außerdem blieb
nod) nahe dem Capitol ein anderer Punkt zu erobern, nämlich
eine Kirche, welche die Frömmigkeit der Minderbrüver der jung:
fräulichen Mutter des Wortes T) geweiht hatten. Dieſen Punkt,
der ebenfalls durch bewaffnete Mannſchaft vertheidigt wurde, greifen
die Königlihen zuerft muthig an, erftürmen ihn ohne Schwierig.
feit, hauen die Beſatzung nieder und fegen fid) darin feit. Auf
Seite der Königlichen waren viele Streiter durch Wurfſpieße ver:
wundet worden, doc wurden alle im Berlauf weniger Tage voll-
ftändig hergeftellt. — Um dieſe Zeit fand fich bei Johannes, dem
Bruder Roberts, eine zahlreiche Heeresabtheilung aus Tuscien ein,
welche taufend Mann zu Fuß umd zu Roß gezählt haben fol.
Ihr Führer war der Graf von Bijernum, ein Todfeind der Pifaner,
welcher auf dem Bicus Latus, wo es Canuganum heißt 2), den
Königlichen ein Treffen Tieferte, aus welchem nad) einem hart=
nädigen Handgemenge der Cäſar um die jechfte Tagesftunde als
Sieger hervorging. Viele Tuscier bededten die Wahlftatt, andere
wurden noch nad) Abbruch des Kampfes ergriffen, dev Reſt rettete
fi) durch die Flut. Die Gefangenen, unter denen ſich neben vielen
Edlen und Gemeinen der Graf von Bifernum felbft befand, wurden
in Feſſeln gelegt. Die Königlichen aber verfolgten die fliehenden
Feinde weithin und ſteckten viele Häufer und Schanzwerfe in Brand,
wobei viele Menjchen, auch Bemwaffnete, die das Vorbringen Des
Königs aufzuhalten verfuchten, in den Flammen ihren Tod fanden.
Die jubelnden Sieger aber drangen, während das Feuer nad) allen
1) D. i. Jeſus, wol zufolge dem Anfang des Johannis- Evangelium. — 2) d. i. der. 9.
Camigliano (na dem angeblichen Bogen des Camillus) zwiſchen Via Lata und Minerva.
* a
Ereigniffe in Rom. 417
Seiten um fi griff, bis zur Minerva vor, mo der gefegnete
Orden der Predigermönde vor den Altären ergeben frohe Hymnen
zu Gott emporfendet. Diefes Ereignis feste Iohannes umd
Kizardus dermaßen in Schreden daß ihnen der Muth zur Ver—
theidigung entjanf, zumal da fie die Schugdächer und die fonftigen
Maſchinen zur Erftürmung des Capitols ſchon bereit ftehen fahen.
Sie machten ſich daher heimlich aus dem Staube. Die geringe
Mannihaft, welche fie oben zurüdgelafien, bedang ſich nur das
Leben aus und capitulierte ungefäumt. So gelangte jener Platz,
den die Alten einft der Verehrung des Jupiter gewidmet hatten,
von den Bertheidigern im Stich gelafjen, ohne Schwierigkeit in
die Hände des römiſchen Königs.
Nach althergebrachter Sitte beftätigte dann dieſer feinen Ge—
noffen ihre Aemter und Würden und theilte nad allen Geiten
Lehen aus; auch gab er dem Ludwig von Savoyen das Amt des
Senators, welches verjelbe längft ‚geführt hatte, zurüd. Auf ver
anderen Seite aber ließ Johannes, König Nobertd Bruder, ver
auf die Urfini geftütt jenjeit des Tibers einen erheblichen Theil
der Stadt inne hatte und mit großer Truppenmacht die Stadt
St. Angeli, weldhe mit hohen Mauern umgeben war, behauptete,
nicht nach durch plögliche Angriffe die Königlichen zu beläftigen ;
öfters freilich wurde er auch von letteren nad) blutigem Gemetzel
geihlagen und in die Flucht geworfen. Er hütete fich indeß eine
Seldihladht anzufagen, weil er den Kampf Mann gegen Mann
Icheute; wielmehr beftand jeine Kampfesweile darın daß er häufig
wie ein Räuber von jeinen Verſchanzungen aus einen Vorftoß gegen
die Königlichen unternahm und dann, nachdem er einige Hiebe aus-
getheilt und zurüdempfangen, eben jo ſchnell wieder verſchwand.
Hierdurch wurden die Königlichen, die fortwährend zu den Waffen
greifen mußten ohne Exhebliches ausrichten zu können, fo erbittert,
daß fie ſich vornahmen jenen durch Liſt zum Kampf zu zwingen,
indem fie ihm namlich durch einen Hinterhalt ven Rückweg zu ver—
legen gedachten. Ohne Säumen ſchritten fie ans Werk. Nach—
dem Alle ſich fampfbereit gemacht hatten, hieß der Graf von
Geſchichtſchreiber. Lig. 67. Leben Heinrich VII. 27
1312
1312
418 Fünftes Bud.
Savoyen eine auserlefene Schaar in ſchnellem Lauf bi8 am die
Berfhanzungen der Gegner herangehen, wo fie fid) von dieſen ihrem
Auftrage gemäß umzingeln und in einem Kampf verwideln ließ.
Sobald nun das Kriegsvolk des Johannes, um die Streitenden
feiner Partei zu verftärfen, in größerer Menge hervorbrach, ſchickte
der Anführer der Königlichen die Seinen jchleunigft ebenborthin.
Sp fam es zu einem heißen Treffen, in meldem anfangs die
Schaaren des Johannes in die Flucht geichlagen werben; als die
Königlichen indeß den Sliehenden bis zu den Schanzen inmitten
der Stadt folgen, werden fie hinterrüds von den Gegnern über-
fallen, denn im Eifer des Sieges hatten fie nicht darauf Acht
wohin fie geriethen. Gegen fie bricht nun ein zweiter Schlacht—
haufe des Iohannes, den er immer als Reſerve zurücbehielt, mit
gewaltigem Stoße hervor und ſchlägt die Ermatteten, der Wege
Untundigen, nady kurzem Kampfe vollftändig. Sp weit fie nicht
fallen oder in die Gefangenſchaft gevathen, eilen die Königlichen
nad der Stelle zurüd mo ihre übrige Streitmacht aufgeftellt iſt
und erreichen diefelbe der werfolgenden Feinde ungeachtet. Inzwiſchen
hatte der oben erwähnte Anführer eine ftarfe Abtheilung in Stand
gefett, um, wie man plante, den Feinden einen Hinterhalt zu legen.
Als er num wahrnimmt daß die Seinen übel zugerichtet ſich auf
die Flucht begeben haben, ftürzt er mit voller Wucht auf die
Gegner vor, wirft diefelben, die ihm an Zahl durchaus nicht ge—
wachjen find, ohne Mühe zurüd und folgt ihnen, indem er die
Flüchtigen niedermegelt, bis an den Tiber; als er hier abermals
Truppen vom Heere des Johannes aufgeftellt fieht, ftürzt er ſich
wie ein Löwe in gewaltigem Sprunge auf fie, da er e8 nicht über
fich) gewinnen kann vor ihren Augen den Rüdzug anzutreten. An
diefer Stelle, wo ſich bald alle königlichen Heerführer einfinden,
fommt e8 num zu einem höchft erbitterten Kanıpfe. Keine Schlacht—
ordnung, feine planmäßige Aufftellung läßt fid) wahrnehmen, jon=
dern, zu einer ungeordneten Maſſe zufammengeballt, kämpfen Die
Einzelnen auf dem Flede den der Zufall ihnen angewieſen hat.
Da fam e8 denn zu einem entfeglichen Gemetzel, wobei die jtreitbarften
ii BT a a rt rn a
Ereigniffe in Rom. 419
wacerften Männer in unglaublid großer Zahl dem Schwerte zum
Opfer fielen. Auf Seite der Königlichen fielen Theobaldus de
Barre der Biſchof von Lüttich, ein Mann ebenfo umfichtig im
Rath als tapfer im Streit, ein Vetter des Königs, Johannes de
Cont der Haushofmeifter des Biſchofs von... ... 1) der Abt
von Guiſenborch?) und Peter von Savoyen ein Bruder des
Senators, dazu eine große Zahl weniger hohen Ranges, die in-
geſammt nicht ſowohl auf feiger Flucht gefällt wurden als vielmehr
im dichteften Gewühl den Todesſtreich empfingen. Viele, die fich
aus UnfenntniS der Gegend in den Straßen verirrten, wurden von
den Söldnern der Feinde aufgegriffen und niedergehauen. Endlich
gab der Cäſar, welcher troß feiner ſchweren Verluſte ſich nicht für
befiegt anfah, das Zeichen zum Rückzuge. Doch auch Johannes, der
das Feld behauptete, mußte feinen Erfolg theuer bezahlen, denn eine
große Anzahl der Seinen lag erſchlagen oder war unbeilbar verwundet,
zum Beiſpiel der weitberühmte Laurentius des Johannes Statius
Sohn aus der Familie der Urfint, der den Beinamen de Campo
Florido führte, ein kühner und waderer Jüngling. Gentilis Urfinus
empfing im Unterfchenfel eine tödtliche Wunde. Die Zahl der Nicht-
adligen, melde auf beiden Seiten fielen, [hätt man auf zweihundert.
Der Abend war bereit8 angebrocden als das Treffen abge-
brochen wurde. Freitag der 26. Mai war der Tag, der die hoch—
trabenden Hoffnungen der föniglichen Heerführer niederſchlug und
ihre Seele mit bitterem Schmerz erfüllte. Aber Stephanus de
Columna, defjen Bruder und die übrigen Römer, welde fich zahl-
reich beim König eingeftellt hatten, richteten fie wieder auf und er—
fülten fie aufs neue mit Hoffnung und Muth. ALS die Legaten
des apoftoliichen Stuhles, welche den Cäſar treu begleiteten, wahr-
nahmen, wie übel Johannes und deffen Helferähelfer, die Urſini,
ihm mitjpielten, beſchließen fie, vol Bedauern über fein Misgeſchick,
einen Verſuch zu machen die Feinde auf dem Wege der Güte zu
gewinnen, da .fie es für erfprießlicher erachteten daß der Herrfcher
1) Lücke im Text. — 2) Weißenburg.
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Mai 26
420 Fünftes Bud).
> e8 mit Derträgen ftatt mit dem Schmert verfuhe. Denn das
Schlachtenglück ift wandelbar, und ftetd bleibt e8 unficher wen Das
Geſchick den endlichen Sieg verleihen wird. Die Gardinäle richten
daher, nachdem der König ihrem Beginnen wenigftend nicht in den
Meg getreten war, an den ermähnten Johannes und deſſen Bundes-
genofjen, den an feiner Wunde darniederliegenden Gentilis, Ponzellus
und Bonzellinus, ebenfall$ erlauchte Glieder der Familie der Urfint, ein
Schreiben, in welchen fie jene Dringend auffordern, fie möchten ſich dem
Cäſar nicht widerfegen, ſondern vielmehr zulafjen, daß derjelbe in der
Bafilifa der Apoftel das kaiſerliche Diadem auf feine Stirne ſetze. Sie
ſchlagen vor durd ein fürmliches Abkommen Frieden zu Schließen, zu—
nächft aber ſich über einen Etillftand zu einigen und Die Waffen ruhen
zu laffen, bis man, was auch der Papſt dringend wünſche, einen
feften Frieden vereinbaren werde; die Unbilden, die man fid) gegen=
jeitig zugefügt, jollten vergeben und vergefjen fein. Gehe Johannes
mit den Seinen hierauf nicht ein, jo werde er den heiligen Bater,
der fie zur Krönung des Fürften entjandt habe, erzürnen. Außer—
dem lichen fie einfließen: das römiſche Volk trage bereits Verlangen
darnach für feinen König die Waffen zu ergreifen und gegen deſſen
Feinde einen blutigen Kampf zu eröffnen, nur die milde Sinnesart
des Herrihers hindere die Römer ihren Vorſatz auszuführen. Auch
führten fie noch manche erhebliche Gefichtspunfte an, Die das
Abkommen im beften Fichte erfcheinen laſſen follten. Aber das alles
ſowie der Auftrag, der den Cardinälen vom Papfte ertheilt worden,
machte auf die fühnen trogigen Männer jo wenig Eindrud, daß
fie da8 Schreiben nicht einmal einer ihre Wünſche und Ziele dar-
legenden Antwort würdigten. Dies erbitterte die Cardinäle, melde
nun dem Papſte ſchildern wie die Dinge zu Rom ftänden. Mehr
aber noch zürnte der König. Er rief die Fürften zur Berathung
zu fi und ließ zugleidh Die Bürger Roms ohne Unterjchted Des
Standes auf einem freien Plage unterhalb des Capitols zufammen-
fonmen. Mehr als zehntaufend Männer jollen dort beifammen
geweien jein. Diefen Iegte nun Nicolaus von Siena!) in ge
1) D. i. Niccold de’ Buonfignori.
—
Ereigniffe in Ron. 421
wandter Rede dar, wie die Urfint und deren Anhang jenjeit des
Tibers auf Johannes geftügt eine fo fefte Stellung behaupteten
und eine fo bedeutende Macht entwidelten, daß man faum Hoffnung
babe ihrer Herr zu werben. Da diefelben nun fich mweigerten zus
zulafjen, daß der König nad) hergebrachter Sitte in der Apoſtelkirche
die Krone empfange und fogar eine Mahnung der Xegaten des
heiligen Stuhles ohne Antwort gelafjen hätten, wie jie denn zweifel-
[08 an nichts weniger dächten als ſich zu unterwerfen, jo jet e8
erforderlich alle Rückſichten bei Seite zu laſſen und mit ungewöhn-
lichen Mitteln vorzugehen. Es habe demgemäß der königliche Rath
beichlofen, alle Diejenigen, melde bisher, von den Empörern ver-
führt, dem Cäfar die ihm zufommende Anerkennung verweigert,
zu einem beftunmten Termin unter dem Beriprechen völliger
Sicherheit zu den Adlern zu berufen; wer dann aber hartnädig bei
feinem Unterfangen vwerbleibe, der müſſe fich gefaßt maden alle
Leiden des Krieges zu erdulden. Durch diefe und ähnliche Worte
ruft der Saneſe lärmenden und jubelnden Beifall hervor, worauf
er ſchließlich die Anweſenden auffordert alsbald die Waffen zu er:
greifen und die Feinde aufzujuchen. ALS jedoch der König vor-
fichtig Die Sache zu verfchieben mahnt und zunächft einen unzwei—
deutigen Erlaß an die Transtiberinen richten heißt, um fie zu den
königlichen Feldzeichen zu berufen, brechen nur einige wenige un-
geheigen gegen die Feinde auf. Um diefe Zeit ftellten ſich bereits
mandye angejehene Männer, welche ſich getrieben füylten zu den
zweideutigen trügeriſchen Verhältniſſen in Nom eine feite Stellung
zu nehmen, beim König ein. Die befannteften von diefen Männern
waren der viel gerühmte junge Urſius aus dem Geſchlecht Der
Urfini, Petrus de Monte-Negro, ein unternehmender Kopf, der in
den römischen Parteikämpfen eine Rolle jpielte, ſowie Rizardus De
Annibaldis, welcher e8 nicht wagte dem Johannes nad) der Ueber—
gabe der Milizien wieder vor die Augen zu treten. Dieje ſchloſſen
ſich dem König aus freien Stüden an und trugen nicht wenig dazu bei
jeinen Muth zu beleben. Ihnen übergiebt er einzelne Abtheilungen
des Volkes, um mit denſelben den Kampf gegen das Stadtviertel
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St. Angelt zu eröffnen, zu deſſen Erftürmung alle viethen. Aber
der deutjche König maß feine Kräfte vwergeblid an der uneinnehm-
baren Feſte und führte ohne Erfolg feine Streiter gegen dieſelbe
heran. Er erreichte nicht nur nichts, ſondern erhöhte dadurch nur
die Zuverficht feiner Feinde fo jehr, daß diefelben voll friichen
Muthes am nächſten Tage einen Ausfall auf die Königlichen
machten und viele derjelben theils niederhieben, theils als Gefangene
in ihre Veſte jchleppten. Nicht Langer fonnte fich jest der König
der Einſicht verjchliegen daß die Gegner ihm überlegen ſeien und
auch über die für die Krönung in Ausficht genommene Zeit hinaus
ihm den Gehorfam verweigern würden. Am Sieg verzweifelnd beſchließt
er daher die Yegaten des heiligen Stuhles um die Vollziehung ihres
Auftrags angehen zu laſſen, und zwar follten die angejehenen Römer
jene Dazu bewegen, damit e8 nicht das Anfehen gewinne als ob er
jelbft fie zwinge. Er ftellt daher das Verlangen ihm zu bemilligen,
daß, da die Yage der Dinge die Krönung in der Apoftelfirche nicht
zulafje, er auch außerhalb verfelben an jedem beliebigen Orte inner=
halb der Mauern Noms feines Wunſches theilhaftig werden dürfe.
Demgemäß werden auf Anordnung des Königs zehn einfluß-
reiche und angefehene Männer zu den Cardinälen entfandt, um von
denjelben zu vernehmen, was fie mit dem König zu thun gedächten.
Weil jedod) die überaus heifle Angelegenheit, für und wider Die
viel Stichhaltiges vorgebracht werden fonnte, ſich nicht übers Knie
brechen ließ, jo wurde die Entſcheidung einftmeilen vertagt. Als
aber inzwiſchen, im Lauf der nächften vierzehn Tage, der König fic)
Durch einen neuen unvermutheten Angriff der Feinde abermald von
ihmerzlihen Berluften betroffen ſah (Damals empfing 3. 2.
Stephanus Columna, der ihm eine große Stüge war, durd) einen
Pfeilſchuß eine ſchwere, nahezu tödtlihe Wunde) beichloß er, won
Beforgnis und Trauer erfüllt, auf jede Weile fich der Kaiſerkrone
zu bemädtigen. Es fam hinzu daß eben damals, da er Schlag
auf Schlag erlitt, Simeon Philippus aus Piftoja, der Piſaner
Vanni Zeno und Ubaldinus de Kaftello unverrichteter Sache von
ihrer ſiciliſchen Geſandtſchaft zurückehrten, was nicht eben dazu
Ereigniffe in Rom. 423
diente die trübe Stimmung des Herrfchers zu verbeffern. Die Ge-
nannten waren nämlid mit Manfredus de laramonte nad
Sicilien gegangen, um über ein Ehebündnis zwiſchen den Häuſern
der beiden Könige zu verhandeln, hatten aber menig oder nichts
ausgerichtet. In diefen Tagen erlitt der Mond eine Verfinfterung
und verlor, als Vollmond blutroth am wolfenlojen Himmel ftehend,
jein Liht auf der Hälfte der Scheibe, eine Erjcheinung, die wie
die Zeichendeuter ) fie auslegten, auf großes Unheil voraus wies.
ALS nun die zu den Cardinälen entfandten Deputierten länger ver-
zogen und das römiſche Volk bereit8 unmillig wurde, daß jene jo
wenig bedacht ſeien die Wünſche feines Königs zu erfüllen, ſchickt
diefer abermals einundzwanzig auserlefene Männer zu den Cardinälen,
um diejelben über ihre Anficht zu befragen, fie aber zugleich zu
bedeuten, dem Berlangen des Könige müſſe nachgegeben werden,
da auch der Senat ?) e8 wolle; überdies ſei dafjelbe nichtS meniger
als ungeſetzlich; der römiſche K